Im Spielzeugland “Dynamo”

KIEW, UKRAINE Wahrscheinlich wissen Sie längst, wo ich gerade gewesen bin – jedenfalls dann, wenn Sie das Knallerspiel der Champions League zwischen Dynamo Kiew und dem FC Rubin Kasan geschaut haben. (Dass Kasan Hauptstadt der autonomen Republik Tartastans ist und die autonome Republik Tarstastan wiederum zu Russland gehört, hätte ich vorher auch nicht auf Anhieb gewusst.) Ich saß am Abend im Walerij-Lobanowski-Stadion auf Höhe der Eckfahne im Block 18, Reihe 10, Platz 27 und habe – aber das kann Ihnen nicht entgangen sein – tüchtig gewinkt.

Ich vermelde hiermit Dynamos 3:1-Sieg. Wäre ich als Sportreporter an- und abgestellt beim Mitteldeutschen Rundfunk, würde ich das Spiel so zusammenfassen: “Es war ein verdienter Erfolg der Dnepr-Städter – dank einer klaren Leistungssteigerung in Hälfte zwei.” Dynamo hat in der ersten Halbzeit tatsächlich grauenhaft gespielt – trotz Andrej Schewtschenko, dem Fußballhelden der Hauptstadt, genannt “Schewa”, Dynamos Dauertorschütze Mitte bis Ende der Neunziger und einst 50 Millionen Euro teuer.

Nach erfolgreichen Jahren beim AC Mailand und folgender Tribünenhockerei beim Chelsea FC war er vor der Saison heimgekehrt. Mitleid müssen Sie nicht haben: Schewtschenko, mittlerweile fast 33 Jahre alt, verdient so viel wie kein anderer Fußballer in der Ukraine. Mit seinem Arbeitgeber müssen Sie deshalb freilich auch kein Mitleid haben, denn Dynamo Kiew gehört Grigorij Surkis, einem dieser spielzeugsüchtigen Oligarchen, die es in Russland und der Ukraine zuhauf gibt. Surkis ist Großindustrieller, Fußball-Präsident der Ukraine, Mitglied des Exekutivkomitees der Uefa und natürlich Politiker. Sein Ruf könnte besser sein. Angeblich hat er einmal wegen des Korruptionsverdachts nicht in die USA einreisen dürfen. Andererseits ist die Kombination Oligarch, Fußballfreund und Politiker auch denkbar ungünstig, um sympathisch zu wirken. Finden Sie aus dieser Riege in der Ukraine mal jemanden, dessen Ruf nicht noch schlechter ist als der eines Gebrauchtwagenhändlers.

In der ersten Halbzeit hatte Schewtschenko, Surkis neue Spielfigur, zwei gute Szenen: Einmal ergrätschte er vom Gegenspieler rustikal den Ball. Beim zweiten Mal richtete er wunderschön seine Haare. (Er trägt sie jetzt wieder länger.) Ich hatte ihn ja vor ein paar Monaten aus Gier nach einem schnellen Witz zum FC Sachen Leipzig in die fünfte Liga transferiert – auf diesem Niveau spielte Schewtschenko. Er war einer von elf Schwächlingen. In der zweiten Halbzeit waren dann einige Spieler besser als er.

Die drei Tore, die Dynamo nach der Pause schoss, wurden so gefeiert:

Ich gebe aber gern zu, dass die Leute um mich herum das nicht witzig fanden, zumal es dort brannte, wo neben Fotografen und Aufpassern, die augenscheinlich kaum älter als 16 waren, auch Balljungen standen. Die Stadionsprecherin erzählte zwar jedes Mal aufgeregt, es sei verboten, pyrotechnischen Kram herumzuschmeißen – allerdings hätte man die Besucher vielleicht auch am Einlass kontrollieren können. Ich habe nicht gesehen, dass irgendjemand abgetastet worden wäre.

Und nun präsentiere ich Ihnen noch stolz das sebstgedrehte Tor zum 3:1, geschossen von Oleg Gusev.

(Vielleicht ergänze ich diese Geschichte später noch ein bisschen.)

3 comments

  1. Sebastian

    Und was singt man mittlerweile in Kiev so? Ich kann mich noch an “Dinamo s Dnepra, Kiev Ura Ura!” und “Nashi flagi zhelto-golubie, mi boleem za Dinamo Kiev!” erinnern.

  2. cw

    An ein Lied erinnere ich mich gar nicht. Da kam was aus den Boxen, das klang sehr poppig. Die Schlachtrufe waren nicht so dolle – “Dy-na! Dy-na! Dy-na-mo!” Kann aber auch an meinem miesen Russisch liegen.

    Ist wahrscheinlich wie in Deutschland: Die Fans eines Siegerclubs brauchen nicht einfallsreich und witzig zu sein. Witzig sind die sympathischen Verlierer, die sich gegen die Übermacht der Riesen wehren und diese ein bisschen piesacken. Ich denke da an St. Pauli und Union Berlin.

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