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Korrekturkolumne: Ich bin ein Staatsfeind

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir, weil ich Schande über die Ukraine gebracht haben soll. Ich dachte zunächst, er meine die Korruptionskolumne “Oleg ist dabei”, ich wollte mich verteidigen und sagte, ich hätte sie schreiben müssen und sei von den Lesern gezwungen worden. “Sie wollten immer mehr Honig, Oleg, wir feierten doch die Korruptionswoche in meinem Blog, Oleg, die Stimmung war prächtig. Oleg, bitte glaub mir. Außerdem ging es doch fast gar nicht um dich, sondern mehr um die Bären in Odessas Zoo.”

Oleg meinte aber meine Nachricht “Die schöne Tochter von Lady Ju”. Witalina (27) im Hochzeitskleid auf dem Laufsteg in Mailand hatte ich schon verdrängt. Ich bin ja ohnehin ziemlich vergesslich.
“Du hast Julia Timoschenko ein Kind gemacht, du Schuft! Sie ist eine Heldin. Sie hat die Orangene Revolution erkämpft”, schrie Oleg heute Nachmittag. “Du hast unserem Präsidenten Wiktor Juschtschenko, einem Maladjez, die Tochter genommen, du kranker Kolumnist.”
“Ich habe aus der Präsidententochter die Ministerpräsidentinnentochter gemacht, ist das unverzeihlich? Kann das nicht mal passieren?”, fragte ich.
“Ja! Nein! Du beleidigst ein stolzes Volk.”
“Ich habe etwas verwechselt, ich habe nicht aufgepasst, ich habe mich auch entschuldigt. Du schimpfst immerzu auf Timoschenko und Juschtschenko. Bei dir sind sie keine Helden und Prachtkerle. Ich dürfte nicht mal zitieren, was du über sie sagst.”
“Ich darf das, ich bin ein Ukrainer”, sagte Oleg. Danach kam dieser Satz von der Schande.

Skatbruder Heinz Moltke und die gerupfte Gans

Es gibt Statistiken, wonach jeder Lokführer zweimal im Leben mit seinem Zug ungewollt einen Selbstmörder überrollt. Journalisten erleben ähnliche Tragödien. Sie können Tote über Nacht wieder zum Leben erwecken, bloß dankt es ihnen niemand. Bei mir war es der Klassiker: Man holt ein Foto aus dem Archiv, von einem Skatabend zum Beispiel, um die Leser zur Teilnahme am Herbstturnier aufzurufen, und schreibt unter das Bild, Heinz Moltke habe im Frühjahr souverän gewonnen und hoffe wieder auf gute Karten. Wenn das Zeitungsarchiv gepflegt wird, findet man sogar noch das Foto des Siegers bei der Preisübergabe. Bei mir hatte Heinz Moltke eine schon gerupfte Gans im Arm. Er lachte.

Am nächsten Morgen, gerade in der Redaktion eingetroffen, hat man eine aufgelöste Frau am Telefon, genauer gesagt: die weinende Witwe Moltke. Da hilft dann nur: der beste Blumenstrauß, den der teuerste Florist im Ort für Geld binden kann, und ganz viel Demut. Ausreden sind absolut unangebracht und wirken verheerend. Bei Kaffee und Kuchen, natürlich vom Verursacher der Tränen gekauft und vorbeigebracht, erzählt Frau Moltke einen Nachmittag lang ihre Lebensgeschichte vom ersten bis zum letzten Tanz mit Heinz. Am Ende dieses mehrstündigen Monologs klagt man trotzdem nicht. Man dankt Gott für seine Güte und Milde, auch wenn man Atheist ist.

Juschtschenko und mein Blog

Vor einer Stunde habe ich Oleg angerufen, ich brauchte seinen Rat. Oleg meldete sich nicht mit seinem Namen, wie er es sonst tut, er nahm den Hörer ab und sagte gleich: „An deiner Stelle würde ich ein bisschen aufpassen, wenn ich auf die Straße gehe.”
„Liest Juschtschenko mein Blog?”
„Nein”, sagte Oleg.
„Ein Glück.”
„Natürlich lässt er lesen. Er ist der Präsident.”
“Oleg, hör mal bitte zu. Soll ich Juschtschenko und Timoschenko Blumen oder besser Kuchen schicken?”, fragte ich.
“Glaub mir, mein Freund, den Strauß, der dich retten könnte, den gibt es nicht. Und Kuchen würde ich dem Präsidenten erst recht nicht schicken. Andrejewitsch ist seit diesem Vorfall, du weißt schon, sehr vorsichtig geworden. Du kennst mich nicht, ja?”

Ich hoffe, ich habe jetzt als Journalist genug Tragödien angerichtet und werde nie mehr einen Toten zum Leben erwecken müssen. Wann immer ich Skat spiele, denke ich an Heinz Moltke (†) und die gerupfte Gans in seinem Arm.