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“Eher ein psychiatrisches Problem”

ODESSA, UKRAINE Ich habe dem Berliner Wissenschaftler Lutz Erbring ein paar Fragen gestellt, um den Wirbel zu deuten, den meine Recherche über Adolf Hitler und Hakenkreuze beim Internet-Telefondienst Skype ausgelöst hat. Der Professor im Ruhestand vom Institut für Publizistik- und  Kommunikationswissenschaft der Freien Universität ist Experte für Internet, Journalismus und Medienwirkung. Auch über Medien und Moral hat Erbring geforscht.

Herr Professor, Nutzer telefonieren bei Skype mit den Namen einstiger Nazigrößen – wie bewerten Sie das, auch moralisch?

Erbring: Das Ganze ist weniger moralisch zu bewerten als vielmehr psychiatrisch. Wie schon einer der Blogger anmerkt: Spinner gibt es immer – und man sollte ihnen nicht durch journalistische Publizität auch noch eine öffentliche Plattform bieten, das lockt nur noch ein paar mehr aus ihren Löchern hervor. Der Blogger hat Recht: „Ernst nehmen? Nein! Doof: jau!”

Unterschätzen Plattformen wie Skype nicht die Gefahr, von Rechtsradikalen unterwandert zu werden?

Erbring: Nein, die journalistischen „Aufreger” überschätzen grotesk die Bedeutung von Spinnern: Welche Gefahr rechtsradikaler Unterwanderung sollte denn drohen, wenn ein Häuflein von meist halbwüchsigen Spinnern glaubt, sich mit Nazi-Namen und -Symbolen oder gar mit Geschmacklosigkeiten wie „Wohnort: Auschwitz-Birkenau” hervortun zu müssen – aus den üblichen Motiven: Provokation, Wichtigtuerei und Halbstarkengag oder einfach ganz allgemeine Dummheit, auf die ja inhaltliche und grammatikalische Fehler hindeuten.

Wie kontrollieren Unternehmen wie Skype, was ihre Kunden tun? Reichen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) aus?

Erbring: Trotz gut gemeinter Vorgaben in den AGB wird die Dummheit oder Geschmacklosigkeit von Nutzern kaum kontrolliert – praktisch nur auf Initiative von dritter Seite wie in diesem Fall; es ist auch kaum anders möglich. Der Aufwand – eine ständig aktualisierte Filtersoftware etwa – stünde in keinem Verhältnis zum Erfolg oder aber zu dem Problem: mit Kanonen auf Spatzen schießen. Im übrigen wäre es meines Erachtens unerträglich, wenn Unternehmen wirklich kontrollieren würden, „was ihre Kunden tun”.

Skype hat mitgeteilt, es werde die Verwendung von Beleidigendem oder Anstößigem nicht tolerieren. “Wenn Skype auf einen Fall aufmerksam wird, in dem ein Nutzer gegen die Nutzungsbedingungen von Skype verstößt, indem er Worte oder Materialien verwendet, die andere beleidigen oder verletzen, werden wir diesen Vorgang sehr ernst und von Fall zu Fall untersuchen.” Reicht das?

Erbring: Die Skype-Antwort ist meines Erachtens die einzige realistische und auch angemessene Gegenstrategie.

Man könnte verdächtige Profile melden. Wie ist es denn um die Zivilcourage im Netz bestellt?

Erbring: Das hat wenig mit Zivilcourage zu tun – gegenüber wem oder was müsste man denn Angst haben oder Courage zeigen? Profile melden – wenn man nicht selbst persönlich betroffen oder beleidigt ist – hängt wohl eher davon ab, ob man mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen weiß als Internet-Blockwart zu spielen.

Beim Führer war besetzt (III)

Dass ein Journalist so etwas noch erleben darf: Skype bedankt sich bei mir, dass ich den Internettelefondienst mit meiner “Recherche von den unschönen Machenschaften einiger User in Kenntnis gesetzt” habe. In einem “offiziellen Statement” heißt es:

Skype does not tolerate the use of materials by its users that are offensive, indecent or otherwise objectionable in any way. When a case is brought to Skype’s attention, where a user may be violating our user agreements by using language or material that is offensive to others, we will seriously evaluate the concern on a case by case basis.

Ich stelle mal die Übersetzung von netzeitung.de dazu, vielleicht wird’s dann noch klarer.

Skype toleriert die Verwendung von beleidigendem, anstößigem oder anderweitig störendem Material von Seiten der Nutzer in keiner Weise. Wenn Skype auf einen Fall aufmerksam wird, in dem ein Nutzer gegen die Nutzungsbedingungen von Skype verstößt, indem er Worte oder Materialien verwendet, die andere beleidigen oder verletzen, werden wir diesen Vorgang sehr ernst und von Fall zu Fall untersuchen.

Nichts anderes habe ich erwartet.

Beim Führer war besetzt

ODESSA, UKRAINE Ich habe heute versucht, Adolf Hitler (NDSAP) über Skype anzurufen. Ich wollte ihn fragen, ob er wegen der aktuellen Weltfinanzkrise ein Comeback plant. Es war leider besetzt.

Nein, der Führer ist nicht tot, er lebt und scheint gut zu tun zu haben. Hitler pendelt zwischen Deutschland, Bulgarien, Litauen, Polen, Spanien, Norwegen, Großbritannien, Algerien, den USA, Tschechien, Kuba, Trinidad und Tobago, Finnland, Kanada, Ägypten und natürlich Argentinien. Wer bei Skype nach Adolf Hitler sucht, stößt auf mehr als 30 Kontakte.

Auch Joseph Goebbels (NSDAP) lebt. Der einstige “Bock von Babelsberg” wohnt in “Auschwitz-Birkenau, DEUTSCHES REICH! NICHT BUNDESLAND. Deutschland”. Obwohl nach eigenen Angaben 107 Jahre alt, hat er sich – Propagandaprofi bleibt Propagandaprofi – bei Skype ein hübsches Profil angelegt. Über sich teilt er mit: “bin eigentlich 1897 geboren in Rheydt.” Rheydt, Goebbels Geburtsort, liegt in der Nähe von Mönchengladbach. Und Hermann Göring, einst Oberbefehlshaber der Luftwaffe, hat sogar grafisches Talent.

Auch andere Prominente des Dritten Reichs sind bei Skype angemeldet: Reichsführer-SS Heinrich Himmler (“über mich: sieg heil white power”), Wilhelm Keitel (Skypename: “oberkommandeur.wehrmacht”), Dr. Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, Wüstenfuchs Erwin Rommel, “Stürmer”-Eigentümer Julius Streicher (“vernichtungskrieg666″) und Robert Ley (“arbeiterfuehrer”).

Meine Anfrage bei Skype läuft.

Die Antwort von Skype ist da; die Agentur, die Skype in Deutschland vertritt, schreibt:

Das von Ihnen angesprochene Thema ist uns tatsächlich so noch nie gemeldet worden.

Grundsätzlich gibt Skype in seinen Nutzungsbedingungen unter http://www.skype.com/intl/de/legal/terms/web/ eindeutige Infos:

[...] Verhalten Sie sich bitte respektvoll, wenn Sie an einem der Skype Community-Angebote wie etwa den Foren, Blogs, E-Mail-Funktionen usw. teilnehmen und wenn Sie Chat, Sprach- und Videoanrufe, Dateiübertragungen oder andere Funktionen der Skype-Software (“Nutzermaterialien”) nutzen. Sie dürfen über Skype keine Nutzermaterialien einreichen oder veröffentlichen, die beleidigend, verleumderisch, pornografisch, die Privatsphäre verletzend, obszön, ausfallend, illegal, rassistisch, anstößig oder für einen Minderjährigen schädlich sind oder eine Beeinträchtigung von geistigen Eigentumsrechten einer Drittpartei darstellen oder in sonstiger Weise die Rechte Dritter verletzen [...]

[...] Sie dürfen nicht (i) einen Nutzernamen einer anderen Person mit dem Vorsatz auswählen oder verwenden, sich als diese Person auszugeben, (ii) ohne Genehmigung einen Namen verwenden, auf den eine andere Person Rechte hat, oder (iii) einen Nutzernamen verwenden, den Skype nach eigenem Gutdünken als unangemessen oder anstößig ansieht [...]

Skype ist eines der beliebtesten Programme zur Internetkommunikation mit inzwischen über 330 Millionen Nutzern weltweit und baut auf die Unterstützung seiner Mitglieder, um Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen an Skype zu melden. Hierfür gibt es auf der Webseite von Skype in dezidiertes Feedbackformular.

Flammendes Inferno 2.0

ODESSA, UKRAINE Ich zeige heute, unter welch schwierigen Bedingungen Tag für Tag dieses Hochglanzprodukt namens Blog entsteht. Meine Internetverbindung – man surft über das TV-Kabel – fällt zunächst vom Dach an der Fassade zwei Stockwerke hinunter, gelangt dann durch ein Loch an meinem Balkon in den Hausflur und krabbelt an der Wand sehr elegant hinauf zur Wohnungstür.

Bevor es gleich dunkel wird, sollten Sie noch wissen, dass das Licht im Hausflur immer brennt und meine Klingel nie klingelt. Achten Sie besonders auf das orange Sandhügelchen im Fernster über dem Heizkörper – das haben die Handwerker nach dem Bohren zurückgelassen. Der Hund, der gleich bellt, ist übrigens ein Traditionalist. Er liebt Zeitungen und hasst Blogs. Film ab!

Vielleicht erinnert Sie das Kabelwirrwarr auch an einem berühmten Katastrophenfilm mit Steve McQueen und Paul Newman von 1974. Ich sag nur: Duncan Enterprises. Leider kann mein Katastrophenfilmchen den Geruch nicht wiedergeben, der einem im Treppenhaus entgegenschlägt. Es riecht nach Katzen und Katzenpfützen.

Die Antwort auf die Frage, warum ich im Video nicht zu sehen bin, lautet übrigens nicht Kameramann, sondern Friseur. Von dem komme ich gerade. Diesmal habe ihn machen lassen. Manche sagen, ich sähe jetzt ein bisschen deutschnational aus. Ich antworte, ich hätte mir als Bewunderer des Theaterregisseurs Claus Peymann dessen Frisur verpassen lassen. Und ehe jetzt Anwälte aus Berlin kommen, erkläre ich hiermit: Wese- und Peymann sind nicht deutschnational.