Kolumne: Mein Sohn und der Miauismus

ODESSA, UKRAINE Mein Sohn hat seine Kindergärtnerin enttäuscht, er ist bei ihr unten durch. Allerdings dürfte er jetzt ahnen, wie ich mich fühle, wenn ich dieser Frau begegne. Die Erzieherin mag mich nicht, und zwar aus drei Gründen: Erstens verstehe ich selten, was sie auf Russisch erzählt, weshalb sie mit mir in einer Babysprache reden muss, die ins Deutsche übersetzt ungefähr so klingt: „Er kein Breichen happahappa, obwohl sehr mmmmhhhh, Papa dududu machen, ja?” Zweitens spreche ich noch schlechter, als ich verstehe, weshalb sich meine russischen Rechtfertigungssätze anhören, als spräche ich mit einem Ausländer: „Du mit ihm müssen haben Geduld.” Drittens finde ich erstens und zweitens amüsant.

Mein Sohn hatte heute Fasching. Er sollte ein Gedicht aufsagen und wie eine Katze aussehen. Alle Kinder sollten sich als Katze verkleiden, ich finde ja, der Fasching war früher demokratischer. Als ich klein war, durften wir uns anziehen und anmalen, wie wir wollten, und ich bin in der DDR aufgewachsen. Ich weiß nicht, wie Leute darauf kommen, eine solide Diktatur, ohne allzu viel Gewalt also, sei weniger anstrengend als die Demokratie. Ich treffe zum Beispiel dauernd Taxifahrer, die sagen: „Die Weißrussen haben Lukaschenko. Die Russen haben Putin. Und wir? Warum haben wir Juschtschenko?”

Ich bin in drei Geschäften gewesen, nirgends gab es ein Katzenkostüm. Die Kindergärtnerin steckte mir daraufhin die Telefonnummer eines Verleihs zu. Dort gab es noch Katzenkostüme, nur leider hätte ich eine Stunde mit der Marschrutka in einen Vorort von Odessa fahren müssen. Ich tue ja viel für meinen Sohn, ich bin kein schlechter Vater, ich würde, falls von so etwas die Rede sein könnte, auch auf meine Karriere verzichten, wenn er das verlangte. Aber ich sitze nicht zwei Stunden in einem schaukelnden Bus wegen eines Katzenkostüms.

Zettel von der blöden Kuh

Die Proben für das Faschingsprogramm heute hatten vor drei Wochen begonnen. Mein Sohn brachte einen Zettel mit nach Hause, auf dem ein Gedicht stand, besser gesagt, ich vermutete, es sei ein Gedicht, es reimte sich ja. Den Inhalt verstand ich nicht. Jedes Mal, wenn ich meinen Sohn abholte, sagte die Kindergärtnerin: „Er kann seinen Text noch nicht.” Jedes Mal dachte ich: „Blöde Kuh, wenn es so wichtig ist, dass er den Text auswendig kann, dann lern halt mit ihm. Er verbringt täglich acht Stunden mit dir. Ich sehe ihn nicht mehr als drei.” Jedes Mal versprach ich, wir würden zu Hause üben.

Wir haben natürlich nicht geübt. Mein Sohn weigerte sich, er hatte überhaupt keine Lust – und ich noch viel weniger.
„Will ich nicht”, sagte er. „Merk ich mir sowieso nicht.”
„Willst du nicht?”, fragte ich. „Merkst du dir sowieso nicht, oder?”
„Nee.”
„Gut.”

Zwischendurch war der Zettel mit dem Vierzeiler verschwunden. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn versteckt hatte oder mein Sohn. Jedenfalls wurde er nicht vermisst.
Ich habe früher auch keine Gedichte lernen können. Von meiner Schulzeit sind mir nur drei sehr zerfetzte Gedichtfetzen geblieben:

Noch da, John Maynard?
„Ja, Herr, ich bin’s!”

Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
„Den Dank, Dame, begehr ich nicht!”

Walle! walle

Mehr ist da nicht. Und übrigens bin ich froh, dass mein Sohn einen starken Willen hat.

Vor ein paar Tagen hatte sein Kindergartenkumpel Kolja Geburtstag. Kolja ist schon ein ziemlich robuster Kerl für seine vier Jahre, er lässt sich nichts gefallen, er steht auch nicht so auf Diskussionen. Als Geburtstagskind durfte er sich etwas wünschen. Kolja wünschte sich, dass jedes Kind einen Panzer malt. So kam es auch. Der Kindergartengruppenspielzeugpanzer stand Aktmodel. Mein Sohn machte nicht mit.

Ungefähr in jeder zweiten Stunde erzählt mir meine Russischlehrerin, ich müsse unbedingt mit meinem Sohn diese und jene Militärausstellung besuchen. Als ich mich einmal beklagte, es fehle in Odessa an intellektuellen Genüssen und Kultur im öffentlichen Raum, stritten wir uns. Am nächsten Tag brachte sie triumphierend eine Zeitungsseite mit. Auf der Seite waren Messen angekündigt – eine Yachtmesse, eine Schmuckmesse, eine Pelzmodenmesse, eine Fliesenmesse und eine Messe für Autozubehör.

Oscar vs. Fasching

Ich habe meinem Sohn ein Tigerkostüm gekauft, ich dachte, das sei schon in Ordnung, eine Raubkatze ist schließlich auch eine Katze. Leider war ich der einzige, der so dachte. In der Ukraine hat der  Kindergartenfasching einen höheren Stellenwert als die Oscar-Verleihung in den USA. Die anderen Eltern sprachen kein Wort mit mir und schauten durch mich hindurch. Die Erzieherin sagte: „Katze miau, Tiger krrrrrr – großer Unterschied.”

Alle Kinder trugen nacheinander ihren Vers vor. Mein Sohn stand ganz hinten, er kam als letzter dran. Ich habe das Unheil also kommen sehen. Als er an der Reihe war, schwieg er. Ich sah, wie er überlegte, er zupfte aus Verlegenheit an seiner Hose herum, wie ich es früher auch getan hatte, er zog sie hoch, obwohl sie perfekt saß, er gab sich alle Mühe, irgendwo in seinem Gehirn ein Stück des Vierzeilers zu finden. Aber dort war ja nichts. Nachdem er das eingesehen hatte, gähnte er, spielte mit seinem Schwanz und grinste auch noch frech. Souflieren und helfen konnte ich natürlich nicht. Dafür hätte ich das Gedicht lernen müssen.

Aber er sang wie Tom Jones und tanzte wie Fred Astaire. Niemand tanzte wie mein Sohn!

Mich hat er nicht enttäuscht. Ich bin stolz, denn er kommt nach mir. Wahrscheinlich wird er seinem Vater die Schuld geben für das Gedichtdesaster, wenn die Kindergärtnerin ihn verhört. Ich habe es früher nicht anders gemacht.

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Mail an den ukrainischen Präsidenten

ODESSA, UKRAINE Da hätte ich fast vergessen, dem Präsidenten, einem Stammgast dieses Blogs, zu gratulieren. Wiktor Juschtschenko hat nämlich Geburtstag. Ich habe ihm mit meinem Touristenrussisch gerade eine Mail geschickt:

Für alle, die die russische Sprache noch schlechter beherrschen als ich, liefere ich mal die Übersetzung – oder gegebenfalls das, was ich habe ausdrücken wollen:

Verehrter Präsident, lieber Wiktor Andrejewitsch,

verzeihen Sie bitte, dass ich auf Russisch schreibe. Ich arbeite als deutscher Journalist schon neun Monate in Odessa. Aber mein Ukrainisch ist immer noch auf dem Niveau der ukrainischen Infrastruktur. Ich möchte Ihnen – auch im Namen der Leser meines Weblogs – zum 55. Geburtstag gratulieren. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg in Zeiten der Krise.
Vielleicht treffen wir uns ja mal, ich würde mich freuen.

Hochachtungsvoll
Christoph Wesemann

Mitglied der Internationalen Journalisten-Föderation

http://christoph-wesemann.de

Juschtschenko braucht ein bisschen Zuspruch. Nicht einmal sein engstes Umfeld weiß, wo er seinen Geburtstag feiert. Dabei sieht es gut für ihn aus. Die Zeitung “Segodnya” hat einen Astrologen befragt, wie Juschtschenkos durch das Jahr 2009 kommen wird. Angeblich verdient er mehr als in den vergangenen Jahren zusammen. Er bleibt im Amt und übernimmt dann eine große Bank. Überdies sagen die Sterne, dass er eine „eiserne Gesundheit” hat und die restlichen fünf Prozent Dioxin aus seinem Körper verschwinden.

Wären da nur nicht die Politiker. Dmitrij Tabatschnik von der oppositionellen Partei der Regionen würde Juschtschenko gern die Rentengesetzgebung schenken, “weil ich hoffe, dass dieses Gesetz an seinem nächsten Geburtstag das einzige sein wird, das er noch braucht”.

Ich schlage vor, dass, wer will, Wiktor Juschtschenko im Kommentarbereich einen kurzen Geburtstagsgruß überbringt – auf Russisch, Ukrainisch, Deutsch oder Englisch. Der Präsident wird hier sicher vorbeischauen, und dann freut er sich bestimmt.

Auch für Klugscheißereien, was meine Mail betrifft, ist unten Platz.

Die Fantastischen Viren

ODESSA, UKRAINE Kurzer Hinweis an die Eltern schulpflichtiger Kinder in dieser Stadt: Wenn die Nachbarin schon den zweiten Tag hintereinander erzählt, sie habe Ihren Liebling um zwölf im Supermarkt gesehen, machen Sie sich bitte keine Gedanken. Es ist in Ordnung. Ihr Kind schwänzt nicht. Odessas Schulen bleiben einfach zwei Wochen geschlossen.

Der offizielle Grund ist: “Quarantäne”. Unter den Schülern geht nämlich eine hundsgemeine Grippe um – jedes Jahr übrigens, zwei Wochen lang. Nein, die Schulverwaltung will keine Heizkosten sparen. Und nein, die schlecht bezahlten Lehrer wollen sich nicht ausruhen. Mit so einer Grippewelle ist nicht zu spaßen.

Juschtschenko vor dem Abflug

ODESSA, UKRAINE Ich würde sie wahrscheinlich nicht wählen, wenn ich dürfte, aber ihre Aktion finde ich durchaus großartig, zumindest originell. Die Kommunistische Partei der Ukraine sammelt Geld, um Präsident Wiktor Juschtschenko ein Flugticket nach Amerika zu spendieren, damit er endlich verschwindet. Das Motto ist: “Ющенко – чемодан – Америка!” – “Juschtschenko – Koffer – Amerika!” Die Aktion hat am 10. Februar in Odessa begonnen. Bis zum 23. Februar werden die Kommunisten mit einem Flugzeug auf einem Hänger durchs Land fahren. Die Tour endet in Kiew.

Parteichef Petro Symonenko sagt übrigens:

Ich bin überzeugt, dass die Aktion am Ende nicht nur das Parlament, die Werchowna Rada, zwingen wird, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Juschtschenko einzuleiten, sondern auch ihn und seine oligarchisch-nationalistische Umgebung von der Macht zu entfernen.

Und warum Amerika? Zum einen hat Juschtschenko eine amerikanische, wenn auch ukrainischstämmige Frau. Zum anderen sind viele Ukrainer überzeugt, der Präsident sei in Wahrheit ein “US-Spion” und seine Frau eine Ex-Agentin der CIA. Juschtschenko hat dies immer wieder bestritten, so Ende 2004 in einem Zeitungsinterview:

“Iswestija”: Ihre Gegner halten es für nicht normal, dass die Ehefrau des künftigen Präsidenten der Ukraine Amerikanerin ist, die außerdem im Weißen Haus gearbeitet hat. Es heißt, Kateryna Tschumatschenko habe bei der CIA gearbeitet und sie angeworben…

Juschtschenko: Meine Angehörigen wurden Opfer der antiamerikanischen Stimmungen, die in der Ukraine in den letzten Monaten geschürt wurden. Meine Gegner setzen die Staatsangehörigkeit meiner Ehefrau gegen mich ein. Was ist sie denn für eine Amerikanerin, wenn ihr Vater, Mihajlo Tschumatschenko, im Dorf Sajziwka im Donbass geboren wurde und ihre Mutter im Dorf Lypky bei Kiew? Mein Schwiegervater kam während des Krieges in ein KZ und wurde in einem deutschen Steinbruch eingesetzt. Die Schwiegermutter wurde nach Deutschland vertrieben. Dort haben die beiden sich kennen gelernt, haben paar Wochen vor dem Sieg geheiratet und sind später nach Amerika, nach Florida, gegangen. Kateryna lebt bereits seit 13 Jahren in der Ukraine. Seit 1999 wartet sie auf die ukrainische Staatsangehörigkeit. (…) Unsere älteste Tochter ist fünfeinhalb Jahre alt, der jüngste Sohn sieben Monate. Wie kann man denn mit so vielen Kindern auf den Händen Spionagetätigkeit betreiben?

Nun sind die Kommunisten nicht unbedingt eine starke Kraft. In Umfragen liegen sie bei fünf Prozent. Angesehener als Juschtschenko sind sie aber allemal. Im Dezember 2008 hat das Fom-Ukraine gefragt, welcher Politiker am ehesten die Weltfinanzkrise meistern könne – Premierministerin Julia Timoschenko, Oppositionschef Wiktor Janukowitsch oder eben der Mann ganz oben.

Das Ergebnis – keine Momentaufnahme:

Hauptstadt von Absurdistan

ODESSA, UKRAINE Ach, muss das toll gewesen sein in der ausverkauften Oper. Hätte ich doch bloß die angebotenene Eintrittskarte genommen. Alle waren da, der Gouverneur des Bezirks Odessa, hohe Verwaltungsfunktionäre, Wirtschaftsbosse und auch sonst alles, was Rang und Schulden Namen hat. Es wurden schließlich Ukrainer wegen ihrer besonderen Verdienste geehrt.

Bitte fragen Sie mich nicht, wer alles wofür womit ausgezeichnet worden ist. Selbst Anwesende haben es nicht verstanden. Es gab Urkunden und Orden vom Präsidenten, vom Gouverneur und vom Oberbürgermeister. Im Dreißig-Sekunden-Takt wurden mehr als 50 Leute geehrt. Dann folgte ein sehr umfangreiches Kulturprogramm. Es traten, angekündigt von einer scharfen Blondine, Volksmusiker und Volkstänzer auf, eine Boygroup und Solisten, bisweilen auch kaum Definierbares, nennen wir es: kühne Kunst. Der ganze Spaß dauerte mehr als zwei Stunden. Ein Augen- und Ohrenzeuge aus Deutschland sagt: “Herrlich absurd war das! Diese Mischung aus Tradition und Spuk hat mich an meine Zeit in Weißrussland erinnert.”

Übrigens war die Veranstaltung überraschend vorgezogen worden, weil der Gouverneur sonst nicht gekommen wäre. Erst abends wurde bekanntgegeben, dass der Festakt schon am nächsten Tag stattfinden würde und nicht, wie geplant, am übernächsten. “Ich möchte mal wissen, wie die es hinbekommen haben, dass der Stall trotzdem voll war”, sagt eine Deutsche, die in Odessa lebt. “Mich hat die Frau angerufen, die mir die Karte besorgt hatte. Aber die war vorher auch nur angerufen worden.”

Meine Lieblingskünster sehen Sie übrigens auf dem letzten Foto. Die Dame in dem schlecht sitzenden Kostüm und die Herren ringsum sind Rampensäue, die jeden Augenblick im Scheinwerferlicht genießen.

Film und Fotos: Herr Professor K. aus Deutschland. Danke.

Kolumne: Berliner Kindle 2

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg will das E-Book Leser Kindle 2. Ich soll es ihm mitbringen, wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin. Er spricht seit zwei Wochen von nichts anderem. Er nervt. Jeden Tag erinnert er mich an die langen Wartezeiten und fragt, ob ich das E-Book Leser Kindle 2 endlich bestellt hätte.
„Weißt du überhaupt, was das ist?”, habe ich gestern gefragt.
„Ungefähr”, sagte Oleg. „Weißt du mehr?”
„Ich kenne Berliner Kindl.”
„Bringste mir auch noch mit.”

Ich weiß nicht, wie Oleg dieses E-Book Leser Kindle 2 bezahlen will. Es kostet 360 Dollar ohne Versandkosten. Wahrscheinlich wird Oleg seine Schulden bei mir abstottern, und ich stottere sie wiederum bei irgendeinem anderen ab, Oleg pumpt sich also Geld von einem, der selbst kein Geld hat und es sich pumpen muss, und vermutlich werde ich dann endlich begreifen, wie es zu dieser Finanzkrise hat kommen können.

Ich mache diesen Technikwahn nicht mit. Ich werde nie im Leben twittern, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Irgendwo habe ich gelesen, man brauche nur 140 Zeichen und könne mit der ganzen Welt kommunizieren. Ich frage mich: wozu?

Ich bin mit meinem Blog überfordert, weil mir Updates angeboten werden, die ich beharrlich ignoriere. Hin und wieder merke ich, dass der Mann, der mir das Blog gebaut hat, etwas neu einstellt. Früher hat mir er mir Mails geschickt und verkündet, er installiere dieses unheimlich wichtige Plugin, wenn ich einverstanden sei. Ich schrieb jedes Mal zurück: „Ich verstehe kein Wort. Erklär es mir bitte auch nicht. Mach, was Du willst.”

Mittlerweile macht er, was er will. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, falle ich ihm um den Hals.

Ich werde mir auch kein iPhone kaufen, niemals kaufe ich mir ein iPhone, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Mein aktueller Wissenstand ist: ein ziemlich teures Telefon ohne Schnur.

Ich habe mal einen iPod besessen. Ich hatte geglaubt, ich müsste so etwas besitzen. Vor zwei oder drei Jahren ist er verschwunden, ohne dass ich ihn vermisst hätte. Der iPod war einfach weg. Ich glaube, er hatte ein weißes Gehäuse, vielleicht verwechsele ich das aber auch mit meinem ersten Walkman oder meiner Kindergartenbrotdose.

Seit Tagen versuche ich, bei Outlook Express ein neues E-Mail-Konto einzurichten; es klappt nicht. Ich kann Nachrichten empfangen, aber nicht verschicken. Ich schreie die Tastatur an, dann besuche ich irgendein Forum im Internet und frage, was ich falsch mache, danach erhalte ich eine so genannte Antwort und schreie wieder die Tastatur an.

Die Farbe meines iPods hat mir keine Ruhe gelassen, ich habe geforscht, nach Fotos gekramt in der Hoffnung, irgendwo Kopfhörer im Ohr zu haben, und Freunde befragt, von denen ich glaube, dass sie mich einigermaßen kennen. Nichts. Keine Spur. Niemand erinnert sich an mich mit einem iPod.

Zu Weihnachten habe ich mir ein Diktiergerät schenken lassen, ein ganz flaches, und ein Mikrofon, wie es Schlagersänger benutzen, gleich noch dazu. Ich wollte meine Kolumnen einlesen. Hätte mir der Mensch, der mir das Diktiergerät geschenkt hat, nicht sagen können, wie grauenhaft meine Stimme klingt?

Vorhin hat meine Mutter angerufen. „Suchst du noch dieses Ding?”, fragte sie.
„Meinen iPod, ja.”
„Das Ding ist bei uns im Auto, wir haben es ans Radio angeschlossen, du weißt ja, wir wollten damals keinen CD-Player, weil der nur die CDs zerkratzt, wenn man über eine holprige Straße fährt.”
„Ist der iPod weiß?”
„Da müsste ich schnell in die Garage gehen. Soll ich?”
„Ach, ist nicht so wichtig”, sagte ich. „Hört ihr eigentlich meine Musik im Auto?”
„Ist alles gelöscht. Da sind nur noch Brunner&Brunner drauf, wir hören doch nichts anderes, kennst uns doch.”
„Muss euch nicht peinlich sein.”
„Ist uns nicht peinlich.”

Jetzt weiß ich, wie Technikwahn endet.