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Einführungskolumne: Oleg, mein Blog und ich

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hält nichts von der Theorie, dass der Jedermann-Journalismus als Produkt der digitalen Beschleunigung und Vereinfachung aller Technik zum Sterben der Zeitungskultur führen wird. Er drückt das natürlich eleganter aus. “Ein Blog ist Quatsch”, sagt er. “Und ein Odessa-Blog ist ganz großer Quatsch.” Wenn ich als Journalist Angst vor Zukunft hätte, solle ich lernen, perfekt Russisch und Ukrainisch zu sprechen. “Wo sterben bei uns Zeitungen? An jeder Ecke steht ein Kiosk. In Odessa kannst du hundert Jahre alt werden ohne einen Blog. Wahrscheinlich kannst du sogar wiedergeboren werden als Kolumnist und kriegst sofort eine Festanstellung.”

Oleg kann nicht verstehen, dass die Leute bald ihre Nachrichten komplett aus dem Computer holen statt aus dem Briefkasten an der Haustür. Er will es nicht verstehen! Er sagt, er lese ausschließlich in der Zeitung, was passiert sei, obschon er so am Frühstückstisch auf dem Stand vom vorigen Abendbrot sei. Aber wenn er morgens neben Maria aufwache, wolle er auch nicht gleich erfahren, was sie in der Nacht geträumt habe. Er habe genug damit zu tun, dass sie noch einmal vom Vortag erzähle und er dieses Geplapper verdauen müsse.

Irgendwann sagt Oleg, er frage sich die ganze Zeit, worüber ich schreiben wolle in meinem Blog. Er wisse nicht, was es zu berichten gebe aus meinem Leben in Odessa. “Oder willst du von dem Mann am Imbissstand deines Vertrauens erzählen, der sich immer einen Handschuh anzieht, bevor er dein Geld nimmt, den Hotdog selbst aber mit seinen schwitzigen Fingern zubereitet?”

Ich habe Oleg erzählt, dass zwischen einem Blogger und seinem Leser ein besonders enges Verhältnis besteht, ein viel engeres als zwischen einem Redakteur der FAZ und einem Hochschulprofessor. Bei denen herrscht eine Eiszeit wie bei Eheleuten, die sich nichts mehr zu sagen haben, wobei Paare wenigstens noch aneinander vorbeireden oder in einem Augenblick von Schwäche und Vergesslichkeit übereinander herfallen. Zwischen Professor und Redakteur läuft gar nix: allenfalls mal ein Leserbrief, der nicht gelesen wird. So habe ich jedenfalls das Dilemma des traditionellen Journalismus verstanden. Ein Blogger dagegen wisse, dass er angequatscht, kritisiert und korrigiert werde, er dürfe sich nicht verschanzen.

Oleg zog die Augenbrauen hoch. “Na, ich hoffe, du bist auch ehrlich und erzählst im Netz die Wahrheit. Du musst deinen Lesern sagen, wenn du ihre Kommentare mit fettigen Haaren und ungeputzten Zähnen beantwortest, weil das Wasser mal wieder abgestellt ist und du mal wieder vergessen hast, Reserven anzulegen. Aber wahrscheinlich kommentiert sowieso nur Mutti: Schöne Kolumne, mein kleiner, großer Junge, Mama ist ganz stolz auf Dich. Zieh Dich warm an, wenn Du rausgehst.

Oleg hat kein Handy und kein Internet. Er bekommt Briefe statt Mails. Er hat nie gefaxt oder gechattet. Er fotografiert nicht digital. Ich lebe erst ein paar Wochen in Odessa und habe gerade begonnen, Oleg kennen zu lernen. In diesem Augenblick aber macht er auf mich nicht den Eindruck, als sei er ein unglücklicher Odessit. “Wenn du mich in deinen Kolumnen auftreten lässt, sorg bitte dafür, dass die Leute wissen, wie ich heiße”, sagt Oleg. “Die Deutschen machen das immer falsch. Mein Name wird A-leck ausgesprochen. Ich heiße nicht Oh-legg. Versprich es mir.”
Ich verspreche es.
“Und noch etwas: Ich möchte richtig zitiert werden, sonst schicke ich dir meinen Anwalt.”