Kolumne: Oleg und der Vize-Zar des DFB

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir. Ich habe gestern Abend zwar eine SMS bekommen – aber die stammt von Maria, seiner Freundin, Sprecherin oder Rechtsberaterin, ich kenne die offizielle Funktion dieser Dame nicht. Maria studiert Jura, glaube ich. Sie schreibt:

Oleg besteht auf eine Entschuldigung, weil Du ihn grundlos diffamiert hast. Er hat das Wort im Wörterbuch nachgeschlagen. Unterlass das! Sobald Du Dich entschuldigt hast, wird Oleg wieder mit Dir reden. Er bietet Dir eine Kolumne an, in der Du Dich kritisch mit ihm auseinander setzen kannst. Oleg wird alle Deine Fragen beantworten. Auch Olegs Mama “missbilligt die Diffamierung meines Sohnes”.

Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich habe Oleg nicht diffamiert. Ich stehe zu meiner Aussage. Ich hatte meine Gründe.

Oleg und ich hatten uns am Mittwochabend in der Kneipe verabredet, um das Spiel Deutschland gegen England zu gucken. Es fing schon nicht gut an. Oleg sang die deutsche Hymne nahezu fehlerfrei mit, er stand dabei eichenhaft fest und hielt die Augen geschlossen. Ich war sitzen geblieben und schwieg, ich gestehe: Ich kann den Text nicht auswendig und habe auch keinen Ehrgeiz, daran etwas zu ändern. Ich freue mich, wenn ich Fußball im Fernsehen schaue, sogar über eine Niederlage der deutschen Mannschaft, weil sich dann der Kommentator so schön ärgert und die Reporter den Spielern nach dem Abpfiff gemeine Fragen stellen müssen, was sie eher ungern tun. Ich erwarte nicht, dass jemand mein Verhalten versteht.

Das Spiel war so langweilig, dass selbst Oleg nicht mehr auf und ab ging in der Mix-Zone, sondern wieder auf dem Barhocker saß. Er bestellte sich zwei Wodka auf einmal, telefonierte ein bisschen, blätterte in der Zeitung und nickte sogar kurz weg. Er erwachte in der Halbzeitpause und fragte müde: „Wer ist dieser Jens Weinreich?”
Ein Journalist, ein sehr gescheiter”, sagte ich.
„Und wer ist Doktor Theo Zwanziger?”
„Ein Präsident, ein sehr eitler.”

Oleg schaute irritiert. Offenbar hatte er die Nachricht Unangenehmes Theodorant und den Kommentar Laaser-faire-Politik gescheitert in meinem Blog ein bisschen zu sehr quer gelesen. Ich erzählte Oleg, dass der Deutsche Fußballbund mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt sei, erhob das Glas auf Zwanzigers Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder und beschloss, meinem Freund, der noch immer kaum etwas begriffen hatte, in den nächsten Tagen ein Organigramm der Bundesrepublik Deutschland anzufertigen: Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesfußballpräsident Theo Zwanziger, Bundessportpräsident Thomas Bach, Bundesjournalismuspräsident Oliver Kahn, Bundeskolumnenpräsident Franz Josef Wagner, na ja, und so weiter.

„Aber den deutschen Fußball regiert doch Zar Franz“, sagte Oleg.
„Kaiser Franz.”
„Was?”
„Kaiser, Oleg, nicht Zar.”
„Und was ist Theo dann, wenn der Zar des deutschen Fußballs schon Franz ist?”
„Zwanziger ist der Präsident, Oleg. Übrigens: Kaiser.”
„Versteh ich nicht.”
„Was verstehst du nicht?”
„Dann ist Theo der Stellvertreter von Franz, oder wie?”
„Ja, Oleg, so kann man das sehen. Die Bild-Zeitung sieht das bestimmt so.”
„Und was hat nun dieser Sportjournalist über den Stellvertreter von Zar Franz im Blog Direkter Freistoß Böses geschrieben?”
„Unglaublicher Demagoge.”
„Uiiiih”, sagte Oleg.

Ich bin mit Oleg schon ein paar Mal in Odessa zum Fußball gewesen. Oleg ist ein treuer Anhänger des FC Chernomorets Odessa und besucht jedes Spiel. Ziemlich oft begleitet er die Mannschaft auch nach Charkow, Lemberg, Kiew oder sonstwohin. Verliert Chernomorets, ist er tagelang schwermütig. In dieser Saison habe ich ihn noch nicht sehr oft unschwermütig erlebt. Chernomorets ist nur Tabellenzehnter der ukrainischen Liga.

Wenn der Stadionsprecher Odessas Aufstellung vorliest, spricht Oleg die Namen der Spieler samt Rückennummern mit. Wenn der Stadionsprecher danach den Namen des Trainers vorliest, springt er auf und klatscht. Wenn der Stadionsprecher zuletzt den Namen des Vereinspräsidenten vorliest, schreit er: „Mоooo-лоoooo-дец*.” All das wiederholt sich im Laufe eines Spiels drei- bis viermal. Da die Gastmannschaft genauso oft und genauso ausführlich über die Lautsprecher vorgestellt wird, kenne ich mittlerweile sehr viele Vereinspräsidenten und bin ein ausgewiesener Oligarchenexperte.

„Den muss man einsperren”, sagte Oleg und trank einen Schluck Wodka.
„Oleg, wenn wir jeden Demagogen in den Knast stecken würden, wäre Deutschland … warum eigentlich nicht?”
„Ich meine nicht den Stellvertreter von Franz, sondern diesen Sportjournalisten.”
„Spinnst du?”
„Der muss mindestens ein Berufsverbot kriegen.”
„Wegen Vize-Zaren-Lästerung?”

Ich schaute auf den Fernseher und dachte daran, dass ich am Freitag Studenten der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa einen Vortrag halten würde über den Journalismus in Deutschland, über Presse- und Meinungsfreiheit, über Wahrhaftigkeit und Distanz. Es lief die 84. Minute des Länderspiels. Es kam dieser direkte Freistoß, vielleicht war es auch indirekter, eine Ecke oder Flanke, was weiß ich, ich schaute gelangweilt auf den Fernseher, sah, wie John Terry das 2:1 für England köpfte, erinnerte mich an die vergangenen 90 Minuten mit Oleg und sagte: „Du bist ein unerträglicher Olegarch.”

*Prachtkerl

Nachtrag, 20.30 Uhr: Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass sich wenigstens einer der Grauen Exzellenzen vom DFB verabschiedet, damit das ganze Drama nicht noch peinlicher wird. Mir fällt nur gerade nicht ein, wer aussichtsreichster Kandidat ist. Sowohl Theo Zwanziger als auch sein Vize Rainer Koch, beide promoviert übrigens, haben heute einen Fuß vor die Ausgangstür gesetzt. Hätte ich einen Doktortitel, würde ich den jetzt zurückgeben. Wenn ich das richtig verstanden habe, können die beim DFB nicht mal mit Word umgehen. Und der eine weiß nicht, was der andere sagt. Unfassbar!

Nachlesen kann man das bei Herrn Niggemeier und auf sueddeutsche.de.

14 comments

  1. Doctor Robert

    Lieber Christoph,

    auch ich war am vergangenen Mittwoch für England.
    Hoffentlich bekommen wir beide dafür keine bösen Kommentare um die Ohren gehauen.

  2. Sebastian

    habe während des spiels abgeschaltet. war ja furchtbar und wurde im zdf noch unerträglicher durch den kommentar.
    “olegarch” ist wunderbar! schade, dass ich deripaska nicht persönlich kenne. das wäre doch mal ein spässchen.

  3. Axel

    Hut ab, lieber Christoph, Deine Wortspiele werden immer spitzfindiger. Olegarch, so etwas kann nur einem echten молодец einfallen.

    Schönes Wochenende – wir verschwinden jetzt in die Berge und lassen uns einschneien.

    Gruß an Oleg, Mama und Maria – die soll’n sich wieder einkriegen!!

  4. Doctor Robert

    Lieber Sebastian,

    ich finde es toll, dass ich mal nicht der Einzige bin, der den Kommentar nicht ertragen kann.
    Diese ganzen “Jahrhunderttore” und “Traumaktionen”, die ein deutscher Kommentator in einem durschnittlichen Spiel entdeckt, finde ich nämlich echt anstrengend.

  5. cw

    Herrschaften! Was ist denn hier los? Komme gerade von der Nationalen Polytechnischen Universität (war nett, danke der Nachfrage)und finde hier Belobigungen in Abwesenheit vor.

    @ Axel: Wann kommst Du wieder? Bekommst Du die Mails aufs Handy? Ich probier es gleich mal.
    @ Sebastian: Olegarch ist “wunderbar”? Ich sag nur: Rechtschreibfehler. Nein, danke, danke.
    @ Doctor Robert: Unterschlag bitte nicht den Traumpass. Ich vermisse hier in Odessa Steffen Simon von der Sportschau am Sonnabend. Bei Simon ist selbst der Bratwurstverkäufer Weltklasse.

  6. Silvergirl

    Hat Oleg ein Ego-Problen, Herr Wesemann? So sehr die hier anwesenden Herren ihn vergöttern, mir ist er doch allzu mimosenhaft. Bestellen Sie ihm doch bitte einen schönen Gruß und fragen Sie ihn, warum er yo zimperlich ist in einem Land, wo eine Männerfehde doch eher in Form von rechten oder linken Haken ausgetragen wird. Oleg schnappt einfach zu oft ein und schwer wieder aus. Das ist unmännlich!

  7. pediko

    wiedermal ein paar lustige und interessante minuten gelesen, natürlich ist die frage wie sie ihr verhältnis zu oleg klären offen, ich hoffe das es keine konsequenzen für ihre zeit in odessa hat… vielleicht einfach mal fußball spielen statt sehen, hilft um agressionen abzubauen. die bild darf sich glaub ich nicht mehr zeitung nennen, ist jetzt nur ein blatt. ich habe echt kurz überlegt ob es einen bundeskolumnenminister gibt :-) in der heimat schneit es übrigens grade.

  8. Doctor Robert

    @ cw:

    Ich lausche gerade im Radio der “Schlusskonferenz” der Bundesliga.

    Mal gucken, mit wie vielen Zeitlupen die Sportschau die Tore (“für die Ewigkeit”) wieder ausschlachten wird.

    Zur Sehnsucht nach der Sportschau:
    Ich würde sie wahrscheinlich auch vermissen, wenn ich keinen Zugang zu dieser Jahrhundertsendung hätte. Dennoch werde ich meinen Fernseher nachher wieder aus dem Fenster schmeißen wollen, fürchte ich.

  9. Nataliya

    Jungs, ihr sollt lieber mal wieder Wodka trinken gehen. zusammen, zu zweit. Ohne Maria. die Frauen werden das nur sclechter machen. Lieber Drink und “Za zdorovje, za futbol, za muzhskuju druzhbu” Den letzten Satz schlage ich vor, auswändig zu lernen!!!

  10. cw

    @ Nataliya: Seid wann dürfen sich Frauen einmischen, wenn Männer über Fußball reden?
    Schutka! Schutka! Ich scherze nur. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind. Axel hat Sie vermisst.

  11. Nataliya

    ja, das meine ich auch. Die Frauen dürfen doch nicht einmischen, wenn es um Fußbal geht, vor allem wegen der Sicherheit. lieber fernhalten ))))
    liebste Grüße an Axel!!!

  12. Ping: Kolumne: Oleg zieht (sich) um : Christoph Wesemann

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