Schlagworte: Kutschma

Kolumne: Gasperletheater

ODESSA, UKRAINE Dies könnte meine letzte Kolumne sein. Ich kann nichts versprechen, aber es sieht ein bisschen so aus, als würde ich mich bald verabschieden. Dabei habe ich viele Ideen, ich plane zum Beispiel eine Orgasmuskolumne, um den Mangel an Leserinnen in diesem Blog zu beheben. Leider hat die Familie das Stück bislang nicht zur Veröffentlichung freigegeben, ich werde ein paar Stellen, die ich für Höhepunkte meines Schaffens halte, streichen – falls es dazu überhaupt noch kommt.

An der schweren Stahltür hängt seit gestern ein Schreiben von Odessas Gasgesellschaft. Unser Haus hat Schulden in Höhe von 1400 Griwen, also weniger als 200 Euro. Ich finde, bei einem solchen Betrag muss man nicht gleich drohen, schon morgen könne das Gas abgestellt werden. Ich gerate doch so leicht in Panik. In der Wohnung stehen drei Eimer mit Wasser für den Fall einer Dürre, ich besitze 104 Kerzen und 33 Streichholzschachteln, aber ich werde cool bleiben können, wenn die Sonne zwei Wochen am Stück nicht aufgeht, ich besitze auch so viele Spritzen, Mullbinden, Pflaster, Kompressen, Plastikhandschuhe und Vitamintabletten, dass ich halb Odessa Erste Hilfe leisten könnte, ich übe zweimal in der Woche, dienstags und freitags, an mir selbst die stabile Seitenlage und wiederbelebe gleich danach mit Mund-zu-Maul-Beatmung irgendein Kuscheltier.

Aber dieses Schreiben der Gasgesellschaft macht mich fertig. Ich fühle mich machtlos, ich habe gedacht, ein Sack Grillkohle könnte mich beruhigen. Nein, der Sack beruhigt mich nicht, der nimmt nur Platz weg. Wahrscheinlich werde ich mich von einem Wassereimer trennen müssen.

Dr. Frost oder Frieren als Studienfach

Es gibt in Odessa eine Nationale Frostakademie. Das ist kein Scherz, ich habe alles selbst gesehen: den Stempel des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Ukraine, den Dreizack, den Code, die Unterschrift eines vereidigten Übersetzers für Deutsch und Ukrainisch, die Unterschrift eines stadtbekannten Notars. Ganz oben auf dem Abschlusszeugnis stand: Nationale Frostakademie Odessa. Der vereidigte Übersetzer hat mir versichert, dies sei die korrekte Übersetzung. Ich habe mir das Foto des Absolventen zeigen lassen. Das Gesicht des Absolventen der Nationalen Frostakademie Odessa sah aus, als wäre es, nun ja, gerade aufgetaut.

Ich weiß nicht, wie lange ich in einer Wohnung ohne funktionierende Heizung Kolumnen schreiben kann. Meine Form ist extrem temperaturabhängig. Mir fällt ja schon nichts mehr ein, wenn ich an den Klimawandel auch nur denke. Ohne regelmäßige Wärmezufuhr wird die Witzefabrik in meinem Gehirn irgendwann schließen, schon jetzt läuft ja die Produktion ziemlich schleppend, weil es draußen so kalt ist und ich kein Mützengesicht habe.

Mein Freund Oleg hat kein Mitleid. „Hör mal, Gasputin, hast du eine Ahnung, wie kalt es im Winter 2004 auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz war, als wir die Orange Revolution gemacht haben?”, hat er vorhin gefragt.
„Woher soll ich das wissen?”
„Es war kutschmakalt. Aber ein Revolutionär kennt keinen Schmerz. Reiß dich zusammen.”

Die Klack-klack-klack-Königin und die Wau-wau-wau-Witwe

Ich würde gern wissen, wer bei mir im Haus ein Gasdieb ist. Ich verdächtige zunächst einmal jeden und lasse mich von der langbeinigen Schönheit unterm Dach, deren Stöckelschuhe so herrlich klackern, wenn sie die Treppe hinabsteigt, genauso wenig blenden wie von der hundelieben Babuschka im ersten Stock. Ich verurteile auch niemanden – weder die Klack-klack-klack-Königin noch die Wau-wau-wau-Witwe.

Einmal im Monat klingelt bei mir eine Frau, zeigt ihren Ausweis, tritt ein, liest den Stromverbrauch ab und kassiert nichts. Zwei Tage später klingelt die Vermieterin, zeigt ihren Ausweis nicht, tritt ein, lässt mich den Stromverbrauch ablesen und kassiert die Miete. Einmal im Monat erzählt mir die Untermieterin der Hundehütte irgendetwas vom Wasser, das ich bezahlen muss. Einmal im Monat finde ich an der Tür einen Brief der ukrainischen Telekom, dabei habe ich nur ein Handy, das ich selbst auflade. Einmal im Monat, meist an jedem Dritten, bringe ich einer Telefongesellschaft, deren Namen ich gar nicht kenne, 150 Griwen vorbei, damit ich weiter Internet habe. Einmal im Monat gebe ich außer meinem Sohn auch noch einen nicht ganz kleinen Geldbetrag im Kindergarten ab.

Bisweilen, erst vorgestern wieder, spende ich dem Kindergarten Geld, weiß aber nicht mal ungefähr, wofür. Während mir die Erzieherin erklärt, was wem wann und warum gekauft werden soll, rechne ich meine Spende in Dollar und Euro um. Bisweilen, erst heute wieder, pumpt mich Oleg an. „Ich brauche was von der Kolumnistenkreditbank“, hat er gesagt. „Aber ich unterschreibe nichts. Ich habe sowieso keine Sicherheiten.” Bisweilen, wahrscheinlich schon morgen wieder, guckt mich die Frau, die den Hausflur wischt, an, als erwarte sie, dass ich mich an ihrem Lohn beteilige.

Das doppelte Ländchen

Sehr oft verlasse ich morgens mit 50 Griwen die Wohnung und komme abends mit ein paar Kopeken heim, ohne dass ich irgendeine Quittung in der Tasche habe. Nachts träume ich, dass Kolumnistenkollege Axel die Zugangsdaten meines Blogs ändert und das neue Passwort erst herausrückt, nachdem ich ihm ein Lösegeld überwiesen habe. Ich besteche Polizisten, Ärzte und Krankenschwestern, um entweder weniger scharf oder viel schärfer kontrolliert zu werden. Sollte noch irgendjemand von mir verlangen, geschmiert, bespendet, bezahlt, belohnt oder bekreditiert zu werden, verliere ich endgültig den Überblick über meine Finanzen.

Ich bin auch erschöpft, weil es in der Ukraine alles doppelt gibt. Es gibt zwei dominierende Konfessionen – die Ukrainisch-orthodoxe Kirche und die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patronats -, zwei Sprachen, zwei russische Verben für eine Tätigkeit, zwei Klitschkos. Nichts von alledem kann ich auseinanderhalten.

Trotzdem weiß ich ganz sicher, dass ich meine Gasrechnung bezahlt habe, ich könnte es sogar beweisen, wenn ich nur die Quittung hätte, ich erinnere mich, es war an dem Tag, als es so stark geregnet hat oder die Sonne brannte, ich habe ein gutes Gedächtnis, ich sehe geradezu vor mir, wie ich das Geld übergeben habe – an Oleg oder die Kindergärtnerin, an die Putzfrau oder den Verkehrspolizisten, an meinen Arzt oder eine Krankenschwester, an die Stöckelschuhträgerin von oben oder die Hundehalterin von unten, an die Vermieterin, die Stromableserin oder an Axel.

Schöne olle Kamellen

ODESSA, UKRAINE Leonid Kutschma ist einer meiner Lieblinge. Der frühere Präsident tritt gelegentlich in diesem Blog auf; mal feiert er für vier Millionen Dollar seinen 70. Geburtstag auf der Krim, dann wieder trifft er sich nicht mit der Regierungschefin Julia Timoschenko auf einer Mittelmeerinsel. Diesmal bringe ich nur ein schönes Zitat, das mir heute Morgen im Flieger wieder begegnet ist. Wir verdanken es Kutschmas – natürlich ehemaligem – Leibwächter Mykola Melnytschenko, der einst ein Geplauder ostukrainischer Eliten im Arbeitszimmer des Präsidenten mitgeschnitten hat.

Alles Arschlöcher, deine Richter. Ich soll noch zu ihnen kommen und als Zeuge aussagen. Zieh diesen Scheißrichter an den Eiern hoch und lass ihn eine Nacht hängen.

Der Mann, der seine Richter nicht im Griff hatte, war Wiktor Janukowitsch, damals Donezker Gouverneur und heute Führer der Partei der Regionen.

Alles musste raus

Das Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit 1991 war für die Ukraine eine verlorene Zeit. Die Wirtschaft brach ohne die Absatzmärkte im Osten zusammen, der Staat versagte, betrog seine Bürger und verkaufte seine profitabelsten Betriebe zu Schnäppchenpreisen an Oligarchen. Bis heute leidet das Land an den Folgen. Eine Geschichte über den skandalösen Räumungsverkauf.

Die Präsidenten der Ukraine, v.l.: Wiktor Juschtschenko (seit 2005), Leonid Kutschma (1994-2005), Leonid Krawtschuk (1991-1994)
Die Präsidenten der Ukraine, v.l.: Wiktor Juschtschenko (seit 2005), Leonid Kutschma (1994-2005), Leonid Krawtschuk (1991-1994)

„The Great Giveaway Revisited”, titelt die Kyiv Post in ihrer jüngsten Ausgabe und schickt ihre Leser zurück in die neunziger Jahre, in jene Zeit, als der ukrainische Staat sein Eigentum für immer verscherbelt hat. Den „schrecklichen Preis” für den Ausverkauf zahle das Land bis heute, schreibt Mark Rachkevych. Wer will, kann seinen Text als Kriminalstück lesen, genug zwielichtige Personen lässt der Autor jedenfalls auftreten: vor allem Politiker und Unternehmer, wobei die Hauptfiguren oft beides zugleich sind.

Auf dem Titelfoto der Kyiv Post lodern Flammen aus dem Bauch nicht irgendeines Stahlunternehmens. Kriworischstal gehörte lange dem Staat, dann für kurze Zeit zwei Clan-Brüdern – einem Multimilliardär, der seine Karriere als „Gewaltunternehmer” begonnen hatte, und einem Schwiegersohn mit guten Kontakten nach oben -, schließlich wieder dem Staat. Später mehr.

Schlimmer als unter den Kommunisten nach Stalin

Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 hatten westliche Experten die Privatisierung der Staatsbetriebe als Abschied von der Sowjetära und als Ankunft in der Marktwirtschaft begrüßt. Doch der Aufschwung nach dem Niedergang des Sozialismus war ein Privileg Weniger. Bis Mitte der neunziger Jahre wurde in der Ukraine vielerorts – auch in Großstädten wie Odessa – gar gehungert und gefroren. Die Inflation stieg von Sommer 1993 bis Mitte 1994 auf 1000 Prozent.

„Der Durchschnittslohn eines Fabrikarbeiters reicht nicht mehr für den Mindestbedarf an Lebensmitteln”, schrieb der Spiegel im Juni 1994. „Ins Krankenhaus muss ein Patient Essen, Bettwäsche, Medizin und gleich auch noch den Röntgenfilm selbst mitbringen. So schlimm war es nicht einmal unter den Kommunisten nach Stalin.” Im Buch „Ukraine” des Historikers Ernst Lüdemann heißt es über diese Zeit: „Viele Familien, auch kinderreiche, hausten in so beengten Verhältnissen, wie sie in Deutschland zuletzt in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg einige Jahre herrschten.”

Der noch heute ungerecht verteilte Wohlstand und die riesigen Einkommensunterschiede sind ein Überbleibsel dieser Krisenjahre. Die Ukraine hat mehr Milliardäre pro Einwohner als Russland, das Land mit den drittmeisten Milliardären der Welt nach den USA und Deutschland. Oligarchen beherrschen die wichtigsten Betriebe und besitzen somit auch politische Macht.

Ein Name fällt dabei immer wieder: Rinat Achmetow. Er ist mit einem Vermögen von – aktueller Stand – 31 Milliarden Dollar der reichste Mann der Ukraine. In den neunziger Jahren gründete er eine Bank, machte Unternehmen über Kredite von sich abhängig und kaufte Staatsbetriebe. Als Spielzeug und Nachweis seiner Seriosität leistet er sich den Fußballklub Schachtjor Donezk im Osten des Landes. Im Skandal-Wahlkampf von 2004 soll er den pro-russischen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Janukowitsch unterstützt haben, für dessen Partei der Regionen er auch im Kiewer Parlament sitzt. Achmetow gehören – unter anderem – der Fernsehsender Ukraina und die Zeitung Segodnya. Für den Spiegel war er 2005 „der mächtigste Mann” des Landes.

Das Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit war für die Ukraine eine verlorene Zeit. Die Wirtschaft brach ohne die Absatzmärkte im Osten zusammen, der Staat versagte und ließ seine Bürger allein. Blühende Landschaften gab es – es waren allerdings Sumpfwiesen der Korruption. Dass westliche Errungenschaften – ein funktionierendes Rechtssystem, freie Medien, staatliche Fürsorge, subventionierte Kultur, ehrenamtliches Engagement – bis heute fehlen und nicht geschätzt werden, lässt sich so teilweise erklären. Der schlechte Ruf von Politikern ist ein Produkt von damals, als die Herrschenden die Korruption nicht verfolgten, sondern förderten und von ihr profitierten.

So setzte sich der ehemalige Ministerpräsident Juchym Swjahilskyj im November 1994 nach Israel ab, nachdem er Hunderte Millionen Dollar aus der Staatskasse geplündert hatte. Im Februar 1997 kehrte er zurück, da gegen ihn keine Anklage erhoben worden war. Er wurde wieder Direktor der wichtigsten Kohlegrube im Dombass und saß wie vor seiner Flucht als Abgeordneter im Parlament.

Der große Deal des Hütchenspielers

Im Juni 2004 wurde Kriworischstal, das größte und profitabelste Stahlunternehmen des Landes, für 800 Millionen Dollar verkauft, obwohl internationale Investoren fast das Doppelte geboten hatten. Bis heute gilt dieser Deal als eines der schlimmsten Beispiele für Korruption und Vetternwirtschaft. Die neuen Besitzer des Konzerns waren Achmetow und Viktor Pinchuk. Achmetov hatte seine Karriere als „Gewaltunternehmer” in Donezk begonnen, was konkreter bedeutet: Er erpresste Schutzgeld, boxte und betrog als Hütchenspieler. Achmetow steuert den „Donezker Clan”.

Pinchuk wiederum, Anführer des “Dnjepropetrowsker Clans”, ist mit neun Milliarden Dollar Vermögen der zweitreichste Mann des Landes und Schwiegersohn von Leonid Kutschma. Als Kriworischstal veräußert wurde, saß Kutschma auf einem nicht ganz unwichtigen Posten: Er war Präsident der Ukraine – und ihr Diktator.

Nach der Orangen Revolution im Winter 2004 und dem demokratischen Machtwechsel zu Präsident Wiktor Juschtschenko erklärte ein Kiewer Gericht das Geschäft für ungültig. Der Stahlkonzern wurde abermals verkauft, diesmal für 4,8 Milliarden Dollar, und brachte der Ukraine auf einen Schlag mehr Geld als alle früheren Privatisierungen zusammen. Für kurze Zeit schien ein großes Reinemachen möglich. Die neue Ministerpräsidentin Julia Timoscheno versprach, sie werde den Verkauf von 3000 Staatsunternehmen überprüfen. Auch sechs Konzerne, die Achmetow erworben hatte, standen auf ihrer Liste, die es vielleicht tatsächlich gab.

Julia Timoschenko
Julia Timoschenko

Dass ausgerechnet die einstige „Gasprinzessin” die Betrügereien aufdecken wollte, hatte Charme. Der Buchautor Matthew Brzezinski nannte sie die „Elf-Milliarden-Dollar-Frau”, weil die Oligarchin Timoschenko – damals in den wilden neunziger Jahren natürlich – fast ein Viertel des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts kontrolliert habe. Zudem stand sie Pawel Lasarenko nahe. Der frühere Ministerpräsident, der in seiner Amtszeit (1996 bis 1997) 200 Millionen Dollar veruntreut haben soll, wurde 2006 in den USA zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Weltbank zählt ihn zu den zehn besonders korrumpierten Menschen der Welt.

“Die Elf-Milliarden-Dollar-Frau” als Reinigungskraft

Zu einer Reprivatisierungswelle ist es nicht gekommen. Der Machtkampf zwischen Timoschenko und Präsident Juschtschenko, der schon Monate nach der Revolution ausbrach und bis heute andauert, hat die Aufklärung verhindert. Geblieben sind auch viele Zeugen und Akteure dieser Skandalzeit. Bisweilen dienen sie dem Staat in ziemlich hohen Positionen.

Wie viele Milliarden Dollar der ukrainische Staat bei der Trennung von seinem Besitz verbrannt hat, ist nicht bekannt. Auch Mark Rachkevych von der Kyiv Post weiß es nicht. Er schreibt, genauso ungewiss sei, um wie viel besser es den Ukrainern heute ginge, wenn die wichtigsten nationalen Unternehmen transparent verkauft worden wären. Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow nennt das, was der Westen für Kiewer Chaos hält, “ein gut kontrolliertes Schachspiel: Die Politiker sind die Figuren, die Oligarchen die Spieler”. Kurkow, ein eleganter Zyniker, sieht in Achmetow und Pinchuk sogar Stützen der Ukraine, weil Oligarchen wie sie “Stabilität für ihre Geschäfte brauchen. Solange die Ökonomie in deren Händen liegt, wird das politische Theater im Lande keine ernsthaften Auswirkungen haben”.

Die unendliche Geschichte (Teil V)

ODESSA, UKRAINE Jetzt ist die Koschka aus dem Sack: Regierungschefin Julia Timoschenko, auch bekannt als Lady Ju mit der Krone aus Eigenhaar, die nicht auf Sardinien Urlaub gemacht, was die Sardinen, wenn man sie fragte, auch bestätigen würden, sondern sich im “deutschsprachigen Raum” erholt hat, die sich nicht mit Ex-Präsident Leonid Kutschma gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko verschworen hat und erst recht nicht für ihr Schweigen zum Kaukasus-Konflikt eine Milliarde Dollar aus Moskau erhält – sie ist in der Schweiz auf Kur gewesen. Das meldet die Zeitung Segodnya. Wer die unendliche Geschichte in fünf Teilen noch einmal nachlesen möchte, hier, hier, hier und hier wird er fündig.

Lady Ju und die Sardinen

ODESSA/KIEW, UKRAINE Unendliche Geschichte, Teil drei: Muss sich eine Regierungschefin das gefallen lassen? Behandelt man so eine schöne Frau? Kaum ist Julia Timoschenko zurückgekehrt von ihrer Kur im “deutschsprachigen Raum”, stürzt sie sich schon wieder in die Arbeit, die ihr doch diese Verschnaufpause abverlangt hatte. Sie hat sich nicht noch ein bisschen krankschreiben lassen und arbeitet auch nicht verkürzt, halbtags zum Beispiel, um sich einzugewöhnen. Keinen Augenblick denkt sie an ihre Gesundheit. Gestern hat sie in Kiew gleich eine Pressekonferenz gegeben.

Und wie reagieren die Journalisten? Sie stellen unangenehme Fragen, zweifeln an der Ehrlichkeit Timoschenkos und wollen am liebsten noch die Krankenakte sehen.

Julia Timoschenko deutete an, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert habe, verschwieg aber, woran sie behandelt worden sei. Ihre politischen Gegner brauchten sich nicht zu freuen, sagte sie weiter. Die Beschwerden würden nicht zum schnellen Tod führen, sie seien “normal, menschlich”. Sie, Timoschenko, habe bloß viel Stress gehabt und sich deshalb erholen müssen. Und natürlich habe sie Kur selbst bezahlt.

Warum bloß glaubt ihr niemand, dass sie nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat, um mit dem früheren Präsidenten den jetzigen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu stürzen? Der Verdacht, sie sei auf Sardinien gewesen und habe dort Kutschma getroffen, muss Lady Ju tief verletzt haben. Sie sagte: Wenn das Sekretariat des Präsidenten am Kuraufenthalt zweifele, “können sie die Sardinen fragen, die in Sardinien schwimmen, und ich denke, dass die Sardinen definitiv sagen können, dass die Ministerpräsidentin der Ukraine nicht dort war”.

Eine Lügnerin hätte nie so viel Poesie. Das Zitat ist, zugegeben, sehr wörtlich übersetzt.

Nachtrag, 12.25 Uhr: Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich erwarte für morgen Teil vier der unendlichen Geschichte. Jetzt müssen sich endlich die Sardinen äußern – oder die Kurärzte im “deutschsprachigen Raum”.

Nachtrag, 14.45 Uhr: Interessiert sich noch jemand für Julia Timoschenko, Sie wissen schon: die mit der Krone aus Eigenhaar, die vergangene Woche nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat? Es gibt keine neuen Fakten, wobei: Gab es bisher überhaupt Fakten? Lady Ju müsste nur mal ihre Urlaubs-, äh, Kurfotos herausrücken, dann wäre doch alles klar. Sind wahrscheinlich noch beim Entwickeln.


Vermisstes Mädchen (47) zu Hause

ODESSA, UKRAINE Julia Timoschenko ist wieder da! Sie war nicht auf Sardinien. Sie hat sich dort also auch nicht in einem Hinterzimmer mit dem ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma getroffen, um ein von Russland finanziertes Bündnis gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu schmieden, wie manche vermuteten.
(Herrn Kutschma habe ich ja schon mal etwas näher vorgestellt, da halte ich mich jetzt zurück.)

Und nun folgt eine schöne Schlusspointe für eine schöne Geschichte: Die Regierungschefin war auf Kur, und zwar – es kommt noch besser – im “deutschsprachigen Raum”! Ich hatte doch gleich so einen Verdacht; man muss nur noch einmal meinen ersten Satz in der vorigen Nachricht lesen.

Und, war ich auf der richtigen Spur? Tja, einem alten Journalistenfuchs macht man so leicht nichts vor, die schöne Julia sah in der letzten Zeit wirklich arg angespannt und überarbeitet aus.

Apropos Präsident

KRIM/ODESSA, UKRAINE Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch. Hoch! Hoch! Hoch! Mein Ständchen kommt ein bisschen spät, weil ich erst heute Morgen zur Lektüre der Montagsausgabe der Zeitung Segodnya gekommen bin. Aber ich will doch nicht versäumen, dem ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschma herzlich zum 70. Geburtstag zu gratulieren.

Kutschma, Staatschef von 1994 bis 2005, feierte am Sonnabend auf der Krim. Von einem rauschenden Fest zu sprechen, würde der Feier nicht gerecht werden. Es wäre ungefähr so, als würde man den Mann einen Freund der Presse oder einen unbestechlichen Politiker nennen. Man könnte seine Vergangenheit in diesen beiden Punkten so zusammenfassen: Für sich hat er gesorgt, den Journalisten Heorhih Gongadse hat er entsorgt. Es gibt jedenfalls gewisse Vorwürfe, die Kutschma freilich immer zurückgewiesen hat.

Die Party kostete nach Angaben von Segodnya vier Millionen Dollar. Noch Fragen? Gäste waren natürlich die unvermeidlichen Klitschko-Brüder. Aber wo sind die Boxriesen eigentlich nicht? Ich kann mich an keinen Kampf erinnern. Haben die überhaupt jemals geboxt, oder sind sie einfach so ins Fernsehen geraten? Sie haben Kutschma ein 40 Kilogramm schweres Buch mit Aufnahmen Muhammed Alis geschenkt, von dem es nur 100 Exemplare gibt. Der 70. Geburtstags Kutschmas war das Medienereignis des Sommers. Schon Wochen vorher hatten Zeitungen ganzseitig über den Stand der Vorbereitungen berichtet.

Ich war übrigens nicht eingeladen, ich hoffe jetzt auf den 75. Geburtstag des Ex-Präsidenten. Dann werde ich live bloggen, das ist ja gerade schwer in Mode. Der Kollege Jens Weinreich hat das mit der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele fabelhaft vorgemacht.

Nehmen Sie sich also für den Abend des 9. August 2013 schon mal nichts vor. Ich melde mich dann live von der Krim.

Nachtrag, 13. August: Falls jemand den verlinkten Beitrag der Segodnya schon zweimal übersetzt hat und noch immer das Wort “Skandal” sucht oder die Frage, wie Herr Kutschma solch ein Fest für vier Millionen Euro bezahlen könne, empfehle ich, die Suche einzustellen.