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Dumm und Duma

Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes

Das Taurische Palais war Geburtsstätte, Zitadelle und Friedhof der russischen Demokratie. Bis Februar 1917 war es Sitz der Duma. (…) In dieses elegante Palais brachten die bäuerlichen Duma-Abgeordneten die politische Kultur ihrer Dorfscheunen. “Man musste sich nur in diesem bunten Haufen von … ,Abgeordneten’ … umsehen”, bemerkte ein schockierter höherer Beamte, “und man schauderte angesichts dessen, was sich einem da als Russlands erste Abgeordnetenversammlung darbot. Es war eine Ansammlung von Wilden. Offenbar hatte die russische Provinz alles, was es dort an Barbarischem gab, nach Petersburg gesandt.” (…) Der muffige Geruch vom billigen Tabak der Bauern und ihrer Kleidung füllte die langen Gänge des Palais. Der Boden war übersät mit den Spelzen ihrer Sonnenblumenkerne, die sie trotz aller Verbotsschilder überall hinspuckten, da die meisten von ihnen gar nicht lesen konnten. Einige Bauernabgeordnete betranken sich in Kneipen, gerieten in Schlägereien, und wenn versucht wurde, sie zu verhaften, beriefen sie sich auf ihre Immunität als Duma-Abgeordnete. Zwei erwischte man sogar dabei, wie sie “Eintrittskarten” ins Taurische Palais verkauften. Es stellte sich heraus, dass sie bereits kleinerer Diebereien und Schwindeleien überführt worden waren, weshalb man sie eigentlich von der Wahl hätte ausschließen müssen.

Zum Glück ist heute alles ganz anders.

Kiewer Dachschaden

Quelle: Segodyna.ua

ODESSA, UKRAINE Hauptstadtoberbürgermeister neigen zur Schrägheit.¹ Es gibt aber Ausnahmen. Leonid Tschernowezki, der Herrscher über Kiew, ist ein Visionär, er hat revolutionäre Ideen. So will er den Fuhrpark seines Amtes verkaufen, die Posten der Stadtbeamten versteigern und Bürger nur noch zur Sprechstunde empfangen, wenn sie 100000 Dollar bezahlen. Die Eintrittsgebühr für Friedhöfe hat er sogar schon durchgesetzt.

Doch wie das nun mal ist mit Visionären – sie werden angefeindet. Das ukrainische Parlament hat jetzt eine ad-hoc-Kommission gebildet, um am Oberbürgermeisteroberstübchen einen Dachschaden nachzuweisen. Unterstützt vom Gesundheitsministerium, fordert sie ein psychiatrisches Gutachten – sollte es negativ ausfallen, könnte der Visionär seines Amtes enthoben werden.

Der Politiker, natürlich Millionär, verteidigte sich, wie es in anderen Kulturen undenkbar wäre. Er lief im Dynamo-Stadion 400 Meter, machte 15 Klimmzüge und schwamm eine Bahn im Schwimmbad. Danach posierte er für Fotografen in einer violetten Badehose und in Schwimmbadschlappen, zeigte seine Hauptstadthühnerbrust und sagte: “Schaut euch meinen Körpern an, kann ich nicht normal sein?” Generell denkt er in ganz großen Dimensionen über sich: “Fähige Leute haben Eigenarten. Genialität grenzt häufig an Wahnsinn.”

Dass ausgerechnet das Parlament – Kiews größter Boxring – das Stadtoberhaupt nicht für normal hält, ist natürlich eine schöne Schlusspointe.

¹ Denken Sie nur an Londons Ex-Bürgermeister Ken Livingstone, der US-Präsident George W. Bush “die größte Bedrohung für das Leben auf diesem Planeten” nannte. Für Berlins Regierenden Klaus Wowereit führe ich erst gar keine Belege an.

Präsident löst Parlament auf

ODESSA, UKRAINE Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko hat  das Parlament aufgelöst und vorgezogene Wahlen verkündet. Schuld am Ende der prowestlichen Regierung ist für Juschtschenko Premierministerin Julia Timoschenko, wie er am Abend in einer Fernsehansprache – etwas verklausuliert – sagte.

“I am deeply convinced that the democratic coalition was ruined by one thing – the ambition of one person, the hunger for power … and the dominance of personal interests over national ones.” Mehr