Eine Erregung: Glückwunsch, Odessa!
ODESSA, UKRAINE Ich staune auch nach 15 Monaten noch, wie in Odessa groß und offiziell wichtig gefeiert wird. Nehmen wir einmal das Fest zum 215. Geburtstag der Stadt – lange kann die Planung nicht gedauert haben. Unmöglich hat sich da irgendjemand in der Verwaltung auch nur länger als zwei Minuten Gedanken gemacht, sonst hätte dieses Fest nicht ausgesehen, wie es ausgesehen hat: als hätten sich die Mitglieder des Organisationskomitees am Vortag kurz vor Feierabend zum ersten Mal versammelt, sich ein paar Ideen zugeworfen und dann ein Programm zusammengeklöppelt:
“Machen wir eine große Bühne mit Livemusik.”
“Am besten an der Treppe.”
“An der Treppe, wow, wäre ich nicht drauf gekommen. Das ist gut. Das wird fantastisch.”
“Wir brauchen unbedingt Blumen. Ein Geburtstag ohne Blumen geht gar nicht.”
“Machen wir doch eine Blumenschau.”
“Ist das nicht langweilig?”
“Hey, die Blumen sehen aus wie Herzen, total romantisch.”
“Oh, tschuldige, ich habe nix gesagt.”
“Leute! Leute! Vergesst mir das Feuerwerk nicht.”
“F-e-u-e-r-w-e-r-k! Chef, Sie sind der Größte!”
“Gut, wir haben’s oder? Dann schönen Feierabend!”
So ein Kitsch-her-Projekt führt dann zu einem Fest, das unheimlich teuer ist, aber billig aussieht, das bunt sein soll, aber nur grell ist, das laut ist, aber unhörbar. Und die Besucher werden erst gar nicht einbezogen. Sie dürfen sich vor Blumen in Herzform fotografieren lassen, ein Konzert beklatschen und sich betrinken.
Um es anders zu sagen: Mich irritiert und besorgt, dass diese Stadt keinerlei Anspruch hat, ihren Bürgern irgendetwas mitzugeben, wenn die Chance mal besteht. Da gibt es keinen Stand, der vor Aids und HIV warnt, obwohl die Ukraine die höchste Infektionsrate Europas hat und Odessa da noch einmal Spitzenreiter ist. Da präsentiert sich kein einziger Verein der Stadt, und es wird gar nicht erst versucht, für so etwas wie ehrenamtliches Engagement zu werben – obwohl nichts dringender gebraucht würde.
Ich will nicht moralisieren. Ich erwarte aber ein bisschen mehr von einer Supermetropole, die so verdammt stolz ist auf sich und gelegentlich herabschaut auf den Rest des Landes und der Welt, in der überall sinnfreie Angeber-Plakate hängen – von “Ich liebe dich, mein Odessa” bis “Das ist unsere Stadt” -, die gleichzeitig erstickt an ihren Problemen, in der Obdachlose stundenlang leblos auf dem Bürgersteig liegen und sogar Polizisten an ihnen vorbeilaufen.
Vor allem aber verstehe ich nicht, dass Leute diesen Unsinn, diesen Spuk, diese Volksverarschung mitmachen, ohne laut zu schreien, den Kopf gegen die Wand zu schlagen oder wenigstens das Rathaus zu stürmen.
(Wenn meine Kamera repariert ist, werden die Fotos vielleicht wieder besser.)