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Nach fest kommt ab

Sage bloß niemand, es gebe keinen Fortschritt in Odessa. Die Straße hinter dem Priwos-Markt ist jetzt befestigt.

Priwos Juli 2011

Im März 2009 sah das hier noch so aus:

Priwos März 2009

Und im November 2008 so:

Priwos November 2008

Und im September 2008 so:

Priwos September 2008

(Aber damals gab es ja auch noch keine Farbfotografien, und die Bilder waren überdies von so schlechter Qualität, dass ich jetzt zwei 8 umlegen muss, damit mir das Design nicht auseinanderfliegt.)

Ganz perfekt ist die Straße natürlich noch nicht (oder nicht mehr):

Priwos Juli 2011 (1)

Priwos Juli 2011 (2)

Flirt mit Frauen und Fischen

Fischfrauen auf dem Priwos

Ich glaube, so wie auf dem Priwos in Odessa riecht es auf keinem deutschen Biowochenmarkt. Das ist ein Kompliment (für den Priwos). Er ist übrigens gewachsen: Dort, wo mal etwas war und dann lange nichts, weil gebaut wurde, ist jetzt wieder etwas. Wenn ich es richtig überblickt habe, sind die Fischverkäuferinnen umgezogen. Umgezogen haben sie sich nicht.

Gut so, die Kittel gehören dazu.

Okay, ich habe mich nicht immer freundlich über Odessas berühmten Riesenmarkt geäußert. Einmal schrieb ich:

Dort braucht man ungefähr einen halben Tag, um drei Tomaten, ein Kilogramm Kartoffeln und ein paar Socken zu kaufen, weil man zuerst in diesem Irrgarten die Orientierung verliert und danach dem Irrglauben verfällt, Schnäppchen zu finden, in diesem konkreten Fall: besonders günstige Tomaten, Kartoffeln und Socken. Und derweil beginnen schon die Ohren zu schmerzen, weil die Marktfrauen pausenlos brüllen – je älter, umso lauter – und mit jedem zweiten Kunden in Streit geraten, wenn nicht gerade halbnackte Männer rumpelnde Handwagen durch die engsten Gänge schieben und sich mit dem Ruf  “Осторожно! Ноги!”* den Weg freikrakeelen.  (* “Vorsichtig! Füße!”)

Ein anderes Mal:

Fast alles, was es in der Ukraine gibt, ist in Deutschland günstiger und qualitativ hochwertiger. Die Ausnahmen, die mir auf Anhieb einfallen, sind Kartoffeln und anderes Zeug, das dicke Frauen auf dem Priwos-Markt verkaufen.

Ich entschuldige mich für diese Worte. Heute war es unheimlich nett bei den Fischen und den Frauen.¹ Ich bilde mir sogar ein, die Frauen (und vielleicht auch die Fische) hätten mit mir geflirtet.² Es war zwar nur ein harmloses Schwätzchen  (“Ich bin ein Berliner” und so weiter) – aber es hat mich mit dem Priwos versöhnt.³ Danke.

¹ Ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig, seit ich auf dem Priwos die tollen EM-2012-Schlappen gekauft habe.
²
Ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig, seit ich auf dem Priwos die tollen EM-2012-Schlappen gekauft habe.
³
Ich bin nicht mehr ganz zurechnungsfähig, seit ich auf dem Priwos die tollen EM-2012-Schlappen gekauft habe.
  

Schuhversichtlich

Also meinetwegen kann die Fußball-EM 2012 kommen.

Euroletten

Ich gehe davon, dass Europas Fußball-Boss Michel Platini meine EM-Schlappen vom Priwos-Markt persönlich lizensiert hat. Ich möchte schließlich nicht, dass in der Ukraine mit diesem Großereignis irgendwelche krummen Geschäfte gemacht werden.

Die Ukraine-Analysen beschreiben übrigens, wie es ein Jahr vor dem Anpfiff aussieht im Land des Gastgebers. Die Leser dieses Blog wissen ja immer schon, wer warum und wie das Finale in Kiew gewinnt.

(Natürlich habe ich nach dem Priwos und vor dem Foto darauf verzichtet, meine Füße zu waschen. Solch ein Blog lebt ja auch von der Authentizität des Hausherrn.)

Kolumne: Mein Sohn und der Sandalismus

ODESSA, UKRAINE Ich habe die Kindergärtnerin meines Sohnes sehr, sehr glücklich gemacht. Um zu verstehen, wie viel mir das bedeutet, sollte ich vielleicht gestehen, dass sie meinetwegen gewöhnlich sehr, sehr unglücklich ist. Zuletzt haben ihr alle Schuhe meines Sohnes missfallen, sie fand sie mal zu klein, mal zu groß, dann zu warm oder zu ausgeleiert. Zwei Wochen lang beklagte sie sich bei mir. Ich stopfte Watte in die zu großen Blauen meines Sohnes und band die zu kleinen Braunen etwas lockerer. Doch dann hatte sie endgültig genug von meiner Schuhmelei, gab mir ihre Rabattkarte und schickte mich in das dazu passende Geschäft. Ich kann nicht sagen, dass ich erfreut gewesen wäre, es war eher so, dass ich gehorchte. Jeder Vater, ganz gleich welcher Nationalität, Religion oder sozialen Schicht, wird vor der Kindergärtnerin seines Sohnes zum Zwerg. Nachdem die Verkäuferin den Kolumnistenkinderfuß vermessen hatte, kaufte ich schöne, nicht gerade billige Sandalen und brachte meinen Sohn am nächsten Morgen mit einem beschwingten Gefühl in den Kindergarten.

Am Nachmittag hätte mich die Erzieherin fast erwürgt. Sie sagte, die Sandalen seien nicht nur viel zu groß, sondern auch viel zu schwer. Als ich Zwergenpapa, mich verteidigend, einwarf, wir seien in dem Laden gewesen, den sie mir empfohlen habe, schüttelte sie ihren Kindergärtnerinnenkopf und schwor, sie werde sich bei der Verkäuferin beschweren. Dann zeigte sie auf alle Kinderfüße, die gerade herumliefen, und sagte: „Sehen Sie, solche Schuhe müssen Sie kaufen! Solche, sehen Sie? Oder solche, die sind perfekt.”
„Und wo?”, fragte ich.
„Auf dem Priwos.”

Zwischen Irrgarten und Irrglauben

Dazu muss man wissen, dass Odessiten, wann immer man sie fragt, wo es etwas zu kaufen gebe, einen immer zuerst zum Priwos schicken, auf den Riesenmarkt in der Nähe des Bahnhofs. Dort braucht man ungefähr einen halben Tag, um drei Tomaten, ein Kilogramm Kartoffeln und ein paar Socken zu kaufen, weil man zuerst in diesem Irrgarten die Orientierung verliert und danach dem Irrglauben verfällt, Schnäppchen zu finden, in diesem konkreten Fall: besonders günstige Tomaten, Kartoffeln und Socken. Und derweil beginnen schon die Ohren zu schmerzen, weil die Marktfrauen pausenlos brüllen – je älter, umso lauter – und mit jedem zweiten Kunden in Streit geraten, wenn nicht gerade halbnackte Männer rumpelnde Handwagen durch die engsten Gänge schieben und sich mit dem Ruf „Осторожно! Ноги!”* den Weg freikrakeelen.

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(* „Vorsichtig! Füße!”)

Der Glaube der Odessiten an diese Marktwirtschaft ist durch nicht zu erschüttern. Neulich war die Dusche in meiner Wohnung undicht. Das Wasser sickerte unten hinaus und überschwemmte die Fliesen. Ich rief den Klempner, der eigentlich Elektroingenieur ist und die Dusche erst im März repariert hatte. Woher ich weiß, dass er eigentlich Elektromonteur ist? Nun, ich kenne ihn schon länger. Er war ein paar Tage vor Silvester 2008 in meiner Wohnung, um die Heizung zu reparieren. Zunächst hatte ich die Vermieterin angerufen, die wiederum ihren Sohn anrief, der dann aber nur kurz vorbeischaute, weil er 40 Minuten später seinen Zug in den Skiurlaub nach Slowenien besteigen musste. Wenigstens brachte er einen Mann mit, der nicht auf dem Weg in den Skiurlaub war: jenen Elektromonteur, der später mein Klempner werden sollte. Seitdem rufe ich ihn an, wenn ich Probleme habe in der Wohnung. Seine Visitenkarte ist die einzige, die am Kühlschrank klebt. Ich kenne auch keinen anderen Klempner oder Elektromonteur in Odessa.

Mein Klempner kam am nächsten Tag, sagte, er wisse schon, warum die Dusche diesmal kaputt sei, und brauche sich deshalb den Schaden gar nicht anzuschauen, er habe auch schon mit der Vermieterin telefoniert, dann pumpte er sich 65 Griwna von mir, sechs Euro umgerechnet, und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich fahre jetzt zum Basar, bin in eineinhalb Stunden zurück.” Zweieinhalb Stunden später klopfte er, schloss sich mit einer kleinen Tüte, aber ohne Werkzeug im Bad ein und kam nach einer 25 Minuten wieder heraus. Als Nachweis seiner Klempnerkunst ließ er den alten Abfluss vor der Toilette zurück. Dann verschwand er, um sich, wie er sagte, von meiner Vermieterin seinen Lohn zu holen, von der ich mir jetzt noch die 65 Griwna für den neuen Priwosabfluss holen muss. Der ist wirklich schick. Nur leider kann die Dusche noch immer nicht das Wasser halten.

Pumps für Einbeiner

Gestern war ich auf dem Priwos, um abermals Sandalen zu kaufen. Beim Anprobieren saß mein Sohn auf Pappkartons und schaute, wie eine obdachlose und offenbar alleinerziehende Katzenmutter ihr Baby stillte. Am Stand gegenüber lagen einzelne Hochhackige. Als ich die Verkäuferin fragte, ob sie davon leben könne, ob es also viele modebewusste Einbeinige in Odessa gebe, lachte sie laut und sagte: „Sie sind bestimmt Deutscher. Natürlich habe ich unterm Tisch auch den zweiten.  Ich will bloß nicht bestohlen werden.” In diesem Augenblick wäre ich vor Scham über meine Blödheit gern von einem dieser Handwagen überrollt worden. Ich überließ dann meinem Sohn die Wahl der Sandalen.

Die Sprache des Fußvolks

„Das sind die richtigen, endlich, absolut perfekt”, rief die Kindergärtnerin am nächsten Morgen und hätte mich beinahe umarmt. Bis zum Nachmittag hatte sie ein bisschen Deutsch gelernt, vielleicht sprach sie auch bloß Shoesperanto mit mir, so eine internationale Plansprache des Fußvolks, sie rief jedenfalls dreimal: „Suuuper-duuuper!” Mein Sohn strahlte.

Ein paar Deutsche, die in Odessa leben, haben mir bestätigt, dass die Sandalen unmöglich perfekt sein können, wenn der große Onkel vorne rausguckt und beim Gehen im Staub popelt. Aber gut, es ist ja nicht mein Onkel. Alles wäre schön, hätte die Kindergärtnerin mir nicht noch zum Abschied die Visitenkarte eines Sandalenhändlers vom Priwos gegeben und auf meine Füße gezeigt.

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Ein Sonnabend in Odessa

ODESSA, UKRAINE Ich würde gern wieder etwas schreiben, leider ist das unmöglich. Meine Brille ist kaputt, ich sehe so gut wie nichts. Nachher diktiere ich meiner Sekretärin die entsprechende Kolumne. Schauen Sie sich doch bitte so lange die Fotografien an, die heute Morgen beim Spaziergang durch Odessa entstanden sind. Oder lesen Sie, um sich vorzubereiten auf die zweite Brillenkolumne, abermals die erste Brillenkolumne vom 4. September: Meine Brille gehört mir. Ich taste mich jetzt zum Optiker.

Park vor dem Bahnhof
Park vor Odessas Bahnhof
Bahnhof
Odessas Bahnhof
Zwischen den Zügen

Blick aus dem Wartesaal
Blick aus dem Wartesaal auf die Gleise
Gemüsehändler auf dem Markt Privos
Gemüsehändler auf dem Markt Priwos

Blick auf den Priwos
Blick auf den Priwos

Hinter dem Priwos