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Grenzenlose Liebe

ODESSA, UKRAINE Irina Jewdokimowa aus Sankt Petersburg lebt seit drei Jahren in einer deutschen Kleinstadt. Angekommen ist sie nie. „Ich fühle mich sehr fremd hier”, erzählt sie. “Ich habe seit Beginn meiner Ehe Heimweh.” Die russische Großfamilie fehlt ihr. In Sankt Petersburg hat die Kauffrau in einer Bank gearbeitet, jetzt sitzt sie zu Hause, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wird. Die Chancen, Arbeit zu finden, stünden „eins zu einer Million”. Irina Jewdokimowa hat kurzes, dunkles Haar, aber kein Gesicht. Sie hat es der Kamera abgewendet.

Ausstellungseröffnung im Literaturmuseum Odessa
Ausstellungseröffnung im Literaturmuseum Odessa

„Abenteuer Ehe – Heiratsemigrantinnen gestern und heute” heißt die Wanderausstellung, die am Sonntag – als Teil der Deutschen Kulturwochen in der Ukraine – in Odessas Literaturmuseum eröffnet worden ist. Noch ein bisschen sperriger ist der Titel der Macher: Frauen in der Einen Welt – Zentrum für interkulturelle Frauenalltagsforschung und internationalen Austausch e. V. (FidEW). Bislang ist die Schau, 1998 zum ersten Mal, nur in Deutschland zu sehen gewesen. Jetzt soll sie auch in der Ukraine und später vielleicht in Russland gezeigt werden.

„Abenteuer Ehe” erzählt die Geschichte weiblicher Auswanderer von Theophanu aus Konstantinopel, die 972 nach Rom reiste, um den späteren Kaiser Otto II. zu heiraten, bis in die Gegenwart. Die Besucher sollen erkennen, dass Frauen zu allen Zeiten Heimat gegen Heirat getauscht haben, auch wenn Schlagzeilen und Fernsehreportagen bisweilen unterstellen, es handele sich um ein neues Phänomen. Der Ruf dieser Liebe, die Grenzen überwindet, ist entsprechend schlecht: Männer kaufen sich in Osteuropa und Asien eine Unterwürfige, die sie in Deutschland längst nicht mehr finden; die Frauen sind entweder Opfer und landen im Ehegefängnis oder werden als Täter gehandelt, die den Mann nur ausnehmen wollen. Oder sie gelangen als Prostituierte in die rosa beleuchteten Fleischtheken zwischen Hamburg und Rom. Dass sie sich tatsächlich verlieben und freiwillig heiraten, wird ungern wahrgenommen. „Wir wollen diese Diskriminierung reduzieren”, sagt die Soziologin Meral Akkent vom Verein mit dem langen Namen. „Wir erhoffen uns einen Aha-Effekt.”

Kriegsbräute als deutscher Exportschlager

Zwischen 1850 und 1900 suchten mehr als fünf Millionen Deutsche anderswo ihr Glück. Keineswegs nur Männer zog es in die Welt hinaus, mehr als 40 Prozent der Auswanderer waren Frauen. Wenngleich in Australien, Afrika und Mittel- und Südamerika deutsche Kolonien entstanden, lebten fortan neun von zehn Deutschen in den USA und holten Freunde, Verwandte und Nachbarn nach. Die Sehnsucht nach der Heimat war schon in dieser Zeit ein ständiger Begleiter in der Fremde.

Oftmals abgeschreckt von den selbstbewussten Amerikanerinnen mit ihrem Freiheitsdrang, ließen deutsche Männer zu Hause eine Braut suchen. Sie fanden vor allem Abenteurerinnen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA das begehrte Ziel deutscher Frauen. Sie folgten, als Amibräute nicht gerade freundlich verabschiedet, Besatzern und wurden als Kriegsbräute auch nicht gerade freundlich empfangen, weil sie den amerikanischen Frauen die siegreichen Soldaten nahmen.

Vieles, was die in der Ausstellung Porträtierten ein halbes Jahrhundert später erzählen, klingt deshalb vertraut. „Ich werde im Innern immer eine Ukrainerin bleiben”, sagt Natasha Shevchenko. Dabei ist ihre Geschichte eine der besseren. Die Frau mit dem blonden Haar und den braunen Augen besuchte eine ehemalige Schulfreundin in Deutschland, als sie ein Mann zum Bier einlud. Mit ihm wechselte sie E-Mails, bis er sie eines Tages den Verwandten vorstellte. „Du bist schön”, sagte die Oma des jungen Deutschen.

Meral Akkent
Meral Akkent vom Verein Frauen in der Einen Welt - Zentrum für interkulturelle Frauenalltagsforschung und internationalen Austausch

Andere Frauen haben nur einen Vornamen oder lassen sich erst gar nicht fotografieren. Aus Angst, Vater und Mutter könnten erfahren, wie unglücklich und traurig die Tochter in Deutschland sei, hätten sie auf ein Stück Anonymität bestanden, sagt Meral Akkent.

Ewige Liebe mit dem Rucksacktouristen

Die Heiratsemigration, meint die Soziologin, habe sich über die Jahrhunderte nicht verändert. Damals wie heute suchten Auswanderinnen wirtschaftliche und politische Sicherheit, hätten sich verliebt oder seien einfach abenteuerlustig. „Frauen lassen sich auf Abenteuer übrigens eher ein als Männer”, sagt Akkent. Man muss das erfragen, weil die Männer nur passive Figuren sind in dieser Schau. Über sie erfährt der Besucher alles aus zweiter Hand: von verliebten, verheirateten und verbitterten Frauen. Sie selbst kommen nicht zu Wort.

Die Ausstellung – das ist ihre Leistung – vergisst niemanden. Sie lässt Dalisay Braun erzählen, die für Konrad die Philippinen verließ und bald erfuhr, dass sie seine sechste Frau ist. Besser erging es ihrer Landsfrau Ana, in die sich Mitte der siebziger Jahre ein deutscher Rucksacktourist verliebte. Die Krankenschwester aus Manila wagte erst 1980 die Heirat. Heute sagt sie: „Er war meine erste Liebe und mein erster Mann…bis heute.”

Das große Leiden der Porträtierten ist die Einsamkeit. Sie vermissen die Freunde, die Familie und die Geborgenheit, die sie in der Heimat erlebt haben. Die Macher der Schau deuten zumindest an, dass sich Gesellschaft und Staat mehr kümmern müssten. “Es gibt keine adäquate soziale Hilfe für diese Frauen in Deutschland”, sagt Akkent. “Sprachkurse allein reichen nicht.”

Die Ausstellung schenkt dem abstrakten Thema der Emigration Gesichter und liefert so einprägsame wie intime und oft bestürzende Zitate. Zugleich jedoch bleibt sie, sich den Einzelschicksalen ganz hingebend, an der Oberfläche, weil die Lebensberichte, so ehrlich sie formuliert werden, ohne die Zügel der Wissenschaft davon galoppieren. Am Ende klingen sie erschreckend austauschbar. So bleibt auch offen, ob die Ukrainerin Natasha Shevchenko oder Irina Jewdokimowa aus Sankt Petersburg stellvertretend für viele andere Frauen stehen. Man darf das vermuten, erfährt es allerdings nicht.

NicoleWas bedeutet es etwa, wenn Nicole Borisyuk, die als Deutsche einen Ukrainer geheiratet hat und in Odessa lebt, erzählt, sie habe nie Heimweh? Ist die umgekehrte Auswanderung – aus dem Westen in den Osten – leichter? Und wenn das so ist, woran liegt das? Hat der Deutsche weniger Bindung an die Heimat? Ist er, als Mitglied einer modernen Gesellschaft, die Flexibilität verlangt, an Aufbrüche und Abschiede gewöhnt? Oder kann er, wohlhabend und selbstbewusst, mehr Rechte verlangen und freier leben? Mit solchen Fragen lässt einen die Schau allein.

„Abenteuer Ehe – Heiratsmigrantinnen gestern und heute” (deutsch und russisch), Literaturmuseum Odessa, Lanzheronskaya 2, 5. bis 30. Oktober, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

Kolumne: Ich leg Oleg um

ODESSA, UKRAINE Hasst eigentlich irgendjemand meinen Freund Oleg? Mir haben Frauen geschrieben, sie wollten ihn unbedingt und so schnell wie möglich kennen lernen. „Oleg ist so süß”, schrieb eine Dame, es stand sogar in der Betreffzeile ihrer Mail. Eine andere teilte mit: „Kolumne gut, Oleg heiß. Aua, schon wieder verbrannt!” Ich hätte es Oleg nicht erzählen dürfen, das ist für jeden Mann zu viel, ich habe es aber getan. Mir ist das nach dem zweiten Caipirinha einfach so rausgerutscht, obwohl ich nicht betrunken war. Mich ruiniert in Odessa die Sprite, die in vielen Bars statt Wasser auf die Limetten und das Eis gegossen wird. Ich habe Sprite noch nie vertragen.

Es war leichtsinnig von mir. Ich habe auch übertrieben, ich bin Journalist, mein Gott, ich wollte nur Meinungsmacht demonstrieren, ich habe sogar ein bisschen geschrien oder jedenfalls ziemlich laut gesprochen. Es waren genau zwei Frauen, die mir ausschließlich wegen Oleg geschrieben haben, und von der einen weiß ich ganz sicher, dass sie in festen Händen ist. Die andere ist auch immer in Händen, allerdings in nicht so festen, sie wechseln sehr oft.

Als ich merkte, dass Oleg das nicht verkraftet, habe ich versucht, das Thema zu wechseln. Ich erzählte, ich hätte zuletzt in einer Stadt gearbeitet, in der ein Oberbürgermeisterkandidat gerade dummes Zeug über Homosexuelle gesagt habe. Der Mann hat Schwule sehr direkt mit Aids in Verbindung gebracht und diesen Spruch mit der Seife gemacht, vielleicht hat er die Bundeswehr nicht verkraftet, ich kenne ihn nicht persönlich. Danach wollte er sich entschuldigen und machte alles noch schlimmer, indem er berichtete, er habe doch Freddie Mercury auch geliebt und schätze die Meinung vieler Männer, die schwul seien. Er kramte alles raus, was Herr Spießbürger für tuntig hält und meidet. Er schmiss sich richtig ran und strich den schönsten Satz später aus seiner Entschuldigung: “Am Samstag war ich mit einem Freund nackig im See schwimmen.”

Doch Oleg hatte nicht einmal zugehört. Er war noch ganz bei den Frauen. Jetzt besteht er darauf, dass er in mindestens jeder zweiten Kolumne auftritt, die ich veröffentliche. Ich soll es ihm schriftlich geben. Er will auch ein Zitathonorar, er verlangt eine Griwna pro Wort, das nachweislich er spricht.

Gestern Nacht habe ich geträumt, ich sei im Fernsehen. Die Moderatorin begrüßte mich und sagte: „Wenn ich Ihnen vor einem Jahr gesagt hätte, Sie wären heute der erfolgreichste Kolumnist Deutschlands und der Blogger – ich übersetze das mal mit journalistisch angehauchter Schreiber im Internet – , der Blogger mit den meisten Page-Impressions, also sehr vielen Lesern, was hätten Sie mir geantwortet?”
„Zunächst hätte ich Ihnen erklärt, dass dieser Satz für eine Einstiegsfrage kurz vor Mitternacht zu lang sein könnte”, sagte mein Traum-Ich. „Danach hätte ich geantwortet: Jetzt sind wir schon zwei, die das glauben.” Niemand lachte.

Die restlichen zehn Minuten gehörten Oleg. Die Moderatorin erzählte, die Redakteure hätten alles versucht, „diesen Liebling so vieler deutscher Frauen” einzuladen. An dieser Stelle gab es Beifall. Doch Oleg habe abgelehnt und gesagt: „Bei Ihrer Gesprächsrunde handelt es sich um eine Sendung im dritten Programm. Die kann der Kolumnist schön alleine machen. Zu Wetten, dass…? würde ich gehen, aber auch nur, wenn Jennifer Lopez käme.” Die Leute fanden das nicht arrogant, sondern witzig. Ich wollte das Thema wechseln und versuchte mich an den Oberbürgermeisterkandidaten zu erinnern, der vor einem Jahr irgendetwas Gemeines über Homosexuelle… Doch die Moderatorin fragte weiter nach Oleg. Oleg war nicht mehr mein Freund, ich war der Freund von Oleg.

Vor ein paar Minuten habe ich Oleg erklärt, ich könne ihm nicht eine Griwna pro Wort zahlen, das sei nicht refinanzierbar für mich, ich müsste meine Kosten auf die Leser umlegen. Und ich weiß, dass ein solches Verfahren immer Ärger macht, ich habe früher als Reporter in der Provinz oft darüber berichtet. Die Stadt baut einen neuen Bürgersteig und legt um auf die Hausbesitzer, und die wiederum legen um auf die Mieter. Alles wird in Deutschland umgelegt: Abwasserleitungen, Klärwerke, sogar Trauerhallen.

Oleg sagte nur, ehe er die Verhandlungen abbrach: „Leg um, wen du willst. Du bist nichts ohne mich. Das ist die Wahrheit.”

Seine letzten vierzehn Wörter würden mich 14 Griwen kosten, das sind zwei Euro. Wenn Oleg nicht noch ein günstigeres Angebot unterbreitet, schmeiße ich ihn raus.