Kategorie: Kommentare

Eine Erregung: Glückwunsch, Odessa!

ODESSA, UKRAINE Ich staune auch nach 15 Monaten noch, wie in Odessa groß und offiziell wichtig gefeiert wird. Nehmen wir einmal das Fest zum 215. Geburtstag der Stadt – lange kann die Planung nicht gedauert haben. Unmöglich hat sich da irgendjemand in der Verwaltung auch nur länger als zwei Minuten Gedanken gemacht, sonst hätte dieses Fest nicht ausgesehen, wie es ausgesehen hat: als hätten sich die Mitglieder des Organisationskomitees am Vortag kurz vor Feierabend zum ersten Mal versammelt, sich ein paar Ideen zugeworfen und dann ein Programm zusammengeklöppelt:

“Machen wir eine große Bühne mit Livemusik.”
“Am besten an der Treppe.”
“An der Treppe, wow, wäre ich nicht drauf gekommen. Das ist gut. Das wird fantastisch.”
“Wir brauchen unbedingt Blumen. Ein Geburtstag ohne Blumen geht gar nicht.”
“Machen wir doch eine Blumenschau.”
“Ist das nicht langweilig?”
“Hey, die Blumen sehen aus wie Herzen, total romantisch.”
“Oh, tschuldige, ich habe nix gesagt.”
“Leute! Leute! Vergesst mir das Feuerwerk nicht.”
“F-e-u-e-r-w-e-r-k! Chef, Sie sind der Größte!”
“Gut, wir haben’s oder? Dann schönen Feierabend!”

So ein Kitsch-her-Projekt führt dann zu einem Fest, das unheimlich teuer ist, aber billig aussieht, das bunt sein soll, aber nur grell ist, das laut ist, aber unhörbar. Und die Besucher werden erst gar nicht einbezogen. Sie dürfen sich vor Blumen in Herzform fotografieren lassen, ein Konzert beklatschen und sich betrinken.

Um es anders zu sagen: Mich irritiert und besorgt, dass diese Stadt keinerlei Anspruch hat, ihren Bürgern irgendetwas mitzugeben, wenn die Chance mal besteht. Da gibt es keinen Stand, der vor Aids und HIV warnt, obwohl die Ukraine die höchste Infektionsrate Europas hat und Odessa da noch einmal Spitzenreiter ist. Da präsentiert sich kein einziger Verein der Stadt, und es wird gar nicht erst versucht, für so etwas wie ehrenamtliches Engagement zu werben – obwohl nichts dringender gebraucht würde.

Ich will nicht moralisieren. Ich erwarte aber ein bisschen mehr von einer Supermetropole, die so verdammt stolz ist auf sich und gelegentlich herabschaut auf den Rest des Landes und der Welt, in der überall sinnfreie Angeber-Plakate hängen – von “Ich liebe dich, mein Odessa” bis “Das ist unsere Stadt” -, die gleichzeitig erstickt an ihren Problemen, in der Obdachlose stundenlang leblos auf dem Bürgersteig liegen und sogar Polizisten an ihnen vorbeilaufen.

Vor allem aber verstehe ich nicht, dass Leute diesen Unsinn, diesen Spuk, diese Volksverarschung mitmachen, ohne laut zu schreien, den Kopf gegen die Wand zu schlagen oder wenigstens das Rathaus zu stürmen.

(Wenn meine Kamera repariert ist, werden die Fotos vielleicht wieder besser.)

Laaser faire-Politik gescheitert

Am Ende des Tages steht eine gute Nachricht: Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und der Verband Deutscher Sportjournalisten haben sich endlich geäußert. In einer gemeinsamen Erklärung am Nachmittag appellieren sie an den Deutschen Fußballbund (DFB), “die Auseinandersetzung mit dem Sportjournalisten Jens Weinreich beizulegen”:

Es gehe nicht an, dass der Sportjournalist Weinreich öffentlich so angeprangert werde, betonten DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken und der Präsident des Verbands Deutscher Sportjournalisten, Erich Laaser. Es sei an der Zeit, die Schärfe aus der Auseinandersetzung zu nehmen.

Weinreich hatte im Juli DFB-Präsident Theo Zwanziger als “unglaublichen Demagogen” bezeichnet und damit offenbar sehr empfindlich getroffen. Zwanziger schlug das Wort in einem Duden nach, den wahrscheinlich nur er besitzt, stieß auf die Definition “Volksverhetzer”, dachte an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, war beleidigt, beantragte gegen Weinreich eine einstweilige Verfügung und scheiterte vor zwei Gerichten. Am vergangenen Freitag dann verbat sich der DFB per Pressemitteilung auf seiner Homepage eine Diffarmierung des Präsidenten, verkündete wahrheitswidrig, Weinreich habe sich entschuldigt, und verschwieg die zwei Niederlagen vor Gericht. Man kann das durchaus als Vorlage für eine deftige Antwort der Journalistenverbände begreifen.

Ich wäre wirklich sehr gern stolz auf den DJV, dessen Mitglied ich bin. Es gelingt mir leider nicht, und das hat mindestens zwei Gründe. Zum einen hatte der DJV den Angriff auf Weinreich bis zum Nachmittag als Privatfehde betrachtet. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb:

Wieder ein Tag, an dem ich froh bin, nicht Mitglied im Deutschen Journalisten-Verband (DJV) zu sein, weil es mir die Zeit spart, aus ihm auszutreten.

Es kann natürlich Zufall sein, dass sich der DJV erst nach diesem Satz aufgemacht hat. Mich stört vor allem, dass die vermeintliche Solidaritätserklärung lächerlich ist. Mit keinem Wort verurteien die beiden Verbände den DFB. Sie verlangen nicht, dass die Altherrenriege aus Frankfurt ihre furchtbare und allenfalls viertelwahre Erklärung gegen Weinreich von der Homepage tilgt. Genauso wenig werden die vom DFB angeschriebenen 100 Persönlichkeiten gewarnt.

Und ich empfinde es auch als unangenehm, dass der DJV fast fünf Tage braucht, um zu reagieren – und dann nicht mehr herausspringt. Ein bisschen schneller und sehr viel schärfer hat übrigens der Europäische Journalistenverband (EJF) reagiert.

“This is a shocking example of intimidation of a journalist who is raising matters of public concern,” said Aidan White, IFJ General Secretary.

Solch ein Signal für die Pressefreiheit hätte ich von Michael Konken erwartet – vor allem weil er sonst jeder braven Dorfzeitung beispringt, die verkauft werden soll. Da ist immer gleich die Freiheit der Berichterstattung in Gefahr.

Von Erich Laaser darf man leider nichts erwarten. Laaser fällt schon seit Jahren unangenehm auf, weil er jede journalistische Distanz zu den Objekten seiner Berichterstattung, den Sportlern also, vermissen lässt. Er spielt eigentlich seit einer Ewigkeit nur noch Fehlpässe und muss in seiner Lehrzeit ganze Blöcke geschwänzt haben, anders kann ich mir gewisse Aussagen nicht erklären. Vor der WM 2006 in Deutschland forderte er von den Journalisten “Respekt” vor den Organisatoren, um “störungsfreie Spiele” zu erreichen. Laaser ist einer der Marktschreier und Pressesprecher, gegen die sich das Sportnetzwerk gegründet hat. Raten Sie mal, wer Mitbegründer dieses Zusammenschlusses von kritischen Journalisten ist.

Man kann darüber streiten, ob Weinreich überzogen hat mit seiner Kritik an Zwanziger. Dass der DFB daraus aber eine “Diffarmierung” gemacht hat und noch immer macht, denn der Text ist weiter online, sagt viel darüber aus, wie in Frankfurt Meinungsfreiheit definiert wird – nämlich ungefähr so: Wir freuen uns über jeden Jubelbericht! Vermeiden Sie jede Form von Majestätsbeleidigung! Dazu passt auch, dass der König des weltgrößten Sportverbandes Weinreich ein Angebot gemacht hatte: Packe der Journalist den “unglaublichen Demagogen” wieder ein, bekomme er ein Interview, versprach Zwanziger. Das riecht schon sehr nach Gutsherrenart, Schülerhilfe oder Audienz bei Seiner Exzellenz.

Alt und ziemlich erbärmlich sehen übrigens auch die Medienprofis des DFB aus, Generalsekretär Wolfgang Niersbach und Mediendirekter Harald Stenger. Sie sind für das Schreiben gegen Weinreich auf der DFB-Homepage verantwortlich. Die beiden Vertreter der Fax-Generation, zwei einstige Journalisten, lernen augenblicklich, was das Internet ist: keine Plattform für plumpe Parolen. Niersbach und Stenger sind übrigens nach wie vor Mitglieder von Laasers Sportjournalistenverband. Noch Fragen?

[Ich glaube nicht, dass irgendjemand meine Überschrift kapiert. Ich wette einen Zwanziger.]

Matroschka beweint die Scheidung

ODESSA, UKRAINE Man muss vielleicht ein Gedankenspiel wagen, um die Dramatik zu erfassen, die in der Ukraine herrscht. Man stelle sich vor, in Deutschland würde zunächst die Koalition zusammenbrechen, woraufhin aus Wut Bundestagspräsident Norbert Lammert zurückträte. Und schließlich befürwortete der bayerische Landtag aus Liebe zu Österreich und gegen den Willen Berlins noch die Unabhängigkeit Südtirols. Man stelle sich zusätzlich vor, dies alles geschehe auf einmal – binnen zwei Wochen.

Auch wenn der konstruierte Vergleich offenkundig wackelig ist – so ungefähr sieht es zwischen Kiew und Odessa aus. Die prowestliche Regierungskoalition ist Geschichte. Die Präsidentenpartei Unsere Ukraine und der Block der Premierministerin Julia Timoschenko haben das Bündnis in dieser Woche nach gegenseitigen Schuldzuweisungen endgültig begraben. Der Rücktritt des Parlamentspräsidenten Arseni Jazenjuk am Mittwoch war da nur noch eine Fußnote. “Man muss würdevoll an die Macht kommen und sie auch mit Würde verlassen”, sagte Jazenjuk, ein Parteifreund des Staatschefs Wiktor Juschtschenko. Es war eine Flucht vor der möglichen neuen Mehrheit im Parlament.

Zwei Alphatiere im Schlamm

Woran ist die Koalition zerbrochen? Endgültig und auch offiziell gescheitert ist sie wegen des Kaukasuskonflikts. Doch zwischen Timoschenko und Juschtschenko kriselt es seit Jahren. Die beiden Helden der Orangenen Revolution von 2004 haben sich einen Machtkampf, gespickt mit persönlichen Verleumdungen, geliefert. Zwei politische Alphatiere sudelten sich nach Herzenslust im Schlamm und freuten sich, wenn der Kontrahent ein bisschen schmutziger herausstieg. Das Traumpaar, das so große Hoffnungen geweckt hatte, wird es künftig nur noch auf den Matroschkas geben, die die Touristen so gerne kaufen.

Beide trennen aber auch politische Überzeugungen. Juschtschenko will die Ukraine um jeden Preis in den Westen führen, strebt eine präsidentielle Demokratie an und stellt sich als oberster Bekämpfer der Korruption dar. Timoschenko agiert taktischer und kuschelt auch mal mit Russland, um im Osten und Süden der Ukraine zu punkten, wo die Moskautreuen zu Hause sind. Böswillige behaupten, sie positioniere sich schon jetzt für die Präsidentschaftswahl, die Ende des nächsten Jahres oder Anfang 2010 stattfinden wird. Sie hat gute Chancen, den unbeliebten Juschtschenko abzulösen, der für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich gemacht wird.

Der Kaukasuskrieg und die Frage, ob Russlands Einmarsch verurteilt werden müsse, haben diesen Konflikt eskalieren lassen. Während sich Juschtschenko schnell auf die Seite Georgiens stellte, schwieg Timoschenko tagelang und wurde prompt verdächtig, sie lasse sich von Moskau dafür bezahlen. Dass Freunde und Helfer des Präsidenten dieses Gerücht streuten, ist wahrscheinlich.

Ein neues Bündnis mit dem alten Feind

In dieser Woche sagte Timoschenko, Juschtschenko habe mit seiner antirussischen Politik das Land in die Krise geführt. Er sei auch verantwortlich “für alles Schlechte”, das in den Beziehungen zwischen beiden Staaten künftig geschehe. Die Regierungschefin verlangt mehr Ausgewogenenheit im Umgang mit Russland, ohne freilich genau zu erklären, was sie damit meint.

Timoschenko verhandelt jetzt mit der Opposition. Ausgerechnet die prorussische Partei der Regionen um den früheren Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch soll ihr beim Regieren helfen. Janukowitsch war das Feindbild von Timoschenko und Juschtschenko während der Orangenen Revolution. Sollte dieses Bündnis doch nicht zustande kommen, dürfte es im Dezember Neuwahlen geben.

Mit ihrer schwersten innenpolitischen Krise seit langem zahlt die Ukraine den Preis für ein ungelöstes Problem. Die Frage, ob das Land nach Westen gehört und nach Russland, spaltet Wähler wie Politiker. Bislang fehlt ein Rezept, um den Riss zu kitten, zumal die Europäische Union und die Nato die ukrainischen Annäherungsversuche auch nur halbherzig erwidern. Vor allem Frankreich und Deutschland scheuen das Risiko. Eine Aufnahme der Ukraine in Europas Mitte und ins westliche Verteidigungsbündnis dürfte das Verhältnis zu Russland erheblich belasten und Putwedjews Rache heraufbeschwören.

Auf ihrem Gipfel in Paris hat die EU der Ukraine jüngst nur eine engere Partnerschaft versprochen – ohne Beitrittsperspektive. Dass der französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy davon sprach, man habe das maximale Ergebnis erzielt, dürfte die prorussischen Kräfte im Land jubeln lassen. Andererseits kann man von der EU auch nicht verlangen, die Ukraine aus Mitleid aufzunehmen und alle Kriterien zu vergessen, die für andere Bewerber gelten.

Freie Bahn für die Separatisten

In dieser Woche nun haben 79 von 90 Parlamentariern der ukrainischen Autonomen Republik Krim in einer Resolution die Kollegen in Kiew aufgefordert, die beiden georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen. Zuletzt hatten selbst europäische Diplomaten gewarnt, die Halbinsel könnte das nächste Ziel der russischen Expansionspolitik sein. 60 Prozent der Bewohner der Krim bezeichnen sich als russischstämmig. Eine Mehrheit wünscht sich die Staatsbürgerschaft des großen Nachbarn. Angeblich lässt Moskau bereits russische Pässe verteilen, was die Botschaft in Kiew laut einem Bericht der Deutschen Welle dementiert.

Es ist gewiss kein Zufall, dass die Separatisten, die von einer Rückkehr nach Russland träumen, die Resolution gerade jetzt verabschiedet haben. Ihre Gegner sind angeschlagen und bekämpfen sich lieber selbst.

Nachtrag: Der ukrainische Außenminister Wolodymyr Ohrysko wirft Russland im Interview mit dem Focus vor, die Krim destabilisieren zu wollen. Er bezieht sich dabei auch auf die Verteilung von Pässen.

Krieg im Sandkasten

ODESSA/KIEW, UKRAINE Wie geht es weiter nach dem Ende der Regierungskoalition in Kiew? Erlebt die Ukraine eine tiefe innenpolitische Krise, die Russland wie gerufen käme? Zuerst einmal: Man darf gewiss den Kopf schütteln über die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Tage. Dass die Feindschaft zwischen Präsident Wiktor Juschtschenko und Ministerpräsident Julia Timoschenko gerade jetzt eskaliert, da die imperialen Gelüste Russlands neu erwacht sind, sagt einiges aus über den Zustand der politischen Kultur im Land.

Beide Politiker tragen einen Machtkampf aus, seit Timoschenko im Dezember 2007 die Regierung übernommen hat. Immer wieder hatten Juschtschenko und sein Stab kleine Gemeinheiten in Form von Erlässen an die Ministerpräsidentin geschickt. Dabei überschritten sie mehr als einmal ihre Zuständigkeiten. Nun hat sich Timoschenko revanchiert und mit der oppostionellen Partei der Regionen von Ex-Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch den Staatschef umgegrätscht. Die gegen die Präsidentenpartei verabschiedeten Gesetzesänderungen, Auslöser des Koalitionskrachs, schwächen Juschtschenko erheblich. Er könnte nun leichter des Amtes enthoben werden.

Beide Politiker, Juschtschenko und Timoschenko, benehmen sich wie Kinder im Sandkasten. Der eine klaut die Schaufel, der andere wirft mit Sand. Es wäre zum Lachen, stünde das Land nicht augenblicklich vor gewaltigen Problemen. Die Inflation liegt bei 30 Prozent. Die Wirtschaft wächst nur noch schwach. Und Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew, ferngesteuert von Vorgänger Wladimir Putin, bricht alle mühsam aufgebauten Beziehungen zu Europa ab. Angeblich träumt der große Nachbar auch von einer Rückholaktion der Krim, die Staatschef Nikita Chrustschow 1954 der Sowjetrepublik Ukraine geschenkt hatte.

Dass sich die beiden Sandkastenfeinde jetzt nicht mehr nur ein bisschen ärgern, sondern offen den Krieg erklären, ist fahrlässig und wird der Politikverdrossenheit neue Nahrung geben, was eigentlich überflüssig wäre. Von seinen Repräsentanten hat der Ukrainer schon jetzt keine hohe Meinung. Politiker gelten als korrupt und egoistisch. Juschtschenko und Timoschenko unternehmen alles, dieses Urteil zu bestätigen. Im echten Sandkasten würden jetzt zwei Mütter die Streithähne hineinrufen und bestrafen: mit Stubenarrest und Fernsehverbot. In der Politik müssten dies die Wähler tun.

Dieser Kommentar erschien auch am 6. September in der Schweriner Volkszeitung.

Lesen Sie weiter:

Nico Lange, Chef des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, glaubt an ein Überleben der Koalition. Unsere Ukraine, die Partei des Präsidenten, und der Block Timoschekos würden die Zehn-Tage-Frist nutzen, um zu verhandeln.

An Neuwahlen hat derzeit keine der großen Parteien Interesse, da die Zustimmung sowohl zu Nascha Ukraina als auch zum Block Julija Tymoschenko und zur Partei der Regionen im Verlauf der letzten Monate deutlich gesunken ist.

Lange ist überzeugt, dass ein Zusammengehen des Blocks mit der oppositionellen Partei der Region keine Alternative sei. Timoschenkos Wähler würden eine Liaison mit den prorussischen Kräften nicht verzeihen. Der Experte prognostiziert, dass das organgene Regierungsbündnis nach ein paar Raufereien und Zugeständnissen fortgesetzt werde. Den zweiten Ausweg aus der Krise, eine geschäftsführende Regierung ohne Koalition und mit wechselnden Mehrheiten, hält Lange für verheerend.

Für die nötigen innenpolitischen Reformen und die Außenpolitik der Ukraine wäre das allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der schwach entwickelten parlamentarischen und politischen Kultur, eine vollkommen unverantwortliche Perspektive.

Die komplette Analyse von Nico Lange finden Sie hier.

Der neue Kalte Krieg

Angela Merkel hat in dieser Woche Russland ungewöhnlich scharf attackiert, wobei sich das offiziell überlieferte Zitat harmlos liest. Im Telefongespräch mit Präsident Dimitrij Medwedjew nannte sie es „sehr bedauerlich”, dass Russland die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien ohne Rücksprache mit der OSZE und dem UN-Sicherheitsrat anerkannt habe. Später im Kabinett und beim Treffen mit den Ministern von CDU und CSU soll sie Medwedjews halbherzige Entschuldigung so kommentiert haben: Sie möge Russland, wisse aber auch, dass dort gern mit Tricks gearbeitet werde. Wenn Merkel in zwei Runden, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt sind, Moskau einen Hang zum Falschspielen nachsagt, darf man ihr, der brillanten Analytikerin, durchaus Kalkül unterstellen.

Der Wind hat sich gedreht. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnte Moskau vor dem Griff nach der Krim und drohte mit Sanktionen der EU. Kouchner ist nicht nur oberster Diplomat der Franzosen, sondern derzeit auch EU-Ratspräsident. Wenn er die Ukraine und Moldawien als mögliche nächste Opfer ins Spiel bringt, weiß man, wie ernst die Lage ist. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow diagnostizierte übrigens bei Kouchner „krankhafte Vorstellungen”. Willkommen im Kalten Krieg, Teil zwei!

Es ist an der Zeit, dass die Europäer ihr Verhältnis zu Russland korrigieren und die Schmeicheleien begraben, die angebracht waren, als Boris Jelzin im Kreml saß. In Erinnerung ist die zaghafte Kritik, als Medwedjew in einem pseudodemokratischen Schauspiel, begleitet von gelenkten Massenmedien, zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dass die Wahl eher eine Amtsübergabe ohne Machtwechsel war, weil Wladimir Putin weiter nach Belieben herrscht, wagte kaum ein Politiker öffentlich anzusprechen.

Jetzt rächt sich, dass die EU und die Nato die unabhängigen Staaten im Osten lange auf Abstand gehalten haben, um ihren Energielieferanten Russland nicht zu verärgern. Auch Deutschland sah die Ukraine und Georgien, wenn auch im Schneckentempo, schon auf dem Weg in den Westen und glaubte, es genüge, beiden irgendwann eine Mitgliedschaft anzubieten. Diese Hinhaltetaktik ist verheerend gewesen, sie war ein Geschenk an Moskau, das sich – auch mit Hinweis auf die Auslandsrussen – im gesamten Osten als Ordnungsmacht und Beschützer sieht. Es wird diesen Anspruch auch nicht aufgeben.

Erst jetzt sorgen sich die Europäer um die Ukraine. Nur Russland kann deren Unabhängigkeit antasten. „Verlieren wir die Ukraine, so verlieren wir unseren Kopf”, soll schon Lenin gesagt haben. Mit ihr würde Russland weiter an Macht gewinnen. Die Ukraine erwirtschaftete ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Sowjetunion, obwohl sie nur 3,5 Prozent des Gesamtterritoriums ausmachte. Aggressiver als Vorgänger Jelzin verlangt Putin von der Ukraine für das russische Gas Wohlverhalten.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko lässt sich fürs Erste nicht einschüchtern. Er verurteilte die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Auch Regierungschefin Julia Timoschenko hat dies getan – nach einem verdächtig langen Schweigen allerdings, das sogleich für Gerüchte gesorgt hatte, sie wolle sich Moskaus Unterstützung im kommenden Präsidentschaftswahlkampf sichern und überdies die pro-russischen Wähler im Land nicht verärgern. Diese Liaison besagt freilich wenig; zwischen Juschtschenko und Timoschenko gedeiht sonst nur die gegenseitige Abneigung – die aber richtig.

Dass beide Politiker nur begrenzt für ihr Volk sprechen, zeigt eine Umfrage. Wie das Rasumkow-Zentrum in Kiew ermittelt hat, sehen 44 Prozent der Befragten Russland als Aggressor im Kaukasuskonflikt. Kaum weniger, 41 Prozent, urteilen, der große Bruder habe in Georgien Frieden stiften wollen. Unter diesem Vorwand könnte Moskau auch die ukrainische Krim besetzen. Auf der Insel leben mehrheitlich Russen. Und dort liegt auch die russische Schwarzmeerflotte.

Wenn die Ost-West-Krise etwas Gutes hat, dann dies: Sie beweist, dass Europas Duckmäuser gescheitert sind. Russland lässt sich eben nicht mit einer Kuschelpolitik besänftigen. Es sieht sich längst wieder auf einer Stufe mit den USA. Nach dem Ende aller Illusionen ist es an der Zeit, Stärke zu demonstrieren – auch wenn Putin (oder sein Gehilfe Medwedjew) zur Strafe das Gas abdreht und für einen kalten Winter in Europa sorgt. Nur Geschlossenheit wird Putin beeindrucken. Sein Riesenreich ist nämlich wirtschaftlich keineswegs so gesund, wie er tut, es braucht Handelspartner, die Geld bringen.

Russland will Europa beherrschen, der Krieg gegen Georgien war da nur ein Test, der zeigen sollte, was sich der Westen vom neuen Aggressor bieten lässt. Merkel hat das indirekt formuliert mit dem Hinweis auf die Falschspieler in Moskau. Putin will die EU zerschlagen. Auch das darf man unterstellen.

Europa wird sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn es sich von Russland unabhängig macht. Es würde die Abkehr vom Öl verlangen und den Abschied von schnellen Autos. Um das durchzusetzen, ist der Konflikt freilich noch zu harmlos. So lange Europa Öl braucht, bleibt Russland eine Macht. Wer die Energie für den europäischen Wohlstand liefert, kann jederzeit vom Freund zum Erpresser werden.