Kleiner Schnitt, großer Schritt

Angela Merkel und Harald Ringstorff weihen die Rügenbrücke ein

Vor dem Volk kommen am Sonnabendnachmittag seine Repräsentanten auf die Brücke. Die geladenen Gäste nehmen vorweg, was das Bild des Tages werden wird: Am Tag der Einweihung erlebt die Querung über den Strelasund den ersten Stau. Mancher wird überrascht: Angela Merkel vom Sturm, die Organisatoren vom Ansturm.

Man macht sich Sorgen um Angela Merkel. Diese Sorgen gelten allerdings der Gesundheit und nicht ihrer Zukunft als Kanzlerin. Merkel hat doch, wenn der Eindruck nicht täuscht, längst mehr Bewunderer als Kritiker. Auch auf der Rügenbrücke, die sie mit einweihen soll, wird sie freundlich empfangen. Hände strecken sich ihr entgegen. Die Regierungschefin lächelt, winkt und begrüßt, wen sie im Gedränge zu fassen bekommt. Aber sie hustet.

Es weht so eisig am Sonnabendnachmittag unter dem Pylon in 42 Metern Höhe, dass die Kameramänner Wollmützen tragen. Angela Merkel spüre Gegenwind sofort, sagen Eingeweihte. In Stralsund friert die Kanzlerin, weil sie unpassend angezogen ist – wohlgemerkt: Nicht unmodisch. Der schwarze Mantel kleidet. Der Hals aber liegt frei. Was ihr fehlt, ist ein Schal. Die Kanzlerin unterhält sich mit Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) und hustet. Sie geht ans Mikrofon, hustet noch einmal und sagt dann: „Es ist ein wunderschöner Tag heute.”

Kanzlerin-Bonus: Sonnenschein am Himmel

Ein paar Augenblicke früher glaubte man, es würde doch noch etwas werden mit dem Wetter. Da zeigte sich plötzlich die Sonne, so dass es schien, die Kanzlerin habe nicht nur die Richtlinienkompetenz im Kabinett, sondern auch an oder besser über der Küste. Spitzfindige machten den „Kanzlerbonus” für den Umschwung verantwortlich, verbesserten sich – die Zeiten haben sich geändert – und sprachen von „Kanzlerinbonus”. Die Sonne verkroch sich aber wieder unter Wolken.

Nach dem Lob für die Architektur („Meisterwerk”) nutzt Merkel die Chance, nach Sachsen auszuteilen. Sie garniert die Gemeinheit allerdings mit einem Lächeln, als sie sagt, die Querung über den Strelasund sei in Einklang mit dem Weltkulturerbe entstanden – „das gelingt auch nicht überall”. In Dresden bringt die geplante Waldschlösschenbrücke den Titel der Unesco in Gefahr.

„Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft”

Die CDU-Chefin hat in der Hansestadt und auf Rügen ihren Wahlkreis, was den Verzicht auf einen Schal noch unerklärlicher macht. Ihrer Ortskenntnisse bedient sie sich immerhin in der Ansprache. Die Kirchen und die Altstadt prägten Stralsund, sagt sie. Eines Tages aber, „wenn man einmal an unsere Zeit denkt”, werde „man auf diese Brücke schauen”.

Ähnlich hatte es Harald Ringstorff gesagt. Die Brücke schlage einen „Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft”, werte den Hafen Sassnitz auf und stärke die Wirtschaft. Dann wandelte er das Zitat des ersten Mondbesuchers Neil Armstrong ab. Wenn das Band durchtrennt werde, sei dies „ein kleiner Schnitt für uns”, aber ein „großer Schritt” für Vorpommern.

Angela Merkel verwandelt sich am Ende von der Abgeordneten zur Kanzlerin. Gerade hat sie gesagt, noch sei es unglaublich, nie wieder im Stau zu stehen. Man müsse dies erleben. Jetzt lobt sie, mit der Brücke sei „für ganz Deutschland” etwas „Interessantes, Spannendes” entstanden. Dann hustet sie wieder.

Angela Merkels Frösteln ist allerdings nichts gegen die Sorgen, die Volker Klock eine Stunde zuvor gequält haben, als die neue Rügenbrücke verstopft war. Die 1000 Ehrengäste hatten sich zwischen Pressetribüne und Redepodest breitgemacht. Volker Kock arbeitet für die Deges, die „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau”.

Kock wollte die Besucher 20 Meter zurückdrängen. Als nichts geschah, stellte sich seine Kollegin Manuela Geske vor die Mikrofone. Geschäftsführer Dirk Brandenburger folgte. „Es bewegt sich nichts”, sagte Kock und schüttelte den Kopf. Längst hätte der Stralsunder Pommernchor singen sollen. Gleich würde die Kanzlerin – eine viel beschäftigte Frau bekanntlich – kommen. Und in Richtung Stralsund baute sich ein weiterer Stau auf. Das Volk wartete auf das Ende der Einweihung, um das Einmalige zu erleben: einen Spaziergang über die Brücke, die fortan dem Verkehr gehört. Volker Kock wurde nervös.

Kirchlicher Segen von höchster Stelle

Dann kletterte dreimal ein Polizeibeamter auf die Rednerbühne, doch erst Verstärkung schob die Besucher Zentimeter um Zentimeter. Als Merkel dann kam, durfte der Pommernchor immerhin noch den Titel „Lieder so schön wie der Morgen” singen.

Die ersten Gäste unterm Pylon sind an diesem Nachmittag die letzten Redner. Der Generalvikar des Erzbistums Berlin und der Bischof der pommerschen-evangelischen Kirche haben lange warten müssen. Jetzt dürfen Roland Rother und Hans-Jürgen Abromeit die Rügenbrücke segnen.

(c) Schweriner Volkszeitung, 22. Oktober 2007

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