Kolumne: Berliner Kindle 2

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg will das E-Book Leser Kindle 2. Ich soll es ihm mitbringen, wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin. Er spricht seit zwei Wochen von nichts anderem. Er nervt. Jeden Tag erinnert er mich an die langen Wartezeiten und fragt, ob ich das E-Book Leser Kindle 2 endlich bestellt hätte.
„Weißt du überhaupt, was das ist?”, habe ich gestern gefragt.
„Ungefähr”, sagte Oleg. „Weißt du mehr?”
„Ich kenne Berliner Kindl.”
„Bringste mir auch noch mit.”

Ich weiß nicht, wie Oleg dieses E-Book Leser Kindle 2 bezahlen will. Es kostet 360 Dollar ohne Versandkosten. Wahrscheinlich wird Oleg seine Schulden bei mir abstottern, und ich stottere sie wiederum bei irgendeinem anderen ab, Oleg pumpt sich also Geld von einem, der selbst kein Geld hat und es sich pumpen muss, und vermutlich werde ich dann endlich begreifen, wie es zu dieser Finanzkrise hat kommen können.

Ich mache diesen Technikwahn nicht mit. Ich werde nie im Leben twittern, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Irgendwo habe ich gelesen, man brauche nur 140 Zeichen und könne mit der ganzen Welt kommunizieren. Ich frage mich: wozu?

Ich bin mit meinem Blog überfordert, weil mir Updates angeboten werden, die ich beharrlich ignoriere. Hin und wieder merke ich, dass der Mann, der mir das Blog gebaut hat, etwas neu einstellt. Früher hat mir er mir Mails geschickt und verkündet, er installiere dieses unheimlich wichtige Plugin, wenn ich einverstanden sei. Ich schrieb jedes Mal zurück: „Ich verstehe kein Wort. Erklär es mir bitte auch nicht. Mach, was Du willst.”

Mittlerweile macht er, was er will. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, falle ich ihm um den Hals.

Ich werde mir auch kein iPhone kaufen, niemals kaufe ich mir ein iPhone, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Mein aktueller Wissenstand ist: ein ziemlich teures Telefon ohne Schnur.

Ich habe mal einen iPod besessen. Ich hatte geglaubt, ich müsste so etwas besitzen. Vor zwei oder drei Jahren ist er verschwunden, ohne dass ich ihn vermisst hätte. Der iPod war einfach weg. Ich glaube, er hatte ein weißes Gehäuse, vielleicht verwechsele ich das aber auch mit meinem ersten Walkman oder meiner Kindergartenbrotdose.

Seit Tagen versuche ich, bei Outlook Express ein neues E-Mail-Konto einzurichten; es klappt nicht. Ich kann Nachrichten empfangen, aber nicht verschicken. Ich schreie die Tastatur an, dann besuche ich irgendein Forum im Internet und frage, was ich falsch mache, danach erhalte ich eine so genannte Antwort und schreie wieder die Tastatur an.

Die Farbe meines iPods hat mir keine Ruhe gelassen, ich habe geforscht, nach Fotos gekramt in der Hoffnung, irgendwo Kopfhörer im Ohr zu haben, und Freunde befragt, von denen ich glaube, dass sie mich einigermaßen kennen. Nichts. Keine Spur. Niemand erinnert sich an mich mit einem iPod.

Zu Weihnachten habe ich mir ein Diktiergerät schenken lassen, ein ganz flaches, und ein Mikrofon, wie es Schlagersänger benutzen, gleich noch dazu. Ich wollte meine Kolumnen einlesen. Hätte mir der Mensch, der mir das Diktiergerät geschenkt hat, nicht sagen können, wie grauenhaft meine Stimme klingt?

Vorhin hat meine Mutter angerufen. „Suchst du noch dieses Ding?”, fragte sie.
„Meinen iPod, ja.”
„Das Ding ist bei uns im Auto, wir haben es ans Radio angeschlossen, du weißt ja, wir wollten damals keinen CD-Player, weil der nur die CDs zerkratzt, wenn man über eine holprige Straße fährt.”
„Ist der iPod weiß?”
„Da müsste ich schnell in die Garage gehen. Soll ich?”
„Ach, ist nicht so wichtig”, sagte ich. „Hört ihr eigentlich meine Musik im Auto?”
„Ist alles gelöscht. Da sind nur noch Brunner&Brunner drauf, wir hören doch nichts anderes, kennst uns doch.”
„Muss euch nicht peinlich sein.”
„Ist uns nicht peinlich.”

Jetzt weiß ich, wie Technikwahn endet.

28 comments

  1. Axel

    Die Farbe Deines iPods ist weiß. Ich habe ein Foto gefunden, auf dem Du Kopfhörer im Ohr hast, nämlich hier.

    Und eine weitere Variation zum Thema iPod gibt es hier.

    Ansonsten, wenn Du Dir schon Geld leihst, leih’ bitte gleich 720,- EURO und besorg’ mir einen E-Book Leser Kindle 2 mit, sei so gut. Du bekommst das Geld spätestens nach der Finanzkrise zurück – versprochen!

  2. Silvergirl

    @ Axel und CW:
    Au fein, ich moechte auch einen Kindle. Aber funktioniert der in Deutschland ueberhaupt? Ich habe da sowas von einer Beschraenkung auf amerikanische Internetanbieter gelesen, weiss aber nicht genau, was das heisst. Und kann man das Ding versichern? Ich meine, so ein Buch zum Beispiel, lasse ich oefter mal irgendwo liegen, ich stoere mich auch nicht an Lesespuren (die bei mir aber mehr nach Lesekrieg denn nach harmlosen Eselsohren aussehen), aber so ein Twindle-Ding muss man doch sicher gut behandeln, oder? Und dann wuerde man eben nicht nur ein Buch verlieren, sondern hunderte. Daher meine Frage: Sollte ueberhaupt jeder einen Twindle besitzen duerfen?

  3. cw

    @Silvergirl: Ich wechsele lieber ne Windel als zu Kindl. (Vielleicht fällt Axel ein besserer Kalauer ein.)

    @Axel: Ich besorge Dir ein Kindle 2, aber nur wenn Du mir alle Schiesser-Schlüpfer besorgst, die Du auftreiben kannst. Alle! Schiesser ist pleite insolvent.

  4. cw

    Erste Frage: Ich gebe, dass ich gerade etwas genervt bin von der ukrainischen Politik. Vielleicht bin ich auch gar nicht genervt, sondern gewöhne mich langsam an den Wahnsinn.

    Zweite Frage: Schon besser.

  5. hhheimat

    Zur ersten Antwort:
    Und das führt zu Windeln und Schiesser-Unterhosen?
    Was nervt? Welcher Wahnsinn?
    Kolumnen. Reportagen. Ukraine-Blog?

    Zur zweiten Antwort:
    Das freut mich sehr.

  6. cw

    Ach, es nervt halt, dass keine Information stimmt, weil alle lügen. Das kostet Zeit, die mir im Augenblick fehlt. Alle reden von der Krise, aber man sieht nichts. Ich gelobe natürlich Besserung.

    Abwasch ist fertig, ich muss aber jetzt einkaufen: Wodka, Konfekt, Cola, Chips. Heute Abend ist doch Fußball.

  7. hhheimat

    Ach Herr Wesemann.
    Es wird wohl dringend Zeit, dass ich Sie besuchen komme, und wir die schon lange geplante Jet-Ski-Tour nach Konstantinopel machen und uns dort dann vor der Rückfahrt im Hamam aufwärmen.

  8. hhheimat

    Was ist Fußball?
    Massieren sie da die Füße Ihrer Liebsten mit einem Ball, während Sie ihr gleichzeitig Wodka, Konfekt, Cola und Chips reichen.
    Eine schöne Idee, muss ich mir merken.

  9. hhheimat

    So Herr Wesemann, ich muss jetzt weiterarbeiten. Die deutsche Wirtschaft liegt am Boden, steht jedenfalls in der Zeitung, da will ich meinen Beitrag zum Aufschwung nicht warten lassen.
    Grüßen Sie die Ihren und gehaben Sie sich wohl.
    Auf bald.

  10. Silvergirl

    @hh: Herr HH, wie waere es denn, wenn wir unsere Reportagewünsche direkt an Herrn W. richten? Hier hätte ich mal ein interessantes Thema: Seit September vergammeln Was-weiß-ich-wie-viele Tonnen Bananen auf einem Containerschiff im Hafen von Odessa. Es stinkt zum Himmel und Methan steigt naturgemäß auch in Massen in den Himmel. Es passiert aber nichts, außer dass die armen Matrosen ab und an auf dem Schiff (sie dürfen es, glaube ich, nicht verlassen) ärztlich behandelt werden, wenn sie mal wieder in Ohnmacht gefallen sind.

    Oder noch ein Vorschlag zur Krise in der Ukraine: Eine der größten Zeitungen des Landes hat auf Titelseite und Seite 3 groß berichtet, was Astrologen so von der ganzen Sache halten. Derweil leeren sich die Regaler der Supermärkte, vor den Banken gibt es schon mal lange Schlangen.

    Interessant wäere natürlich auch ein Gadget zum Valentinstag in diesem Raubtierland.

    Wollen wir abstimmen und den Herrn W dann schuften lassen?

  11. Axel

    Lieber Christoph,
    ich schreibe Dir jetzt gleich eine Mail. Aber Silvergirl und hhheimat (sind die “hh” eigentlich seine Vornamen, oder stottert der Gute) gehen Dich ja ordentlich an. Wenn Du Hilfe brauchst … Du weißt, an wen Du Dich wenden kannst – ja?

  12. Ping: Kolumne: Oleg und die Gänsefüßchen : Christoph Wesemann

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