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Matroschka beweint die Scheidung

ODESSA, UKRAINE Man muss vielleicht ein Gedankenspiel wagen, um die Dramatik zu erfassen, die in der Ukraine herrscht. Man stelle sich vor, in Deutschland würde zunächst die Koalition zusammenbrechen, woraufhin aus Wut Bundestagspräsident Norbert Lammert zurückträte. Und schließlich befürwortete der bayerische Landtag aus Liebe zu Österreich und gegen den Willen Berlins noch die Unabhängigkeit Südtirols. Man stelle sich zusätzlich vor, dies alles geschehe auf einmal – binnen zwei Wochen.

Auch wenn der konstruierte Vergleich offenkundig wackelig ist – so ungefähr sieht es zwischen Kiew und Odessa aus. Die prowestliche Regierungskoalition ist Geschichte. Die Präsidentenpartei Unsere Ukraine und der Block der Premierministerin Julia Timoschenko haben das Bündnis in dieser Woche nach gegenseitigen Schuldzuweisungen endgültig begraben. Der Rücktritt des Parlamentspräsidenten Arseni Jazenjuk am Mittwoch war da nur noch eine Fußnote. “Man muss würdevoll an die Macht kommen und sie auch mit Würde verlassen”, sagte Jazenjuk, ein Parteifreund des Staatschefs Wiktor Juschtschenko. Es war eine Flucht vor der möglichen neuen Mehrheit im Parlament.

Zwei Alphatiere im Schlamm

Woran ist die Koalition zerbrochen? Endgültig und auch offiziell gescheitert ist sie wegen des Kaukasuskonflikts. Doch zwischen Timoschenko und Juschtschenko kriselt es seit Jahren. Die beiden Helden der Orangenen Revolution von 2004 haben sich einen Machtkampf, gespickt mit persönlichen Verleumdungen, geliefert. Zwei politische Alphatiere sudelten sich nach Herzenslust im Schlamm und freuten sich, wenn der Kontrahent ein bisschen schmutziger herausstieg. Das Traumpaar, das so große Hoffnungen geweckt hatte, wird es künftig nur noch auf den Matroschkas geben, die die Touristen so gerne kaufen.

Beide trennen aber auch politische Überzeugungen. Juschtschenko will die Ukraine um jeden Preis in den Westen führen, strebt eine präsidentielle Demokratie an und stellt sich als oberster Bekämpfer der Korruption dar. Timoschenko agiert taktischer und kuschelt auch mal mit Russland, um im Osten und Süden der Ukraine zu punkten, wo die Moskautreuen zu Hause sind. Böswillige behaupten, sie positioniere sich schon jetzt für die Präsidentschaftswahl, die Ende des nächsten Jahres oder Anfang 2010 stattfinden wird. Sie hat gute Chancen, den unbeliebten Juschtschenko abzulösen, der für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich gemacht wird.

Der Kaukasuskrieg und die Frage, ob Russlands Einmarsch verurteilt werden müsse, haben diesen Konflikt eskalieren lassen. Während sich Juschtschenko schnell auf die Seite Georgiens stellte, schwieg Timoschenko tagelang und wurde prompt verdächtig, sie lasse sich von Moskau dafür bezahlen. Dass Freunde und Helfer des Präsidenten dieses Gerücht streuten, ist wahrscheinlich.

Ein neues Bündnis mit dem alten Feind

In dieser Woche sagte Timoschenko, Juschtschenko habe mit seiner antirussischen Politik das Land in die Krise geführt. Er sei auch verantwortlich “für alles Schlechte”, das in den Beziehungen zwischen beiden Staaten künftig geschehe. Die Regierungschefin verlangt mehr Ausgewogenenheit im Umgang mit Russland, ohne freilich genau zu erklären, was sie damit meint.

Timoschenko verhandelt jetzt mit der Opposition. Ausgerechnet die prorussische Partei der Regionen um den früheren Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch soll ihr beim Regieren helfen. Janukowitsch war das Feindbild von Timoschenko und Juschtschenko während der Orangenen Revolution. Sollte dieses Bündnis doch nicht zustande kommen, dürfte es im Dezember Neuwahlen geben.

Mit ihrer schwersten innenpolitischen Krise seit langem zahlt die Ukraine den Preis für ein ungelöstes Problem. Die Frage, ob das Land nach Westen gehört und nach Russland, spaltet Wähler wie Politiker. Bislang fehlt ein Rezept, um den Riss zu kitten, zumal die Europäische Union und die Nato die ukrainischen Annäherungsversuche auch nur halbherzig erwidern. Vor allem Frankreich und Deutschland scheuen das Risiko. Eine Aufnahme der Ukraine in Europas Mitte und ins westliche Verteidigungsbündnis dürfte das Verhältnis zu Russland erheblich belasten und Putwedjews Rache heraufbeschwören.

Auf ihrem Gipfel in Paris hat die EU der Ukraine jüngst nur eine engere Partnerschaft versprochen – ohne Beitrittsperspektive. Dass der französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy davon sprach, man habe das maximale Ergebnis erzielt, dürfte die prorussischen Kräfte im Land jubeln lassen. Andererseits kann man von der EU auch nicht verlangen, die Ukraine aus Mitleid aufzunehmen und alle Kriterien zu vergessen, die für andere Bewerber gelten.

Freie Bahn für die Separatisten

In dieser Woche nun haben 79 von 90 Parlamentariern der ukrainischen Autonomen Republik Krim in einer Resolution die Kollegen in Kiew aufgefordert, die beiden georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen. Zuletzt hatten selbst europäische Diplomaten gewarnt, die Halbinsel könnte das nächste Ziel der russischen Expansionspolitik sein. 60 Prozent der Bewohner der Krim bezeichnen sich als russischstämmig. Eine Mehrheit wünscht sich die Staatsbürgerschaft des großen Nachbarn. Angeblich lässt Moskau bereits russische Pässe verteilen, was die Botschaft in Kiew laut einem Bericht der Deutschen Welle dementiert.

Es ist gewiss kein Zufall, dass die Separatisten, die von einer Rückkehr nach Russland träumen, die Resolution gerade jetzt verabschiedet haben. Ihre Gegner sind angeschlagen und bekämpfen sich lieber selbst.

Nachtrag: Der ukrainische Außenminister Wolodymyr Ohrysko wirft Russland im Interview mit dem Focus vor, die Krim destabilisieren zu wollen. Er bezieht sich dabei auch auf die Verteilung von Pässen.

Krieg im Sandkasten

ODESSA/KIEW, UKRAINE Wie geht es weiter nach dem Ende der Regierungskoalition in Kiew? Erlebt die Ukraine eine tiefe innenpolitische Krise, die Russland wie gerufen käme? Zuerst einmal: Man darf gewiss den Kopf schütteln über die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Tage. Dass die Feindschaft zwischen Präsident Wiktor Juschtschenko und Ministerpräsident Julia Timoschenko gerade jetzt eskaliert, da die imperialen Gelüste Russlands neu erwacht sind, sagt einiges aus über den Zustand der politischen Kultur im Land.

Beide Politiker tragen einen Machtkampf aus, seit Timoschenko im Dezember 2007 die Regierung übernommen hat. Immer wieder hatten Juschtschenko und sein Stab kleine Gemeinheiten in Form von Erlässen an die Ministerpräsidentin geschickt. Dabei überschritten sie mehr als einmal ihre Zuständigkeiten. Nun hat sich Timoschenko revanchiert und mit der oppostionellen Partei der Regionen von Ex-Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch den Staatschef umgegrätscht. Die gegen die Präsidentenpartei verabschiedeten Gesetzesänderungen, Auslöser des Koalitionskrachs, schwächen Juschtschenko erheblich. Er könnte nun leichter des Amtes enthoben werden.

Beide Politiker, Juschtschenko und Timoschenko, benehmen sich wie Kinder im Sandkasten. Der eine klaut die Schaufel, der andere wirft mit Sand. Es wäre zum Lachen, stünde das Land nicht augenblicklich vor gewaltigen Problemen. Die Inflation liegt bei 30 Prozent. Die Wirtschaft wächst nur noch schwach. Und Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew, ferngesteuert von Vorgänger Wladimir Putin, bricht alle mühsam aufgebauten Beziehungen zu Europa ab. Angeblich träumt der große Nachbar auch von einer Rückholaktion der Krim, die Staatschef Nikita Chrustschow 1954 der Sowjetrepublik Ukraine geschenkt hatte.

Dass sich die beiden Sandkastenfeinde jetzt nicht mehr nur ein bisschen ärgern, sondern offen den Krieg erklären, ist fahrlässig und wird der Politikverdrossenheit neue Nahrung geben, was eigentlich überflüssig wäre. Von seinen Repräsentanten hat der Ukrainer schon jetzt keine hohe Meinung. Politiker gelten als korrupt und egoistisch. Juschtschenko und Timoschenko unternehmen alles, dieses Urteil zu bestätigen. Im echten Sandkasten würden jetzt zwei Mütter die Streithähne hineinrufen und bestrafen: mit Stubenarrest und Fernsehverbot. In der Politik müssten dies die Wähler tun.

Dieser Kommentar erschien auch am 6. September in der Schweriner Volkszeitung.

Lesen Sie weiter:

Nico Lange, Chef des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, glaubt an ein Überleben der Koalition. Unsere Ukraine, die Partei des Präsidenten, und der Block Timoschekos würden die Zehn-Tage-Frist nutzen, um zu verhandeln.

An Neuwahlen hat derzeit keine der großen Parteien Interesse, da die Zustimmung sowohl zu Nascha Ukraina als auch zum Block Julija Tymoschenko und zur Partei der Regionen im Verlauf der letzten Monate deutlich gesunken ist.

Lange ist überzeugt, dass ein Zusammengehen des Blocks mit der oppositionellen Partei der Region keine Alternative sei. Timoschenkos Wähler würden eine Liaison mit den prorussischen Kräften nicht verzeihen. Der Experte prognostiziert, dass das organgene Regierungsbündnis nach ein paar Raufereien und Zugeständnissen fortgesetzt werde. Den zweiten Ausweg aus der Krise, eine geschäftsführende Regierung ohne Koalition und mit wechselnden Mehrheiten, hält Lange für verheerend.

Für die nötigen innenpolitischen Reformen und die Außenpolitik der Ukraine wäre das allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der schwach entwickelten parlamentarischen und politischen Kultur, eine vollkommen unverantwortliche Perspektive.

Die komplette Analyse von Nico Lange finden Sie hier.

Regierung am Ende

ODESSA/KIEW, UKRAINE Die prowestliche Regierung der Ukraine ist am Ende. Die Präsidentenpartei Unsere Ukraine hat die Zusammenarbeit mit dem Block von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko für beendet erklärt. Staatschef Wiktor Juschtschenko sagte gestern in Kiew, im Parlament habe sich “de facto eine neue parlamentarische Koalition gebildet”.

Auslöser für den Bruch ist der Streit um die Russland-Politik nach der Krise im Kaukasus.  Der Block hatte in der Nacht zu Mittwoch mit der Opposition für ein Gesetz gestimmt, dass die Rechte des Präsidenten einschränkt und Timoschenko mehr Macht gibt. Juschtschenko verurteilte die Entscheidung in einer Fernsehansprache als “politischen und verfassungsrechtlichen Putsch”. Timoschenko forderte die Präsidentenpartei zur Rückkehr auf. “Sie haben zehn Tage ohne Ultimaten, ohne Forderungen, ohne Provokationen, um sich wieder an der demokratischen Koalition zu beteiligen”, sagte sie. Auch sie hielt eine Fernsehansprache.

Im Dezember könnte es zu Neuwahlen kommen. Juschtschenko hat bereits angekündigt, das Parlament aufzulösen, sollte sich nicht in den nächsten 30 Tagen eine neue Koalition finden. Möglich erscheint aber auch, dass Timoschenkos Block künftig mit der pro-russischen Partei der Regionen von Ex-Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch regiert, zumal die Mehrheit sehr stabil wäre. Janukowitsch hat eine solche Koalition nicht ausgeschlossen. Experten glauben, dass ein Zusammengehen der beiden Lager die Spaltung des Landes beenden könnte. In der Ukraine gibt es erbitterten Streit um die politische Ausrichtung. Bürger im Osten und im Süden sehen mehrheitlich die Zukunft in der Nähe Russlands und lehnen eine Nato-Mitgliedschaft ab; im Westen dominieren die Befürworter einer Annäherung an Europa und das Verteidigungsbündnis.

Das Verhältnis zwischen Juschtschenko und Timoschenko, einst Verbündete in der Orangenen Revolution 2004, gilt schon lange als zerrüttet. Während die Regierungschefin nach wie vor sehr populär ist, verliert der Staatschef zunehmend den Rückhalt im Volk. Der Kaukasuskonflikt hat die Spannungen offenbar noch einmal verschärft. Timoschenko hatte den Angriff Russlands auf Georgien – anders als Juschtschenko – zunächst nicht verurteilt, sondern beharrlich geschwiegen. Später dementierte sie allerdings Gerüchte, sie suche auf diese Weise bewusst die Nähe zu Moskau und den pro-russischen Kräften in der Ukraine um Ex-Regierungschef Janukowitsch, um Unterstützung für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf zu bekommen.  Juschtschenko griff Timoschenko scharf an und unterstellte ihr einen “Putschversuch”. Beide Politiker geben sich gegenseitig die Schuld am Ende der Koalition.

Der neue Kalte Krieg

Angela Merkel hat in dieser Woche Russland ungewöhnlich scharf attackiert, wobei sich das offiziell überlieferte Zitat harmlos liest. Im Telefongespräch mit Präsident Dimitrij Medwedjew nannte sie es „sehr bedauerlich”, dass Russland die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien ohne Rücksprache mit der OSZE und dem UN-Sicherheitsrat anerkannt habe. Später im Kabinett und beim Treffen mit den Ministern von CDU und CSU soll sie Medwedjews halbherzige Entschuldigung so kommentiert haben: Sie möge Russland, wisse aber auch, dass dort gern mit Tricks gearbeitet werde. Wenn Merkel in zwei Runden, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt sind, Moskau einen Hang zum Falschspielen nachsagt, darf man ihr, der brillanten Analytikerin, durchaus Kalkül unterstellen.

Der Wind hat sich gedreht. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnte Moskau vor dem Griff nach der Krim und drohte mit Sanktionen der EU. Kouchner ist nicht nur oberster Diplomat der Franzosen, sondern derzeit auch EU-Ratspräsident. Wenn er die Ukraine und Moldawien als mögliche nächste Opfer ins Spiel bringt, weiß man, wie ernst die Lage ist. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow diagnostizierte übrigens bei Kouchner „krankhafte Vorstellungen”. Willkommen im Kalten Krieg, Teil zwei!

Es ist an der Zeit, dass die Europäer ihr Verhältnis zu Russland korrigieren und die Schmeicheleien begraben, die angebracht waren, als Boris Jelzin im Kreml saß. In Erinnerung ist die zaghafte Kritik, als Medwedjew in einem pseudodemokratischen Schauspiel, begleitet von gelenkten Massenmedien, zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dass die Wahl eher eine Amtsübergabe ohne Machtwechsel war, weil Wladimir Putin weiter nach Belieben herrscht, wagte kaum ein Politiker öffentlich anzusprechen.

Jetzt rächt sich, dass die EU und die Nato die unabhängigen Staaten im Osten lange auf Abstand gehalten haben, um ihren Energielieferanten Russland nicht zu verärgern. Auch Deutschland sah die Ukraine und Georgien, wenn auch im Schneckentempo, schon auf dem Weg in den Westen und glaubte, es genüge, beiden irgendwann eine Mitgliedschaft anzubieten. Diese Hinhaltetaktik ist verheerend gewesen, sie war ein Geschenk an Moskau, das sich – auch mit Hinweis auf die Auslandsrussen – im gesamten Osten als Ordnungsmacht und Beschützer sieht. Es wird diesen Anspruch auch nicht aufgeben.

Erst jetzt sorgen sich die Europäer um die Ukraine. Nur Russland kann deren Unabhängigkeit antasten. „Verlieren wir die Ukraine, so verlieren wir unseren Kopf”, soll schon Lenin gesagt haben. Mit ihr würde Russland weiter an Macht gewinnen. Die Ukraine erwirtschaftete ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Sowjetunion, obwohl sie nur 3,5 Prozent des Gesamtterritoriums ausmachte. Aggressiver als Vorgänger Jelzin verlangt Putin von der Ukraine für das russische Gas Wohlverhalten.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko lässt sich fürs Erste nicht einschüchtern. Er verurteilte die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Auch Regierungschefin Julia Timoschenko hat dies getan – nach einem verdächtig langen Schweigen allerdings, das sogleich für Gerüchte gesorgt hatte, sie wolle sich Moskaus Unterstützung im kommenden Präsidentschaftswahlkampf sichern und überdies die pro-russischen Wähler im Land nicht verärgern. Diese Liaison besagt freilich wenig; zwischen Juschtschenko und Timoschenko gedeiht sonst nur die gegenseitige Abneigung – die aber richtig.

Dass beide Politiker nur begrenzt für ihr Volk sprechen, zeigt eine Umfrage. Wie das Rasumkow-Zentrum in Kiew ermittelt hat, sehen 44 Prozent der Befragten Russland als Aggressor im Kaukasuskonflikt. Kaum weniger, 41 Prozent, urteilen, der große Bruder habe in Georgien Frieden stiften wollen. Unter diesem Vorwand könnte Moskau auch die ukrainische Krim besetzen. Auf der Insel leben mehrheitlich Russen. Und dort liegt auch die russische Schwarzmeerflotte.

Wenn die Ost-West-Krise etwas Gutes hat, dann dies: Sie beweist, dass Europas Duckmäuser gescheitert sind. Russland lässt sich eben nicht mit einer Kuschelpolitik besänftigen. Es sieht sich längst wieder auf einer Stufe mit den USA. Nach dem Ende aller Illusionen ist es an der Zeit, Stärke zu demonstrieren – auch wenn Putin (oder sein Gehilfe Medwedjew) zur Strafe das Gas abdreht und für einen kalten Winter in Europa sorgt. Nur Geschlossenheit wird Putin beeindrucken. Sein Riesenreich ist nämlich wirtschaftlich keineswegs so gesund, wie er tut, es braucht Handelspartner, die Geld bringen.

Russland will Europa beherrschen, der Krieg gegen Georgien war da nur ein Test, der zeigen sollte, was sich der Westen vom neuen Aggressor bieten lässt. Merkel hat das indirekt formuliert mit dem Hinweis auf die Falschspieler in Moskau. Putin will die EU zerschlagen. Auch das darf man unterstellen.

Europa wird sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn es sich von Russland unabhängig macht. Es würde die Abkehr vom Öl verlangen und den Abschied von schnellen Autos. Um das durchzusetzen, ist der Konflikt freilich noch zu harmlos. So lange Europa Öl braucht, bleibt Russland eine Macht. Wer die Energie für den europäischen Wohlstand liefert, kann jederzeit vom Freund zum Erpresser werden.

Die unendliche Geschichte (Teil V)

ODESSA, UKRAINE Jetzt ist die Koschka aus dem Sack: Regierungschefin Julia Timoschenko, auch bekannt als Lady Ju mit der Krone aus Eigenhaar, die nicht auf Sardinien Urlaub gemacht, was die Sardinen, wenn man sie fragte, auch bestätigen würden, sondern sich im “deutschsprachigen Raum” erholt hat, die sich nicht mit Ex-Präsident Leonid Kutschma gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko verschworen hat und erst recht nicht für ihr Schweigen zum Kaukasus-Konflikt eine Milliarde Dollar aus Moskau erhält – sie ist in der Schweiz auf Kur gewesen. Das meldet die Zeitung Segodnya. Wer die unendliche Geschichte in fünf Teilen noch einmal nachlesen möchte, hier, hier, hier und hier wird er fündig.

Die unendliche Geschichte (IV)

ODESSA, UKRAINE Also gut, Teil vier der unendlichen Geschichte um Julia Timoschenkos Blitzkur – wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Soeben hat die Deutsche Welle ein Interview mit Rainer Lindner veröffentlicht. Der Ukraine-Experte glaubt nicht, dass hinter dem langen Schweigen der Ministerpräsidentin zum Georgien-Konflikt eine Abmachung mit Russland stecke.

Ich will nicht mehr.

Lady Ju und die Sardinen

ODESSA/KIEW, UKRAINE Unendliche Geschichte, Teil drei: Muss sich eine Regierungschefin das gefallen lassen? Behandelt man so eine schöne Frau? Kaum ist Julia Timoschenko zurückgekehrt von ihrer Kur im “deutschsprachigen Raum”, stürzt sie sich schon wieder in die Arbeit, die ihr doch diese Verschnaufpause abverlangt hatte. Sie hat sich nicht noch ein bisschen krankschreiben lassen und arbeitet auch nicht verkürzt, halbtags zum Beispiel, um sich einzugewöhnen. Keinen Augenblick denkt sie an ihre Gesundheit. Gestern hat sie in Kiew gleich eine Pressekonferenz gegeben.

Und wie reagieren die Journalisten? Sie stellen unangenehme Fragen, zweifeln an der Ehrlichkeit Timoschenkos und wollen am liebsten noch die Krankenakte sehen.

Julia Timoschenko deutete an, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert habe, verschwieg aber, woran sie behandelt worden sei. Ihre politischen Gegner brauchten sich nicht zu freuen, sagte sie weiter. Die Beschwerden würden nicht zum schnellen Tod führen, sie seien “normal, menschlich”. Sie, Timoschenko, habe bloß viel Stress gehabt und sich deshalb erholen müssen. Und natürlich habe sie Kur selbst bezahlt.

Warum bloß glaubt ihr niemand, dass sie nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat, um mit dem früheren Präsidenten den jetzigen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu stürzen? Der Verdacht, sie sei auf Sardinien gewesen und habe dort Kutschma getroffen, muss Lady Ju tief verletzt haben. Sie sagte: Wenn das Sekretariat des Präsidenten am Kuraufenthalt zweifele, “können sie die Sardinen fragen, die in Sardinien schwimmen, und ich denke, dass die Sardinen definitiv sagen können, dass die Ministerpräsidentin der Ukraine nicht dort war”.

Eine Lügnerin hätte nie so viel Poesie. Das Zitat ist, zugegeben, sehr wörtlich übersetzt.

Nachtrag, 12.25 Uhr: Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich erwarte für morgen Teil vier der unendlichen Geschichte. Jetzt müssen sich endlich die Sardinen äußern – oder die Kurärzte im “deutschsprachigen Raum”.

Nachtrag, 14.45 Uhr: Interessiert sich noch jemand für Julia Timoschenko, Sie wissen schon: die mit der Krone aus Eigenhaar, die vergangene Woche nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat? Es gibt keine neuen Fakten, wobei: Gab es bisher überhaupt Fakten? Lady Ju müsste nur mal ihre Urlaubs-, äh, Kurfotos herausrücken, dann wäre doch alles klar. Sind wahrscheinlich noch beim Entwickeln.


Vermisstes Mädchen (47) zu Hause

ODESSA, UKRAINE Julia Timoschenko ist wieder da! Sie war nicht auf Sardinien. Sie hat sich dort also auch nicht in einem Hinterzimmer mit dem ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma getroffen, um ein von Russland finanziertes Bündnis gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu schmieden, wie manche vermuteten.
(Herrn Kutschma habe ich ja schon mal etwas näher vorgestellt, da halte ich mich jetzt zurück.)

Und nun folgt eine schöne Schlusspointe für eine schöne Geschichte: Die Regierungschefin war auf Kur, und zwar – es kommt noch besser – im “deutschsprachigen Raum”! Ich hatte doch gleich so einen Verdacht; man muss nur noch einmal meinen ersten Satz in der vorigen Nachricht lesen.

Und, war ich auf der richtigen Spur? Tja, einem alten Journalistenfuchs macht man so leicht nichts vor, die schöne Julia sah in der letzten Zeit wirklich arg angespannt und überarbeitet aus.

Schöne Regierungschefin vermisst

ODESSA, UKRAINE Hat jemand zufällig Julia Timoschenko gesehen? Die Vermisste ist Mitte 40, trägt das blonde Haar zu einem Kranz geflochten und wurde zuletzt in Kiew gesehen. Vermutlich hält sie sich derzeit in Südeuropa auf.

Entschuldigung, ich frage bloß, es ist schließlich nicht ganz unerheblich, wenn die Regierungschefin der Ukraine unauffindbar ist, man denkt in diesem Land ja immer gleich an das Schlimmste. Hier müssen Leute nicht mal Zigaretten holen, um zu verschwinden. Jedenfalls weiß niemand so recht, wo sich Timoschenko augenblicklich aufhält. Auch Parteifreunde rätseln, wo “Lady Ju” steckt, und fragen, warum sie zum Konflikt zwischen Russland und Georgien schweigt.

Viktor Iwaschkewitsch hat wohl als Erster bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Er hatte Timoschenko weder im Fernsehen noch in der Zeitung gesehen, also fragte der Kiewer die Zeitung Segodnya: “Wohin ist sie verloren gegangen?” Und die Journalisten verkündeten, sie hätten “sich entschieden, aufzuklären, wohin die Ministerpräsidentin verschwunden ist”.

Um es kurz zu machen: Wahrscheinlich ist sie im Urlaub. Ihre Pressesekretärin Marina Soroka sagt, die Politikerin erhole sich auf einer Insel im Mittelmeer, man müsse aber verstehen, dass der Ort nicht mitgeteilt werden könne. Segodnya hat allerdings Timoschenkos Tante Antonina Uljachina angerufen und erfahren: Die liebe Nichte sei im Grunde genommen gar nicht im Urlaub und erhole sich auch überhaupt nicht. “Sie arbeitet und regelt wichtige Angelegenheiten für das Land.”

Eine Erklärung für Timoschenkos Schweigen zum Krieg in Georgien kommt übrigens gerade sehr warm aus der Gerüchteküche: Angeblich wird sie von Russland 2009 im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt. Das behauptet der Sprecher von Staatschef Wiktor Juschtschenko:

Presidential spokesman Andriy Kyslynsky said Ms Tymoshenko had been co-operating with Russia by avoiding any criticism of its actions in Georgia. He said she was counting on Moscow’s support in next year’s Ukrainian presidential election. Ms Tymoshenko, currently on holiday, has not yet commented on the claim. Mehr…

Ausgerechnet Julia Timoschenko, die Heldin der Orangenen Revolution von 2004, die Mutige, die gegen Russland für eine demokratische Ukraine gekämpft hat, lässt sich vom großen Nachbarn bezahlen? Die Zeitung Segodnya nennt sogar eine Summe: eine Milliarde Dollar. Und Julia Timoschenko schweigt. Sie ist ja im Urlaub.