Kategorie: Nachrichten

Vermisstes Mädchen (47) zu Hause

ODESSA, UKRAINE Julia Timoschenko ist wieder da! Sie war nicht auf Sardinien. Sie hat sich dort also auch nicht in einem Hinterzimmer mit dem ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma getroffen, um ein von Russland finanziertes Bündnis gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu schmieden, wie manche vermuteten.
(Herrn Kutschma habe ich ja schon mal etwas näher vorgestellt, da halte ich mich jetzt zurück.)

Und nun folgt eine schöne Schlusspointe für eine schöne Geschichte: Die Regierungschefin war auf Kur, und zwar – es kommt noch besser – im “deutschsprachigen Raum”! Ich hatte doch gleich so einen Verdacht; man muss nur noch einmal meinen ersten Satz in der vorigen Nachricht lesen.

Und, war ich auf der richtigen Spur? Tja, einem alten Journalistenfuchs macht man so leicht nichts vor, die schöne Julia sah in der letzten Zeit wirklich arg angespannt und überarbeitet aus.

Schöne Regierungschefin vermisst

ODESSA, UKRAINE Hat jemand zufällig Julia Timoschenko gesehen? Die Vermisste ist Mitte 40, trägt das blonde Haar zu einem Kranz geflochten und wurde zuletzt in Kiew gesehen. Vermutlich hält sie sich derzeit in Südeuropa auf.

Entschuldigung, ich frage bloß, es ist schließlich nicht ganz unerheblich, wenn die Regierungschefin der Ukraine unauffindbar ist, man denkt in diesem Land ja immer gleich an das Schlimmste. Hier müssen Leute nicht mal Zigaretten holen, um zu verschwinden. Jedenfalls weiß niemand so recht, wo sich Timoschenko augenblicklich aufhält. Auch Parteifreunde rätseln, wo “Lady Ju” steckt, und fragen, warum sie zum Konflikt zwischen Russland und Georgien schweigt.

Viktor Iwaschkewitsch hat wohl als Erster bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Er hatte Timoschenko weder im Fernsehen noch in der Zeitung gesehen, also fragte der Kiewer die Zeitung Segodnya: “Wohin ist sie verloren gegangen?” Und die Journalisten verkündeten, sie hätten “sich entschieden, aufzuklären, wohin die Ministerpräsidentin verschwunden ist”.

Um es kurz zu machen: Wahrscheinlich ist sie im Urlaub. Ihre Pressesekretärin Marina Soroka sagt, die Politikerin erhole sich auf einer Insel im Mittelmeer, man müsse aber verstehen, dass der Ort nicht mitgeteilt werden könne. Segodnya hat allerdings Timoschenkos Tante Antonina Uljachina angerufen und erfahren: Die liebe Nichte sei im Grunde genommen gar nicht im Urlaub und erhole sich auch überhaupt nicht. “Sie arbeitet und regelt wichtige Angelegenheiten für das Land.”

Eine Erklärung für Timoschenkos Schweigen zum Krieg in Georgien kommt übrigens gerade sehr warm aus der Gerüchteküche: Angeblich wird sie von Russland 2009 im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt. Das behauptet der Sprecher von Staatschef Wiktor Juschtschenko:

Presidential spokesman Andriy Kyslynsky said Ms Tymoshenko had been co-operating with Russia by avoiding any criticism of its actions in Georgia. He said she was counting on Moscow’s support in next year’s Ukrainian presidential election. Ms Tymoshenko, currently on holiday, has not yet commented on the claim. Mehr…

Ausgerechnet Julia Timoschenko, die Heldin der Orangenen Revolution von 2004, die Mutige, die gegen Russland für eine demokratische Ukraine gekämpft hat, lässt sich vom großen Nachbarn bezahlen? Die Zeitung Segodnya nennt sogar eine Summe: eine Milliarde Dollar. Und Julia Timoschenko schweigt. Sie ist ja im Urlaub.

Apropos Präsident

KRIM/ODESSA, UKRAINE Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch. Hoch! Hoch! Hoch! Mein Ständchen kommt ein bisschen spät, weil ich erst heute Morgen zur Lektüre der Montagsausgabe der Zeitung Segodnya gekommen bin. Aber ich will doch nicht versäumen, dem ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschma herzlich zum 70. Geburtstag zu gratulieren.

Kutschma, Staatschef von 1994 bis 2005, feierte am Sonnabend auf der Krim. Von einem rauschenden Fest zu sprechen, würde der Feier nicht gerecht werden. Es wäre ungefähr so, als würde man den Mann einen Freund der Presse oder einen unbestechlichen Politiker nennen. Man könnte seine Vergangenheit in diesen beiden Punkten so zusammenfassen: Für sich hat er gesorgt, den Journalisten Heorhih Gongadse hat er entsorgt. Es gibt jedenfalls gewisse Vorwürfe, die Kutschma freilich immer zurückgewiesen hat.

Die Party kostete nach Angaben von Segodnya vier Millionen Dollar. Noch Fragen? Gäste waren natürlich die unvermeidlichen Klitschko-Brüder. Aber wo sind die Boxriesen eigentlich nicht? Ich kann mich an keinen Kampf erinnern. Haben die überhaupt jemals geboxt, oder sind sie einfach so ins Fernsehen geraten? Sie haben Kutschma ein 40 Kilogramm schweres Buch mit Aufnahmen Muhammed Alis geschenkt, von dem es nur 100 Exemplare gibt. Der 70. Geburtstags Kutschmas war das Medienereignis des Sommers. Schon Wochen vorher hatten Zeitungen ganzseitig über den Stand der Vorbereitungen berichtet.

Ich war übrigens nicht eingeladen, ich hoffe jetzt auf den 75. Geburtstag des Ex-Präsidenten. Dann werde ich live bloggen, das ist ja gerade schwer in Mode. Der Kollege Jens Weinreich hat das mit der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele fabelhaft vorgemacht.

Nehmen Sie sich also für den Abend des 9. August 2013 schon mal nichts vor. Ich melde mich dann live von der Krim.

Nachtrag, 13. August: Falls jemand den verlinkten Beitrag der Segodnya schon zweimal übersetzt hat und noch immer das Wort “Skandal” sucht oder die Frage, wie Herr Kutschma solch ein Fest für vier Millionen Euro bezahlen könne, empfehle ich, die Suche einzustellen.

Erster Außendreh (mit Sozialisten)

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=2TBZwG_8-lg[/youtube]ODESSA, UKRAINE So sieht es also aus, wenn die fortschrittlichen Sozialisten der Ukraine in Odessas Zentrum gegen die Nato demonstrieren. Man beachte den Clown in der ersten Reihe. Der Sinn seines Mitwirkens ist noch ein Rätsel, und nur deshalb bleibt diesem Text eine nahe liegende Gemeinheit wie „Zirkusnummer” erspart. Ein weiteres Foto verrät, wie es Parteimitgliedern und Sympathisanten gelungen ist, die viel befahrene Uliza Preobrazhenskaya unverletzt zu überwinden. Um die Deribasowskaya, Odessas sehr breite Flaniermeile, zu erreichen, wählten sie nicht den Zebrastreifen, sondern den Fußgängertunnel, so dass für Sekunden die Rufe gegen die Nato und den ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko verstummten.

„Ich schwöre, dass wir unser Leben ändern werden!”, hatte Juschtschenko bei seinem Amtsantritt am 23. Januar 2005 gesagt. Er gilt als Freund des Westens und der Nato. Das macht ihn zum Feind der fortschrittlichen Sozialisten, die von einem Großreich mit Russland und Weißrussland träumen.

Nun ist es aber, erstens, nicht so, dass die Nato das größte Flächenland Europas immerfort und geschlossen zum Mitmachen drängt. Erst jüngst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf Stippvisite in Kiew, eine Aufnahme der Ukraine in das Qualifizierungsprogramm für unbestimmte Zeit abgelehnt. Sie wünscht sich allenfalls eine langsame Annäherung an die Europäische Union.

Zweitens müsste die einstige Sowjetrepublik, seit 1991 unabhängig, augenblicklich andere Sorgen haben. In Korruptionsstatistiken belegt sie regelmäßig Spitzenplätze. Das schreckt ausländische Investoren genauso ab wie die Inflation, die bei 30 Prozent liegt. Zeitungen berichten täglich von Preisexplosionen. Für Angst sorgt vor allem die anstehende Verteuerung des Sprits auf sieben Griwen. Aktuell kostet der Liter 6,50 Griwen, umgerechnet 90 Cent.

In Umfragen spricht sich regelmäßig die Hälfte der Befragten gegen eine Nato-Mitgliedschaft aus. Ein unverkennbarer Riss teilt bei diesem Thema das Land: Die Bürger im Westen sehen die Zukunft in Europa, Leute im Osten und in der Schwarzmeerregion sympathisieren mit dem autoritären Russland und dessen Energiereichtum. Ein Sprichwort greift die Abhängigkeit vom russischen Gas auf: „Wohin steuert die Ukraine? Im Sommer nach Westen – und im Winter nach Osten.”

Es ist mein erster Außendreh gewesen, ich kann das besser. Michael Ballhaus bin ich aber auch nicht.