Kolumne: Einmal um den Blog*
ODESSA, UKRAINE Ich bin verdammt froh, dass ich keine schöne Frau sein muss. Schöne Frauen haben es schwer, das weiß ich jetzt. Lange habe ich geglaubt, sie hätten es leicht und müssten kaum etwas tun für ihr Lebensglück, weil alles von allein komme: die Karriere, der Mann, die Kinder, das Reihenhaus am Stadtrand, die außereheliche Affäre mit dem italienischen Kellner Francesco, dann die Scheidung und die Hälfte von allem plus Kinder. Wenn mir schöne Frauen früher erzählten, sie fänden nicht mal einen Begleiter fürs Kino, habe ich gesagt, der Film sei schuld, und in mich hineingelächelt. Ich hatte kein Mitleid, ich wusste ja, dass eine schöne Frau wählerisch ist und Verehrer deshalb verjagt. Mir erging das jedenfalls so.
Seit ich mir dieses Odessa-Blog aufgehalst habe, habe ich Mitleid.
Oleg hat gestern gesagt, meine Kolumnen seien schön, es seien schöne Kolumnen. Und genau deshalb stünden im Blog so wenige Kommentare: wegen der Schönheit meiner Kolumnen.
„Das Wetter ist schuld”, sagte ich.
„Nein, es traut sich niemand ran, Kolumnist”, sagte Oleg.
Ich habe darüber nachgedacht. Ich hatte noch nie mehr als vier Kommentare auf einmal, ich weiß nicht, ob das schlimm ist oder gut, ich überfliege die wenigen, die doch ankommen, auch nur und tippe husch, husch eine Antwort. Ich weiß auch nicht, ob man mich deshalb belächeln muss oder die Heldenpose einnehmen sollte, nur weil man zwölf Klugscheißerhinweise mehr hat als ich. Nur mal angenommen, es würde bei jedem Kommentar das Telefon klingeln: „Hallo, @ 7/spargeltarzan: das war ironie!; @ kolumnist: fand die überschrift irgendwie verwirrend. Heißt es nicht auch: das Blog? Nichts für ungut, Gruß, daumenlutscher.”
Wäre es dann auch noch erstrebenswert, heiß diskutiert zu werden?
Oleg meint, ich müsse die Leser herausfordern und auch ein bisschen ärgern, um die Kommentararmut zu beheben. In jeder Leserschaft gebe es viele Schlaumeier, die alles besser wüssten und das schlecht für sich behalten könnten. Diese Leute, meist Lehrerinnen in den Wechseljahren ohne Autorität im Klassenzimmer, seien meine Zielgruppe. „Du musst etwas behaupten, das leicht zu widerlegen ist”, hat Oleg gesagt. „Du musst etwas weglassen, das für dich ein Detail ist. Es sollte aber wichtig genug sein, um dein ganzes Gedankengerüst zum Einsturz zu bringen. Und du musst etwas falsch schreiben, das anderen die Chance gibt, dich herrlich lächerlich zu machen. Hier brauchst du besonderes Geschick. Wenn du ganz sicher gehen willst, solltest du auch noch unbedingt ausfallend werden.”
Habe ich schon mal erzählt, dass ich mir wünsche, Waldimir Putin würde, nachdem die Russen die Ukraine erobert haben, seinen Freund Gerhard Schröder zum Oberbürgermeister von Odessa machen, damit die Stadt endlich einen Boss hat, der nicht nur an sich denkt oder an die Exfrauen wegen der Unterhaltszahlungen?
Oleg hat auch gelesen, dass ein Blogger, der Kommentare will, etwas offen lassen soll und bloß nicht alles zu Ende denken darf. Ein Blog sei schließlich kein Proseminar.
Ich habe mal bei einer Zeitung gearbeitet, für die ein sehr bekannter Politikjournalist im Ruhestand gelegentlich eine Wochenendkolumne schreibt. So lange ich dort war, war er 67 Jahre alt. Im Blatt wurde er nicht älter. Irgendwann rief einer der Redakteure in die Runde: „Sagt mal, wie lange ist denn der Dings eigentlich schon 67?” Seitdem steht hinter dem Namen und neben dem Foto des Dings: (68). Die Korrektur ist nun auch schon wieder eine Weile her. Es wird Zeit, dass er mal wieder Geburtstag hat.
Ist mit diesem Schluss jetzt irgendwem geholfen?
* für thom*