Die Pleite der Super-Oligarchen
ODESSA, UKRAINE Ist es eigentlich strafbar, einen Ukrainer ärmer zu machen, als er ist? Nein? Und reicher? Oder ist ein solches Vergehen zwar nicht justiziabel, aber sehr wohl gefährlich in der Ukraine?
Ich entschuldige mich in aller Form bei Rinat Achmetow, dem Superoligarchen und Förderer des Fußballklubs Schachtjor Donezk. Jüngst habe ich den Chef der Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM) in einem Essay ein Vermögen von 31 Milliarden Dollar – nun ja – angedichtet, muss ich wohl sagen. Das hat möglicherweise mal gestimmt, ist jetzt aber nachweislich falsch. Der reichste Ukrainer hat in der Weltfinanzkrise Geld verloren. “Kyiv Weekly” berichtet von 18 Milliarden Dollar. Das sind 70 Prozent. Keinen ukrainischen Oligarchen hat es härter getroffen. Klar, es besaß und besitzt auch niemand mehr als Achmetow, der laut der Zeitung mit 29 Milliarden Dollar ins Jahr 2008 gestartet war.
Doch der Zusammenbruch der Börsen und Banken hat nicht bloß Achmetow getroffen. “Kyiv Weekly” spricht vom “Fall of oligarchs”, vom Absturz jener Männer also, die in den neunziger Jahren an der Privatitisierung ukrainischer Staatsbetriebe verdient hatten und aufgestiegen waren. Die Firmen, die ihnen entweder gehören oder an denen sie stark beteiligt sind, sind jetzt deutlich weniger wert als vor der Krise. Für Viktor Nusenkis muss man fast schon mit dem Sammelbecher herumgehen. “He got 80% poorer.” Nusenkis, einst Direktor im Kohlebergbau und heute wie Achmetow Mitglied des Donezker Clans, ist bis auf 2,6 Milliarden Dollar verarmt.
Viktor Pinchuk hat vier Millionen Dollar seines Vermögens verloren – in Prozenten: 69. Herr Pinchuk war auch schon Gast in diesem Blog. Der Schwiegersohn des früheren Präsidenten Leonid Kutschma hat mal mit Achmetow für 800 Millionen Dollar das größte und profitabelste Stahlunternehmen der Ukraine kaufen dürfen, obwohl ausländische Investoren das Doppelte geboten hatten. Staatschef war damals, uups, Kutschma. Nach dessen Abschied erklärte ein Kiewer Gericht den Verkauf für ungültig.
Ganz glimpflich ist Dimitrij Firtasch davongekommen. Er hat nur 18 Prozent verloren. Allerdings besaß er vorher auch nur kümmerliche 2,4 Milliarden Dollar.
Jetzt wird es hart.
Auch Konstantin Schewago ist unter den Verlierern. Er hat für die Talfahrt des ukrainischen Eisenerzproduzenten Ferrexpo an der Londoner Börse bezahlt und als Mehrheitseigner – Firmentitel “Chief Executive Officer” – 80 Prozent seines Reichtums eingebüßt: fast drei Milliarden Dollar.
Übrigens: Schewago ist ein Parteifreund der Premierministerin Julia Timoschenko und sitzt seit 1998 im Kiewer Parlament.
Mittlerweile hat der Oligarch Igor Kolomojskij mit seinem Imperium, der Privat-Gruppe, einen Anteil von fast sieben Prozent an Ferrexpo erworben. Kolomojskij wird gern als “beinhart” beschrieben, stammt aus Dnepropetrowsk und gilt als Mitglied des dortigen Clans, womit man wieder bei Pinchuk ist, einem anderen Häuptling dieses Stamms.
Spitzenreiter, was den prozentualen Verlust angeht, ist Wladimir Boiko; der Vorstandschef und de-facto-Boss des Metallurgischen Kombinats Iljitsch Maripol hat 82 Prozent – 2,6 Milliarden Dollar – verloren.
Übrigens: Boika ist Sozialist und Mitglied des Parlamentausschusses für Industriepolitik.
So, das musste sein. Mehr wüssen Sie über die Ukraine erst einmal nicht wissen. Ach, fast vergessen: Rinat Achmetow, klar, auch Abgeordneter in Kiew. Jetzt dürfen Sie sich zurücklehren.
Zum Genießen kommt noch mal die in Heimarbeit zusammengeschraubte Tabelle:
Randnotiz 1: “Kyiv Weekly” spricht von “our oligarchs”.
Randnotiz 2: “Focus Money” hat am 2. Juli den Kauf von Ferrexpo-Aktien empfohlen. Die Überschrift hieß: “Eisenerz bringt Kohle”.
Randnotiz 3: Ja, ich weiß, dass es nicht witzig ist, wenn Aktien abschmieren, weil das Unternehmen dann möglicherweise Beschäftigte rausschmeißen muss.
Randnotiz 4: Letztlich ist das Geld natürlich nur auf dem Papier weg. Analysten allerdings glauben, dass die Oligarchen nicht vor 2013 den alten Reichtum wiedererlangen werden.