Korruptionskolumne: Oleg ist dabei

ODESSA, UKRAINE Ich glaube, mein Freund Oleg ist korrupt, ein bisschen jedenfalls, man könnte dieses Problem vermutlich auch anders nennen. Bestimmt ist er nur ein sympathischer Kerl, der hilft, wenn im Büro Hilfe gebraucht wird, und dafür entlohnt wird. Ich kann ohnehin noch nichts beweisen, obwohl ich ihm allmählich auf die Schliche komme. Oleg macht Fehler, schwere Fehler.

Vor drei Tagen hat er mir das größte Honigglas geschenkt, das ich je gesehen habe, es ist unheimlich riesig. Die Bärenfamilie in Odessas Zoo könnte die Freunde aus dem Kiewer Gehege einladen, eine dreitägige Honigparty feiern und den Rest als Kleister zum Tapezieren der Wände nehmen. Danach müsste allen Bären wegen Honigvergiftung der Magen ausgepumpt werden.

Ich musste erfahren, woher das Glas stammt.
„Ist von Mama höchstpersönlich”, sagte Oleg.
„Schon wieder ein Geschenk von ihr?”, fragte ich.
“Das ist Kolumnistenköder, du sollst sie mal besuchen.”

Keine Angst vor fünf sibirischen Wintern

Olegs Mama muss fabelhaft sein. Sie ist eine bienenfleißige Imkerin, die überdies CDs presst oder sogar Boss einer Plattenfirma ist, eine Dickestrümpfestrickfabrik besitzt und immer ein paar Whiskyfässer im Keller hat. Hin und wieder schenkt sie mir eine CD. Die Strümpfe, die mir Oleg in ihrem Namen überreicht hat, brächten mich durch fünf sibirische Winter. Den Whisky habe ich noch nicht probiert. Erst muss der Honig alle werden. Natürlich leugnet Oleg, dass er sich bestechen lässt.

Ich habe überlegt, was man mir bieten müsste, dass ich korrupt würde. Viel ist mir nicht eingefallen. Geld interessiert mich nicht. Die Spielzeuge der Männer besitze ich schon. Ich habe ein Auto, das ich eigentlich nicht brauche, eine Uhr, die ich wegen ihrer Kostbarkeit kaum trage, und ein Handy, an dem ich nicht hänge. Es klingelt zweimal, dann verliere ich es schon wieder. Wer mein Telefon findet, hat praktisch ein neues Modell. Und wenn ich Eisenbahn spielen will, gehe ich zwischen 8 und 16 Uhr in das Zimmer meines Sohnes, dann ist er im Kindergarten, und stelle ein paar Weichen seiner Briobahn um. Die Dampflokomotive schnauft sogar.

Sehnsucht nach Pesto

Bis gestern hätte ich trotzdem gewusst, wie man mich verführen kann. Wäre ein Mann gekommen und hätte mir versprochen, jeden Montag zwei Gläschen Pesto, eingewickelt in Zeitungspapier, im Morgengrauen vor meine Tür zu legen, ich wäre schwach geworden. Pesto ist Mangelware in Odessa. An einem guten Tag fragt mich die Verkäuferin, was Pesto sei, nachdem ich sie gefragt habe, wo Pesto im Regal stehe. Ich stottere und sage: „So etwas Ähnliches wie das hier, nur in Grün und für Nudeln.” Dabei zeige ich auf Senf.

An einem schlechten Tag finde ich Pesto und überlege, ob der Marktleiter oder die Marktwirtschaft bekloppt ist, weil zwei Teelöffel dieser Paste umgerechnet zehn Euro kosten. Käme in einem solchen Augenblick dieser Mann und verspräche eine montägliche Lieferung ohne jedes Risiko für mich, ich würde wahrscheinlich einiges tun, das sich für einen Journalisten außerhalb der Lokalberichterstattung nicht gehört.

Bis gestern war ich in Gefahr. Als präventiven Schlag gegen meine Verführbarkeit habe ich mir heute einen Mixer gekauft. Jetzt mache ich Pesto selbst und bin nicht mehr korrumpierbar.

“Tribut an die Tradition”

Ich würde Oleg gern helfen, diesem Korruptionssumpf aus Honig, Whisky, dicken Socken und CDs zu entsteigen. Er ist doch bloß ein Opfer des ukrainischen Systems. Wahrscheinlich lassen sich die Kollegen auch beschenken für eine kleine Gefälligkeit und üben einen Gruppenzwang aus. Andrej Kurkow, einer der großen Schriftsteller des Landes in der Gegenwart, schreibt in seinem Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten”, manche Korruption in der Ukraine könne gar nicht verboten werden. Sie sei „ein Tribut an die Tradition”.

Ich muss Oleg da trotzdem rausholen, ich bin Journalist, ich habe sogar einen internationalen Presseausweis, der mich vor Übergriffen schützen soll, ich kann doch nicht zuschauen, wie in meinem unmittelbaren Umfeld der Filz wächst. Ich könnte Oleg eine neue Identität verschaffen, ich habe ganz gute Kontakte in die Schweiz: Der Chef von Krusenstern.ch, ein Experte für Russland, Belarus und die Ukraine, hat mein Odessa-Blog verlinkt.

Andererseits, wie fülle ich meine Kolumnen, wenn Oleg in der Schweiz untergetaucht ist?

5 comments

  1. Doctor Robert

    Lieber cw,

    treffender hätte ich Pesto auch nicht beschreiben können, wenn ich es einer deutschen Verkäuferin erklären müsste.

    Wird Pesto in der Ukraine an der Börse gehandelt? Als Ersatz für Gold?
    Ich stelle mir nämlich gerade eine Zentralbank vor, in deren Keller Pestogläser bis an die Decke gestapelt sind.
    Und Videokameras kontrollieren, dass keiner der Wachmänner die Gold-…ähm…Pestoreserven des Landes nascht.

  2. Axel

    Lieber Christoph,
    wieder einmal ist Dir ein ganz feiner Oleg-Text aus der Feder aus dem Laptop geflossen – vor allem Sätze, wie diese haben es mir angetan:
    Die Bärenfamilie in Odessas Zoo könnte die Freunde aus dem Kiewer Gehege einladen, eine dreitägige Honigparty feiern und den Rest als Kleister zum Tapezieren der Wände nehmen. Danach müsste allen Bären wegen Honigvergiftung der Magen ausgepumpt werden.
    oder
    Olegs Mama muss fabelhaft sein. Sie ist eine bienenfleißige Imkerin, die überdies CDs presst oder sogar Boss einer Plattenfirma ist, eine Dickestrümpfestrickfabrik besitzt und immer ein paar Whiskyfässer im Keller hat.

    Allerdings fände ich schon interessant, was es denn sein könnte, das sich für einen Journalisten außerhalb der Lokalberichterstattung nicht gehört.

  3. cw

    @ Axel: Wenn ich mich jetzt über den Lokaljournalismus äußere, dann gehe ich nur von mir aus. Es fiele mir nie ein, einen früheren Kollegen in diese Betrachtung einzubeziehen. Niemals, hörst Du?

    Man drückt halt mal ein Auge zu, weil irgendwer sehr nett ist: der Bürgermeister, der Chef vom Sportverein, die Schulleiterin. Das Argument ist: Ich muss ja morgen wieder mit dem oder der reden. Manchmal reden solche Leute ja wirklich sehr dummes Zeug – gern auch über Behinderte und Ausländer. Man schützt sie also ein bisschen.

    Man schreibt auch mal, das Dorffest sei gigantisch gewesen, obwohl es sterbenslangweilig war, was aber kaum jemand bemerkt hat, weil die wenigen Gäste schon mittags einen in der Krone hatten.

    Man erinnert auch mal die Leser daran, dass die Winterreifen aufgezogen werden müssen – mit einem schönen Foto aus der Werkstatt. Das Foto zeigt: ein Stück vom Auto des Journalisten; wenn er einmal da ist, kann er natürlich auch gleich den Reifenwechsel machen lassen.

    So ungefähr geht das auch in der Weihnachtszeit. Man erinnert an den Tannenverkaufsstand bei Aldi, macht ein Foto, und auf dem Rückweg in die Redaktion fährt so was Grünes mit Nadeln auf dem Autodach mit.

  4. Axel

    Da fällt mir eine schöne Geschichte ein. Ich hatte mit meiner Band einmal einen etwas missratenen Gig. Im Publikum saß ein Lokaljournalist, den wir im Vorfeld (etwas überschwänglich und übertrieben) auf unseren Auftritt aufmerksam gemacht hatten und dieser Mistkerl Mensch hatte nix besseres zu tun, als unseren Auftritt so richtig zu verreißen anstatt sein freches Maul zu halten.
    Ich habe dann ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass auch er Mitglied einer Band ist und ein Video, das sich auf der Homepage der Band befand, war – um es gnädig auszudrücken – unter aller Kanone. Ich hatte schon die Antwortmail in aller Schärfe und Boshaftigkeit formuliert, als der Ältestenrat unserer Band zu dem Schluss kam, man müsse auch einmal mit schlechter Kritik leben und ich daraufhin die Mail vernichtet habe.

    Wer weiß, was der Herr Lokaljournalist geschrieben hätte, hätte man ihn auf ein paar Nudeln mit frischem Pesto eingeladen (dieses Gericht gab es tatsächlich in der Veranstaltungskneipe ;-)

  5. cw

    @ Axel: Das ist auch ein Problem des Journalismus; man ist voreingenommen. Man hat seine Lieblinge, die immer gut wegkommen.
    Du glaubst gar nicht, wie viele Lokaljournalisten seit zehn, 15 Jahren über die gleichen fünf Themen schreiben. Da sind die Claims abgesteckt. Der eine macht Feuerwehr, Polizei und Gartenvereine, der andere Kultur und Politik und der dritte Kirche und Karriatives. Entsprechend langweilig sind die Texte auch. Sie sind seit zehn, 15 Jahren gleich. Man schreibt auch nur noch für die Leute, die im Text vorkommen.

    Und wehe, Du willst als Neuer da mal eindringen oder wagst es, den Feuerwehrball mal anders zu erzählen als: Der Bürgermeister lobt den Wehrchef, der Wehrchef dankte den Frauen der Kameraden, die Kuchen gebacken hatten…
    Da ruft am nächsten Tag der Wehrchef an und beschwert sich, weil Du in den Mittelpunkt der Geschichte mal einen Brandbekämpfer gestellt hast, der doch nie in der Zeitung war.

    Oder man vernichtet einfach irgendwen, der sich nicht wehren kann oder nicht wichtig ist für die Zeitung ist. Ich habe irgendwann gemerkt, dass Kritik eine gewisse Fallhöhe braucht. Es ist albern, die Karnevalsfeier des Altenheims zu verreißen. (Habe ich auch gemacht.) Das sind Amateure, keine Profis. Da muss nicht jeder Witz zünden. Bei Bands halte ich es genauso: Westernhagen darf eins rüber kriegen, eine Partyband, die einmal in der Woche probt, verschont man besser oder verpackt die Kritik schön sanft. Da darf auch mal die Technik versagen oder der Trommler einen schlechten Abend haben. Man erwähnt das dann, weil: Wer sich auf eine Bühne stellt, egal mit welcher Kunst, muss sich auch kritisieren lassen. Aber muss die Story nicht daran aufhängen.

    Wobei ich aus Erfahrung auch sagen muss: Die unbekannten Bands benehmen sich oft am widerlichsten. Da hat man noch nicht mal ein Foto gemacht, schon springt der “Manager” herbei und will die Fotos vor der Veröffentlichung sehen. Da kann man dann nur sagen: “Seid doch froh, dass Ihr Gurken überhaupt ins Blatt kommt.”

    Ein weiteres Problem ist auch, dass die Leser oft nicht unterscheiden können oder wollen zwischen der Meinung des Autors und des Zitierten. Da kritisiert irgendwer einen anderen, der Journalist gibt das sehr sauber in indirekter Rede wider und wird am nächsten Morgen beschimpft: “Was schreibste da für’n Scheiß?” Da ist man dann fast machtlos. Man kann ja nicht einen Deutschkurs abhalten.

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