Die Angst der großen Spieler

ODESSA, URKAINE Ich habe Stefan Chrobot am Rande der ersten deutsch-ukrainischen Partnerstädtekonferenz in Odessa gefragt, wie er die Krise im Land bewertet. Der Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew – offizieller Titel: Leiter des Regionalbüros für die Ukraine und Weißrussland – schaute zunächst, als sei meine Frage ein bisschen überflüssig. Versucht man sich zu erinnern, wann die Ukraine nicht in der Krise gewesen ist, fällt einem ja auch nicht viel ein. Sie ist ein Dauerzustand. Und auch Chrobot ist krisenerprobt. Vor fast dreieinhalb Jahren ist er als Leiter der Ebert-Stiftung von Bangkok nach Kiew gewechselt. Im April 2008 musste er verkünden, dass man sich aus Weißrussland zurückziehe. Dieses Büro im Reich des Diktaturs Aleksander Lukaschenko war ein Ort der Zuflucht für Regimekritiker und die einzige Vertretung einer ausländischen politischen Stiftung. Der Abschied aus Minsk musste trotzdem sein, um das Leben der Mitarbeiter nicht zu gefährden, wie Chrobot damals sagte. 

Vor einer Woche hat Präsident Wiktor Juschtschenko das Kiewer Parlament aufgelöst, nachdem die Koalition von Unsere Ukraine und dem Block Julia Timoschenko am Georgienkonflikt und dem Umgang mit Russland zerbrochen war. Es wären die dritten Wahlen in drei Jahren. Ob das Parlament die Gesetze verabschiedet, die Juschtschenkos Erlass stützen, scheint offen zu sein. Es ist möglich, dass Abgeordnete über Parteien hinweg die Wahl verhindern wollen, und die ersten Politiker – auch von der Präsidentenpartei Unsere Ukraine – haben ein Nein gegen Juschtschenko bereits angekündigt. Sogar das Verfassungsgericht als Instanz, die Einspruch erhebt, wird ins Spiel gebracht.

“Viele Abgeordnete haben noch kein Rückfluss an Rendite”, sagt Chrobot. Sie hätten, vor nicht einmal einem Jahr gewählt, viel investiert – nicht nur in den Wahlkampf. Listenplätze werden oft verkauft. “Dieses Geld ist noch nicht zurückgeflossen.” In der Ukraine ringen Politiker – mehr als anderswo, zumindest ungenierter – um Einfluss, um Geld und Geschäfte. Die Bereitschaft, Kompromisse zum Wohle des Landes zu schließen, ist kaum ausgeprägt. “Das ist besorgniserregend.” Abgeordnete sind bisweilen schwerreiche Unternehmer, von denen jeder weiß, dass sie nicht im Geringsten das Volk vertreten – oder nur dann, wenn sich dies mit eigenen Interessen vereinbaren lässt. Da sich die Akteure allerdings schon seit Jahren oder Jahrzehnten kennten, bescheinigt Chrobot diesem System trotzdem Stabilität.

Für neuen Zusammenhalt der Zerstrittenen könnte die Weltfinanzkrise sorgen. Anzeichen gibt es, dass sie die Ukraine erreicht: Der Aktienmarkt ist zwischenzeitlich um 70 Prozent eingebrochen, die ersten Banken sind pleite, vor anderen bilden sich Schlangen, weil die Kunden Erspartes abholen, um die stürzende Griwna in steigende Dollar umzutauschen. Manche Automaten spucken nichts mehr aus. “Der Markt ist nicht so geschützt”, sagt Chrobot. Wie es weitergehe, hänge davon ab, wie die Finanzkrise im Rest der Welt gemeistert werde. Sollten die Investoren und Spekulanten aus Europa, Amerika und Russland keine Kredite mehr bekommen, wären viele Vorhaben in der Ukraine gefährdet: vor allem die riesigen und hässlichen Appartmenttürme, die zwischen Kiew und Odessa in den Himmel wachsen.

Chrobot glaubt, das eine existenzielle Not die “großen Spieler” in der ukrainischen Politik zwingen würde, wieder verstärkt zusammenzuarbeiten und dem nationalen Interesse zu dienen. Allerdings müsse die Krise  den persönlichen Besitz bedrohen. “Wenn es nur um nationale Interessen geht, wird das nichts.”

Übrigens: Über die erste deutsch-ukrainische Städtepartnerschaftskonferenz berichte ich nichts; das war mir inhaltlich ein bisschen zu dünn. Der Chronistenpflicht halber bringe ich drei Bilder.

Der neue deutscher Botschafter in Kiew: Hans-Jürgen Heimsoeth (l.) und Odessas Oberbürgermeister Eduard Gurvits
Heimsoeths Vorgänger in Kiew: Ex-Botschafter Eberhard Heyken, heute Vorstandsmitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums, Magdeburg
Gefragter Mann: der Botschafter zu Besuch in Odessa
Gefragter Mann: der Botschafter zu Besuch in Odessa

7 comments

  1. Nataliya

    Ja, vor allem vielen herzlichen Dank für Ihre Zeile. Leider LEIDER stimmt in diesem Artikel viel. Wir Ukrainer sind von letzten Wahlen noch nicht erholt und jetzt… sollen die nächsten kommen!!! Das Volk ist empört aber viel zu enttäuscht und glaubt niemandem! Die Leute, die an der Orangene Revolution teilgenohmen haben, sind enttäuscht. Die Leute, die an Timoschenko geglaubt haben – sind enttäuscht. und die bittere Wahrheit ist – die Wahlen bringen LEIDER NICHTS!!!
    In diesem Land geht es um Macht, Geld etc und nicht um das Volk…
    Solange wir solche Regierung haben, bleibt es immer so. Solange es Bestechungen und Korruption im Land gibt, kann man behaupten: es wird nicht besser…
    Aber wie man sagt, die Hoffnung stirbt am letzten!!!
    N.

  2. cw

    Liebe Nataliya, wenn ich Sie schon mal hier habe, schreiben Sie doch bitte: Wann wird es besser? Und wie? Gibt es Hoffnung, dass die nächste Generation – also die Leute um die 30 – es besser machen?

  3. Nataliya

    )))) Ich bin eigentlich keinE PessimistIN, aber daran, dass es besser geht, glaube ich nicht. Es liegt an Mentalität von Slawen (bitte bei russischsprachigen Lesern um Verzeihung)= Sklaven. Wir beschweren uns, wie es uns schlecht geht, wie alles teuerer wird, wie alles schlimm ist, ABER tun nichts.. ) Selbstverständlich meine ich nicht alle…aber die meisten schon..) Wir liegen auf dem Sofa und beschweren uns…
    Man kann das zB an den Autos sehen, die Ukrainer/innen bzw Russen/innen fahren – sauteure Autos. Diese Autos sollen gross und schick sein. in der Zeit, wenn Westuropa sich mit Klimawandel kämpft!!! Obwohl diese Autos meistens in Kredit gekauft worden sind…)))
    Wie sind unsere Mädels gekleidet? und geschminkt…)))) Das sind Slaven!!!
    Fragt mal die junge Generation, Mehrheit davon möchte von diesem Land abhauen…Die jungen Leute sind verzweifelt und verunsichert…
    Was mich noch fertig macht!!! In der Ukraine kann man alles kaufen und verkaufen: vom Zeignis bis Krankenschein etc… Was für Fachkräfte kriegen wir in 10 Jahren?…
    Also ich bin doch pessimistisch… Aber nur, wenn es um die Zukunft von der Ukraine geht… normalerweise bin ich doch mehr optimistisch))))!!!!
    Sorry, wenn ich jemandem die Stimmung verdorben habe ))))
    N.

  4. cw

    Sie verderben keinem die Stimmung. Vielleicht widerspricht jemand an dieser Stelle und sieht das alles viel positiver, aber dann kann man ja diskutieren. Wir warten mal ab. Ich freue mich jedenfalls, dass Sie hier mitschreiben. Ihr Deutsch ist sensationell. Kompliment!

  5. Sebastian

    Ich würde gerne etwas Positives beitragen wollen. Aber ich habe vor zwei Wochen erfahren, wieviel das Abschlußzeugnis und der Studienplatz meiner Nichte gekostet haben. Davon hätte ich mein ganzes Studium hier in Berlin finanzieren können. Und wenn die Gerüchte stimmen, was ein guter Listenplatz in der Rada kostet, dann wäre ich als Abgeordneter richtig sauer.

    Lieber Christoph, vielen Dank für den Text. Mir kommt das alles so bekannt vor. Hatte ähnliche Gespräche, als ich vor vier Jahren in Kyiv gearbeitet hatte. Vielleicht kann man das Land aus der Murmeltierfalle befreien. Bill Murray bekam danach die bezaubernde Andy McDowell. Wen bekommt die Ukraine?

    Liebe Nataliya, bleiben Sie dem Blog gewogen, damit nicht nur die Deutschen (und Oleg) über die Ukraine reden! Bitte!

  6. Nataliya

    lieber Christoph, lieber Sebastian,
    ich werde mir Mühe geben, online zu bleiben und ab und zu was einzutragen…
    und… lieber Christoph, leider lässt sich mein Deutsch besseres wünschen. ich tippe was, drücke ENTER und… o. mein Gott!!! ich muss nich für solche Fehler schämen ))))!!!

    Das Studium in der Ukraine ist leider viel zu teuer… und wird nicht immer in Westeuropa anerkannt. Evtl kann man ruhig in England für diese Geld studieren ))))) Aber bis jetzt können sich nur einige leisten.. So wie Tochter vom ehemaligen Präsidenten von der Ukraine – Leonid Kutchma. Sein Enkel ist jetzt an einer englischen Schule…
    LG von N.

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