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Der ukrainische Patient

ODESSA, UKRAINE Spiegel-Online rechnet heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko ab. Der Autor Alexander Schwabe beschreibt, wie der Held der Orangen Revolution seinen Ruf Stück für Stück ruiniert hat. Juschtschenko habe die politischen Krisen seit seinem Amtsantritt 2005 nicht genutzt, um Stärke zu zeigen und Macht zu gewinnen. Vielmehr sei er jedes Mal als Verlierer hervorgegangen. Der Präsident widme sich überdies mehr dem Kleinkrieg mit Premierministerin Julia Timoschenko als den Problemen des Landes: Korruption, Inflation und Oligarchenherrschaft. Stellenweise liest sich der Text wie ein Krankenbericht. Der Juschtschenko hat einerseits vier Jahre nach dem Giftanschlag wieder ein deutlich menschlicheres Antlitz. Sein Körper ist mittlerweile wieder nahezu sauber. Andererseits gab es unterhalb des Bauchnabels einen relativ schweren Eingriff. Juschtschenko ist der “kastrierte Präsident”.

Sonderlich originell sind solche Abstecher in die Medizin sicher nicht mehr. Aber immmerhin liefert Spiegel-Online zwei wunderhübsche Anekdoten.

Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seiner Premierministerin geriet zum Possenspiel. Der Plot bot einiges: Außer der Parlamentsblockade die Beschlagnahmung eines Regierungsflugzeugs und peinlich inszenierte Telefonate:

  • Als Timoschenko Anfang Oktober zu ihrem russischen Kollegen Wladimir Putin nach Moskau fliegen wollte, war das von ihr reservierte Regierungsflugzeug unauffindbar – Juschtschenko hatte es kurzerhand für einen Inlandflug unter Beschlag genommen, ohne sie zu informieren. Als die Ministerpräsidentin schließlich mit einem slowenischen Charterflugzeug in Moskau ankam, spöttelte Putin, so sei es, wenn “Taschendiebe” Flugzeuge klauten.
  • Jüngst ließ Timoschenko die Presse eigens in ihr Büro kommen, um den Präsidenten vorzuführen. Um zu demonstrieren, wie wenig der Präsident sich in der prekären Lage um das Wohl des Landes kümmere, griff sie genüsslich zum Hörer im Wissen darum, dass Juschtschenko nicht abheben würde, weil er vergrätzt war. Mehr

Putin kritisiert Odessa-Blog (fast)

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ODESSA, UKRAINE Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin kritisiert im Gespräch mit der französischen Zeitung Le Figaro die Berichterstattung der westlichen Medien über den Kaukasuskonflikt.

Wissen Sie, die Fragen, die die Pressefreiheit in Russland betreffen, verwundern mich immer mehr. Insbesondere gerade nach den Ereignissen in Südossetien und Abchasien.

Ein interessierter Beobachter musste bemerkt haben, wie geschlossen die gesamte freie Presse unserer westlichen Partner geschwiegen hat, als bei so manchen der falsche Eindruck entstand, dass die georgische Aggression mit einem positiven Resultat enden könnte. Die zwei Tage, als es noch nicht klar war, womit das enden kann, haben alle geschlossen, wie auf Kommando, geschwiegen. Genauso geschlossen und wie auf Kommando – und ich denke, dass es gerade auf ein Kommando geschehen ist – fingen alle an, Russland der unverhältnismäßigen Gewaltanwendung zu beschuldigen. Das gilt nicht nur für die europäische, sondern auch für die amerikanische Presse.

Das gesamte Interview in deutscher Übersetzung lässt sich nachlesen bei Ria Novosti oder Krusenstern.

Kolumne: Meine Nächte als Gerhard Schröder

ODESSA, UKRAINE Ich will nicht, dass Gerhard Schröder im nächsten Jahr Kanzler wird, ich bin gegen eine dritte Amtszeit des Hannoveraner Hengstes, obwohl ich weiß, dass die Alternative Angela Merkel heißt. Frank-Walter Steinmeier, der sozialdemokratische Außenminister, ist ja bloß ein Strohmann. Noch am Wahlabend, gleich nach seinem Triumph, würde er Schröder vorschlagen und abermals dessen rechte Hand im Kanzleramt werden. Er ist kein Mann für die erste Reihe.

Mir ist Schröder schon jetzt unerträglich allgegenwärtig; es hat gewiss damit zu tun, dass er wieder kräftig mitmischt. Er verteidigt Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin im Kaukasuskonflikt und will im bayerischen Landtagswahlkampf die CSU besiegen. Ich verkrafte das nicht. Ich träume oft von Schröder, ich kann das nicht verhindern. Schröder steht jeden Abend an meinem Traumzaun und schreit, wohl nicht mehr ganz nüchtern: „Ich will hier rein!” Noch unangenehmer ist, dass ich wie Schröder bin. Nachts schlüpfe ich in die Schröderrolle. Das liegt zweifelsohne an den einhundert Tagen, die ich nun als oberster Odessit der Familie im Amt bin. Im Traum verteidige und erkläre ich meine ersten Entscheidungen. Die Schonfrist ist ja vorbei. Jetzt wird abgerechnet. Ich muss mich an meinen Versprechen messen lassen.

“Basta!”

Jedes Mal träume ich mich durch die ersten einhundert Tage in Odessa. Als die zwei anderen Mitglieder der Familie und ich zur ersten Sitzung zusammenkommen, sage ich als Chef der Exekutive: „Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen.” Ich spreche auch unbequeme Wahrheiten aus und kündige Reformen an, ich will verkrustete Strukturen aufbrechen und den Haushalt konsolidieren. Ich erinnere mich an meine Worte genau: „Die Wochenarbeitszeit wird steigen müssen. Den Mittagsschlaf unter der Woche werden wir streichen. Basta!”

In den nächsten Wochen setze ich dies mit meiner Richtlinienkompetenz auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen durch, weil es unvermeidlich ist, um nicht auf Kosten der nächsten Generation zu leben. Für so etwas gibt es natürlich keinen Beifall. Mehr als einmal stehe ich vor einem Misstrauensvotum. Mehr als einmal muss ich auch mit Rücktritt drohen.

Gleich am zweiten Tag habe ich einen Kassensturz angeordnet. Alle Ausgaben sollten auf den Prüfstand. Mein Ziel war und ist es, im nächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Mit dem Schuldenmachen muss Schluss sein; das ist für mich eine Frage der Generationengerechtigkeit. Mich selbst schone ich selbstverständlich nicht, auch mein Budget wird beschnitten. Zum Beispiel senke ich sukzessive die Aufwendungen für Sprit (Auto und Seele). Ich gehe häufiger zu Fuß und trinke mehr Tee.

Keine Glotze

Im Traum halte ich flammende Reden: „Ich weiß, wo ich herkomme”, schreie ich mit heiserer Stimme. „Und wer mich kennt, weiß, dass ich, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, meine ganze Kraft für die soziale Gerechtigkeit einsetze.”

Ich kaufe ein, mache die Wäsche und schütze insgesamt die innere Sicherheit. Ich habe ja auch versprochen, meine Stammwählerin zu entlasten und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verwirklichen. Natürlich habe ich auch gleich am ersten oder zweiten Tag im Amt ein Investitionsprogramm aufgelegt, um die Infrastruktur zu verbessern. Das neue Ehebett war nur der Anfang. Ich werde das Schlafzimmer weiter modernisieren. Ich bin überzeugt, dass sich das auszahlt. Die Geburtenrate wird steigen. Ich habe auch den Fernseher abgeschafft. Ich brauche nur „Segodnya” und „Argumentü i Faktü”, aber keine Glotze.

Heute Morgen habe ich verschlafen, ich war wohl ein bisschen amtsmüde, ich hätte Oleg zum Frühstück im Café treffen sollen. Stattdessen klingelte er mich aus dem Bett, kochte in der Küche Kaffee, brachte mir eine Tasse und weckte mich. Ich war noch einmal eingeschlafen, gab gerade wieder ein Interview und erzählte von meiner Mutter, die mich in schwerer Zeit groß gezogen hat.
„Trink erst mal den Kolumnistenkaffee, ist extra stark”, flüsterte Oleg.
„Die wollen mich fertig machen”, sagte ich.
„Wer?”
„Alle.”

Oleg als Gutachter

Ich nahm den ersten Schluck, setzte mich hin, war nicht länger verschrödert und sagte: „Oleg, ich bin jetzt einhundert Tage in Odessa. Bist du zufrieden, wie ich die Familie führe? Sei ehrlich.”
Oleg rückte näher, so dass seine Wimpern fast mein Kinn berührten, er drehte den Hals und starrte zu mir hinauf, schwieg einen Augenblick und schüttelte den Kopf. „Ich will mich nicht in deine inneren Angelegenheiten einmischen”, sagte er schließlich. „Aber kann es sein, dass die Kolumnistennasenhaare in Odessa schneller wachsen?”
„Ist das deine Bilanz?”
„Die Kolumnistennase hat den Filter verstärkt”, sagte Oleg. „Der alte Charles Darwin wäre stolz auf dich. Du hast eine absolute Anpassernase, du bist ein Wunder der Evolution. Die Nase schützt dich vor gesundheitlichen Schäden.”

„Was meinst du?”, fragte ich.
„Liest du denn keine Zeitung, die Segodnya zum Beispiel? Odessa ist die zweitschmutzigste Stadt der Ukraine.”
„Das kann nicht sein”, sagte ich.
„Das sagt die Stadtverwaltung auch.”
„Die Messung muss falsch sein”, sagte ich.
„Das sagt die Stadtverwaltung auch.”

Oleg nahm seine Wimpern wieder von meinem Kinn. Er lächelte. Dann sagte er: „Ich gratuliere, du bist ein echter Odessit.”

Nachtrag, 22.05: Mein Kolumnistenkollege Axel Scherm, der nur unwesentlich schlechter golft als Tiger Woods, aber wesentlich witziger ist, hat mich in den Kommentaren darauf hingewiesen, dass zumindest der erste Absatz meiner Kolumne kabarettreif ist. Ich empfehle mal zu schauen, wie sich die “Anstalt” im ZDF gestern Abend Gerhard Schröder gewidmet hat. Danke, lieber Axel.

Krieg im Sandkasten

ODESSA/KIEW, UKRAINE Wie geht es weiter nach dem Ende der Regierungskoalition in Kiew? Erlebt die Ukraine eine tiefe innenpolitische Krise, die Russland wie gerufen käme? Zuerst einmal: Man darf gewiss den Kopf schütteln über die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Tage. Dass die Feindschaft zwischen Präsident Wiktor Juschtschenko und Ministerpräsident Julia Timoschenko gerade jetzt eskaliert, da die imperialen Gelüste Russlands neu erwacht sind, sagt einiges aus über den Zustand der politischen Kultur im Land.

Beide Politiker tragen einen Machtkampf aus, seit Timoschenko im Dezember 2007 die Regierung übernommen hat. Immer wieder hatten Juschtschenko und sein Stab kleine Gemeinheiten in Form von Erlässen an die Ministerpräsidentin geschickt. Dabei überschritten sie mehr als einmal ihre Zuständigkeiten. Nun hat sich Timoschenko revanchiert und mit der oppostionellen Partei der Regionen von Ex-Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch den Staatschef umgegrätscht. Die gegen die Präsidentenpartei verabschiedeten Gesetzesänderungen, Auslöser des Koalitionskrachs, schwächen Juschtschenko erheblich. Er könnte nun leichter des Amtes enthoben werden.

Beide Politiker, Juschtschenko und Timoschenko, benehmen sich wie Kinder im Sandkasten. Der eine klaut die Schaufel, der andere wirft mit Sand. Es wäre zum Lachen, stünde das Land nicht augenblicklich vor gewaltigen Problemen. Die Inflation liegt bei 30 Prozent. Die Wirtschaft wächst nur noch schwach. Und Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew, ferngesteuert von Vorgänger Wladimir Putin, bricht alle mühsam aufgebauten Beziehungen zu Europa ab. Angeblich träumt der große Nachbar auch von einer Rückholaktion der Krim, die Staatschef Nikita Chrustschow 1954 der Sowjetrepublik Ukraine geschenkt hatte.

Dass sich die beiden Sandkastenfeinde jetzt nicht mehr nur ein bisschen ärgern, sondern offen den Krieg erklären, ist fahrlässig und wird der Politikverdrossenheit neue Nahrung geben, was eigentlich überflüssig wäre. Von seinen Repräsentanten hat der Ukrainer schon jetzt keine hohe Meinung. Politiker gelten als korrupt und egoistisch. Juschtschenko und Timoschenko unternehmen alles, dieses Urteil zu bestätigen. Im echten Sandkasten würden jetzt zwei Mütter die Streithähne hineinrufen und bestrafen: mit Stubenarrest und Fernsehverbot. In der Politik müssten dies die Wähler tun.

Dieser Kommentar erschien auch am 6. September in der Schweriner Volkszeitung.

Lesen Sie weiter:

Nico Lange, Chef des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, glaubt an ein Überleben der Koalition. Unsere Ukraine, die Partei des Präsidenten, und der Block Timoschekos würden die Zehn-Tage-Frist nutzen, um zu verhandeln.

An Neuwahlen hat derzeit keine der großen Parteien Interesse, da die Zustimmung sowohl zu Nascha Ukraina als auch zum Block Julija Tymoschenko und zur Partei der Regionen im Verlauf der letzten Monate deutlich gesunken ist.

Lange ist überzeugt, dass ein Zusammengehen des Blocks mit der oppositionellen Partei der Region keine Alternative sei. Timoschenkos Wähler würden eine Liaison mit den prorussischen Kräften nicht verzeihen. Der Experte prognostiziert, dass das organgene Regierungsbündnis nach ein paar Raufereien und Zugeständnissen fortgesetzt werde. Den zweiten Ausweg aus der Krise, eine geschäftsführende Regierung ohne Koalition und mit wechselnden Mehrheiten, hält Lange für verheerend.

Für die nötigen innenpolitischen Reformen und die Außenpolitik der Ukraine wäre das allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der schwach entwickelten parlamentarischen und politischen Kultur, eine vollkommen unverantwortliche Perspektive.

Die komplette Analyse von Nico Lange finden Sie hier.

Kolumne: Einmal um den Blog*

ODESSA, UKRAINE Ich bin verdammt froh, dass ich keine schöne Frau sein muss. Schöne Frauen haben es schwer, das weiß ich jetzt. Lange habe ich geglaubt, sie hätten es leicht und müssten kaum etwas tun für ihr Lebensglück, weil alles von allein komme: die Karriere, der Mann, die Kinder, das Reihenhaus am Stadtrand, die außereheliche Affäre mit dem italienischen Kellner Francesco, dann die Scheidung und die Hälfte von allem plus Kinder. Wenn mir schöne Frauen früher erzählten, sie fänden nicht mal einen Begleiter fürs Kino, habe ich gesagt, der Film sei schuld, und in mich hineingelächelt. Ich hatte kein Mitleid, ich wusste ja, dass eine schöne Frau wählerisch ist und Verehrer deshalb verjagt. Mir erging das jedenfalls so.

Seit ich mir dieses Odessa-Blog aufgehalst habe, habe ich Mitleid.

Oleg hat gestern gesagt, meine Kolumnen seien schön, es seien schöne Kolumnen. Und genau deshalb stünden im Blog so wenige Kommentare: wegen der Schönheit meiner Kolumnen.
„Das Wetter ist schuld”, sagte ich.
„Nein, es traut sich niemand ran, Kolumnist”, sagte Oleg.

Ich habe darüber nachgedacht. Ich hatte noch nie mehr als vier Kommentare auf einmal, ich weiß nicht, ob das schlimm ist oder gut, ich überfliege die wenigen, die doch ankommen, auch nur und tippe husch, husch eine Antwort. Ich weiß auch nicht, ob man mich deshalb belächeln muss oder die Heldenpose einnehmen sollte, nur weil man zwölf Klugscheißerhinweise mehr hat als ich. Nur mal angenommen, es würde bei jedem Kommentar das Telefon klingeln: „Hallo, @ 7/spargeltarzan: das war ironie!; @ kolumnist: fand die überschrift irgendwie verwirrend. Heißt es nicht auch: das Blog? Nichts für ungut, Gruß, daumenlutscher.”

Wäre es dann auch noch erstrebenswert, heiß diskutiert zu werden?

Oleg meint, ich müsse die Leser herausfordern und auch ein bisschen ärgern, um die Kommentararmut zu beheben. In jeder Leserschaft gebe es viele Schlaumeier, die alles besser wüssten und das schlecht für sich behalten könnten. Diese Leute, meist Lehrerinnen in den Wechseljahren ohne Autorität im Klassenzimmer, seien meine Zielgruppe. „Du musst etwas behaupten, das leicht zu widerlegen ist”, hat Oleg gesagt. „Du musst etwas weglassen, das für dich ein Detail ist. Es sollte aber wichtig genug sein, um dein ganzes Gedankengerüst zum Einsturz zu bringen. Und du musst etwas falsch schreiben, das anderen die Chance gibt, dich herrlich lächerlich zu machen. Hier brauchst du besonderes Geschick. Wenn du ganz sicher gehen willst, solltest du auch noch unbedingt ausfallend werden.”

Habe ich schon mal erzählt, dass ich mir wünsche, Waldimir Putin würde, nachdem die Russen die Ukraine erobert haben, seinen Freund Gerhard Schröder zum Oberbürgermeister von Odessa machen, damit die Stadt endlich einen Boss hat, der nicht nur an sich denkt oder an die Exfrauen wegen der Unterhaltszahlungen?

Oleg hat auch gelesen, dass ein Blogger, der Kommentare will, etwas offen lassen soll und bloß nicht alles zu Ende denken darf. Ein Blog sei schließlich kein Proseminar.

Ich habe mal bei einer Zeitung gearbeitet, für die ein sehr bekannter Politikjournalist im Ruhestand gelegentlich eine Wochenendkolumne schreibt. So lange ich dort war, war er 67 Jahre alt. Im Blatt wurde er nicht älter. Irgendwann rief einer der Redakteure in die Runde: „Sagt mal, wie lange ist denn der Dings eigentlich schon 67?” Seitdem steht hinter dem Namen und neben dem Foto des Dings: (68). Die Korrektur ist nun auch schon wieder eine Weile her. Es wird Zeit, dass er mal wieder Geburtstag hat.

Ist mit diesem Schluss jetzt irgendwem geholfen?

* für thom*

Der neue Kalte Krieg

Angela Merkel hat in dieser Woche Russland ungewöhnlich scharf attackiert, wobei sich das offiziell überlieferte Zitat harmlos liest. Im Telefongespräch mit Präsident Dimitrij Medwedjew nannte sie es „sehr bedauerlich”, dass Russland die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien ohne Rücksprache mit der OSZE und dem UN-Sicherheitsrat anerkannt habe. Später im Kabinett und beim Treffen mit den Ministern von CDU und CSU soll sie Medwedjews halbherzige Entschuldigung so kommentiert haben: Sie möge Russland, wisse aber auch, dass dort gern mit Tricks gearbeitet werde. Wenn Merkel in zwei Runden, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt sind, Moskau einen Hang zum Falschspielen nachsagt, darf man ihr, der brillanten Analytikerin, durchaus Kalkül unterstellen.

Der Wind hat sich gedreht. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnte Moskau vor dem Griff nach der Krim und drohte mit Sanktionen der EU. Kouchner ist nicht nur oberster Diplomat der Franzosen, sondern derzeit auch EU-Ratspräsident. Wenn er die Ukraine und Moldawien als mögliche nächste Opfer ins Spiel bringt, weiß man, wie ernst die Lage ist. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow diagnostizierte übrigens bei Kouchner „krankhafte Vorstellungen”. Willkommen im Kalten Krieg, Teil zwei!

Es ist an der Zeit, dass die Europäer ihr Verhältnis zu Russland korrigieren und die Schmeicheleien begraben, die angebracht waren, als Boris Jelzin im Kreml saß. In Erinnerung ist die zaghafte Kritik, als Medwedjew in einem pseudodemokratischen Schauspiel, begleitet von gelenkten Massenmedien, zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dass die Wahl eher eine Amtsübergabe ohne Machtwechsel war, weil Wladimir Putin weiter nach Belieben herrscht, wagte kaum ein Politiker öffentlich anzusprechen.

Jetzt rächt sich, dass die EU und die Nato die unabhängigen Staaten im Osten lange auf Abstand gehalten haben, um ihren Energielieferanten Russland nicht zu verärgern. Auch Deutschland sah die Ukraine und Georgien, wenn auch im Schneckentempo, schon auf dem Weg in den Westen und glaubte, es genüge, beiden irgendwann eine Mitgliedschaft anzubieten. Diese Hinhaltetaktik ist verheerend gewesen, sie war ein Geschenk an Moskau, das sich – auch mit Hinweis auf die Auslandsrussen – im gesamten Osten als Ordnungsmacht und Beschützer sieht. Es wird diesen Anspruch auch nicht aufgeben.

Erst jetzt sorgen sich die Europäer um die Ukraine. Nur Russland kann deren Unabhängigkeit antasten. „Verlieren wir die Ukraine, so verlieren wir unseren Kopf”, soll schon Lenin gesagt haben. Mit ihr würde Russland weiter an Macht gewinnen. Die Ukraine erwirtschaftete ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Sowjetunion, obwohl sie nur 3,5 Prozent des Gesamtterritoriums ausmachte. Aggressiver als Vorgänger Jelzin verlangt Putin von der Ukraine für das russische Gas Wohlverhalten.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko lässt sich fürs Erste nicht einschüchtern. Er verurteilte die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Auch Regierungschefin Julia Timoschenko hat dies getan – nach einem verdächtig langen Schweigen allerdings, das sogleich für Gerüchte gesorgt hatte, sie wolle sich Moskaus Unterstützung im kommenden Präsidentschaftswahlkampf sichern und überdies die pro-russischen Wähler im Land nicht verärgern. Diese Liaison besagt freilich wenig; zwischen Juschtschenko und Timoschenko gedeiht sonst nur die gegenseitige Abneigung – die aber richtig.

Dass beide Politiker nur begrenzt für ihr Volk sprechen, zeigt eine Umfrage. Wie das Rasumkow-Zentrum in Kiew ermittelt hat, sehen 44 Prozent der Befragten Russland als Aggressor im Kaukasuskonflikt. Kaum weniger, 41 Prozent, urteilen, der große Bruder habe in Georgien Frieden stiften wollen. Unter diesem Vorwand könnte Moskau auch die ukrainische Krim besetzen. Auf der Insel leben mehrheitlich Russen. Und dort liegt auch die russische Schwarzmeerflotte.

Wenn die Ost-West-Krise etwas Gutes hat, dann dies: Sie beweist, dass Europas Duckmäuser gescheitert sind. Russland lässt sich eben nicht mit einer Kuschelpolitik besänftigen. Es sieht sich längst wieder auf einer Stufe mit den USA. Nach dem Ende aller Illusionen ist es an der Zeit, Stärke zu demonstrieren – auch wenn Putin (oder sein Gehilfe Medwedjew) zur Strafe das Gas abdreht und für einen kalten Winter in Europa sorgt. Nur Geschlossenheit wird Putin beeindrucken. Sein Riesenreich ist nämlich wirtschaftlich keineswegs so gesund, wie er tut, es braucht Handelspartner, die Geld bringen.

Russland will Europa beherrschen, der Krieg gegen Georgien war da nur ein Test, der zeigen sollte, was sich der Westen vom neuen Aggressor bieten lässt. Merkel hat das indirekt formuliert mit dem Hinweis auf die Falschspieler in Moskau. Putin will die EU zerschlagen. Auch das darf man unterstellen.

Europa wird sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn es sich von Russland unabhängig macht. Es würde die Abkehr vom Öl verlangen und den Abschied von schnellen Autos. Um das durchzusetzen, ist der Konflikt freilich noch zu harmlos. So lange Europa Öl braucht, bleibt Russland eine Macht. Wer die Energie für den europäischen Wohlstand liefert, kann jederzeit vom Freund zum Erpresser werden.

Kriegstechnik, die begeistert

ODESSA, UKRAINE Ich bin froh, dass in meinem Blog nichts Böses über Russlands Präsident Ministerpräsident Wladimir Putin steht. Ich habe noch mal nachgeschaut – nichts gefunden. Gut, die Unendliche Geschichte in vier Teilen könnte man als Kritik auffassen, aber man müsste schon böswillig sein. Ich bin ein Freund des russischen Volkes, ich habe schon mit achtzehn Jahren Fjodor Michailowitsch Dostojewski gelesen, und zwar alles und freiwillig. Putin und den anderen, seine Marionette, seinen Nachfolger im Kreml, bewundere ich natürlich auch.

Ich habe heute Morgen in Odessa die Militärparade zum Unabhängigkeitstag der Ukraine (24. August 1991) gesehen und muss sagen: Falls jetzt die Russen hierher kommen, weil sie nach dem Krieg Besuch in Georgien noch ein bisschen Sprit in den Panzern haben, würde ich mich nicht unbedingt auf die ukrainische Landesverteidigung verlassen. Ich bin kein Militärexperte, aber ich behaupte, dass mancher deutsche Schützenverein nicht viel schlechter ausgerüstet ist. Habe ich schon erwähnt, dass Gaspadin Wladimir Wladimirowitsch Putin unter allen demokratischen Politikern der Welt mein Favorit ist?