Kolumne: Meine charakterstarke Küche

ODESSA, UKRAINE Meine Küche in Odessa erinnert mich an eine Frau aus Berlin. Schon gut, ich weiß, dass es einen Mann in große Schwierigkeiten bringen kann, wenn er die Wörter „Frau” und „Küche” in einen Satz packt. Ich will keinen Ärger mit Alice Schwarzer oder einer Dame, die sich einen Doppelnamen erheiratet hat. Ich bin ein moderner Mann, der die Gleichberechtigung nicht nur theoretisch unterstützt, sondern auch tatsächlich praktiziert im Alltag. Ich finde den Vergleich nun einmal sehr angebracht.

Die Küche, die uns unser Vermieter in die Wohnung gestellt hat, sieht aus, wie ich sie gebaut hätte. Wenn man weiß, dass ich handwerklich auf das Großartigste ungeschickt bin, kann man sich ungefähr vorstellen, wie sie aussieht. Eine Schönheit ist sie nicht. Sie erscheint schwerer, als sie ist, wofür das dunkle Holz sorgt. Einige Schranktüren, also eigentlich alle, hängen. Sie knurren auch, wenn ich sie öffne. Heimlich isst und trinkt bei uns niemand.

Die Leiste nun ist ein wenig länger als die Arbeitsplatte, auf der sie liegt. Ich tue der Küche kein Unrecht, wenn ich feststelle, dass sie auch in sich schief ist und überdies unmöglich jemals mit einer Wasserwaage in Berührung gekommen sein kann. Im Inneren wiederum scheinen die Löcher für die Wasserleitungen und Stromkabel doch auf recht plumpe Weise entstanden zu sein; ich bin zumindest nicht sicher, dass eine Stichsäge benutzt worden ist. Auf mich wirken die Löcher wie das Ergebnis eines Zusammentreffens von Hammer, Obstmesser und Händen, die meinen sehr ähnlich sein müssen. Die Dunstabzugshaube wiederum hängt so tief, dass ich mich beim Kochen immer bücken und darunter kriechen muss, um in die Töpfe sehen zu können. Allabendlich verbeuge ich mich ein ums andere Mal vor meinen eigenen Gerichten. Die Haube saugt kaum Koch- und Bratengerüche auf, sondern kümmert sich eher um Schuppen auf meinem Kopf.

Ich mag meine Küche trotzdem. Sie ist gewiss nicht in deutscher Qualitätsarbeit entstanden, das erkenne selbst ich. Doch wenn ich deutsche Qualitätsarbeit vermisse, muss ich wieder nach Deutschland ziehen. So sehe ich das. Es wäre lächerlich, an eine Rückkehr zu denken – wegen einer Küche, die manchmal nervt, meine ich. Für einen ukrainischen Handwerker beginnt der Pfusch erst bei einer Ungenauigkeit von mehr als einem Zentimeter. Alle Fehler im Millimeterbereich sind in Ordnung. Ich bin der Letzte, der das verurteilen darf.

Und was hat das mit einer Frau aus Berlin zu tun? Nun, mein Bruder hat einmal eine Berlinerin, die nicht jeden Mann sogleich verzaubern konnte, die – um es nett auszurücken – viel mehr zu bieten hatte als schöne Beine, schöne Brüste, schöne Haare und einen schönen Po, eine solche Frau hat mein Bruder einmal als „charakterstark” bezeichnet. Ich denke, so ist auch meine ukrainische Küche. Sie hat eine innere Schönheit. Sie ist charakterstark.

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