Ein Tischler als Weltenbummler

28 Länder, drei durchgelaufene Paar Schuhe: Wandergeselle Martin Trojak kehrt nach dreieinhalb Jahren in sein Heimatdorf Zachow zurück

Bei jedem Schritt klopft der Wanderstab auf den Asphalt. Martin Trojak sieht schon, wie die Zachower die Straße gesperrt haben, dass kein Auto mehr durchkommt. Er hört ihr Klatschen, aber er geht nicht schneller. Er winkt noch nicht einmal. Es sind noch dreihundert Meter bis nach Hause. Dreihundert Meter sind nichts und bedeuten an diesem Sonnabendnachmittag doch viel. Der Wandergeselle Martin Trojak geht eine Reise von drei Jahren, sechs Monaten und vier Tagen zu Ende.

Hose und Weste, Jacke und Hut sind schwarz. Nur die Ehrbarkeit mit der Handwerksnadel an der weißen Staude leuchtet. Der blaue Schlips ist das Zeichen des Rolandschachtes, 1891 von Bremer Maurern in Nürnberg gegründet. Der 23 Jahre alte Tischler, geboren in Parchim, trägt die Kluft seiner Zunft seit den ersten Schritten hinaus in die Welt. Am 3. Januar 2004 hat er das Dorf und seine 90 Einwohner verlassen. Nur die Schuhe hat er gewechselt. „Das ist das dritte Paar – und die Sohlen sind jetzt auch durchgelaufen”, sagt Martin Trojak.

Jürgen Trojak stellt eine leere Weinflasche ins Gras und schießt eine Rakete in den Himmel, die er seit Silvester aufbewahrt hat. „Martin ist ein Naturfreund. Zelten und Kanu fahren – das war immer schon seine Welt”, sagt der Vater. Dreimal hat er den Sohn in den vergangenen dreieinhalb Jahren getroffen: am 20. Geburtstag in Österreich, Silvester 2005 in Berlin, im vergangenen Sommer in Dänemark.

„In seinem Zimmer ist alles so geblieben”

Von Martin Trojak sind immer nur die Handschrift auf einer Postkarte und seine Stimme am Telefon zurückgekehrt. Ein Rolandsbruder muss sein Zuhause im Umkreis von 60 Kilometern meiden. Er darf weder verheiratet noch verschuldet sein. Mobiltelefone sind undenkbar. „In seinem Zimmer ist alles so geblieben”, sagt Jürgen Trojak und zündet die nächste Rakete.

Links und rechts der Bundesstraße 321, dicht an der Grenze zu Brandenburg, stehen Mais und Getreide. Zwischen den senfgelben Halmen steht auch ein Schild mit der Aufschrift „Martin kommt”. Links und rechts von Martin Trojak gehen der Maurer Dominik Höppner und der Tischler Robert Hofmeister. „Roter Wein im Becher, der beste Rebensaft. Wir sind ein Haufen Zecher und gehn auf Wanderschaft”, singen die drei Gesellen. „Radi, radi, ra dira la la, radi, radi, ra dira di ra la la.”

„Der Junge hat die Welt gesehen”

Martin Trojak war 2003 der beste Lehrling im Kreis. Für sein Gesellenstück, einen Schachtisch, bekam er die Note eins. Aber sein Meister ließ ihn ziehen. Er hätte einen Familienvater entlassen müssen. Beim Landeswettbewerb der Handwerksjugend in Neuruppin begegnete der Zachower dann Wandergesellen – 13 Tage später brach er auf.

Am Ortsschild wartet Josef Trojak. Damals, im Januar vor dreieinhalb Jahren, hat er nicht verstanden, was den Enkel fortzieht. Josef Trojak wurde aus dem Sudetenland vertrieben, ist 71 Jahre alt, trägt weißes Haar auf dem Kopf und hat es als Urlauber in die Türkei geschafft. Sein Enkel aber ist durch 28 Länder gewandert und als Anhalter gefahren. „Der Junge hat die Welt gesehen – von Norwegen bis Kapstadt”, sagt der Zachower und schweigt. Der Satz trägt ein Glänzen in seine Augen.

„In Brasilien war es am schönsten”

Martin Trojak war in Irland und Nordirland, in Frankreich und Österreich. Er hat im sibirischen Irkutsk Eisblöcke gesägt und daraus Figuren geformt für einen Naturpark. Er ist vor Europas Kälte nach Südafrika und Sambia geflohen. Im vergangenen Winter hat er sich Geld in der Schweiz für den Flug nach Brasilien verdient. Von Januar bis März hat er dort gelebt und ist mit einem Raddampfer auf dem Amazonas gefahren. „In Brasilien war es am schönsten”, sagt er. „Die Menschen sind so freundlich.” Zuletzt hat er im Fichtelgebirge gearbeitet.

Jetzt kommt er dem Ortsschild näher. Der Zachower und seine zwei Tippelbrüder singen weiter und beklagen sich bei Petrus über das Wetter. Es regnet.

Martin Trojak hat Robert Hofmeister vor einem Jahr aus Bochum abgeholt. Mit Dominik Höppner ist er zwei Jahre gewandert. Vor einer Woche hat er den Eisenacher heimgebracht. In ein paar Sekunden wird auch seine Reise enden. Es sind nur noch Schritte bis zum Ortsschild. Das Klatschen wird lauter. Die Luftballons am Zaun sind zu sehen. Stimmen werden verständlich. „Hey! Hey! Hey!”, rufen 90 Frauen, Männer und Kinder.

„Eine halbe Stunde Verspätung ist nicht wichtig”

Seit drei Tagen ist Martin Trojak auf dem Heimweg. Von Wismar hat er sich über Bad Kleinen, Plate und Matzlow-Garwitz dem Dorf genähert. Am Abend aber ist er mit seinen Begleitern in die Spornitzer Diskothek geraten. Es soll ihnen dort sehr lange gefallen haben.

Gerade sind sie noch einmal zehn Minuten aufgehalten worden. Acht Tischlermeister haben auf dem Weg zum Klassentreffen Bier aus ihrer Kutsche gereicht. Wer Martin Trojak hinter Parchim traf und ermahnte, pünktlich zu sein, weil die Leute warten würden, den belehrte er. „Die Leute haben dreieinhalb Jahre auf mich warten müssen. Da kommt es auf eine halbe Stunde nicht an.” Es ist auch ohne ihn geschehen, was geschehen musste. Als dreifacher Onkel kehrt er zurück. Neffe Timon ist erst am Freitag geboren. Seine Eltern sind fünfzig geworden. Oma und Opa haben Goldene Hochzeit gefeiert.

In der Menge steht Thiko Jensen, der Martin Trojak am Anfang im Burgenland, Österreichs kleinstem Bundesland, aufgenommen und vier Monate geführt hat. „Als Wandergeselle bist du überall der Fremde. Du musst durch viele Tiefs. Im Winter gibt es oft keine Arbeit für uns”, sagt der Lübecker und zeigt sein Wanderbuch mit den Stempeln der Städte und Gemeinden. Er blättert in seinen Arbeitszeugnissen. „Wenn man sich aber benimmt, hinterlässt man einen guten Schnack für den Nächsten.”

Martin Trojak wirft sein Bündel über das Ortsschild, steigt auf den Stenz, den Dominik Höppner und Robert Hofmeister halten, und zieht sich hinauf. Ein paar Augenblicke sitzt er auf dem Schild, das er bei seinem Aufbruch überquert hat, um hinaus in die Welt zu wandern, lächelt, lauscht dem Jubel und springt.

„Kennst’ mich denn noch, Junge?”

Er umarmt seine Mutter fast eine Minute lang und wischt sich hernach Tränen aus den Augen, ehe er seinem Vater die Hand gibt. „Willkommen zu Hause”, sagt Jürgen Trojak. Uroma Marie, 91 Jahre alt, will ihn nicht mehr loslassen. Thiko, benannt nach dem Tippelbruder Jensen, streichelt seinem Onkel das Haar und guckt auf den Ohrring, den Wandergesellen einst getragen haben, um notfalls ihr Begräbnis zu bezahlen. Der Hut ist Martin Trojak längst vom Kopf gerutscht.

„Kennst’ mich denn noch, Junge?”, fragen die Alten und kriegen ein Nicken als Antwort. Mancher aber, der ihm auf die Schulter schlägt, ist der Erinnerung in dreieinhalb Jahren entwachsen und vom Kind zum Mann geworden. Und auch der Rückkehrer hat sich verändert. Das Haar trägt er länger als im Januar 2004. Wenn er gefragt wird, was er vorhabe, spricht er nicht von der Meisterschule, die er besuchen will. Er sagt: „Ich möchte erst mal ausschlafen.”

„Deine Schnauze ist aber grau geworden”

Die wenigen Meter bis zum Haus geht er mit Dominik Höppner und Robert Hofmeister. Abermals singt er das Lied „Roter Wein im Becher”. Er wird am Abend feiern. Sein bester Freund hat für das Fest ein Wildschwein geschossen. Ehe Martin Trojak den Hof betritt, blickt er nach rechts. Der Teich, in dem seine Sehnsucht manchmal gebadet hat, fängt Regentropfen auf. „Ich bereue nichts. Ich kann so einen Schritt nur jedem Gesellen empfehlen”, sagt er. „Man bekommt Weitblick und ein anderes Weltbild. Wie gut wir es haben – und trotzdem sind wir nie zufrieden.”

Bloß Artus trübt die Freude. Der Schäferhund richtet sich im Zwinger auf und lässt sich streicheln. „Deine Schnauze ist aber grau geworden”, sagt Martin Trojak. „Er kann dich nicht mehr hören”, sagt der Vater. „Artus ist taub. Er hatte einen Hörsturz.”

(c) Schweriner Volkszeitung, 9. Juli 2007

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