Schlagworte: Georgien

Der neue Kalte Krieg

Angela Merkel hat in dieser Woche Russland ungewöhnlich scharf attackiert, wobei sich das offiziell überlieferte Zitat harmlos liest. Im Telefongespräch mit Präsident Dimitrij Medwedjew nannte sie es „sehr bedauerlich”, dass Russland die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien ohne Rücksprache mit der OSZE und dem UN-Sicherheitsrat anerkannt habe. Später im Kabinett und beim Treffen mit den Ministern von CDU und CSU soll sie Medwedjews halbherzige Entschuldigung so kommentiert haben: Sie möge Russland, wisse aber auch, dass dort gern mit Tricks gearbeitet werde. Wenn Merkel in zwei Runden, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt sind, Moskau einen Hang zum Falschspielen nachsagt, darf man ihr, der brillanten Analytikerin, durchaus Kalkül unterstellen.

Der Wind hat sich gedreht. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnte Moskau vor dem Griff nach der Krim und drohte mit Sanktionen der EU. Kouchner ist nicht nur oberster Diplomat der Franzosen, sondern derzeit auch EU-Ratspräsident. Wenn er die Ukraine und Moldawien als mögliche nächste Opfer ins Spiel bringt, weiß man, wie ernst die Lage ist. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow diagnostizierte übrigens bei Kouchner „krankhafte Vorstellungen”. Willkommen im Kalten Krieg, Teil zwei!

Es ist an der Zeit, dass die Europäer ihr Verhältnis zu Russland korrigieren und die Schmeicheleien begraben, die angebracht waren, als Boris Jelzin im Kreml saß. In Erinnerung ist die zaghafte Kritik, als Medwedjew in einem pseudodemokratischen Schauspiel, begleitet von gelenkten Massenmedien, zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dass die Wahl eher eine Amtsübergabe ohne Machtwechsel war, weil Wladimir Putin weiter nach Belieben herrscht, wagte kaum ein Politiker öffentlich anzusprechen.

Jetzt rächt sich, dass die EU und die Nato die unabhängigen Staaten im Osten lange auf Abstand gehalten haben, um ihren Energielieferanten Russland nicht zu verärgern. Auch Deutschland sah die Ukraine und Georgien, wenn auch im Schneckentempo, schon auf dem Weg in den Westen und glaubte, es genüge, beiden irgendwann eine Mitgliedschaft anzubieten. Diese Hinhaltetaktik ist verheerend gewesen, sie war ein Geschenk an Moskau, das sich – auch mit Hinweis auf die Auslandsrussen – im gesamten Osten als Ordnungsmacht und Beschützer sieht. Es wird diesen Anspruch auch nicht aufgeben.

Erst jetzt sorgen sich die Europäer um die Ukraine. Nur Russland kann deren Unabhängigkeit antasten. „Verlieren wir die Ukraine, so verlieren wir unseren Kopf”, soll schon Lenin gesagt haben. Mit ihr würde Russland weiter an Macht gewinnen. Die Ukraine erwirtschaftete ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Sowjetunion, obwohl sie nur 3,5 Prozent des Gesamtterritoriums ausmachte. Aggressiver als Vorgänger Jelzin verlangt Putin von der Ukraine für das russische Gas Wohlverhalten.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko lässt sich fürs Erste nicht einschüchtern. Er verurteilte die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Auch Regierungschefin Julia Timoschenko hat dies getan – nach einem verdächtig langen Schweigen allerdings, das sogleich für Gerüchte gesorgt hatte, sie wolle sich Moskaus Unterstützung im kommenden Präsidentschaftswahlkampf sichern und überdies die pro-russischen Wähler im Land nicht verärgern. Diese Liaison besagt freilich wenig; zwischen Juschtschenko und Timoschenko gedeiht sonst nur die gegenseitige Abneigung – die aber richtig.

Dass beide Politiker nur begrenzt für ihr Volk sprechen, zeigt eine Umfrage. Wie das Rasumkow-Zentrum in Kiew ermittelt hat, sehen 44 Prozent der Befragten Russland als Aggressor im Kaukasuskonflikt. Kaum weniger, 41 Prozent, urteilen, der große Bruder habe in Georgien Frieden stiften wollen. Unter diesem Vorwand könnte Moskau auch die ukrainische Krim besetzen. Auf der Insel leben mehrheitlich Russen. Und dort liegt auch die russische Schwarzmeerflotte.

Wenn die Ost-West-Krise etwas Gutes hat, dann dies: Sie beweist, dass Europas Duckmäuser gescheitert sind. Russland lässt sich eben nicht mit einer Kuschelpolitik besänftigen. Es sieht sich längst wieder auf einer Stufe mit den USA. Nach dem Ende aller Illusionen ist es an der Zeit, Stärke zu demonstrieren – auch wenn Putin (oder sein Gehilfe Medwedjew) zur Strafe das Gas abdreht und für einen kalten Winter in Europa sorgt. Nur Geschlossenheit wird Putin beeindrucken. Sein Riesenreich ist nämlich wirtschaftlich keineswegs so gesund, wie er tut, es braucht Handelspartner, die Geld bringen.

Russland will Europa beherrschen, der Krieg gegen Georgien war da nur ein Test, der zeigen sollte, was sich der Westen vom neuen Aggressor bieten lässt. Merkel hat das indirekt formuliert mit dem Hinweis auf die Falschspieler in Moskau. Putin will die EU zerschlagen. Auch das darf man unterstellen.

Europa wird sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn es sich von Russland unabhängig macht. Es würde die Abkehr vom Öl verlangen und den Abschied von schnellen Autos. Um das durchzusetzen, ist der Konflikt freilich noch zu harmlos. So lange Europa Öl braucht, bleibt Russland eine Macht. Wer die Energie für den europäischen Wohlstand liefert, kann jederzeit vom Freund zum Erpresser werden.

Die unendliche Geschichte (Teil V)

ODESSA, UKRAINE Jetzt ist die Koschka aus dem Sack: Regierungschefin Julia Timoschenko, auch bekannt als Lady Ju mit der Krone aus Eigenhaar, die nicht auf Sardinien Urlaub gemacht, was die Sardinen, wenn man sie fragte, auch bestätigen würden, sondern sich im “deutschsprachigen Raum” erholt hat, die sich nicht mit Ex-Präsident Leonid Kutschma gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko verschworen hat und erst recht nicht für ihr Schweigen zum Kaukasus-Konflikt eine Milliarde Dollar aus Moskau erhält – sie ist in der Schweiz auf Kur gewesen. Das meldet die Zeitung Segodnya. Wer die unendliche Geschichte in fünf Teilen noch einmal nachlesen möchte, hier, hier, hier und hier wird er fündig.

Kriegstechnik, die begeistert

ODESSA, UKRAINE Ich bin froh, dass in meinem Blog nichts Böses über Russlands Präsident Ministerpräsident Wladimir Putin steht. Ich habe noch mal nachgeschaut – nichts gefunden. Gut, die Unendliche Geschichte in vier Teilen könnte man als Kritik auffassen, aber man müsste schon böswillig sein. Ich bin ein Freund des russischen Volkes, ich habe schon mit achtzehn Jahren Fjodor Michailowitsch Dostojewski gelesen, und zwar alles und freiwillig. Putin und den anderen, seine Marionette, seinen Nachfolger im Kreml, bewundere ich natürlich auch.

Ich habe heute Morgen in Odessa die Militärparade zum Unabhängigkeitstag der Ukraine (24. August 1991) gesehen und muss sagen: Falls jetzt die Russen hierher kommen, weil sie nach dem Krieg Besuch in Georgien noch ein bisschen Sprit in den Panzern haben, würde ich mich nicht unbedingt auf die ukrainische Landesverteidigung verlassen. Ich bin kein Militärexperte, aber ich behaupte, dass mancher deutsche Schützenverein nicht viel schlechter ausgerüstet ist. Habe ich schon erwähnt, dass Gaspadin Wladimir Wladimirowitsch Putin unter allen demokratischen Politikern der Welt mein Favorit ist?

Die unendliche Geschichte (IV)

ODESSA, UKRAINE Also gut, Teil vier der unendlichen Geschichte um Julia Timoschenkos Blitzkur – wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Soeben hat die Deutsche Welle ein Interview mit Rainer Lindner veröffentlicht. Der Ukraine-Experte glaubt nicht, dass hinter dem langen Schweigen der Ministerpräsidentin zum Georgien-Konflikt eine Abmachung mit Russland stecke.

Ich will nicht mehr.

Schöne Regierungschefin vermisst

ODESSA, UKRAINE Hat jemand zufällig Julia Timoschenko gesehen? Die Vermisste ist Mitte 40, trägt das blonde Haar zu einem Kranz geflochten und wurde zuletzt in Kiew gesehen. Vermutlich hält sie sich derzeit in Südeuropa auf.

Entschuldigung, ich frage bloß, es ist schließlich nicht ganz unerheblich, wenn die Regierungschefin der Ukraine unauffindbar ist, man denkt in diesem Land ja immer gleich an das Schlimmste. Hier müssen Leute nicht mal Zigaretten holen, um zu verschwinden. Jedenfalls weiß niemand so recht, wo sich Timoschenko augenblicklich aufhält. Auch Parteifreunde rätseln, wo “Lady Ju” steckt, und fragen, warum sie zum Konflikt zwischen Russland und Georgien schweigt.

Viktor Iwaschkewitsch hat wohl als Erster bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Er hatte Timoschenko weder im Fernsehen noch in der Zeitung gesehen, also fragte der Kiewer die Zeitung Segodnya: “Wohin ist sie verloren gegangen?” Und die Journalisten verkündeten, sie hätten “sich entschieden, aufzuklären, wohin die Ministerpräsidentin verschwunden ist”.

Um es kurz zu machen: Wahrscheinlich ist sie im Urlaub. Ihre Pressesekretärin Marina Soroka sagt, die Politikerin erhole sich auf einer Insel im Mittelmeer, man müsse aber verstehen, dass der Ort nicht mitgeteilt werden könne. Segodnya hat allerdings Timoschenkos Tante Antonina Uljachina angerufen und erfahren: Die liebe Nichte sei im Grunde genommen gar nicht im Urlaub und erhole sich auch überhaupt nicht. “Sie arbeitet und regelt wichtige Angelegenheiten für das Land.”

Eine Erklärung für Timoschenkos Schweigen zum Krieg in Georgien kommt übrigens gerade sehr warm aus der Gerüchteküche: Angeblich wird sie von Russland 2009 im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt. Das behauptet der Sprecher von Staatschef Wiktor Juschtschenko:

Presidential spokesman Andriy Kyslynsky said Ms Tymoshenko had been co-operating with Russia by avoiding any criticism of its actions in Georgia. He said she was counting on Moscow’s support in next year’s Ukrainian presidential election. Ms Tymoshenko, currently on holiday, has not yet commented on the claim. Mehr…

Ausgerechnet Julia Timoschenko, die Heldin der Orangenen Revolution von 2004, die Mutige, die gegen Russland für eine demokratische Ukraine gekämpft hat, lässt sich vom großen Nachbarn bezahlen? Die Zeitung Segodnya nennt sogar eine Summe: eine Milliarde Dollar. Und Julia Timoschenko schweigt. Sie ist ja im Urlaub.

Nato oder blockfrei?

Ja, lesen denn die Kollegen der Deutschen Welle nicht meinen Blog? Die Diskussion um einen Nato-Beitritt ist in der Ukraine jedenfalls nicht unbedingt “neu entbrannt” wegen der Kämpfe zwischen Russland und Georgien. Das Thema ist ein Dauerbrenner, dem ich doch sogar meinen ersten Außendreh mit Kamera verdanke.

Aber Journalisten diagnostizieren gern Neues, um einen Bericht unterzubringen. Allenfalls sind die Zeitungen mal wieder voll mit diesem Thema, was ein typisches Medienphänomen ist. Man hat einfach einen Aufhänger, wie das so schön heißt. Trotzdem lohnt sich natürlich zu lesen, was die Deutsche Welle berichtet.