Oleg, Axel und ich

ODESSA, UKRAINE: Nach all den Unannehmlichkeiten wegen dieses hübschen Models, dessen Erzeuger ich mein Leben lang nicht vergessen werde, gestatte ich mir den dezenten Hinweis auf einen Text. Auf Kolumnen.de lege ich Oleg um. Und gleich nebenan finden Sie eine – wie immer – ausgezeichnete Kolumne von Axel Scherm über den Gitarrenschlecker Jimi Hendrix. Ich weiß nicht, wie es meinem geschätzten Kollegen geht, aber ich brauche Streicheleinheiten. Danke.

Korrekturkolumne: Ich bin ein Staatsfeind

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir, weil ich Schande über die Ukraine gebracht haben soll. Ich dachte zunächst, er meine die Korruptionskolumne “Oleg ist dabei”, ich wollte mich verteidigen und sagte, ich hätte sie schreiben müssen und sei von den Lesern gezwungen worden. “Sie wollten immer mehr Honig, Oleg, wir feierten doch die Korruptionswoche in meinem Blog, Oleg, die Stimmung war prächtig. Oleg, bitte glaub mir. Außerdem ging es doch fast gar nicht um dich, sondern mehr um die Bären in Odessas Zoo.”

Oleg meinte aber meine Nachricht “Die schöne Tochter von Lady Ju”. Witalina (27) im Hochzeitskleid auf dem Laufsteg in Mailand hatte ich schon verdrängt. Ich bin ja ohnehin ziemlich vergesslich.
“Du hast Julia Timoschenko ein Kind gemacht, du Schuft! Sie ist eine Heldin. Sie hat die Orangene Revolution erkämpft”, schrie Oleg heute Nachmittag. “Du hast unserem Präsidenten Wiktor Juschtschenko, einem Maladjez, die Tochter genommen, du kranker Kolumnist.”
“Ich habe aus der Präsidententochter die Ministerpräsidentinnentochter gemacht, ist das unverzeihlich? Kann das nicht mal passieren?”, fragte ich.
“Ja! Nein! Du beleidigst ein stolzes Volk.”
“Ich habe etwas verwechselt, ich habe nicht aufgepasst, ich habe mich auch entschuldigt. Du schimpfst immerzu auf Timoschenko und Juschtschenko. Bei dir sind sie keine Helden und Prachtkerle. Ich dürfte nicht mal zitieren, was du über sie sagst.”
“Ich darf das, ich bin ein Ukrainer”, sagte Oleg. Danach kam dieser Satz von der Schande.

Skatbruder Heinz Moltke und die gerupfte Gans

Es gibt Statistiken, wonach jeder Lokführer zweimal im Leben mit seinem Zug ungewollt einen Selbstmörder überrollt. Journalisten erleben ähnliche Tragödien. Sie können Tote über Nacht wieder zum Leben erwecken, bloß dankt es ihnen niemand. Bei mir war es der Klassiker: Man holt ein Foto aus dem Archiv, von einem Skatabend zum Beispiel, um die Leser zur Teilnahme am Herbstturnier aufzurufen, und schreibt unter das Bild, Heinz Moltke habe im Frühjahr souverän gewonnen und hoffe wieder auf gute Karten. Wenn das Zeitungsarchiv gepflegt wird, findet man sogar noch das Foto des Siegers bei der Preisübergabe. Bei mir hatte Heinz Moltke eine schon gerupfte Gans im Arm. Er lachte.

Am nächsten Morgen, gerade in der Redaktion eingetroffen, hat man eine aufgelöste Frau am Telefon, genauer gesagt: die weinende Witwe Moltke. Da hilft dann nur: der beste Blumenstrauß, den der teuerste Florist im Ort für Geld binden kann, und ganz viel Demut. Ausreden sind absolut unangebracht und wirken verheerend. Bei Kaffee und Kuchen, natürlich vom Verursacher der Tränen gekauft und vorbeigebracht, erzählt Frau Moltke einen Nachmittag lang ihre Lebensgeschichte vom ersten bis zum letzten Tanz mit Heinz. Am Ende dieses mehrstündigen Monologs klagt man trotzdem nicht. Man dankt Gott für seine Güte und Milde, auch wenn man Atheist ist.

Juschtschenko und mein Blog

Vor einer Stunde habe ich Oleg angerufen, ich brauchte seinen Rat. Oleg meldete sich nicht mit seinem Namen, wie er es sonst tut, er nahm den Hörer ab und sagte gleich: „An deiner Stelle würde ich ein bisschen aufpassen, wenn ich auf die Straße gehe.”
„Liest Juschtschenko mein Blog?”
„Nein”, sagte Oleg.
„Ein Glück.”
„Natürlich lässt er lesen. Er ist der Präsident.”
“Oleg, hör mal bitte zu. Soll ich Juschtschenko und Timoschenko Blumen oder besser Kuchen schicken?”, fragte ich.
“Glaub mir, mein Freund, den Strauß, der dich retten könnte, den gibt es nicht. Und Kuchen würde ich dem Präsidenten erst recht nicht schicken. Andrejewitsch ist seit diesem Vorfall, du weißt schon, sehr vorsichtig geworden. Du kennst mich nicht, ja?”

Ich hoffe, ich habe jetzt als Journalist genug Tragödien angerichtet und werde nie mehr einen Toten zum Leben erwecken müssen. Wann immer ich Skat spiele, denke ich an Heinz Moltke (†) und die gerupfte Gans in seinem Arm.

Ich greife zur Schaufel

ODESSA, UKRAINE: Ich grabe mal schnell ein ganz tiefes Loch zum Drinversinken. Natürlich ist die Hübsche da unten nicht die Tochter von Regierungschefin Julia Timoschenko, sondern von Staatspräsident Wiktor Juschtschenko. Mein Kollege Andreas Solf hat mich auf diesen Unsinn gerade aufmerksam gemacht. Ich hätte gern eine gute Erklärung zur Hand. Da mir die aber fehlt, ist dort jetzt die Schaufel. Juschtschenko und Timoschenko zu verwechseln – das tut richtig weh.

Dabei habe ich die Geschichte gestern und heute ja in der Zeitung gelesen.

Ich lass den Fehler drin – als Lehrstück, wie man eine schöne Nachricht aufhübscht und ruiniert. So, das Loch ist tief genug.

Die schöne Tochter von Lady Ju

ODESSA, UKRAINE Julia Timoschenko (> Ukrainische Ministerpräsidentin vermisst > Vermisstes Mädchen (47) wieder zu Haus, Geheimtreffen auf Sardinien? > Kurgast im deutschsprachigen Raum) ist schön.

Julia Timoschenko, glasklar
Julia Timoschenko, glasklar

Die Dame mit der Krone aus Eigenhaar hat aber der trüben Welt auch eine sehr ansehnliche Tochter geschenkt. Witalina, 27 Jahre alt, stöckelt in Hochzeitskleidern gerade über die Mailänder Laufstege. Das Model dürfte eine gute Partie sein. Mama, Boulevardkampfnahme: Lady Ju, soll in den neunziger Jahren als “Gasprinzessin” an die Zeit der Rente gedacht und vorgesorgt haben. Aber wie das so ist mit den besten Töchtern – längst vergeben und zwei Kinder. Auch deshalb sieht mancher die Welt ja trübe.

Ein Ausriss aus der heutigen Segodnya: Die schöne Blondine ist Witalina, die Tochter der Regierungschefin Julia Timoschenko.
Ein Ausriss aus der heutigen Segodnya: Die schöne Blondine ist Witalina, die Tochter der Regierungschefin Julia Timoschenko.

Morgen Stapellauf der Oleg I

ODESSA, UKRAINE Ja! Sie ist es wirklich, kein Zweifel, Sie können mir glauben. Das ist meine neue Jacht Oleg I. (Im Hintergrund ankert die Queen Victoria, die heute Morgen, aus Istanbul kommend, in Odessa eingelaufen ist und um 17 Uhr wieder ablegt in Richtung Griechenland.) Ich habe mir das Boot gestern gekauft, um Steuern zu sparen. Mein Homepage brummt ja dermaßen, und demnächst werde ich noch auf Bezahlblog umrüsten. Da habe ich die zu erwartenden Mehreinnahmen schon mal angelegt. Ich will dem Staat doch nichts schenken.

Noch ein paar Worte zu Queen Victoria, die das Bild ein bisschen stört: Ich habe mir sagen lassen, dass der Anblick der Schönen aus Southampton – Maße: 294, 32,3, 65 (Meter) – ein epochales Ereignis im Leben eines Mannes ist. Nun ja, die Wirkung tritt wahrscheinlich erst morgen ein.
Die absolut repräsentative Umfrage unter den Passagieren (ein englisches Rentnerpaar = 140 Jahre England) samt kritischem Verhör („It’s fine?”) hat übrigens ergeben: Wetter könnte besser sein.

Korruptionskolumne: Oleg ist dabei

ODESSA, UKRAINE Ich glaube, mein Freund Oleg ist korrupt, ein bisschen jedenfalls, man könnte dieses Problem vermutlich auch anders nennen. Bestimmt ist er nur ein sympathischer Kerl, der hilft, wenn im Büro Hilfe gebraucht wird, und dafür entlohnt wird. Ich kann ohnehin noch nichts beweisen, obwohl ich ihm allmählich auf die Schliche komme. Oleg macht Fehler, schwere Fehler.

Vor drei Tagen hat er mir das größte Honigglas geschenkt, das ich je gesehen habe, es ist unheimlich riesig. Die Bärenfamilie in Odessas Zoo könnte die Freunde aus dem Kiewer Gehege einladen, eine dreitägige Honigparty feiern und den Rest als Kleister zum Tapezieren der Wände nehmen. Danach müsste allen Bären wegen Honigvergiftung der Magen ausgepumpt werden.

Ich musste erfahren, woher das Glas stammt.
„Ist von Mama höchstpersönlich”, sagte Oleg.
„Schon wieder ein Geschenk von ihr?”, fragte ich.
“Das ist Kolumnistenköder, du sollst sie mal besuchen.”

Keine Angst vor fünf sibirischen Wintern

Olegs Mama muss fabelhaft sein. Sie ist eine bienenfleißige Imkerin, die überdies CDs presst oder sogar Boss einer Plattenfirma ist, eine Dickestrümpfestrickfabrik besitzt und immer ein paar Whiskyfässer im Keller hat. Hin und wieder schenkt sie mir eine CD. Die Strümpfe, die mir Oleg in ihrem Namen überreicht hat, brächten mich durch fünf sibirische Winter. Den Whisky habe ich noch nicht probiert. Erst muss der Honig alle werden. Natürlich leugnet Oleg, dass er sich bestechen lässt.

Ich habe überlegt, was man mir bieten müsste, dass ich korrupt würde. Viel ist mir nicht eingefallen. Geld interessiert mich nicht. Die Spielzeuge der Männer besitze ich schon. Ich habe ein Auto, das ich eigentlich nicht brauche, eine Uhr, die ich wegen ihrer Kostbarkeit kaum trage, und ein Handy, an dem ich nicht hänge. Es klingelt zweimal, dann verliere ich es schon wieder. Wer mein Telefon findet, hat praktisch ein neues Modell. Und wenn ich Eisenbahn spielen will, gehe ich zwischen 8 und 16 Uhr in das Zimmer meines Sohnes, dann ist er im Kindergarten, und stelle ein paar Weichen seiner Briobahn um. Die Dampflokomotive schnauft sogar.

Sehnsucht nach Pesto

Bis gestern hätte ich trotzdem gewusst, wie man mich verführen kann. Wäre ein Mann gekommen und hätte mir versprochen, jeden Montag zwei Gläschen Pesto, eingewickelt in Zeitungspapier, im Morgengrauen vor meine Tür zu legen, ich wäre schwach geworden. Pesto ist Mangelware in Odessa. An einem guten Tag fragt mich die Verkäuferin, was Pesto sei, nachdem ich sie gefragt habe, wo Pesto im Regal stehe. Ich stottere und sage: „So etwas Ähnliches wie das hier, nur in Grün und für Nudeln.” Dabei zeige ich auf Senf.

An einem schlechten Tag finde ich Pesto und überlege, ob der Marktleiter oder die Marktwirtschaft bekloppt ist, weil zwei Teelöffel dieser Paste umgerechnet zehn Euro kosten. Käme in einem solchen Augenblick dieser Mann und verspräche eine montägliche Lieferung ohne jedes Risiko für mich, ich würde wahrscheinlich einiges tun, das sich für einen Journalisten außerhalb der Lokalberichterstattung nicht gehört.

Bis gestern war ich in Gefahr. Als präventiven Schlag gegen meine Verführbarkeit habe ich mir heute einen Mixer gekauft. Jetzt mache ich Pesto selbst und bin nicht mehr korrumpierbar.

“Tribut an die Tradition”

Ich würde Oleg gern helfen, diesem Korruptionssumpf aus Honig, Whisky, dicken Socken und CDs zu entsteigen. Er ist doch bloß ein Opfer des ukrainischen Systems. Wahrscheinlich lassen sich die Kollegen auch beschenken für eine kleine Gefälligkeit und üben einen Gruppenzwang aus. Andrej Kurkow, einer der großen Schriftsteller des Landes in der Gegenwart, schreibt in seinem Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten”, manche Korruption in der Ukraine könne gar nicht verboten werden. Sie sei „ein Tribut an die Tradition”.

Ich muss Oleg da trotzdem rausholen, ich bin Journalist, ich habe sogar einen internationalen Presseausweis, der mich vor Übergriffen schützen soll, ich kann doch nicht zuschauen, wie in meinem unmittelbaren Umfeld der Filz wächst. Ich könnte Oleg eine neue Identität verschaffen, ich habe ganz gute Kontakte in die Schweiz: Der Chef von Krusenstern.ch, ein Experte für Russland, Belarus und die Ukraine, hat mein Odessa-Blog verlinkt.

Andererseits, wie fülle ich meine Kolumnen, wenn Oleg in der Schweiz untergetaucht ist?

Korruption als Alltagsproblem

ODESSA, UKRAINE Meinem treuen Leser Theobald Tiger und natürlich allen anderen, die sich auch fragen, wie es um den Wirtschaftsstandort Ukraine bestellt ist, empfehle ich den Beitrag von Harald Meyer auf Handelsblatt.com. Meyer erzählt, wie die Korruption im kleinen – etwa in Personalabteilungen – aussieht und was deutsche Unternehmer erwartet, wenn sie in der Ukraine investieren wollen. Kurze Kostprobe:

Ein allgegenwärtiges Problem für Unternehmen in der Ukraine ist auch die Korruption. Sie hat in der Ukraine gleichsam systemischen Charakter. Überall werden Schmiergelder verlangt. Bei jedem Lkw, der an der Grenze entzollt wird, muss mit Bakschisch-Forderungen des Zöllners gerechnet werden. Es empfiehlt sich aber, eine harte Linie “keine Zahlungen” zu verfolgen. Man sollte stattdessen versuchen, vorgesetzte Stellen zu mobilisieren oder Verbindungen zu nutzen. Jedoch – nicht jeder Mittelständler wird diese Linie durchhalten können, wenn es seinem Zweigbetrieb in der Ukraine schon an der schieren Größe fehlt. Kleine Unternehmen haben in der Regel größere Probleme als große Unternehmen, die ihre politischen Kontakte und ihre Steuerzahlungen als Hebel einsetzen können, um Korruptionsversuche staatlicher oder kommunaler Stellen abzuwehren.

In jedem Falle ratsam ist es,

  • sich strikt ans Gesetz zu halten und dies auch dann zu versuchen, wenn die ukrainischen Gesetze, Verordnungen usw. nicht selten unklar oder in sich widersprüchlich sind;
  • die Steuer- und Lohnzahlungen pünktlich zu leisten, um Erpressbarkeit zu vermeiden;
  • den bürokratischen Instanzenwegen zu folgen, auch wenn diese oft entsetzlich lang und zeitaufwändig sind. (…)

Ein heikles Thema ist in der Ukraine auch die weit verbreitete betriebsinterne Korruption, wenn zum Beispiel in den Personalabteilungen “kleine Königreiche” entstehen und bei Neueinstellungen unter Umgehung von Wartelisten Schmiergelder oder sogar zeitlich unbefristete Royalties verlangt und gezahlt werden. Das ukrainische Arbeitsrecht erschwert fristlose Kündigungen wegen Fehlverhaltens. Von den restriktiven Kündigungsklauseln, was die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber anbetrifft, gehen Zwänge aus, welche die Umsetzung der Unternehmenskultur im Betrieb behindern.

Hier geht es zum Beitrag “Welche Fallstricke in der Ukraine lauern”.

Mehr kann ich heute leider nicht bieten: Ich bin gedanklich schon im Fußballstadion. Dynamo Kiew spielt um 20.30 Uhr gegen Odessa – es sei denn, das Spiel wird noch abgesagt. Es regnet seit Tagen.

Matroschka beweint die Scheidung

ODESSA, UKRAINE Man muss vielleicht ein Gedankenspiel wagen, um die Dramatik zu erfassen, die in der Ukraine herrscht. Man stelle sich vor, in Deutschland würde zunächst die Koalition zusammenbrechen, woraufhin aus Wut Bundestagspräsident Norbert Lammert zurückträte. Und schließlich befürwortete der bayerische Landtag aus Liebe zu Österreich und gegen den Willen Berlins noch die Unabhängigkeit Südtirols. Man stelle sich zusätzlich vor, dies alles geschehe auf einmal – binnen zwei Wochen.

Auch wenn der konstruierte Vergleich offenkundig wackelig ist – so ungefähr sieht es zwischen Kiew und Odessa aus. Die prowestliche Regierungskoalition ist Geschichte. Die Präsidentenpartei Unsere Ukraine und der Block der Premierministerin Julia Timoschenko haben das Bündnis in dieser Woche nach gegenseitigen Schuldzuweisungen endgültig begraben. Der Rücktritt des Parlamentspräsidenten Arseni Jazenjuk am Mittwoch war da nur noch eine Fußnote. “Man muss würdevoll an die Macht kommen und sie auch mit Würde verlassen”, sagte Jazenjuk, ein Parteifreund des Staatschefs Wiktor Juschtschenko. Es war eine Flucht vor der möglichen neuen Mehrheit im Parlament.

Zwei Alphatiere im Schlamm

Woran ist die Koalition zerbrochen? Endgültig und auch offiziell gescheitert ist sie wegen des Kaukasuskonflikts. Doch zwischen Timoschenko und Juschtschenko kriselt es seit Jahren. Die beiden Helden der Orangenen Revolution von 2004 haben sich einen Machtkampf, gespickt mit persönlichen Verleumdungen, geliefert. Zwei politische Alphatiere sudelten sich nach Herzenslust im Schlamm und freuten sich, wenn der Kontrahent ein bisschen schmutziger herausstieg. Das Traumpaar, das so große Hoffnungen geweckt hatte, wird es künftig nur noch auf den Matroschkas geben, die die Touristen so gerne kaufen.

Beide trennen aber auch politische Überzeugungen. Juschtschenko will die Ukraine um jeden Preis in den Westen führen, strebt eine präsidentielle Demokratie an und stellt sich als oberster Bekämpfer der Korruption dar. Timoschenko agiert taktischer und kuschelt auch mal mit Russland, um im Osten und Süden der Ukraine zu punkten, wo die Moskautreuen zu Hause sind. Böswillige behaupten, sie positioniere sich schon jetzt für die Präsidentschaftswahl, die Ende des nächsten Jahres oder Anfang 2010 stattfinden wird. Sie hat gute Chancen, den unbeliebten Juschtschenko abzulösen, der für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich gemacht wird.

Der Kaukasuskrieg und die Frage, ob Russlands Einmarsch verurteilt werden müsse, haben diesen Konflikt eskalieren lassen. Während sich Juschtschenko schnell auf die Seite Georgiens stellte, schwieg Timoschenko tagelang und wurde prompt verdächtig, sie lasse sich von Moskau dafür bezahlen. Dass Freunde und Helfer des Präsidenten dieses Gerücht streuten, ist wahrscheinlich.

Ein neues Bündnis mit dem alten Feind

In dieser Woche sagte Timoschenko, Juschtschenko habe mit seiner antirussischen Politik das Land in die Krise geführt. Er sei auch verantwortlich “für alles Schlechte”, das in den Beziehungen zwischen beiden Staaten künftig geschehe. Die Regierungschefin verlangt mehr Ausgewogenenheit im Umgang mit Russland, ohne freilich genau zu erklären, was sie damit meint.

Timoschenko verhandelt jetzt mit der Opposition. Ausgerechnet die prorussische Partei der Regionen um den früheren Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch soll ihr beim Regieren helfen. Janukowitsch war das Feindbild von Timoschenko und Juschtschenko während der Orangenen Revolution. Sollte dieses Bündnis doch nicht zustande kommen, dürfte es im Dezember Neuwahlen geben.

Mit ihrer schwersten innenpolitischen Krise seit langem zahlt die Ukraine den Preis für ein ungelöstes Problem. Die Frage, ob das Land nach Westen gehört und nach Russland, spaltet Wähler wie Politiker. Bislang fehlt ein Rezept, um den Riss zu kitten, zumal die Europäische Union und die Nato die ukrainischen Annäherungsversuche auch nur halbherzig erwidern. Vor allem Frankreich und Deutschland scheuen das Risiko. Eine Aufnahme der Ukraine in Europas Mitte und ins westliche Verteidigungsbündnis dürfte das Verhältnis zu Russland erheblich belasten und Putwedjews Rache heraufbeschwören.

Auf ihrem Gipfel in Paris hat die EU der Ukraine jüngst nur eine engere Partnerschaft versprochen – ohne Beitrittsperspektive. Dass der französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy davon sprach, man habe das maximale Ergebnis erzielt, dürfte die prorussischen Kräfte im Land jubeln lassen. Andererseits kann man von der EU auch nicht verlangen, die Ukraine aus Mitleid aufzunehmen und alle Kriterien zu vergessen, die für andere Bewerber gelten.

Freie Bahn für die Separatisten

In dieser Woche nun haben 79 von 90 Parlamentariern der ukrainischen Autonomen Republik Krim in einer Resolution die Kollegen in Kiew aufgefordert, die beiden georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen. Zuletzt hatten selbst europäische Diplomaten gewarnt, die Halbinsel könnte das nächste Ziel der russischen Expansionspolitik sein. 60 Prozent der Bewohner der Krim bezeichnen sich als russischstämmig. Eine Mehrheit wünscht sich die Staatsbürgerschaft des großen Nachbarn. Angeblich lässt Moskau bereits russische Pässe verteilen, was die Botschaft in Kiew laut einem Bericht der Deutschen Welle dementiert.

Es ist gewiss kein Zufall, dass die Separatisten, die von einer Rückkehr nach Russland träumen, die Resolution gerade jetzt verabschiedet haben. Ihre Gegner sind angeschlagen und bekämpfen sich lieber selbst.

Nachtrag: Der ukrainische Außenminister Wolodymyr Ohrysko wirft Russland im Interview mit dem Focus vor, die Krim destabilisieren zu wollen. Er bezieht sich dabei auch auf die Verteilung von Pässen.

Schuldfrage als Puzzlespiel

ODESSA, UKRAINE Solch einen grandiosen Einfall kann nur ein Schweizer haben. Mein Kollege Jürg Vollmer hat auf Krusenstern.ch ein spannendes Experiment gestartet. Er will die Schuldfrage im Kaukasus-Konflikt klären, und seine Leser sollen bei der Spurensuche helfen – nicht mit Verschwörungstheorien, sondern mit Fakten. Vollmer erklärt auch, wie westliche Spin Doctors mit Millionenbudgets versuchen, die Medienberichterstattung zu beeinflussen. Hier geht’s zum Puzzle “Kaukasus-Konflikt: Hat Russland oder Georgien den Krieg begonnen?”

Und ich frage Jürg Vollmer gleich mal, ob er mir die Schweizer Staatsbürgerschaft das Schweizer Bürgerrecht verschaffen kann.

Ukraine in schlechter Gesellschaft

1. Singapur
2. Neuseeland
3. USA
4. Honkong
5. Dänemark
6. Großbritannien
7. Irland
8. Kanada
9. Australien
10. Norwegen
(…)
25. Deutschland
(…)
120. Russland
(…)
138. Usbekistan
139. Ruanda
140. Philippinen
141. Mosambik
142. Iran
143. Kap Verde
144. Madagaskar
145. Ukraine
146. Surinam
147. Sudan
148. Burkina Faso
149. Senegal
150. Bolivien
(…)
181. Kongo

Das ist das Ergebnis der Studie Doing Business 2009, die die Weltbank jetzt veröffentlicht hat. Sie bewertet das Investitionsklima und gilt als ein Gradmesser für Wachstumshindernisse. Zu den Indikatoren gehören Eigentumseintragung, Durchsetzung von Verträgen, die Möglichkeiten der Kreditaufnahme und Investorenschutz.

Die Ukraine verliert im Vergleich zum Vorjahr einen Platz. Fortschritte über Reformen bescheinigt die Weltbank der Ukraine bei Getting Credit, Paying Taxes und Trading across borders. Das Dealing with construction permits hat sich laut Studie verschlechtert.

Die Reaktion in der Ukraine auf Platz 145: keine.