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Kolumne: Oleg und die Alpha-Blogger

ODESSA, UKRAINE Warum rede ich überhaupt noch mit meinem Freund Oleg? Gestern habe ich ihn gefragt, wie das mit meinem Auto sei. Ich habe jetzt ein Visum, ich muss die Ukraine also nicht mehr verlassen, weil die Neunzig-Tage-Frist für Touristen hinfällig ist. Mein Auto aber muss eigentlich nach sechzig Tagen aus dem Land verschwunden sein, das habe ich mir sagen lassen. Ich wollte nur wissen, ob mein Visum möglicherweise an der Sache etwas ändert. Oleg ist Ukrainer, er muss die Rechtslage kennen.
Er hat gesagt: „Die Kolumnistenkarre ist relativ legal in der Ukraine.”

„Relativ legal” – was soll bedeuten? Nimmt die Polizei mein Auto mit und lässt mich laufen? Oder nimmt sie mich mit und lässt das Auto fahren? Oder muss ich vielleicht nur die Räder abschrauben?
„Relativ legal ist gar nicht schlecht”, hat Oleg gesagt.

Morgen erste Blogsitzung

Ich frage mich, warum alles so kompliziert geworden ist. Oleg lässt mein Odessa-Blog inzwischen von Spionen beobachten, die bei Google arbeiten, ich wollte das gar nicht. Ich glaube, Oleg übertreibt es langsam, er steigert sich da in etwas hinein. Vor Wochen wusste er noch nicht, dass es das Internet überhaupt gibt, jetzt liest er diese Analysen, mischt sich ein und kennt alle Alpha-Blogger in Deutschland und der Ukraine samt Lebenslauf. Er hat auch noch angefangen, Helmut Markwort zu bewundern, ich weiß nicht, ob sich das noch stoppen lässt.

Morgen haben wir unsere erste Blogsitzung. Oleg will mit mir besprechen, was in der nächsten Woche veröffentlicht wird, er meint, wir müssten Themen setzen, er erwartet Vorschläge von mir. „Du reagierst zu viel, du musst mehr agieren”, hat er gesagt. Als ich guckte wie eine Kuh mit Darmwind, rief er: „Faktü, Faktü, Faktü – und immer an die Leser denken!”

In jeder freien Minute sichtet Oleg, was seine Spione aus meinem Odessa-Blog zusammentragen. Sie berichten angeblich, dass die Absprungrate zu hoch ist und ich viele neue Besucher gleich wieder in den ersten zehn Sekunden verliere. Vorerst will Oleg noch auf ein Relaunch der Seite verzichten, das könne man immer noch tun, hat er gesagt, er glaubt, Bilder würden auch schon einen gewissen Effekt erzielen und mich retten.

Zwischen Wowereit und den Pet Shop Boys

„Und wo wir gerade bei der Fehlersuche sind”, sagte er. „Den asiatischen Markt hast du bisher auch nicht erobert – nur ein Leser aus Taiwan, das ist eindeutig zu wenig.”
„Ich kenne keinen Taiwanesen”, sagte ich.
„Das ist egal, Kolumnist, in Asien liegt die Zukunft. China und Indien sind bald Weltmächte. Wenn nur einer von hundert Chinesen oder Indern dein Blog liest, können dich die Alpha-Blogger mal gern haben.”
Oleg will außerdem, dass das Blog mehr Romantik und Zärtlichkeit bekommt wegen der Frauen, denn Frauen, auch das haben die Spione offenbar herausgefunden, stünden bislang kaum auf mich, also eigentlich überhaupt nicht, die spürten nichts bei mir, null. Was das Scharfmachen von Frauen betrifft, liege ich zwischen Klaus Wowereit und den Pet Shop Boys.

Es gibt Dinge, da bin ich empfindlich, sehr empfindlich.
„Was soll das heißen?”, schrie ich.

„Ganz ruhig, Kolumnist, du bist nur kein Frauentyp”, sagte Oleg. „Du bloggst zu männlich.”
„Ich bin ein Mann.”
„Schreib einfach mal eine Kerzenscheinkolumne.”

Ich habe schon zugestimmt, dass demnächst eine Sushi-Kolumne von mir erscheint, um erst mal Japan klarzumachen. Eine Kolumne zu Ehren Buddhas – für Bangladesch, Bhutan, Indien, die Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka, Nord- und Südkorea, Indonesien, die Philippinen, Brunei, Vietnam, Osttimor und Malaysia – ist auch versprochen. Aber eine Kerzenscheinkolumne schreibe ich nicht auch noch.

„Dein Erfolg in der Ukraine ist schon ganz ordentlich. Darauf können wir aufbauen”, sagte Oleg noch und zeigte mir seine Unterlagen: 21 Besuche, 24 Minuten Besuchszeit. Wenn ich nicht aufpasse, ergeht es mir wie den Scorpions, die im Osten Europas erfolgreicher sind als in Deutschland. Ich werde so etwas wie der Klaus Meine der deutschen Blogosphäre.

Schweißausbrüche in der Nacht

Ich weiß nicht, was 21 Ukrainer durchschnittlich 24 Minuten in meinem Blog treiben. Vielleicht sind sie wirklich Leseratten oder suchen den Blick von außen auf ihr Land. Vielleicht müssen sie die Texte auch erst übersetzen und brauchen deshalb etwas länger.

Vielleicht aber stehe ich auch schon unter Feindbeobachtung.

Seit Oleg mich und mein Blog ausspionieren lässt, schlafe ich schlecht. Manchmal wache ich nachts auf, schweißgebadet natürlich. Ich schaue nach, ob die Tür abgeschlossen ist. Auf dem Weg zurück ins Bett frage ich mich jedes Mal: Wer klickt in Taiwan meine Seite an?

Irgendwann schlafe ich wieder ein und träume, dass ich mich von meinem Auto trenne, damit es nicht beschlagnahmt wird. Ich verkaufe es weit unter Wert. Der Käufer und neue Besitzer ist ein gewisser Oleg.