ODESSA, UKRAINE Ich will Ihnen nur rasch zeigen, in welch netter Ecke von Odessa ich meinen Freund Axel während seines Odessa-Besuchs einquartiert hatte. Ich meine ja, kolumnenhaltiger kann Luft kaum sein. Und ja, Axel redet noch mit mir. Er hat zum Beispiel einen feinen Reisebericht geschrieben. Darin geht es um michmichmich – und auch um dieses Odessa.
Am Nachmittag haben wir einen riesigen Wochenmarkt besucht, den sogenannten Priwos-Markt. Hier gibt es alles, was in Haushalt und Küche benötigt wird und Christoph hatte die Anweisung von seiner Frau bekommen, alles, was die Liebste für ein mehrgängiges Menü benötigte, zu bezahlen, wenn notwendig, Übersetzungshilfe bei den Marktweibern zu leisten und ansonsten keine dummen Fragen zu stellen.
Das ließ sich die Liebste natürlich nicht zwei Mal sagen und hat Unmengen Gemüse, Salat, Gewürze und Fleisch eingekauft. Meine Bedenken bezüglich der Unterbrechung der Kühlkette wurden von ihr ebenso in den Wind geschlagen, wie Christophs Einwand, eine solche Menge Essen könne man doch unmöglich von DIN-A-5-Tellern verspeisen.
DIN-A5-Tourismus – lesen!Das unverschämte Fazit – “fünf Tage Odessa reichen vollkommen aus” – sehen wir Axel mal nach.Zur Strafe werde ich der Stadtverwaltung melden, dass der rote Rostfleck auf den Fotos sein Auto ist.
SCHWERIN, DEUTSCHLAND Puuh, hinter mir liegt ein Wochenendworkshop mit Axel, aber was tut man nicht alles, um die Qualität seiner Humorausdünstungen zu steigern? In diesem Fall: Gastvorträge zum aktuellen Stand der Kolumnenforschung und zum Einfluss von Twitter aufs Gewitter, Powerpointen-Referate, Kalauer-Contest zwischen Frühstück und Mittagessen, erbitterter Methodikstreit, Diskurswerfen, Textkritik auf Mikro-, Meso- und Makroebene, Vergleichsanalysen aller Art. Das Foto zeigt, wie Axel, nachdem wir aus diesem Stollen stundenlang Kolumnen abgebaut haben, ein paar Augenblicke verschnauft.
ODESSA, UKRAINE Es gibt Männer, die bezahlen dafür, dass sie mit einer bekannten Kapelle auf der Bühne ein Stückchen spielen dürfen.¹ Ich indes habe schon als Kind davon geträumt, eine slawische Sauna zu besuchen. (Okay, eigentlich nicht, aber ohne diese Lüge hätte ich keine Gelegenheit gehabt, den ersten Satz zu schreiben.) Die Sauna mit Schlafzimmer, Fernsehecke und Solarium kostete zwölf Euro pro Stunde. Auswahl gibt es hier.
Den kompletten Text mit bislang unveröffentlichtem Bonusmaterial, Hidden Gags und so weiter finden Sie auf Kolumnen.de. Klicken Sie einfach auf den Schnappschuss.
ODESSA, UKRAINE Ich verspreche, dass dieses selbstreferenzielle Gestammel bald ein Ende haben wird. Leider spüre ich noch immer die Folgen des Unfalls mit der Marschrutka auf dem Weg nach Kiew vor fast zwei Wochen. Gerade komme ich vom Krankenhaus Nr. 11, genauer gesagt: vom Traumatologen, einem Kumpel meines Schönheitschirurgen Valentinowitsch. Valentinowitsch hatte mir eine Audienz einen Termin besorgt, weil mein linkes Unfallbein – vorsichtig ausgedrückt – nicht heilt. Die vergangenen Tage bin ich nur auf dem rechten Bein gehüpft, dessen Knöchel nun auch blau ist. Ich fuhr mit dem Taxi zum Krankenhaus und humpelte 150 Meter zur Aufnahme. Die Traumatologie war noch einmal 200 Meter entfernt. Ich fragte nach einem Rollstuhl. Zwei Ärzte und drei Schwestern schauten mich fassungslos an. Der Arzt sagte: “Wir verdienen hier so wenig, da werde ich Ihnen nicht helfen.” Die Frau, die mich die letzten Meter des Wegs gestützt hatte, erwiderte: “Meine Mutter liegt hier seit einem Monat, ich weiß, was Ihr verdient. Erzählen Sie mir nichts.”
Der Arzt ging nach draußen zum Rauchen. Manchmal treiben mich die Menschen in diesem Land in den Wahnsinn.
Ich bin, unterbrochen von einigen Verschaufpausen, zur Traumatologie gehumpelt. Borisowitsch diagnostizierte schnell einen Muskelriss und verschrieb mir Krücken, die ich für umgerechnet acht Euro in der Apotheke gekauft habe. Er will bis Freitag warten und mir dann vielleicht einen Gips verpassen. Seine Kollege hat mir freundlicherweise noch die Krücken zusammengeschraubt und eingestellt, ohne Schmiergeld von mir zu nehmen.
ODESSA, UKRAINE Das glaubt mir doch wieder keiner. Ich komme gerade vom Schönheitschirurgen Valentinowitsch, der sich schon am Sonnabend so rührend um mein Unfallbein gekümmert hatte. Auf Valentinowitschs Tisch lagen drei Eintrittskarten für eine Miss-Wahl oder ähnliche Gala – wahrscheinlich das Geschenk einer glücklichen Ex-Patientin.
Valentinowitsch ist sehr zufrieden mit dem Genesungsprozess. Er tastete die lädierte Wade noch einmal gründlich ab, telefonierte mit einem Kollegen und empfahl dann Wodka.
“Trinken?”, fragte ich, weil ich Valentinowitsch nicht richtig verstanden hatte. “Rotwein wäre mir lieber.”
“Trinken können Sie den Wodka auch, schaden kann es nicht”, sagte mein Schönheitschirurg und grinste. “Ich meinte aber eigentlich: Wickeln Sie sich vor dem Schlafen eine Mullbinde mit Wodka ums Bein. Reiner Spiritus tut es natürlich auch.”
Am Sonnabend sehen wir uns wieder. Die nächsten zwei Tage muss ich mich noch spritzen, dann hat der Allerwerteste wieder Ruhe. Ich darf also zu Hause gesund werden, was im Grunde ein bisschen schade ist. Ich hatte mich so auf mein Krankenhaustagebuch aus der Privatklinik Into-Sana gefreut. Damit Sie sich vorstellen können, was Sie und ich verpassen – das hier, nur auf Ukrainisch:
KIEW/ODESSA, UKRAINE Es wird jetzt hoffnungslos selbstreferenziell, was mir aber egal ist. Warum? Eine Woche lang muss ich mir wegen dieses Unfalls täglich eine Spritze mit Antibiotikum in den Allerwertesten stechen. Die erste Ladung ist soeben eingefüllt worden. Ein Arzt in Deutschland, mit dem ich verwandt bin, versteht nicht, warum ich Antibiotikum nehme. Ich werde also die nächsten acht Stunden am Computer verbringen. Der eigene Tod wird im eigenen Blog vermeldet.
Odessa, Donnerstag, 5.30 Uhr: Die blaue Marschrutka, ein sitzmöblierter Gemüsetransporter, startet vom Busbahnhof. Ich sitze direkt hinter dem Fahrer, der sofort anfängt zu rauchen. Er tut er dies bei offenem Fenster, obwohl draußen minus fünf Grad sind. Nach zwei Kilometern steigt ein Polizist zu und fährt zehn Minuten mit. Im Gang steht mein Koffer mit dem Laptop und Klamotten, der Sitz neben mir ist frei. Acht oder zehn Passagiere, ich zähle nicht nach, sind wir. Ich will nach Kiew, um eine Konferenz zu besuchen.
8 Uhr: Wir halten am Busbahnhof in Ljubasivka. “Zehn Minuten, okay?”, sagt der Busfahrer. Dicke, nicht nur dick eingepackte Frauen schreien durch den Nebel, was sie an den Ständen verkaufen: Hähnchen, belegte Brote, Tee, Kaffee und Wasser.
8.30 Uhr: Wenn wir gut durchkommen, erreichen wir in zweieinhalb Stunden Uman. Danach sind es nur noch 250 Kilometer bis Kiew. Vorn am Bus steht, dass wir um eins ankommen werden. Bisher habe ich nicht schlafen können. Ständig wechselt der Busfahrer die CDs. Und immer wenn ich doch kurz davor bin wegzunicken, lässt er die Scheibe hinunter und raucht. Ich hasse ihn. Das Geld – 110 Griwna, elf Euro – hat er auch schon kassiert. Ich habe nicht nach einer Quittung oder gar einem Fahrschein gefragt.
“Guckt mal!”, ruft plötzlich die Frau, die hinter mir sitzt. Zweihundert Meter vor uns kommt ein Jeep ins Rutschen, eindrucksvolles Leitplankenbillard, dann rammt er ein anderes Auto. Vielleicht sehen wir auch, wie sich die Airbags öffnen, ich erinnere mich nicht mehr genau. Der Fahrer der Marschrutka bremst, hält auf der linken Spur und steckt sich erst einmal eine Zigarette an.
Eine Minute später knallt es plötzlich, unser Minibus rutscht oder schwimmt oder überschlägt sich, alles geschieht so schnell. Die Frauen schreien, Scheiben zersplittern, irgendetwas, vielleicht mein Koffer mit dem Laptop, rutscht durch den Gang. Stille. Die Frau, die die ganze Zeit neben mir gesessen hat, steht auf einmal neben meinem Sitz und wankt. Ich greife ihre Hand. Ein Mann liegt im Gang und stöhnt. Ich erscheine mir unverletzt. Nur meine Brille fehlt.
8.30 bis 9.30 Uhr: Wir wurden von einem Mercedes gerammt. Einige Passagiere haben Platzwunden am Kopf. Der Mann, der im Gang gelegen hat, humpelt und hält sich das Bein. Er erzählt mir etwas, ich verstehe kein Wort. Aber ich sehe meine Brille, er hat draufgelegen. Der Fahrer befiehlt uns, schnell auszusteigen und auf den Hang hinter der Leitplanke zu klettern, ehe wir abermals gerammt würden. Die Straße ist glatt.
Die ersten Passagiere spielen schon Leserreporter und fotografieren mit dem Handy den Unfallort. Der Fahrer telefoniert mit einer Dana und sagt nach dem Gespräch, ein sitzmöblierter Ersatzgemüsewagen werde kommen. Zweihundert Meter hinter uns steht schon eine ganze Weile ein Laster quer. Die linke Spur ist aber noch frei – nein, jetzt nicht mehr. Eine Limousine kracht gerade hinein. Wir laufen neben der Leitplanke dorthin; ein Mann im Adidas-Trainingsanzug holt das Gepäck aus dem Kofferraum. Vorne raucht der Motor Kette. Die blonde Frau hat eine blutige Nase und wimmert. Ich weiß inzwischen nicht mehr, wer zu welchem Unfall gehört, weil sich alle vermischen: Verletzte und Gesunde, Gaffer und Helfer.
Wenigstens können wir jetzt auf der Autobahn spazieren und müssen nicht mehr am steilen und verschneiten Hang entlangstolpern. Es kommt ja niemand mehr durch. Polizei ist nicht in Sicht. Unser Busfahrer telefoniert schon wieder und streichelt seinen Kopf. Wenn wir uns zufällig begegnen irgendwo, an einem der drei Unfallstellen, fragt er jedesmal, wie es mir gehe. “Alles in Ordnung”, sage ich dann. Inzwischen mag ich ihn. Er behält die Nerven, er schreit nicht herum vor Wut, obwohl es um seine Existenz gehen könnte, wenn die Versicherung nicht zahlt. Er bemüht sich, aber wir sind in der Ukraine. Die ersten Passagiere aus der Marschrutka sind verschwunden, ich wüsste gern, wohin.
Irgendwann kommen zwei Polizisten vorbei, sprechen mit unserem Busfahrer und laufen weiter zum ersten Unfall. Die Marschrutka ist kaputt. Hinten und an den Seiten fehlen die Scheiben; drei Ukrainer versuchen, die Tür am Heck zu öffnen. Einer tritt von innen, zwei andere ziehen von außen. Wichtige Dokumente sind eingeklemmt. Ich stehe unbeteiligt daneben und frage, ob ich helfen könnte. “Lass mal.”
10 Uhr: Ein Mann sagt zu mir: “Gehen wir.” Wir gehen. Wir gehen zwei Kilometer zurück Richtung Odessa, vorbei am Stau und hindurch. Ich ziehe meinen Koffer und trage die Umhängetasche. Der Mann heißt Ruslan und will mich wieder zum Busbahnhof nach Ljubasivka bringen, wo wir vor eineinhalb Stunden gewesen sind.
Ruslan fährt Lada Niva ohne Gurte, sie fehlen einfach. Der Wagen muss auch erst vorgeglüht werden. Zwei weitere Polizisten treffen ein und leiten den Verkehr auf die Gegenspur um. Dort fahren zwar schon seit einer Stunde Autos, Laster und Mopeds, aber nun geschieht das wenigstens offiziell.
Kurz bevor Ruslan losfährt, kommt der Mann angehumpelt, der im Gang gelegen hat. Er will auch mitfahren. Die Männer reden miteinander, ohne dass ich ein Wort verstehe.
10.30 Uhr: Ich sitze jetzt in einem Bus mit drei Sternen, der einst in Deutschland unterwegs gewesen sein muss. An der Tür steht auf Deutsch “Nichtraucherbus”. Der Fahrer raucht. Der Fernseher dröhnt. Gezeigt wird eine Polizeiserie. Dauernd werden irgendwelche Kriminellenköpfe ins Klo gestopft. Neben mir sitzt der Mann, den ich nicht verstehe. Er spricht russisch, aber ein anderes Russisch als ich. Wenn er mir etwas erzählt, nicke ich oder sage: “Das stimmt.” Dann verabschiedet er sich und steigt an irgendeinem Bushäuschen auf der Autobahn aus.
13 Uhr: Ich habe Kopfschmerzen. Meine linke Wade ist angeschwollen, die rechte hat einen tennisballgroßen blauen Fleck. In Uman humpele ich zur Apotheke und feilsche mit der Verkäuferin um Tabletten. Ich will Paracetamol, die in Uman aber offenbar nur gegen Fieber verschrieben werden. Wir einigen uns auf orange Tabletten, die gleich ohne Verpackung verkauft werden.
Draußen vor dem Bus treffe ich Genadij. Genadij, vielleicht Ende dreißig, wohnt in Uman und hat ein “malenkij business”, wie er sagt, ein kleines Gewerbe also. Im Frühjahr, Sommer und Herbst angelt er am Asowschen Meer und verkauft dann seine Fische an Urlauber. Im Winter macht er in Kindersöckchen und Nüsse, die angeblich besser schmecken als in Kiew. Genadij klettert mit der Ware in die Busse, die am Bahnhof Vollblasige und Leerlungige, also Gleichpinkler und Sofortraucher ausspucken. Wir tauschen Telefonnummern aus. Im Juli werden wir am Asowschen Meer gemeinsam angeln.
14 Uhr: Ich wüsste gern, warum der Bus jetzt abbiegt und diese Dorfstraße entlangfährt. Eigentlich sollte nur einmal – in Uman – gehalten werden, aber das war offensichtlich eine Lüge. Wir bringen sämtliche Passagiere bis vor die Haustür. Hin und wieder steht neben der Leitplanke der Autobahn auch jemand und hält den Arm heraus. Die Fernsehpolizisten waschen noch immer den Ganoven die Haare mit der Toilettenspülung. Scheint eine Staffel zu sein. Auf meinem Kopf finde ich Glassplitter vom Unfall.
Kiew, 15.30 Uhr: Wir sind am Busbahnhof. Ich weigere mich, mit dem Taxi zu fahren, ich muss also noch unter Schock stehen, aber die Männer verlangen viel zu viel Geld. Ich gehe wie mit einem Holzbein, ich humpele zur Marschrutka, ich versuche einzusteigen, da ist sie schon wieder weg. Sogar die krummste Kiewer Oma überholt mich. Ich fahre schwarz Trolleybus, jetzt ist sowieso alles egal, ich quäle mich zur Metro, steige zweimal um, humpele noch einmal zehn Minuten zum Hotel und breche im Zimmer zusammen.
18 Uhr: Treffen mit Blogleserin N., die in Kiew lebt. Sie muss mich durch die Stadt schleppen, sonst würde ich verhungern. Es ist ein bisschen entwürdigend. N. sieht das anders und verliert nicht die Geduld mit mir. Sie wählt ein französisches Restaurant in der Nähe der Andreaskirche. Das Essen schmeckt. Ich lache sogar.
23.15: Ich ertrage Helmut Schmidt nicht mehr. Der Altbundeskanzler geht mir auf die Nerven. Seit drei Monaten lese ich, dass er seinen 90. Geburtstag in Ruhe feiern wolle, dass ihm die Lobhudeleien unangenehm seien. Genauso lange schon lässt er sich feiern und lobhudeln. Nach all den Sonderseiten und Sonderbeilagen zeigt das ZDF, das ich im Hotel empfangen kann, auch noch eine Sondersendung. Jetzt gratuliert die “Zeit”, Schmidts Arbeitgeber. Es ist – Harald Schmidt ausgenommen – unfassbar peinlich. Unterwürfiger geht es nicht, ich frage mich, was man noch machen will, wenn Schmidt stirbt. Ich habe den Polizisten im Reisebus Unrecht getan. Das hier ist schlimmer.
Ich dachte, die Rede von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker wäre nicht zu unterbieten, am Ende aber tritt Schmidts Tochter auf und bringt die Leute im Saal dazu, das Lied “Happy Birthday” zu singen.
Freitag: keine besonderen Vorkommnisse
Odessa, Sonnabend, 10 Uhr: Ich gehe zum Arzt. Ich habe, wenn es um Medizin, schon einiges erlebt in der Ukraine: Katzen in Kinderkrankenhäusern und vollgequalmte Aschenbecher im Behandlungszimmer. Ich hieß schon Wiesemann, Wasamann und Weisemann. Bei einem Schönheitschirurgen bin ich aber noch nicht gewesen. Heute habe ich keine Wahl, denn in der Poliklinik arbeitet zwar ein Chirurg, geröngt aber wird erst wieder am Montag. Bisher dachte ich immer, Chirurgie und Röntgen seien ziemlich eng miteinander verbunden.
10.30 Uhr: Valentinowitsch zeigt zunächst wenig Interesse an meinem Bein; vielleicht entdeckt er, Mitglied der Vereinigung der Schönheitschirurgen, ganz andere Härtefälle an mir. Er diagnostiziert Hämatome, die aufgestochen werden müssten, und will mich unbedingt in die Privatklinik Into-Sana schicken, die seit 1995 “the great American Dream” in der Ukraine medizinisch wahrmacht. Ich weigere mich. “Gehen Sie erst mal zum Röntgen, dann sehen wir weiter”, sagt Valentinowitsch.
11.50: Endlich werde ich geröntg. Der Radiologe und die Schwester sind schwer beeindruckt von meinen Blessuren an beiden Beinen. Sie haben es gar nicht eilig, obwohl Valentinowitsch nur bis zwölf Uhr arbeitet. Er ist offenbar viel beschäftigt. Er hat mir ein grünes Faltblatt mitgegeben, aus dem hervorgeht, was er so tut: Valentinowitsch korrigiert unter anderem Nasen, Ohren und Lippen, verkleinert Bäuche, enfernt Narben und bügelt das Gesicht.
12.30: Ich warte schon eine halbe Stunde auf das Röntgenbild. Da kommt der Schönheitschirurg Valentinowitsch und fragt, wo ich bliebe. Sekunden später öffnet sich die Tür, und der Radiologe reicht das Bild. “Ich gratuliere, kein Bruch”, sagt er.
Valentinowitsch verschreibt mir Schmerztabletten, eine Salbe und Spritzen mit Antibiotikum. Am Montagnachmittag will er sich meine Verletzung noch mal anschauen. Ich lege ihm aus Dankbarkeit 40 Griwna Schmiergeld hin – doppelt so viel, wie ich sonst ukrainischen Ärzten zahle. Zum Abschied meint er, das mit der Spritze hinten hinein sei kinderleicht.
ODDESSA, UKRAINE (blog) Der prominente deutsche Journalist und Kolumnist Christoph Wesemann ist bei einem Verkehrsunfall am Donnerstagmorgen auf der Autobahn zwischen Odessa und Kiew schwer verletzt worden. Über seinen Gesundheitszustand ist bislang wenig bekannt. Lebensgefahr besteht allerdings nach Auskunft seiner ukrainischen Ärzte nicht.
Wesemann hatte am Donnerstagmorgen einen Minibus bestiegen, um nach Kiew zu reisen, wo er an einer deutsch-ukrainischen Medienkonferenz teilnehmen sollte. Gegen 8.30 Uhr hielt der Fahrer auf der linken Spur, weil sich einige hundert Meter voraus im dichten Nebel ein Unfall ereignet hatte. Wenig später wurde der Bus von einem Mercedes gerammt und rutschte etwa zehn Sekunden lang über die eisglatte Straße. Wesemann begab sich sogleich in medizinische Behandlung setzte die Reise in die ukrainische Hauptstadt in einem anderen Bus heldenhaft fort und sprach gestern auch auf der Konferenz. Sein Zustand soll sich dann jedoch rapide verschlechtert haben. Wesemann hat für den frühen Abend eine Erklärung angekündigt.
Christoph Wesemann arbeitet seit Juni vergangenen Jahres als Journalist in Odessa und betreibt auch ein Weblog, eine Art Tagebuch im Internet. In Deutschland hat er sich vor allem als Kolumnist einen Namen gemacht. Der 30-Jährige schildert auf humorvolle Weise seinen Alltag in der Schwarzmeermetropole Odessa. Eine ständig wiederkehrende Figur in seinen Kolumnen ist ein gewisser Oleg.
Mein wunderbarer Kollege Axel erzählt in seinem Blog eine Geschichte. Sie handelt – unter anderem – von dem Kerl rechts, äh, links in diesem Tatort-Video, das ich am Dienstag meiner Kolumne Kolumnist unter Verdacht beigefügt hatte. Und sie spielt auf einem Golfplatz im Fichtelgebirge, irgendwann in den goldenen neunziger Jahren. Axel wiederum ist so bescheiden, dass er mir nicht mal per Trackback Bescheid gesagt hat. Sein Text heißt Wese-Wenne-Hofmann – Flash. Lesen!
ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg nennt mich seit gestern nur noch Al Bundy.
“Bundy, hör mal”, hat er vorhin gesagt. “Ich muss dich was fragen.”
“Nenn mich nicht Al Bundy. Ich verkaufe keine Schuhe, mein Sohn ist zweidreiviertel und schon fast so groß wie Bud Bundy, ich habe keine Rothaarige geheiratet, und meine Füße stinken nicht. Meine Familie ist auch nicht schrecklich nett.”
“Aber du hast doch jetzt auch deine vier Touchdowns in einem Spiel geschafft”, sagte Oleg. “Weißt du das? Bist du vorbereitet, Bundy?”
Oleg meint den Wirbel um meine Geschichte Beim Führer war besetzt, er glaubt, ich hätte den einzigen Triumph meines kümmerlichen Daseins und meinen Augenblick Ruhm erhascht; nun gehe es bergab, und zwar richtig steil: Ich leide, weil ich plötzlich wieder unwichtig bin, werde zum Menschenfeind und fange an, Freunde, die Familie und Feinde bei jeder Gelegenheit mit meinem Skype-Skandal zu langweilen. Bis zu meinem Tod sage ich mindestens einmal am Tag: “Damals, Odessa, Uliza Troizkaja, ich und eine ganze Adolfarmee, ich setze mich an den Computer und erledige diese Kerle. Vier – Pingbacks – in – einer – Woche.” Oleg sagt weiter voraus: In etwas mehr als 15 Jahren lasse ich mir, wie einst der rothaarige Tennisspieler, der ganz jung das Turnier von Wimbledon gewonnen hat, in einer Besenkammer eine kostbare Flüssigkeit stehlen und zeuge so ein Kind, das leider nicht nach der Mutter kommt, sondern mir auf das Scheußlichste ähnlich sieht.
Tricks beim Schönheitswettbewerb
Erstens finde ich mich nicht hässlich, ich würde mir durchaus ein durchschnittliches Aussehen bescheinigen. Zweitens weiß ich nicht einmal, was Pingbacks sind. Drittens bin ich alles in allem eher bescheiden. Zum Beispiel habe ich mich nicht selbst nominiert für diesen Schönheitswettbewerb, der gerade im Internet ausgetragen wird, obwohl andere das bestimmt getan haben, ich würde sogar sagen: viele, sehr viele. Man muss nur schauen, wer nominiert ist. Ich aber habe auch noch allen verboten, die ich kenne, mich aus Liebe oder Freundschaft heimlich dort anzumelden. Ich blogge noch nicht einmal einhundert Tage. Ich kann kein Update machen, ich frage mich, warum meine Bilder so mies sind, natürlich weiß ich auch nicht, was Tracksbacks sind, obwohl es mir zwei Kluge so erklärt haben, dass es ein mittelmäßig intelligenter Orang Utan verstanden hätte. Genau deshalb habe ich verhindern wollen, dass ich beim Schönheitswettbewerb starte.
Ich will zu gern wissen, wer mich hintergangen hat.
Will Oleg mir schaden? Ist er missgünstig? Hat er Angst, dass Odessas Frauen plötzlich auf mich fliegen könnten?
Ich werde den Schönheitspreis auf keinen Fall annehmen. Die Jury soll das jetzt schon wissen. Wählt mich nicht! Ich lehne ab! Ich will keinen Freecom Network Media Player 450 WLAN. Was ist das überhaupt? Ich brauche auch keinenFreecom ToughDrive 320 GB, ich kann das nicht mal aussprechen. Was soll ich dort speichern? Meine miesen Bilder vielleicht?
Ein Treffen mit der schönen Bloggerin
“Bundy, schreibst du jetzt wegen der Enttarnung der ganzen Adolfs eigentlich schon deine Dankesrede für den Wächter-Preis, den du nie gewinnen wirst?”, fragte Oleg.
Ich gebe zu, ich habe mir für alle Fälle ein paar Namen notiert, damit ich in der Aufregung niemanden vergesse, wenn ich oben auf der Bühne stehe: Robert Basic, Stefan Niggemeier und Jens Weinreich, die immer an mich geglaubt haben. Das ist doch nicht schlimm, finde ich. Nichts wäre peinlicher als ein stotternder Blogger, der seine Helden vergessen hat und deshalb WordPress dankt.
Aber ich schwöre, ich habe mich nicht bei der Ex-Freundin gemeldet und geschrieben: “Siehste, wärst Du mal bei mir geblieben. Na, jetzt ist es zu spät. PS: Falls Du heute Abend anrufen willst – Xu Jinglei will mit mir essen gehen. Es könnte spät werden. Ach, das kannst Du nicht wissen: Xu ist Schauspielerin und Chinas populärste Bloggerin.”