Barrierenrepublik Ukraine

KIEW, UKRAINE Ich verlange hiermit, der Ukraine sofort die Fußball-EM 2012 zu entziehen – und ihr überdies nie wieder die Austragung eines sportlichen Großereignisses anzubieten. Vielleicht bin ich zu streng, aber ich habe vier Tage lang Kinder und Kinderwagen durch Kiew geschleppt – hinunter zur U-Bahn-Rolltreppe und aus dem Metroschacht heraus, in alle möglichen Einkaufszentren, in Restaurants, auf Brücken und über Bordsteine, die mir bis zum Knie gingen. Ukrainer lieben Treppen und Stufen. Nichts ist barrierefrei. Und seit meinem längeren Besuch im Juli 2008 hat sich überhaupt nichts getan.

Und es macht mich wütend, dass die Herrscher dieses Landes einfach darauf setzen, irgendjemand würde ihnen die Infrastruktur EM-tauglich machen und auch noch dafür bezahlen, es machen zu dürfen.

(Ein Teil meiner Wut hat sicher auch damit zu tun, dass seit gestern mein Internet so langsam ist, als würden die Daten in einem Kinderwagen zu mir geschoben. Zwischendurch passiert natürlich stundenlang überhaupt nichts.)

14 comments

  1. iris

    Mit dem Kinderwagen in die Metro – dieses Experiment ist mutig !
    Es gibt einen Fahrstuhl ins “Globus”, allerdings beginnt der gegenüber vom “Ukraina” und hat vorher auch ein paar Stufen.
    Hier ein “Erfahrungsbericht” aus Moskau: http://www.moskau.ru/moskau/deutsche_oesterreicher_schweizer/durchaus_moeglich_mit_kleinkind_in_moskau_unterwegs_196.html
    Du hättest einfach nur auf die vielen Kiewer Parks und Spielplätze sehen sollen und dir nicht die Laune durch Treppen verderben lassen sollen 8)

  2. cw

    iris, ist es etwa so ungewöhnlich, mit dem Kinderwagen Metro zu fahren? Ja, die anderen Fahrgäste guckten mitunter sehr hasserfüllt, jedenfalls dann, wenn die Züge gerade voll waren. Ganz schlimm sind übrigens auch diese Schwingtüren in der Metro. Allerdings erscheinen mir die Kiewer ein bisschen aufmerksamer als die Odessiten, wenn es darum geht, eine Tür auch mal aufzuhalten. Dafür stehen sie furchtbar gern auf den wenigen, übrigens sehr steilen Rampen für Kinderwagen und Rollstühle. Eine Frau wäre fast in den Wagen gefallen. Sie träumte vor sich hin, ich rief von hinten, sie hörte nix, dann sprach ich sie von vorne an, woraufhin sie nach hinten ging und ins Stolpern geriet. Und die Pointe: Sie schimpfte auf mich.

    Auf den Spielplätzen und im Zoo waren wir ja auch.

  3. iris

    @cw,
    ehrlich gesagt, kann ich mich nicht erinnern, dass ich in Kiew jemanden mit Kinderwagen in der Metro gesehen hätte. Dass du die Kiewer als aufmerksamer als die Odessiten erlebt hast, liegt bestimmt daran, dass du die Ausnahmen erwischt hast ;)
    Das es im Russischen/Ukrainischen das Wort Rücksichtnahme nicht mal gibt, spricht doch schon Bände.

  4. Nataliya

    lieber Christoph,

    du bist zu verwöhnt,

    die Ukrainer leben damit das ganze Leben und kommen irgendwie klar))))

    nicht erstauenen, wenn es in der Ukraine immer weniger Kinder geboren werden…

  5. Alexander

    Lieber cw,

    Kinderwagen in der Kiewer Metro sind auch für mich ein ungewohnter Anblick.

    Vielleicht liegt es daran: Wer Geld für einen Kinderwagen hat, der hat auch Geld für das passende Auto. Deshalb fährt der dann nicht mehr mit der Metro und den Kinderwagen.

    Ich glaube Kinderwagen sind in der Ukraine so ziemlich das letzte, was eine junge Mutter für ihr Kind kauft, vom jungen Vater ganz zu schweigen. Auch ausserhalb der Metro sind Kinderwagen nur selten zu sehen.

    Vielleicht gehören Kinderwagen einfach nicht zum schewtschenkiwschen Kulturerbe.

    Könnte das die Begründung sein oder liege ich da arg falsch?

  6. Christoph Wesemann

    Alexander, Du könntest Recht haben, was die Autos betrifft. Wahrscheinlich ist Autolosigkeit das beste Verhütungsmittel.

    Hin und wieder sehe ich allerdings Leute – meistens natürlich Mütter – mit Kinderwagen. Und diese Karren erinnern mich sehr stark an meine Kindheit in der DDR. Sie haben unheimlich schmale, nur daumendicke Reifchen und erscheinen mir überhaupt ziemlich wackelig. Wahrscheinlich hat die Vorliebe für diese Gestelle etwas mit dem berühmten Panzerkreuzer-Film zu tun.

    In Deutschland fährt das Baby ja mittlerweile eher so einen Kinderwagen fürs Gelände.

    Hin und wieder sehe ich sogar Leute mit einem “Babybjörn” Tragesitz, sind vielleicht Ausländer. Für so ein Ding wird man gelegentlich von älteren Slawinnen beschimpft. “Legen Sie das Kind vernünftig hin!” Ist wohl eine Glaubensfrage: Unsere Hebamme in Deutschland war der Meinung, “die Russen” machten es seit Jahrhunderten falsch, wenn sie Babys ohne Kissen unterm Köpfchen in den Wagen legen.

    @iris: Du warst schneller.

  7. Doctor Robert

    Lieber Christoph,

    Kiew sieht ein bisschen leer aus. Zumindest auf den Fotos könnte man meinen, du wärst in einer Geisterstadt.

  8. cw

    Lieber Doc Rob, beim ersten Bild bin ich durch den Hintereingang rein. Ich wollte ja die Stufen vermeiden, die direkt gegenüber dem “Ukraina” sind. Außerdem gibt es ja auf dem Unabhängigkeitsplatz auch fiese Springbrunnen und sogar Wassertreppen.

    In der Metro, das war am Sonnabendabend kurz vor 21 Uhr. Vielleicht haben alle den ARD-Straßenfeger “Musikantenstadl” geschaut. Nebenan bei McDonalds war es aber total voll. Dort hing die Stadtjugend mit Bier und Burger ab.

  9. Doctor Robert

    Christoph, warum streichst du denn das “Musikantenstadl” durch?
    Meine Eltern haben es auch geguckt. Sie warteten gespannt auf den Auftritt der Schmuse-”Rocker” Brunner & Brunner. Die haben übrigens dort verkündet, dass sie sich nach der Tour trennen. Richtige Rüpel-Rocker sind sie aber nicht, denn die machen sowas mitten in der bzw. zwei Tage vor der Tour (siehe Oasis).

  10. iris

    @Doctor Robert,
    wahrscheinlich ist Christoph eingefallen, dass das Musi… in Kiew ja kaum einer schaut. Brunner und Brunner als Rocker? Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll!

  11. Ping: Wochenendarbeit für 2012 : Christoph Wesemann

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