Korruption als Alltagsproblem
ODESSA, UKRAINE Meinem treuen Leser Theobald Tiger und natürlich allen anderen, die sich auch fragen, wie es um den Wirtschaftsstandort Ukraine bestellt ist, empfehle ich den Beitrag von Harald Meyer auf Handelsblatt.com. Meyer erzählt, wie die Korruption im kleinen – etwa in Personalabteilungen – aussieht und was deutsche Unternehmer erwartet, wenn sie in der Ukraine investieren wollen. Kurze Kostprobe:
Ein allgegenwärtiges Problem für Unternehmen in der Ukraine ist auch die Korruption. Sie hat in der Ukraine gleichsam systemischen Charakter. Überall werden Schmiergelder verlangt. Bei jedem Lkw, der an der Grenze entzollt wird, muss mit Bakschisch-Forderungen des Zöllners gerechnet werden. Es empfiehlt sich aber, eine harte Linie “keine Zahlungen” zu verfolgen. Man sollte stattdessen versuchen, vorgesetzte Stellen zu mobilisieren oder Verbindungen zu nutzen. Jedoch – nicht jeder Mittelständler wird diese Linie durchhalten können, wenn es seinem Zweigbetrieb in der Ukraine schon an der schieren Größe fehlt. Kleine Unternehmen haben in der Regel größere Probleme als große Unternehmen, die ihre politischen Kontakte und ihre Steuerzahlungen als Hebel einsetzen können, um Korruptionsversuche staatlicher oder kommunaler Stellen abzuwehren.
In jedem Falle ratsam ist es,
- sich strikt ans Gesetz zu halten und dies auch dann zu versuchen, wenn die ukrainischen Gesetze, Verordnungen usw. nicht selten unklar oder in sich widersprüchlich sind;
- die Steuer- und Lohnzahlungen pünktlich zu leisten, um Erpressbarkeit zu vermeiden;
- den bürokratischen Instanzenwegen zu folgen, auch wenn diese oft entsetzlich lang und zeitaufwändig sind. (…)
Ein heikles Thema ist in der Ukraine auch die weit verbreitete betriebsinterne Korruption, wenn zum Beispiel in den Personalabteilungen “kleine Königreiche” entstehen und bei Neueinstellungen unter Umgehung von Wartelisten Schmiergelder oder sogar zeitlich unbefristete Royalties verlangt und gezahlt werden. Das ukrainische Arbeitsrecht erschwert fristlose Kündigungen wegen Fehlverhaltens. Von den restriktiven Kündigungsklauseln, was die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber anbetrifft, gehen Zwänge aus, welche die Umsetzung der Unternehmenskultur im Betrieb behindern.
Hier geht es zum Beitrag “Welche Fallstricke in der Ukraine lauern”.
Mehr kann ich heute leider nicht bieten: Ich bin gedanklich schon im Fußballstadion. Dynamo Kiew spielt um 20.30 Uhr gegen Odessa – es sei denn, das Spiel wird noch abgesagt. Es regnet seit Tagen.
Der Artikel ist interessant, definitiv.
Das Hauptproblem ist, soweit ich weiss, die in der Ukraine fehlende Rechtssicherheit, vor allem für kleinere und mittlere Betriebe.
Das Hauptproblem sind m.E. die Netzwerke, in welchen sich die Ukrainer organisieren.
Vor drei Jahren kursierte im Internet der Bericht einer deutschen Firma, die sich in Charkiw niederließ. Mit irgendwem aus der Stadtverwaltung müssen die sich verkracht haben, – plötzlich ward deren Miete erhöht. Plötzlich sollten sie Unsummen an Sanierungsleistungen nachzahlen, plötzlich stand bei denen ständig die Steuerinspektion auf der Matte. Die Geschichte endete mit Geschäftsaufgabe. Und: Zu allem Überfluss wurde ihnen bei der Ausreise vom Zoll das Auto konfisziert, weil – angeblich – bei der Einreise ein Formular falsch ausgefüllt wurden ist.
Anzunehmen, dass man als Deutscher geschützt ist, nur weil man die Gesetze befolgt, halte ich für naiv.
Den TIPP den ich geben würde, wäre entweder – durch freundschaftliche Gesten – in das Netzwerk der Verwaltung herein zu geraten, oder gleich mit einem Netzwerk (mehrere deutsche Unternehmen am gleichen Ort, mit ähnlichem Tätigkeitsprofil) anzurücken.
Ich denke grosse Unternehmen können selbst solche Netzwerke bilden und organisieren, und sie haben auch den Einfluss den Behörden Kontra geben zu können, so ist es ja auch in dem Artikel im Handelsblatt beschrieben.
Ich habe auch von Deutschen Kleinunternehmern gehört die in der Ukraine auf die Nase gefallen sind, und dabei sah am Anfang alles so gut aus.
Sehr geehrte Herren,
welche Gruende koennten deutsche Unternehmen ueberhaupt haben, um in der Ukraine zu investieren? Die Preise im Land sind hoch, die fuer Arbeitskraefte erst recht. Und ich kenne Ukrainer, die fuer ein paar Monate in Deutschland waren, nur um sich schnellstmoeglich wieder in die Heimat abzusetzen – dort muesse man schliesslich nicht puenktlich zur Arbeit erscheinen. Ausserdem verdient ein einfacher Bauarbeiter (Bekannter von mir) hier gut und gerne 1000 Euro (in Kiew mind. die Haelfte mehr), dazu kommen die unzaehligen 20-Dollar-Einheiten, mit denen er sich kleine Dienst zahlen laesst. Das muss ein Arbeiter in Deutschland erstmal zusammenkriegen. Das schnelle Geld ist doch die Sache der Deutschen ohnehin nicht, oder?
@ Silvergirl
(1) Mir fallen auf Anhieb einige Gründe ein, weshalb ein deutsches Unternehmen in der Ukraine investieren könnte: Zum Beispiel könnte man Stahl kaufen. Oder Marmor. Man könnte aber auch ein Hotel bewirtschaften wollen oder Würste herstellen. Oder Wein liefern, – der dort angebotene schmeckt scheußlich und es ließe sich hiermit sicher viel Geld verdienen.
(2) “Mindestens die Hälfte mehr”, die ein Bauarbeiter in Kiew verdienen soll, wären mehr als 2.000 Euro, zuzüglich der zahlreichen 20-Dollar-Einheiten, die wir Leser des Kommentars dazurechnen sollen. WEM – bitte schön – wollen Sie das erzählen? (Aber ich hätten nichts dagegen, denn natürlich hat jeder Bauarbeiter das Recht, reich zu werden. Auch die ukrainischen.) Wenn man dafür auch nur dann auf Arbeit erscheinen muss, wenn man ausgeschlafen hat, ist dies doch der Traumjob des Jahrhunderts.
Zum Thema Korruption:
Jeder Unternehmer sollte sich natürlich zuerst die Frage stellen, ob er als Kulturträger oder Missionar den ukrainischen Markt betreten möchte, oder ob er dorzulande Geld verdienen will. Im zweiten Falle kann ich nur raten, sich erst zu orientieren, bevor man zum Verkünder des Wortes wird und schließlich scheitert. Wer es nicht kann oder möchte hat schließlich auch das Recht, auf den ukrainischen Markt zu verzichten.
Das Handelsblatt – leider hier etwas zu kurz geraten – gibt auch sehr gute Ratschläge, wie man als Unternehmer mit deutschen Tugenden einen guten Mittelweg finden kann.
@ alle: Kaum ist der Chef mal ein paar Stunden aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Gefällt mir, dass hier mal debattiert und gestritten wird. Weiter so!
Liebe Mäuse, der Chef ist praktisch gar nicht da, sieht nix, hört nix. Er macht jetzt eine seeeeehr lange Mittagspause.
Lieber Herr Solf,
mir geht das trotzdem nicht in den Kopf. In der EU reissen sich die Kommunen doch um Unternehmer, ich denke nur an die Wirtschaftsfoerderungen, die es bald in jedem Dorf gibt. Da werden die Unternehmer mit Foerdergeldern umworden und ihnen wird sehr viel Arbeit von Verwaltungsprofis abgenommen. Mit anderen Worten: Wirtschaftsfoerderung ist oft Chefsache. Dann gibt es billiges Land und Foerdermittel und qualifizierte Arbeitskraefte. Das ist doch alles nicht zu unterschaetzen, auch wenn der Gewinn vielleicht um drei Euro fuffzig geringer ausfaellt. Aber ich gebe zu, ich bin keien Unternehmerin und will auch keine werden. Eine Investition in der Ukraine erscheint mir wegen des damit verbundenen Stresses eben nur als wenig sinnvoll, wenn sich Kaernten und Mecklenburg auch gerne um meine Ansiedlung/Investition streiten. Natuerlich kann man jetzt mit all den vermeintlich unsinnigen Umweltregularien etc. (Stichwort Kroetentunnel) kommen, aber die wuerde ich als verwantwortungsvoller Unternehmer ohnehin unterstuetzen. Kurz, ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass die Rechnung in der Ukraine aufgehen wuerde.
@Silvergirl
Das ist eine der vielen Meinungen. Und sie ist so in Ordnung.
Aber ich kann mich nicht erinnern, jemanden agitiert zu haben in die Ukraine zu gehen. Ich weiß nur, dass es funktionieren kann und – aus eigener Erfahrung – dass dies sogar Spaß macht. Bei allen Unwägbarkeiten, über die die Deutschen immer wieder maulen, gibt es dortzulande auch zahlreiche angenehme Momente.
Wer aber erwartet, dass es in der Ukraine genauso ist, wie in Deutschland, sollte wohl besser zu Hause bleiben.
@ Andreas Solf, @ Silvergirl: Sie schenken sich aber nichts! Ich bin neutral. Soll ich vermitteln?
Ich glaube, man muss tatsächlich ein bisschen Abenteurer sein, um in der Ukraine zu investieren, weil es das Land einem Unternehmer schwerer macht als andere. Ich befürchte, es ist noch nicht in den Köpfen, dass dies ein Standortnachteil ist. So viele Abenteurer oder Leute mit Ideen und Geld, die das Land mögen, gibt es nun auch wieder nicht. Letztlich wandert das Geld dorthin, wo es sich am leichtesten und sichersten vermehren lässt, oder?
Ich ärgere mich bisweilen, wenn ich in Odessa unterwegs bin. Der Zoo ist ein Skandal, und ich behaupte, das müsste nicht so sein. Wahrscheinlich gebe es irgendeine Tierschutzorganisation, die gern helfen würde. Oder die Herren aus dem Zoo der Partnerstadt Regensburg helfen. Aber es müsste sich eben jemand kümmern, möglicherweise der Herr Zoodirektor. Andererseits stören sich nur Besucher wie ich an der Haltung der Tiere, weil ich es aus Deutschland und Spanien anders kenne. So lange die Ukrainer also nicht Europa entdecken (können), werden die Tiere weiter zusammengepfercht.
Anderes Beispiel: Die Strandpromenade ist eine Katastophe. Im Sommer marschieren dort Zehntausende lang, aber die Stadt lässt es zu, dass dort gestolpert und gefallen wird, obwohl doch viele Leute wegen des Meers kommen. Und der Strand ist eine Müllhalde. So lange das so bleibt, wird sich kaum ein deutscher Tourist länger in der Stadt aufhalten. Aber ich vermute, es reicht auch, dass die Russen kommen, die es offenkundig nicht stört, weil sie etwas anderes in Odessa suchen.
Lieber Andreas Solf, Ihr letzter Satz ist sehr weise. Ja, wer hierher kommt, darf keine deutsche Perfektion erwarten, sonst wird er unglücklich. Mir hat das gleich am Anfang eine Odessitin gesagt. Manchmal ärgere mich trotzdem.
So, und jetzt können Sie beide gemeinsam auf mich losgehen und meine Argumente auseinander nehmen. Ich halte das aus.
Ach Gott, so schlimm ist oder war das auch wieder nicht. Es gibt andere Diskussionen und eigentlich waren wir beide nett.
Odessas Stand ist übrigens ein Beispiel für die positive Wirkung des Kapitalismus. Ein Stück des Strandes ist privatisiert, man zahlt Eintritt und – Überraschung! – es ist sauber.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass die Unwägbarkeiten des ukrainischen Alltags der Tatsache geschuldet sind, Ukrainer würden nicht “raus” kommen. Hier in Deutschland sehe ich mich täglich von Ukrainern umzingelt, die ihrerseits wiederum verwandtschaftliche Beziehungen unterhalten und auch regelmäßig ihre Freunde einladen. Mit anderen Worten: Man kann die Ukraine von allen Visapflichten befreien, in die EU oder in die NATO aufnehmen, – der Zoo in Odessa würde deshalb nicht aufhören zu stinken.
Strand soll es heißen, – nicht Stand.
@ Andreas Solf: Wenn Ukrainer hören, dass ich aus Deutschland komme, sagen sie immer: “Tolles Land.” Dann erzählen sie von einem Freund, den sie besucht haben, und schwärmen von Nürnberg. Danach fragen sie, ob ich die Wohnung in Odessa gekauft hätte. Ich glaube, es sind viele Mythen unterwegs, wenn es um Deutschland geht. Der Freund in Nürnberg will ja beweisen, dass er es geschafft hat, also demonstriert er Reichtum. Die Folge ist: Die Ukrainer denken, alle Deutschen seien reich.
Ich glaube, das große Problem der Ukraine ist, dass die Zivilgesellschaft nicht funktioniert. Jeder kümmert sich nur um sein privates Stück Leben. Die Autos werden gepflegt, ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber der Müll wird irgendwo fallen gelassen, es geht ja einen nichts an. (Ich spitze zu, klar.) Neben dem Spielplatz am Kindergarten wachsen Rohre aus der Erde. Das ist wahnsinnig gefährlich, mich ärgert so etwas. Wenn ich mit meinem Sohn durch die Stadt gehe, muss ich aufpassen, dass er nicht in die Unterwelt stürzt, weil irgendein Gullydeckel fehlt. Drei Meter entfernt putzt die Verkäuferin die Fensterscheibe. In Deutschland würde die Dame bei der Stadt anrufen, hier bleibt das Loch einfach ein paar Wochen.
Das meine ich mit kaputter Zivilgesellschaft.
Oberflächlichkeiten, – und sie sind sicher richtig.
Demgegenüber steht ein intaktes ukrainisches Sozialgefüge, dass noch eine Familie kennt und wobei sich die Menschen in Not unterstützen. Uneigennützig. Wenn man etwas tiefer polkt, stellt man plötzlich fest, dass WIR – mit unserer Entfremdung zueinander – das sonderbare Volk sind.
Lieber Andreas Solf: Ich muss noch etwas zum Strand nachtragen, der angeblich ein Stück funktionierender Kapitalismus ist. Meines Wissens ist in Odessa inzwischen kein Abschnitt mehr privatisiert. Das Volk hat mit Erfolg dagegen protestiert und darf nun wieder umsonst baden. Zugleich werden dort Liegen und Sonnenschirme vermietet, ohne dass die Betreiber Pacht für den Strand bezahlen müssen. Das Ergebnis: Der Schmutz ist auch dort.
Ich kratze noch mal ein bisschen an ihrem ukrainischen Familienidyll, darf ich? Die Diskussion mit ihnen macht mir sehr viel Spaß. Also: Ich beobachte nur, wie Mama und Papa in Odessa mit dem Nachwuchs umgehen. Es wird neben dem Kinderwagen geraucht; die Kinder haben verfaulte Milchzähne, weil Mama sagt, die müssten nicht geputzt werden, sie fielen ja sowieso wieder raus.
Und dann haben sich die Kinder am Strand in diesem Sommer so fantastisch verbrannt. Sie wurden nicht eingecremt, aber unaufhörlich der Sonne ausgesetzt. Mama schlief stundenlang, Papa trank Bier stundenlang. Als ich mit meinem Sohn Sandburgen baute, wurde ich schief und verwundert angesehen.
Bisweilen betreute ich drei andere Kinder mit – die waren so dankbar, dass mal jemand mit ihnen spielte.