Schlagworte: Zoo

Besser als Odessa

1. In Kiew gibt es Treppenhäuser, die nicht wie eine Klinik für inkontinente Katzen riechen.

2. Kiewer Verkäuferinnen geben selbst kleines Wechselgeld zurück. Ich habe in vier Tagen mehr Ein- und Zweikopekenmünzen gesammelt als in 16 Monaten Odessa.

3. Der Taxifahrer: “Der Porsche Cayenne ist in Kiew ein Mittelklassewagen.”

4. Kiew hat einen schönen Zoo. Odessa hat einen Zoo.

5. Kiews Klos sind auch nicht schlecht.

Nachtrag: Entschuldigung, mein Blog hatte sich ein paar Stunden totgestellt. Mein großartiger Webmaster hat es aber reanimiert. Wenn ich groß bin, werde ich auch Webmaster. Im nächsten Leben werde ich auch Webmaster. Und vielen Dank an iris für den Notruf.
Nachtrag 2:
Ganz unten ist jetzt Claudias Klo aus Kiew, erbeten von Nataliya.


Androhung

ODESSA, UKRAINE Ich bin mal wieder im Zoo gewesen, um zu schauen, ob seit meinem Besuch im September etwas geschehen ist. Ja, es ist etwas geschehen: Die Musik dröhnt jetzt noch lauter. Unter anderem werden die Zellen Gehege mit Lou Begas “Mambo No. 5″ beschallt. Sollte mir der TiergefängnisZoodirektor Jurij Kutscherenko einmal persönlich begegnen, könnte es sein, dass ich ihm gepflegt in die Weichteile trete sehr deutlich zu verstehen gebe, wie ich über ihn denke.

Nein, ich bin kein aggressiver Tierschützer. Ich finde nur einen Kerl zum Kotzen, der Tiere so einsperrt und misshandelt, der zulässt, dass Kinder begleitet werden von saufenden Eltern, und nichts gegen Müll in seinem Park hat. Übrigens werden die Zoobesucher aufgefordert, die Tiere nicht zu erschrecken und nicht zu necken.

Falls Sie nicht mehr wissen, was Lou Bega den Ohren antut, bitte sehr:

Korruptionskolumne: Oleg ist dabei

ODESSA, UKRAINE Ich glaube, mein Freund Oleg ist korrupt, ein bisschen jedenfalls, man könnte dieses Problem vermutlich auch anders nennen. Bestimmt ist er nur ein sympathischer Kerl, der hilft, wenn im Büro Hilfe gebraucht wird, und dafür entlohnt wird. Ich kann ohnehin noch nichts beweisen, obwohl ich ihm allmählich auf die Schliche komme. Oleg macht Fehler, schwere Fehler.

Vor drei Tagen hat er mir das größte Honigglas geschenkt, das ich je gesehen habe, es ist unheimlich riesig. Die Bärenfamilie in Odessas Zoo könnte die Freunde aus dem Kiewer Gehege einladen, eine dreitägige Honigparty feiern und den Rest als Kleister zum Tapezieren der Wände nehmen. Danach müsste allen Bären wegen Honigvergiftung der Magen ausgepumpt werden.

Ich musste erfahren, woher das Glas stammt.
„Ist von Mama höchstpersönlich”, sagte Oleg.
„Schon wieder ein Geschenk von ihr?”, fragte ich.
“Das ist Kolumnistenköder, du sollst sie mal besuchen.”

Keine Angst vor fünf sibirischen Wintern

Olegs Mama muss fabelhaft sein. Sie ist eine bienenfleißige Imkerin, die überdies CDs presst oder sogar Boss einer Plattenfirma ist, eine Dickestrümpfestrickfabrik besitzt und immer ein paar Whiskyfässer im Keller hat. Hin und wieder schenkt sie mir eine CD. Die Strümpfe, die mir Oleg in ihrem Namen überreicht hat, brächten mich durch fünf sibirische Winter. Den Whisky habe ich noch nicht probiert. Erst muss der Honig alle werden. Natürlich leugnet Oleg, dass er sich bestechen lässt.

Ich habe überlegt, was man mir bieten müsste, dass ich korrupt würde. Viel ist mir nicht eingefallen. Geld interessiert mich nicht. Die Spielzeuge der Männer besitze ich schon. Ich habe ein Auto, das ich eigentlich nicht brauche, eine Uhr, die ich wegen ihrer Kostbarkeit kaum trage, und ein Handy, an dem ich nicht hänge. Es klingelt zweimal, dann verliere ich es schon wieder. Wer mein Telefon findet, hat praktisch ein neues Modell. Und wenn ich Eisenbahn spielen will, gehe ich zwischen 8 und 16 Uhr in das Zimmer meines Sohnes, dann ist er im Kindergarten, und stelle ein paar Weichen seiner Briobahn um. Die Dampflokomotive schnauft sogar.

Sehnsucht nach Pesto

Bis gestern hätte ich trotzdem gewusst, wie man mich verführen kann. Wäre ein Mann gekommen und hätte mir versprochen, jeden Montag zwei Gläschen Pesto, eingewickelt in Zeitungspapier, im Morgengrauen vor meine Tür zu legen, ich wäre schwach geworden. Pesto ist Mangelware in Odessa. An einem guten Tag fragt mich die Verkäuferin, was Pesto sei, nachdem ich sie gefragt habe, wo Pesto im Regal stehe. Ich stottere und sage: „So etwas Ähnliches wie das hier, nur in Grün und für Nudeln.” Dabei zeige ich auf Senf.

An einem schlechten Tag finde ich Pesto und überlege, ob der Marktleiter oder die Marktwirtschaft bekloppt ist, weil zwei Teelöffel dieser Paste umgerechnet zehn Euro kosten. Käme in einem solchen Augenblick dieser Mann und verspräche eine montägliche Lieferung ohne jedes Risiko für mich, ich würde wahrscheinlich einiges tun, das sich für einen Journalisten außerhalb der Lokalberichterstattung nicht gehört.

Bis gestern war ich in Gefahr. Als präventiven Schlag gegen meine Verführbarkeit habe ich mir heute einen Mixer gekauft. Jetzt mache ich Pesto selbst und bin nicht mehr korrumpierbar.

“Tribut an die Tradition”

Ich würde Oleg gern helfen, diesem Korruptionssumpf aus Honig, Whisky, dicken Socken und CDs zu entsteigen. Er ist doch bloß ein Opfer des ukrainischen Systems. Wahrscheinlich lassen sich die Kollegen auch beschenken für eine kleine Gefälligkeit und üben einen Gruppenzwang aus. Andrej Kurkow, einer der großen Schriftsteller des Landes in der Gegenwart, schreibt in seinem Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten”, manche Korruption in der Ukraine könne gar nicht verboten werden. Sie sei „ein Tribut an die Tradition”.

Ich muss Oleg da trotzdem rausholen, ich bin Journalist, ich habe sogar einen internationalen Presseausweis, der mich vor Übergriffen schützen soll, ich kann doch nicht zuschauen, wie in meinem unmittelbaren Umfeld der Filz wächst. Ich könnte Oleg eine neue Identität verschaffen, ich habe ganz gute Kontakte in die Schweiz: Der Chef von Krusenstern.ch, ein Experte für Russland, Belarus und die Ukraine, hat mein Odessa-Blog verlinkt.

Andererseits, wie fülle ich meine Kolumnen, wenn Oleg in der Schweiz untergetaucht ist?

Hinter Gittern

ODESSA, UKRAINE Ich habe mich vor ein paar Tagen abschätzig über Odessas Zoo geäußert. Ich schrieb: „Man riecht ihn von weitem.”

Ich weiß selbst nicht mehr, wie das passieren konnte, ich war ungerecht. Vielleicht habe ich an die Fernsehserie „Hinter Gittern” gedacht und deshalb etwas durcheinander gebracht.

Untermieter gesucht: der Tiger
Untermieter gesucht: der Tiger
Kleine und große Bären: Odessas Zoo
Kleine und große Bären: Odessas Zoo
Ein Hingucker: der gepflegte Gehweg
Ein Hingucker: der gepflegte Gehweg
Eine der Attraktionen: die Hüpfburg; rechts: ein Elefant
Eine der Attraktionen: die Hüpfburg; rechts: ein Elefant

Odessas Zoo hat eine Hüpfburg, eine Rutsche und sehr viele Elektroautos. Man kann eine Lok mieten und selbst fahren. Man darf überall den Müll hinwerfen. Man kann sich auf einem Kamel fotografieren lassen oder auf einem Pony. Man kann historische Kostüme anprobieren und sich dann auch fotografieren lassen. Fotografieren lassen kann man sich außerdem: neben einer großen Stoffgiraffe, einem großen Stofftiger und einem großen Stoffbären. Aus den Lautsprechern kommt oft Musik.

Noch eine Attraktion: die Rutsche; links: ein Elefant
Noch eine Attraktion: die Rutsche; links: ein Elefant

Tiere gibt es auch. Elefant Tarun, der mit Wendy liiert ist, wird wieder Papa.

Kolumne: Mein Sohn und der Kapitalismus

ODESSA, UKRAINE Mein Sohn wird Kapitalist werden, ich habe es im Gefühl. Ich traue es ihm auch ohne weiteres zu, er hat schon jetzt gewisse Züge, die ich als kapitalistisch einstufe. Er lässt sich zum Beispiel für Dinge bezahlen, die in seinem Alter noch selbstverständlich sein sollten. Er stellt Forderungen. Er tut kaum noch etwas ohne Gegenleistung. Ich muss sagen, er verhandelt außerordentlich geschickt. Wenn er essen, baden oder schlafen soll, fragt er: „Kaufst du mir den gelben Bagger?” Manchmal soll es auch nur ein Besuch im Zoo sein. Irgendwann kommt immer der Augenblick, da ist man als Verhandlungsvater erpressbar. Ich kaufe lieber alle gelben Bagger, die ich in Odessa auftreiben kann, weil ich den Zoo kenne. Ich versuche, mein Urteil so freundlich wie möglich zu formulieren: Man riecht ihn von weitem.

Natürlich, mein Sohn ist noch in der Tauschphase, aber weiß ich denn, wie lange das so bleibt? Die Menschheit hat doch auch so angefangen: Tausche eine Nacht in der geheizten Höhle gegen Mammutbraten, ja, so war das. Mein Sohn hat überdies noch einen Hang zum Geiz. Er weigert sich, Straßenmusikanten Geld zu überbringen, er steckt es lieber ein, überhaupt hat er es gern. Stundenlang kann er Münzen sortieren und auftürmen, ohne dass er sich langweilt. Natürlich gebe ich mir die Schuld. Ich bin sein Vater.

Frauen, Porsche, Che Guevara

Mein Sohn darf Polizist werden oder Maschinist, Internist, Dentist, Journalist, Florist, Alchimist, Moralist, Putschist, Nudist, Defätist, Realist, Idealist, Christ und – wenn es unbedingt sein muss – auch Jurist oder Kolumnist. Ich hätte kein Problem, ich bin liberal, er soll finden, was ihn erfüllt. Aber mein Junge wird kein Kapitalist. Ich lasse es nicht zu, klar? Warum? Ist unsere Gesellschaft schon so verkommen, dass ein Vater begründen muss, warum der Sohn nicht Kapitalist werden soll?

Ich weiß noch nicht, wie ich das verhindere. Ich kann ja unmöglich als Gute-Nacht-Geschichte jeden Abend eine halbe Seite aus dem „Kapital” von Karl Marx vorlesen; da bin ich noch nicht durch, wenn der Sohn meines Sohnes beschließt, Kommunist zu werden. Eine Waldorfschule gibt es in Odessa nicht. Che-Guevara-Leibchen für Zweieinhalbjährige habe ich auch noch nicht gesehen. Ich sehe nur, dass die schönsten und elegantesten Frauen von mutmaßlichen Kapitalisten ausgeführt werden, und mein Sohn wird das auch bald merken. Von den Autos rede ich gar nicht. Mein Sohn steht auf Porsche. Wenn er in Odessa einen Porsche sieht, kriegt er den Mund gar nicht mehr zu. Raten Sie mal, wer drinsitzt. Ganz genau.

Jetzt hat ihm die ukrainische Botschaft in Berlin auch noch das Visum für Geschäftsreisende ausgestellt. Er ist noch nicht mal drei, reist aber als Unternehmer. So etwas bleibt doch nicht ohne Folgen, ich sag nur: frühkindliche Prägung.

Ein Vater-Sohn-Gespräch

Ja, ich weiß, es gibt Kapitalisten, die Gutes tun, die eine Stiftung gründen und spenden, ich lese so etwas auch hin und wieder. Aber mal ehrlich, kennen Sie einen, ich meine: persönlich?

Ich habe heute Morgen mit meinem Sohn gesprochen, es war mir wichtig, ich wollte Klarheit, ich konnte nicht mehr schlafen, ich musste ihn wecken.
„Guten Morgen, mein Schatz. Papa muss dich jetzt unbedingt etwas fragen”, habe ich gesagt.
„Will schlafen.”
„Willst du Ka-pi-ta-list werden oder Ni-hi-list?”
Mein Sohn hat ein paar Sekunden überlegt, sich die Augen gerieben und mich angeschaut. Er hat gelächelt und dann geantwortet: „Ka-pi-list, Papa.”