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Kein Krimi

(Axel) Irgend jemand, ich glaube, es war meine Oma, hat mich Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts einmal gefragt – ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt: “Willst Du später einmal studieren?”
Ich habe das damals kategorisch verneint und Nachfragen mit der für mich unumstößlichen Feststellung begründet: “Weil Studenten ständig demonstrieren müssen”. Für mich war in jener Zeit das Bild des Studenten untrennbar mit jungen, langhaarigen Menschen verbunden, die Parolen skandierend durch die Straßen großer Städte zogen und mit Wasserwerfern oder schlagstockschwingenden Polizisten bekämpft werden mussten, täglich zu sehen in der guten alten Tagesschau – schwarz-weiß natürlich. Die Seite der Ordnungshüter war mir damals wesentlich näher und nachvollziehbarer, als diejenige der jungen Menschen, die ihren Unmut, ihren Protest und ihren Hass hinaustrugen auf die Straße, in die Hörsäle und in die Presse.
Dieses Bild hat sich schon wenige Jahre später grundsätzlich gewandelt. Easy Rider, Apocalypse Now, der legendäre Woodstock-Film – ja auch der unsägliche von Trotta Film Die bleierne Zeit und nicht zu vergessen viele Berichte, vor allem aus dem Spiegel, haben mein ordnungspolitisches Weltbild gründlich verändert, weg von der Uniform, hin zur ungewaschenen Jeans.

Am Wochenende waren die Liebste und ich, zusammen mit unserer siebzehnjährigen Nichte und deren Freund im Kino: Der Baader Meinhof Komplex – auf ausdrücklichen Wunsch der Nichte.
Jüngere Zeitgeschichte, vom Nationalsozialsmus einmal abgesehen, würde in der Schule nicht sehr intensiv behandelt, allenfalls am Rande erwähnt, so die Nichte. Vor allem die RAF würde sie interessieren, wie sie entstanden ist, welche Ziele sie hatte, wie sie organisiert war und überhaupt …

Ich bin mir nicht sicher, ob der Film alleine die Fragen der Nichte und ihrem Freund beantwortet hat – wohl eher nicht. Erst auf der Fahrt vom Kino nach Hause und dann bei einem Absacker im heimischen Wohnzimmer haben wir mit etwas Nachhilfeunterricht nach bestem Wissen versucht, die Geschichte der RAF und deren Folgen abzurunden. Wir sprachen über die Kolumnen der Ulrike Meinhof, über die Jubelperser, über Stefan Aust, die Springer-Presse, und über die zweite und die dritte Generation der RAF, deren Wirken auch wir in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren hautnah miterlebt hatten.

Grundsätzlich könnte man den Film abtun, als einen gut gemachten Actionfilm, der seinen Stoff aus geschichtlichen Ereignissen bezieht. Das gab es schon sehr oft und wurde in den wenigsten Fällen moniert. Dass es in diesem Fall anders ist, und die Presse den Film hauptsächlich negativ, bestenfalls neutral beurteilt, hängt wohl mit dem Stoff an sich zusammen, dessen Auswirkungen zum Teil tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis der Deutschen hinterlassen haben.
Ausschließlich Geschichtsunterricht jedenfalls, hatte der Baader Meinhof Komplex nicht zu bieten. Das hatten wir ehrlich gesagt auch nicht erwartet und schon gar nicht erhofft. Stattdessen gab es Aussagen wie Ficken und Schießen sind ein Ding. Baader soll das gesagt haben, zu den Ausbildern im palästinensischen Terrorcamp, weil die sich über die nackt sonnenden Terroristinnen mokiert haben. Baader bleibt damit, wie das in Aufarbeitungen der RAF-Thematik schon häufig der Fall war, eine äußerst zwielichtige Gestalt, bei dem man sich (wieder einmal) die Frage stellen darf, ob es ihm wirklich um die Sache ging oder er stattdessen nur an seiner chauvinistischen Selbstverwirklichung interessiert war. Porsche fahrend, mit der Knarre in der Hand und die ihn umgebenden Flintenweiber ständig “Fotzen” nennen, das war Baader und das hat offensichtlich ausgereicht, eine der kaltblütigsten Terroreinheiten Europas anzuführen.

Zugegeben, der Film ist laut und aggressiv, ständig kracht es, es wird gebombt und es wird geschossen, aber dann konnte man plötzlich in den wenigen ruhigen Szenen die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden fallen hören, so still war es im Kino. Aus einer dieser Szenen ergab sich schließlich auch einer der erhellendsten Momente des Films. Was bedeutet es denn, wenn Brigitte Mohnhaupt von ihrer Truppe verlangt: “Wir müssen es auf die harte Tour machen”?
Es bedeutet, das Magazin eines Maschinengewehrs auf einen Menschen leerzuschießen, der nichts weiter tut, als einen Dienstwagen zu fahren und der zu Hause eine Frau und vielleicht ein paar Kinder hat. Und wenn eine putzige, namenlose, blonde, kleine Terroristin bei der Lagebesprechung dieser Tat das Angebot der Mohnhaupt annimmt, auszusteigen, wird sie sich doch ihr Leben lang den Vorwurf gefallen lassen müssen, diese Aktion mit insgesamt vier Toten nicht verhindert zu haben.
Viele von uns hätten damals die putzige, namenlose, blonde, kleine Terroristin sein können. Gerne haben wir uns verrannt und schnell waren wir dabei, einem zu glauben, der uns unsere bourgeoise Lebensweise um die Ohren gehauen hat.
“Kein Krimi?” hat mich die Nichte ungläubig nach dem Film gefragt.
“Nein, kein Krimi. Alles so passiert”, habe ich geantwortet.
Unmerklich hat sie den Kopf geschüttelt und ich meine, sie war etwas blass um die Nase.

Ein paar lesenswerte Rezensionen aus Großbloggersdorf zu dem Film Der Baader Meinhof Komplex gibt es bei
Coffe and TV
Spreeblick
Boschblog
Anke Gröner