Kategorie: Kolumnen

Kolumne: Berliner Kindle 2

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg will das E-Book Leser Kindle 2. Ich soll es ihm mitbringen, wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin. Er spricht seit zwei Wochen von nichts anderem. Er nervt. Jeden Tag erinnert er mich an die langen Wartezeiten und fragt, ob ich das E-Book Leser Kindle 2 endlich bestellt hätte.
„Weißt du überhaupt, was das ist?”, habe ich gestern gefragt.
„Ungefähr”, sagte Oleg. „Weißt du mehr?”
„Ich kenne Berliner Kindl.”
„Bringste mir auch noch mit.”

Ich weiß nicht, wie Oleg dieses E-Book Leser Kindle 2 bezahlen will. Es kostet 360 Dollar ohne Versandkosten. Wahrscheinlich wird Oleg seine Schulden bei mir abstottern, und ich stottere sie wiederum bei irgendeinem anderen ab, Oleg pumpt sich also Geld von einem, der selbst kein Geld hat und es sich pumpen muss, und vermutlich werde ich dann endlich begreifen, wie es zu dieser Finanzkrise hat kommen können.

Ich mache diesen Technikwahn nicht mit. Ich werde nie im Leben twittern, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Irgendwo habe ich gelesen, man brauche nur 140 Zeichen und könne mit der ganzen Welt kommunizieren. Ich frage mich: wozu?

Ich bin mit meinem Blog überfordert, weil mir Updates angeboten werden, die ich beharrlich ignoriere. Hin und wieder merke ich, dass der Mann, der mir das Blog gebaut hat, etwas neu einstellt. Früher hat mir er mir Mails geschickt und verkündet, er installiere dieses unheimlich wichtige Plugin, wenn ich einverstanden sei. Ich schrieb jedes Mal zurück: „Ich verstehe kein Wort. Erklär es mir bitte auch nicht. Mach, was Du willst.”

Mittlerweile macht er, was er will. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, falle ich ihm um den Hals.

Ich werde mir auch kein iPhone kaufen, niemals kaufe ich mir ein iPhone, selbst dann nicht, wenn ich eines Tages wissen sollte, was das ist. Mein aktueller Wissenstand ist: ein ziemlich teures Telefon ohne Schnur.

Ich habe mal einen iPod besessen. Ich hatte geglaubt, ich müsste so etwas besitzen. Vor zwei oder drei Jahren ist er verschwunden, ohne dass ich ihn vermisst hätte. Der iPod war einfach weg. Ich glaube, er hatte ein weißes Gehäuse, vielleicht verwechsele ich das aber auch mit meinem ersten Walkman oder meiner Kindergartenbrotdose.

Seit Tagen versuche ich, bei Outlook Express ein neues E-Mail-Konto einzurichten; es klappt nicht. Ich kann Nachrichten empfangen, aber nicht verschicken. Ich schreie die Tastatur an, dann besuche ich irgendein Forum im Internet und frage, was ich falsch mache, danach erhalte ich eine so genannte Antwort und schreie wieder die Tastatur an.

Die Farbe meines iPods hat mir keine Ruhe gelassen, ich habe geforscht, nach Fotos gekramt in der Hoffnung, irgendwo Kopfhörer im Ohr zu haben, und Freunde befragt, von denen ich glaube, dass sie mich einigermaßen kennen. Nichts. Keine Spur. Niemand erinnert sich an mich mit einem iPod.

Zu Weihnachten habe ich mir ein Diktiergerät schenken lassen, ein ganz flaches, und ein Mikrofon, wie es Schlagersänger benutzen, gleich noch dazu. Ich wollte meine Kolumnen einlesen. Hätte mir der Mensch, der mir das Diktiergerät geschenkt hat, nicht sagen können, wie grauenhaft meine Stimme klingt?

Vorhin hat meine Mutter angerufen. „Suchst du noch dieses Ding?”, fragte sie.
„Meinen iPod, ja.”
„Das Ding ist bei uns im Auto, wir haben es ans Radio angeschlossen, du weißt ja, wir wollten damals keinen CD-Player, weil der nur die CDs zerkratzt, wenn man über eine holprige Straße fährt.”
„Ist der iPod weiß?”
„Da müsste ich schnell in die Garage gehen. Soll ich?”
„Ach, ist nicht so wichtig”, sagte ich. „Hört ihr eigentlich meine Musik im Auto?”
„Ist alles gelöscht. Da sind nur noch Brunner&Brunner drauf, wir hören doch nichts anderes, kennst uns doch.”
„Muss euch nicht peinlich sein.”
„Ist uns nicht peinlich.”

Jetzt weiß ich, wie Technikwahn endet.

Kolumne: Kolumnist unter Verdacht

ODESSA, UKRAINE Ich hasse Wodka. Ich mag Bier. Bier ist gut. Bei Bier merke ich, wann es Zeit wird, den letzten Schluck zu trinken und nach Hause zu gehen. Wenn ich das Gesicht im Spiegel zum vierten Mal mitleidig anlächele und es mir zum vierten Mal zunickt, ist dieser Augenblick gekommen. Bier ist so sympathisch, weil es – mit eingebrautem Harndrang – diese Selbstkontrolle erlaubt: Alle Wege führen zum Klo.

Oleg und die zweite Leber

Von Wodka tut mir nach dem Aufwachen immer alles weh, so sehr, als steckte der Körper, von der Stirn bis zu den Zehen, in einem Schraubstock – ganz gemeiner Wodkater. Wenn ich mit meinem Freund Oleg Wodka trinke, weiß ich, dass ich mir für den nächsten Tag wenig vorzunehmen brauche. Ums Überleben, um nichts sonst, geht es dann. Ich weiß nicht, wie Oleg das macht, dass er fit ist. Vielleicht trinkt er, heimlich, vor dem Einschlafen einen Eimer Sprudel-Aspirin auf Ex. Vielleicht bekommt er nachts frisches Blut. Vielleicht besitzt er eine zweite Leber.

„Prost!”, sagte ich und schlug mein Wodkaglas an seins. „Freust du dich eigentlich über mein Weihnachtsgeschenk?”
„Bist du komplett bescheuert?”, schrie Oleg. „Beim Leichenschmaus stößt man nicht an.”
„Oleg, ich verstehe kein Wort. Welcher Leichenschmaus?”
„Natascha ist tot!”
„Welche Natascha?”, fragte ich.
„Natascha! Natalia!”
„Oh, entschuldige bitte. Mein Beileid.”

[youtube]http://de.youtube.com/watch?v=5Rt5Glaeaus[/youtube]

Oleg hatte mich in seine Stammkneipe bestellt. Nun tranken wir auf Natalia, die am Freitag plötzlich gestorben war. Oleg vermisst sie. Seine Augen stierten ins Nichts, seine Nase war wundrot. Er schwieg oft und trug schwarz. Aus den Lautsprechern an der Wand kam „Last Christmas” von Wham. Es war der 11. Januar. Seit einem Monat höre ich ununterbrochen irgendwo Weihnachtslieder.

Reine Routine

„Wo warst du eigentlich am Freitag zwischen eins und drei?”, fragte Oleg plötzlich.
„Zu Hause.”
„Zeugen?”
„Wie bitte?”, fragte ich.
„Kann jemand bestätigen, dass du zur Tatzeit zu Hause warst?”, fragte Oleg.
„Willst du behaupten, dass ich…”
„Ich behaupte gar nichts.”
„Verdächtigst du mich, dass ich Natalia umgebracht habe?”
„Reine Routine, ich muss das fragen”, sagte Oleg und hielt mir die Kerze ganz dicht vors Gesicht. „Ich hab Zeit, ich kann warten. Ein Geständnis wirkt sich übrigens strafmildernd aus.

Ausblick nach Sibirien

Olegs Drohungen lassen mich inzwischen kalt. Ich habe schon genug Ängste als Deutscher in Odessa. Ich habe Angst, dass der Ukraine das Gas ausgeht. Ich habe Angst, wenn ich an dem Gebäude vorbeigehe, in dem einst der sowjetische Geheimdienst KGB saß, ich erinnere mich jedes Mal an diesen Spruch: „Die KGB-Zentrale ist das höchste Haus Odessas – von dort kann man Sibirien sehen.” In der Süddeutschen Zeitung stand vor ein paar Tagen – es ging mal wieder um den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine – etwas über die „Rohstoffoligarchen, die vor allem am Zwischenhandel verdienen, die oft gleichzeitig auch Besitzer von Zeitungen und Sendern sind”. Bei „einigen dieser Oligarchen” handele es sich „um ehemalige Geheimdienstler, die nach wie vor gute Beziehungen zu früheren Arbeitsgebern unterhalten”.

Ich habe auch Angst vor den Polizisten, die neuerdings Bürger nach dem Ausweis fragen, um illegale Ausländer in Odessa aufzuspüren. Ich nehme nie irgendwelche Dokumente mit, wenn ich das Haus verlasse – natürlich aus Angst, bestohlen zu werden. Ich habe sogar Angst vor den Apothekerinnen. Sie hassen mich offenbar. Gestern brauchte ich unbedingt Nasenspray, ich hätte auch Tropfen genommen. Die Verkäuferin sagte, es gebe nichts. Ich versuchte alles, ich flehte sie an, ich röchelte sogar ein bisschen herum, ich schnappte mit weit aufgerissenem Mund nach Luft, und wenn mir auf die Schnelle eingefallen wäre, was „unterlassene Hilfeleistung” auf Russisch heißt, hätte ich auch diesen Vorwurf angebracht.

Eine Nacht mit Natalia

Ja, ich habe mit Natalia eine Nacht verbracht. Oleg war verreist. Er hatte mir den Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben, ich sollte ihr eigentlich bloß Frühstück bringen, weil sie gerade etwas geschwächt war, aber, mein Gott, sie ist dann abends mit zu mir gekommen. Wir schliefen in getrennten Zimmern. Da war nichts.

„Also kein Alibi von eins bis drei”, sagte Oleg.
„Ich habe Natalia nicht umgebracht. Ich habe sie geliebt wie du…wie dich…ach, was weiß ich.”
Mord aus Eifersucht“, sagte Oleg, sprang auf und schmiss dabei seinen Stuhl um. „Ich hab schon schlechtere Motive gesehen, originellere natürlich auch. Aber von einem Kolumnisten kann man wahrscheinlich nicht mehr erwarten.”

Dem Dieb brennt die Mütze

Ich schwieg und trank meinen Wodka weiter. Mir wurde schlecht.
„Du kann jetzt deinen Anwalt verständigen”, sagte Oleg.
„Dreckskerl.”
„Na vore shapka gorit”, sagte Oleg.
„Dem Dieb brennt die Mütze?”
„Das ist ein russisches Sprichwort. Bei euch bellen getroffene Hunde, glaube ich.”
„Ich bin unschuldig.”
„Du kannst gehen. Verschwinde.”

Oleg nuschelte etwas. Ich verstand nur einzelne Wörter und Satzfetzen: „SpuSi hat geschlampt … Todesursache ungeklärt … Fremdverschulden nicht auszuschließen … KTU … Durchsuchungsbeschluss … Obduktion … Gegenüberstellung … DNA-Abgleich …”

Da wusste ich, es war keine gute Idee, Oleg zu Weihnachten die Tatort-DVD-Sammelbox zu schenken – wenn ein paar Tage später seine geliebte Schildkröte Natalia stirbt.

[youtube]http://de.youtube.com/watch?v=0KcHpxkd1Eg[/youtube]

Kolumne: Tuning für den Brillennazi

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hat mir gestern ein Geschenk vorbeigebracht. Er war ziemlich aufgeregt. Er hatte dreimal vorher angerufen und gefragt, wann ich nach Hause käme.
„Tut mir leid wegen der Brille. Das nächste Mal bin ich dein Blindenhund“, sagte er und reichte mir einen Bettbezug. „Pack schnell aus, ich habe auch eine Bohrmaschine mit, wir können gleich anschrauben, ist ja noch hell draußen.”
Ich griff in den Bettbezug und fand ein braunes Blech, nicht breit, aber lang. „Was ist das?”, fragte ich.
Tuning“, sagte Oleg.
„Wie bitte?”
„Tuning.”
„Ja, schon klar, aber was ist der Sinn?”
„Tuning.”
„Oleg, Tuning, ja, aber: wofür, warum, wieso, weshalb, wozu?
„Tuning. Außerdem friert damit die Kolumnistenkarre im Winter nicht so”, sagte Oleg. „Jetzt freu dich doch endlich.”

Ein paar Tage vorher hatten wir uns gestritten. Allmählich wird es ernster, ich schätze, wir brauchen ein bisschen mehr Abstand voneinander oder ein bisschen mehr Nähe zueinander, vielleicht werden wir wieder Freunde, vielleicht waren wir niemals Freunde, es kann sogar sein, dass wir nur noch wegen der Leser zusammen sind. Ja, wir haben uns auseinandergelebt, aber das Blog wird nicht darunter leiden, das haben wir uns versprochen.

Ich brauchte eine neue Brille, weil die alte heruntergefallen und zerbrochen war. Ich besuchte den deutschen Optiker M. in Odessa. Wenn es um meine Brille geht, bin ich Patriot. Man könnte auch sagen, ich bin ein Brillennazi. Ich lebe zwar schon ein halbes Jahr in Odessa, vertraue aber noch immer nicht ukrainischem Handwerk. Das liegt auch an Ardo FLS 105 S, meiner Waschmaschine. Ich habe sie in Odessa gekauft, sie stammt aber aus Italien. Dass sie aus Italien stammt, verrät der riesige Aufkleber neben dem Bullauge. Ich frage mal ganz naiv: Wie schlimm müssen ukrainische Waschmaschinen sein, wenn ukrainische Waschmaschinenverkäufer italienische Waschmaschinen als Spitzenprodukte anpreisen? Denkt der Ukrainer bei Italien an Fußball, Mafia, Spaghetti, Mailänder Scala, Dolce&Gabbana und Waschmaschinen?

Die Persönlichkeitsstörung des Kindergartencowboys

Beim Optiker M. hing eine deutsche Fahne. Der Chef wusste, was ich wollte, er schwieg die meiste Zeit, nickte gelegentlich unauffällig und ersparte mir die Fassungen für Männer, die Intellektuellengesichtsschmuck suchen. Mir muss niemand erzählen, eine Brille könne die Persönlichkeit hervorheben. Ich hatte früher ein Nasenfahrrad als einen Roller. Beim Fasching im Kindergarten war ich der einzige Cowboy mit zwei Halftern, einen für die Pistole, den anderen für die Brille. Wenn es zum Duell kam, zog ich erst links, um den Halunken überhaupt zu sehen, und dann rechts. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal jemand erledigt hätte. Wer so aufwächst, entwickelt genug Persönlichkeit.

Als ich meine Brille am Sonnabendmorgen vom deutschen Optiker M. abholen wollte, war es drinnen stockfinster. Ich erkannte mit Mühe drei Gestalten, die regungslos in der Mitte des Raums standen. Der Chef erzählte, er habe die Gläser nicht schneiden und einsetzen können, weil es in der ganzen Straße keinen Strom gebe. Seine zwei Helferinnen zeigten mir ihre leeren Hände. Vor den anderen Geschäften, vor den Cafés und Restaurants brummten Generatoren und sorgten für Strom. Die Werbeschilder leuchteten, die Musik dröhnte. Mein Optiker hatte ein Batterie betriebenes Leselämpchen, das einen schmalen Streifen blauen Lichts spendete, vielleicht war es auch nur das Solarium für einen aus Afrika eingeschleusten Brillenwürger (wissenschaftlicher Name: Prionopidae). Acht Stunden später, kurz vor Ladenschluss, schaute ich noch einmal vorbei. Die drei Gestalten standen noch genauso da wie am Morgen. Nur das Glühlämpchen war jetzt tot.

Oleg macht Hündchen

Ich rief Oleg an und bat ihn, mich abzuholen, ich war verzweifelt und wütend, ich wollte mich beklagen, ein bisschen spazieren und dann irgendwo etwas essen. Ich brauchte Trost oder wenigstens Mitleid. Oleg kam erst nach einer Stunde. Er stieg aus dem Bus, brach von einer Akazie einen dicken, langen Zweig ab, reichte ihn mir, bellte ein paar Mal und schnupperte an meinem Hosenbein. Dann lachte er mich aus.

„Warum gehst du auch zu einem deutschen Optiker?”
„Deutsche Optiker sind zuverlässig.”
„Aber doch nicht in Odessa, Mensch”, schrie Oleg. „Denk doch mal nach. Hier fällt oft der Strom aus. Wenn ich eine witzige Kolumne brauche, aber der Bürgermeister gerade eine einwöchige Humorausbruchssperre verhängt hat, frage ich doch auch nicht einen deutschen Kolumnisten. Der hält sich doch daran.”
„Was willst du mir sagen, Oleg?”
„Ich mach es kurz, Kolumnist: selber Schuld, kein Mitleid.”
“Du bist ein echter Freund.”
“Weißt du, wie oft ich früher Hausaufgaben im Kerzenschein gemacht habe?”, fragte Oleg. “Es gab in Odessa Zeiten, da musste ich mit einem Feuerzeug in der Hand Bruchrechnung üben. Und trotzdem bin ich klüger als du – und schöner ja sowieso.”

Draußen war es kalt. Wir übertönten mit unserem Streit die Generatoren. Unsere Atemwolken boxten in der Dunkelheit miteinander. Oleg und ich schnauften wie zwei sibirische Schlittenhunde, die schon den dritten Tag Altkanzler Helmut Kohl und die ukrainische Schauspielerin Ruslana Pisanka durch die Arktis ziehen. Wir wollten uns prügeln. Ich verzichtete auf einen Faustkampf, weil ich mich rechtzeitig an meine Zeit als Kindergartencowboy erinnert hatte.

Verliebt in die Prinzessin der Küche

Am Abend vergaß ich in der Kneipe einen schönen Pullover, nachdem ich ohne Brille zu tief ins Glas geschaut hatte. Am Sonntagmorgen kaufte ich auf dem Priwos-Markt die Prinzessin der Küche, einen Gemüse- und Obstschneider vom Allerfeinsten. Sie kann einer Gurke eine Krone aufsetzen und eine Mandarine schälen, wie noch nie eine Mandarine geschält worden ist. Das hatte der Verkäufer jedenfalls erzählt.

Danach kaufte ich noch Casino Royale. Die DVD lag auf einem Stapel zwischen Jeanshosen und Datteln. Ich wollte sie Oleg schenken, der James Bond liebt. Oleg aber schaute die Hülle an und sagte: „Das ist Ein Quantum Trost. Falls du es vergessen hast, wir waren am 6. November zusammen im Kino. Ich hatte Karten für die Premiere besorgt.” Am Sonntagnachmittag wäre ich dann noch fast überfahren worden. Ich ging um halb acht schlafen, nachdem ich mit der Prinzessin der Küche eine Gurke massakriert hatte. Meine Brille war am Montagmorgen fertig.

Oleg streichelte die Bohrmaschine. „Es wird gleich dunkel”, sagte er. “Was ist jetzt? Schrauben wir schnell das Blech auf die Motorhaube? Drei Löcher reichen.”
„Nur wenn du mir die Prinzessin der Küche abkaufst.”
Oleg starrte den Karton an, studierte die Farben und die Aufschrift, überlegte lange und fragte dann: “Späte achtziger oder frühe neunziger Jahre, was meinst du?”
“Die Prinzessin ist eine Weltneuheit. Du findest sie noch nicht einmal im Internet.”
“Also späte Achtziger”, sagte Oleg. “Ich nehme dein Geschenk zurück. Du bist sowieso kein Tuningtyp. Guck dir doch deine neue Spießerbrille an.”

Nachtrag: Das kann kein Zufall sein. Im Wochenendmagazin der Süddeutschen Zeitung steht heute ein Interview mit Woody Allen. Eine Antwort: “Wegen der hier (er fasst sich an die Brille) halten mich die Leute für einen Intellektuellen.”

Nachtrag 2: Christian Zaschke schreibt in “Hängende Spitze”, der Montagsfußballglosse der Süddeutschen Zeitung: “Die Würger gehören zur Ordnung der Sperlingsvögel, bisweilen werden weitere Familien einbezogen; zu nennen wären Buschwürger (Malaconotidae), Brillenwürger (Prionopidae), Schnäpperwürger (Platysteiridae), Vangawürger (Vangidae) und natürlich die Warzenköpfe (Pityriasidae).”

Der Text ist leider bislang nicht online.

Kolumne: Oleg und der Vize-Zar des DFB

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir. Ich habe gestern Abend zwar eine SMS bekommen – aber die stammt von Maria, seiner Freundin, Sprecherin oder Rechtsberaterin, ich kenne die offizielle Funktion dieser Dame nicht. Maria studiert Jura, glaube ich. Sie schreibt:

Oleg besteht auf eine Entschuldigung, weil Du ihn grundlos diffamiert hast. Er hat das Wort im Wörterbuch nachgeschlagen. Unterlass das! Sobald Du Dich entschuldigt hast, wird Oleg wieder mit Dir reden. Er bietet Dir eine Kolumne an, in der Du Dich kritisch mit ihm auseinander setzen kannst. Oleg wird alle Deine Fragen beantworten. Auch Olegs Mama “missbilligt die Diffamierung meines Sohnes”.

Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich habe Oleg nicht diffamiert. Ich stehe zu meiner Aussage. Ich hatte meine Gründe.

Oleg und ich hatten uns am Mittwochabend in der Kneipe verabredet, um das Spiel Deutschland gegen England zu gucken. Es fing schon nicht gut an. Oleg sang die deutsche Hymne nahezu fehlerfrei mit, er stand dabei eichenhaft fest und hielt die Augen geschlossen. Ich war sitzen geblieben und schwieg, ich gestehe: Ich kann den Text nicht auswendig und habe auch keinen Ehrgeiz, daran etwas zu ändern. Ich freue mich, wenn ich Fußball im Fernsehen schaue, sogar über eine Niederlage der deutschen Mannschaft, weil sich dann der Kommentator so schön ärgert und die Reporter den Spielern nach dem Abpfiff gemeine Fragen stellen müssen, was sie eher ungern tun. Ich erwarte nicht, dass jemand mein Verhalten versteht.

Das Spiel war so langweilig, dass selbst Oleg nicht mehr auf und ab ging in der Mix-Zone, sondern wieder auf dem Barhocker saß. Er bestellte sich zwei Wodka auf einmal, telefonierte ein bisschen, blätterte in der Zeitung und nickte sogar kurz weg. Er erwachte in der Halbzeitpause und fragte müde: „Wer ist dieser Jens Weinreich?”
Ein Journalist, ein sehr gescheiter”, sagte ich.
„Und wer ist Doktor Theo Zwanziger?”
„Ein Präsident, ein sehr eitler.”

Oleg schaute irritiert. Offenbar hatte er die Nachricht Unangenehmes Theodorant und den Kommentar Laaser-faire-Politik gescheitert in meinem Blog ein bisschen zu sehr quer gelesen. Ich erzählte Oleg, dass der Deutsche Fußballbund mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt sei, erhob das Glas auf Zwanzigers Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder und beschloss, meinem Freund, der noch immer kaum etwas begriffen hatte, in den nächsten Tagen ein Organigramm der Bundesrepublik Deutschland anzufertigen: Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesfußballpräsident Theo Zwanziger, Bundessportpräsident Thomas Bach, Bundesjournalismuspräsident Oliver Kahn, Bundeskolumnenpräsident Franz Josef Wagner, na ja, und so weiter.

„Aber den deutschen Fußball regiert doch Zar Franz“, sagte Oleg.
„Kaiser Franz.”
„Was?”
„Kaiser, Oleg, nicht Zar.”
„Und was ist Theo dann, wenn der Zar des deutschen Fußballs schon Franz ist?”
„Zwanziger ist der Präsident, Oleg. Übrigens: Kaiser.”
„Versteh ich nicht.”
„Was verstehst du nicht?”
„Dann ist Theo der Stellvertreter von Franz, oder wie?”
„Ja, Oleg, so kann man das sehen. Die Bild-Zeitung sieht das bestimmt so.”
„Und was hat nun dieser Sportjournalist über den Stellvertreter von Zar Franz im Blog Direkter Freistoß Böses geschrieben?”
„Unglaublicher Demagoge.”
„Uiiiih”, sagte Oleg.

Ich bin mit Oleg schon ein paar Mal in Odessa zum Fußball gewesen. Oleg ist ein treuer Anhänger des FC Chernomorets Odessa und besucht jedes Spiel. Ziemlich oft begleitet er die Mannschaft auch nach Charkow, Lemberg, Kiew oder sonstwohin. Verliert Chernomorets, ist er tagelang schwermütig. In dieser Saison habe ich ihn noch nicht sehr oft unschwermütig erlebt. Chernomorets ist nur Tabellenzehnter der ukrainischen Liga.

Wenn der Stadionsprecher Odessas Aufstellung vorliest, spricht Oleg die Namen der Spieler samt Rückennummern mit. Wenn der Stadionsprecher danach den Namen des Trainers vorliest, springt er auf und klatscht. Wenn der Stadionsprecher zuletzt den Namen des Vereinspräsidenten vorliest, schreit er: „Mоooo-лоoooo-дец*.” All das wiederholt sich im Laufe eines Spiels drei- bis viermal. Da die Gastmannschaft genauso oft und genauso ausführlich über die Lautsprecher vorgestellt wird, kenne ich mittlerweile sehr viele Vereinspräsidenten und bin ein ausgewiesener Oligarchenexperte.

„Den muss man einsperren”, sagte Oleg und trank einen Schluck Wodka.
„Oleg, wenn wir jeden Demagogen in den Knast stecken würden, wäre Deutschland … warum eigentlich nicht?”
„Ich meine nicht den Stellvertreter von Franz, sondern diesen Sportjournalisten.”
„Spinnst du?”
„Der muss mindestens ein Berufsverbot kriegen.”
„Wegen Vize-Zaren-Lästerung?”

Ich schaute auf den Fernseher und dachte daran, dass ich am Freitag Studenten der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa einen Vortrag halten würde über den Journalismus in Deutschland, über Presse- und Meinungsfreiheit, über Wahrhaftigkeit und Distanz. Es lief die 84. Minute des Länderspiels. Es kam dieser direkte Freistoß, vielleicht war es auch indirekter, eine Ecke oder Flanke, was weiß ich, ich schaute gelangweilt auf den Fernseher, sah, wie John Terry das 2:1 für England köpfte, erinnerte mich an die vergangenen 90 Minuten mit Oleg und sagte: „Du bist ein unerträglicher Olegarch.”

*Prachtkerl

Nachtrag, 20.30 Uhr: Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass sich wenigstens einer der Grauen Exzellenzen vom DFB verabschiedet, damit das ganze Drama nicht noch peinlicher wird. Mir fällt nur gerade nicht ein, wer aussichtsreichster Kandidat ist. Sowohl Theo Zwanziger als auch sein Vize Rainer Koch, beide promoviert übrigens, haben heute einen Fuß vor die Ausgangstür gesetzt. Hätte ich einen Doktortitel, würde ich den jetzt zurückgeben. Wenn ich das richtig verstanden habe, können die beim DFB nicht mal mit Word umgehen. Und der eine weiß nicht, was der andere sagt. Unfassbar!

Nachlesen kann man das bei Herrn Niggemeier und auf sueddeutsche.de.

Kolumne: Gasperletheater

ODESSA, UKRAINE Dies könnte meine letzte Kolumne sein. Ich kann nichts versprechen, aber es sieht ein bisschen so aus, als würde ich mich bald verabschieden. Dabei habe ich viele Ideen, ich plane zum Beispiel eine Orgasmuskolumne, um den Mangel an Leserinnen in diesem Blog zu beheben. Leider hat die Familie das Stück bislang nicht zur Veröffentlichung freigegeben, ich werde ein paar Stellen, die ich für Höhepunkte meines Schaffens halte, streichen – falls es dazu überhaupt noch kommt.

An der schweren Stahltür hängt seit gestern ein Schreiben von Odessas Gasgesellschaft. Unser Haus hat Schulden in Höhe von 1400 Griwen, also weniger als 200 Euro. Ich finde, bei einem solchen Betrag muss man nicht gleich drohen, schon morgen könne das Gas abgestellt werden. Ich gerate doch so leicht in Panik. In der Wohnung stehen drei Eimer mit Wasser für den Fall einer Dürre, ich besitze 104 Kerzen und 33 Streichholzschachteln, aber ich werde cool bleiben können, wenn die Sonne zwei Wochen am Stück nicht aufgeht, ich besitze auch so viele Spritzen, Mullbinden, Pflaster, Kompressen, Plastikhandschuhe und Vitamintabletten, dass ich halb Odessa Erste Hilfe leisten könnte, ich übe zweimal in der Woche, dienstags und freitags, an mir selbst die stabile Seitenlage und wiederbelebe gleich danach mit Mund-zu-Maul-Beatmung irgendein Kuscheltier.

Aber dieses Schreiben der Gasgesellschaft macht mich fertig. Ich fühle mich machtlos, ich habe gedacht, ein Sack Grillkohle könnte mich beruhigen. Nein, der Sack beruhigt mich nicht, der nimmt nur Platz weg. Wahrscheinlich werde ich mich von einem Wassereimer trennen müssen.

Dr. Frost oder Frieren als Studienfach

Es gibt in Odessa eine Nationale Frostakademie. Das ist kein Scherz, ich habe alles selbst gesehen: den Stempel des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Ukraine, den Dreizack, den Code, die Unterschrift eines vereidigten Übersetzers für Deutsch und Ukrainisch, die Unterschrift eines stadtbekannten Notars. Ganz oben auf dem Abschlusszeugnis stand: Nationale Frostakademie Odessa. Der vereidigte Übersetzer hat mir versichert, dies sei die korrekte Übersetzung. Ich habe mir das Foto des Absolventen zeigen lassen. Das Gesicht des Absolventen der Nationalen Frostakademie Odessa sah aus, als wäre es, nun ja, gerade aufgetaut.

Ich weiß nicht, wie lange ich in einer Wohnung ohne funktionierende Heizung Kolumnen schreiben kann. Meine Form ist extrem temperaturabhängig. Mir fällt ja schon nichts mehr ein, wenn ich an den Klimawandel auch nur denke. Ohne regelmäßige Wärmezufuhr wird die Witzefabrik in meinem Gehirn irgendwann schließen, schon jetzt läuft ja die Produktion ziemlich schleppend, weil es draußen so kalt ist und ich kein Mützengesicht habe.

Mein Freund Oleg hat kein Mitleid. „Hör mal, Gasputin, hast du eine Ahnung, wie kalt es im Winter 2004 auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz war, als wir die Orange Revolution gemacht haben?”, hat er vorhin gefragt.
„Woher soll ich das wissen?”
„Es war kutschmakalt. Aber ein Revolutionär kennt keinen Schmerz. Reiß dich zusammen.”

Die Klack-klack-klack-Königin und die Wau-wau-wau-Witwe

Ich würde gern wissen, wer bei mir im Haus ein Gasdieb ist. Ich verdächtige zunächst einmal jeden und lasse mich von der langbeinigen Schönheit unterm Dach, deren Stöckelschuhe so herrlich klackern, wenn sie die Treppe hinabsteigt, genauso wenig blenden wie von der hundelieben Babuschka im ersten Stock. Ich verurteile auch niemanden – weder die Klack-klack-klack-Königin noch die Wau-wau-wau-Witwe.

Einmal im Monat klingelt bei mir eine Frau, zeigt ihren Ausweis, tritt ein, liest den Stromverbrauch ab und kassiert nichts. Zwei Tage später klingelt die Vermieterin, zeigt ihren Ausweis nicht, tritt ein, lässt mich den Stromverbrauch ablesen und kassiert die Miete. Einmal im Monat erzählt mir die Untermieterin der Hundehütte irgendetwas vom Wasser, das ich bezahlen muss. Einmal im Monat finde ich an der Tür einen Brief der ukrainischen Telekom, dabei habe ich nur ein Handy, das ich selbst auflade. Einmal im Monat, meist an jedem Dritten, bringe ich einer Telefongesellschaft, deren Namen ich gar nicht kenne, 150 Griwen vorbei, damit ich weiter Internet habe. Einmal im Monat gebe ich außer meinem Sohn auch noch einen nicht ganz kleinen Geldbetrag im Kindergarten ab.

Bisweilen, erst vorgestern wieder, spende ich dem Kindergarten Geld, weiß aber nicht mal ungefähr, wofür. Während mir die Erzieherin erklärt, was wem wann und warum gekauft werden soll, rechne ich meine Spende in Dollar und Euro um. Bisweilen, erst heute wieder, pumpt mich Oleg an. „Ich brauche was von der Kolumnistenkreditbank“, hat er gesagt. „Aber ich unterschreibe nichts. Ich habe sowieso keine Sicherheiten.” Bisweilen, wahrscheinlich schon morgen wieder, guckt mich die Frau, die den Hausflur wischt, an, als erwarte sie, dass ich mich an ihrem Lohn beteilige.

Das doppelte Ländchen

Sehr oft verlasse ich morgens mit 50 Griwen die Wohnung und komme abends mit ein paar Kopeken heim, ohne dass ich irgendeine Quittung in der Tasche habe. Nachts träume ich, dass Kolumnistenkollege Axel die Zugangsdaten meines Blogs ändert und das neue Passwort erst herausrückt, nachdem ich ihm ein Lösegeld überwiesen habe. Ich besteche Polizisten, Ärzte und Krankenschwestern, um entweder weniger scharf oder viel schärfer kontrolliert zu werden. Sollte noch irgendjemand von mir verlangen, geschmiert, bespendet, bezahlt, belohnt oder bekreditiert zu werden, verliere ich endgültig den Überblick über meine Finanzen.

Ich bin auch erschöpft, weil es in der Ukraine alles doppelt gibt. Es gibt zwei dominierende Konfessionen – die Ukrainisch-orthodoxe Kirche und die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patronats -, zwei Sprachen, zwei russische Verben für eine Tätigkeit, zwei Klitschkos. Nichts von alledem kann ich auseinanderhalten.

Trotzdem weiß ich ganz sicher, dass ich meine Gasrechnung bezahlt habe, ich könnte es sogar beweisen, wenn ich nur die Quittung hätte, ich erinnere mich, es war an dem Tag, als es so stark geregnet hat oder die Sonne brannte, ich habe ein gutes Gedächtnis, ich sehe geradezu vor mir, wie ich das Geld übergeben habe – an Oleg oder die Kindergärtnerin, an die Putzfrau oder den Verkehrspolizisten, an meinen Arzt oder eine Krankenschwester, an die Stöckelschuhträgerin von oben oder die Hundehalterin von unten, an die Vermieterin, die Stromableserin oder an Axel.

Kolumne: Oleg und das hessische Entlein

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hat eine Nacht mit Barack Obama sausen lassen – wegen Andrea Ypsilanti. Er war wohl zu erschöpft, um sich die amerikanische Präsidentschaftswahl anzuschauen, obwohl ich ihm vorher gesagt hatte, er verpasse ein historisches Ereignis und werde sich eines Tages ärgern, wenn die Enkel fragten: Opa Oleg, wie war das damals, als die Welt farbenblind wurde?
„Oleg, willst du dann von der Bayernwahl mit Axel und dem Untergang der CSU erzählen? Ich glaube nicht, dass die Kleinen begeistert sein werden, wenn sie hören: An Obamas Triumph erinnere mich nicht – aber ich weiß alles über Horst Seehofer!”
„Im Prinzip sind beide schwarz”, sagte Oleg.
Das war am Dienstagmittag. Danach ist er untergetaucht.

Mit Roland Koch auf einer einsamen Insel

Ich glaube, er ist – trotz alledem – immer noch ein bisschen verliebt in Andrea Ypsilanti, das hessische Entlein. Natürlich verstehe ich, dass es viele Gründe gibt, Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die politische Rente zu wünschen. Einerseits würde ich ihn nicht auf eine einsame Insel mitnehmen – aus Angst, wir könnten verhungern, weil der Mann alles abschiebt, was ihm nicht schmeckt. Andererseits kenne ich kluge Leute, die Koch als Chef erleben und von ihm schwärmen, weil er nie brüllt.

Ich habe einen Trick, um herauszufinden, ob ich einen Politiker mag oder nicht: Ich überlege, ob ich gern sein Sohn wäre, ob es mich störte oder mir gefiele. Wegen erwiesener Lässigkeit würde ich Gerhard Schröder (vier Ehen in 40 Jahren), Helmut Schmidt (2508 Zigaretten am Tag) und Friedrich Merz (ein Moped, irgendwann einmal) als Erzeuger anerkennen. Natürlich, ich hätte auch gern einen liberalen Vater – aber Guido Westerwelle … nun ja.

Mit Rinat Achmetow auf Lesersuche

Da ich in Odessa lebe, sehe ich mich hin und wieder auch unter den ukrainischen Politikern um. Müsste ich mich für einen Produzenten entscheiden, fiele meine Wahl auf Rinat Achmetow. Gegen den Oligarchen und Parlamentarier aus Donezk hätte ich schon wegen des vermutlich großzügigen Taschengelds nichts. Eine ruhige und unkündbare Stelle bei der Zeitung Segodnya, die ihm bekanntlich gehört, entspräche durchaus meinem Arbeitseifer. Und ich hätte dank Papas Schützenhilfe sogar ein sehr erfolgreiches Blog. Don(ezk) Achmetow, der Pate aus dem Osten der Ukraine, nuschelte einfach hin und wieder vor sich hin: „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.” Schwupps, stünde ich in jeder Linksammlung und bekäme eine Menge Besuch, wahrscheinlich müsse ich sogar anbauen aus Platzmangel.

Als Sohn von Roland Koch wäre ich mindestens zweimal mit dem Kamm des Alten und meinem Kopf zum Vaterschaftstest marschiert: das erste Mal 1998, nachdem Papa die hessische Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erfunden hat, das zweite Mal, als er im Landtagswahlkampf im Januar 2008 schrie, Deutschland habe „zu viele kriminelle junge Ausländer”.
Ich verstehe also, dass man Roland Koch weghaben will. Dass man deshalb Andrea Ypsilanti verfallen muss, verstehe ich nicht.

Mit Olegs Mama in der Kantine

Gestern habe ich Olegs Mama getroffen, allerdings glaube ich nicht, dass es Zufall war. Sie wartete in der Kantine unweit des Büchermarks, in der ich oft zu Mittag esse, saß an dem Tisch, den ich bevorzuge, und hatte mir schon eine Cola hingestellt. Sie nannte ihren Namen, wünschte guten Appetit und schaute mich finster an.
„Hör mal, Kolumnistchen“, sagte sie, „ich mache mir Sorgen um Oleg.”
„Was ist los?”
„Wer ist diese Andrea?”
„Ach, Andrea, die ist doch nichts für die Ewigkeit”, sagte ich und löffelte weiter meinen Teller Borschtsch.
„Aber sie hat meinem Sohn das Herz gebrochen.”
Ich holte Olegs Mama einen Kaffee und mir ein Bier. Sie nahm einen Schluck. Ich nahm einen Schluck. Dann tauschten wir und schwiegen.

Ich habe ihr erzählt, dass Oleg von Andrea enttäuscht ist, weil sie nicht die Landesmutter von Hessen geworden ist. Er gibt ihr die Schuld, er hält sie für naiv, er meint, sie hätte die vier Parteifeinde auf die ukrainische Art überzeugen müssen, für sie zu stimmen. Oleg lehnt Gewalt natürlich ab, aber Geld als Druckmittel, Umschläge statt Schläge sozusagen, hält er durchaus für legitim.
„Da ist noch was, Kolumnistchen.”
„Ich höre”, sagte ich.
„Oleg führt Selbstgespräche, er nennt sich – warte, ich hab’s mir aufgeschrieben, Sekündchen, hier, schau -, er nennt sich Fischers Fritze und fischt frische Fische. Oder er redet vollkommen wirr.”
„Wirr?”
„Affeklammer”, sagte Olegs Mama.
„Hm.”
„Affeklammer, Affeklammer, Affeklammer.”
„Hm.”
„Fischers Fritze fischt frische Fische”, sagte sie.
„Hm. Und?”
„Nimmt mein Junge Drogen? Hat er sie von dir? Bist du ein Kolumnistenkiffer?”
„Seien Sie unbesorgt”, sagte ich. „Oleg lernt nur deutsch mit mir. Ich glaube, er will Axel überraschen, wenn die beiden sich das nächste Mal sehen. Vor ein paar Tagen haben wir eine neue Lektion angefangen. Es geht um den deutschen Büroalltag und um Sprichwörter.”
Olegs Mama atmete tief durch und verabschiedete sich. Ehe sie ging, drehte sie sich noch einmal um und rief: „Vergiss nicht, Axelchen von mir zu grüßen, aber verrat ihm nicht, dass ich ihm zu Weihnachten ein paar schöne – - – - – - stricke. Er ist ein молодец*!”

Mit Oleg am Telefon

Vor ein paar Minuten hat Oleg endlich das Telefon abgenommen.
„Wo steckst du?”, fragte ich.
„Tagesschau.de”, sagte Oleg. „Ypsilanti gibt die Kandidatur an Schäfer-Gümbel ab. Das war’s dann wohl.”
„Nein, ich will wissen, warum du dich versteckt hast.”
„Ich fand mich selbst nicht mehr witzig. Wenn ich alle anderen witziger finde als mich selbst, verkrieche ich mich und halte meine Klappe.”
„Denkst du nur an dich? Denkst du auch mal an mich? Meine Leser vermissen dich.”
„Ach Gott”, sagte Oleg, “das traurige Dutzend.”

*Prachtkerl

Kolumne: Oleg in der Gehirnjazze

ODESSA, UKRAINE Dieser verdammte Jazz ist an allem schuld. Nur deshalb will mein Freund Oleg Odessa verlassen, was für mich, da ich nun einmal in dieser Stadt lebe, ein bisschen ungünstig ist. Oleg hat sich verändert. Ich glaube, es ist ein Fehler gewesen, zunächst Axel als Urlaubsvertretung für mein Blog einzustellen, aber nicht zu bezahlen und dann auch noch Oleg bei ihm in Franken einzuquartieren, aber weder Taschengeld noch eine Flasche Wodka mitzugeben.

Wenn ich mir vorstelle, dass der Blogger K., der in Uganda lebt, zunächst mich als unbezahlte Aushilfe anheuerte, während er an der Ostsee fröhlich Möwen füttert, und mir dann auch noch seinen Kumpel vorbeischickte – nun, ich wäre auch ein bisschen verstimmt und würde Rache schwören. Vielleicht muss man verstehen, dass Axel keine andere Wahl hatte, als Oleg einer Gehirnjazze zu unterziehen. Ich zitiere aus Axels Beitrag Oleg Fiction vom 25. Oktober:

Vorgestern haben wir zusammen ein Konzert des berühmten Jazz-Schlagzeugers Wolfgang Haffner besucht. Oleg hat das sehr gut gefallen. Er war vorher noch nie auf einem Jazz-Konzert, dementsprechend verwirrt hat er sich immer umgeblickt, wenn nach einem Solo mitten im Lied applaudiert wurde. Nach dem dritten Mal hatte er es dann aber kapiert und auch mitgeklatscht. Ja gut, vielleicht ein wenig zu euphorisch, alle Zuschauer, einschließlich der Musiker sahen von Stund an verwirrt auf Oleg, was Oleg wiederum zu noch mehr Euphorie anstachelte – ein kleiner Teufelskreis nahm da bis zum Ende des Konzerts seinen Lauf. War Oleg aber egal.

Ich bin kein Jazzexperte, das gebe ich zu; ich besitze zwar das Köln Concert von Keith Jarrett, habe es aber noch nie angehört. Es liegt vor allem an dem Titelverzeichnis auf der Rückseite der Platte: Part 1, Part 2 a, Part 2 b, Part 2 c. Das klingt eher nicht nach Tanzmusik. Ich lasse mich von den so genannten Fachleuten gern berichtigen, aber ich kenne nicht einen glücklichen Jazzmusiker, glücklich im Sinn von: auf Anhieb mit sich und der Welt allzeit im Reinen. Nehmen wir nur einmal die Jazzlegende Charlie „Bird” Parker (1920-1955):

Parker war wahrscheinlich schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr heroinabhängig (so Ross Russell). Oft wurde er wegen seines unberechenbaren Verhaltens auf der Bühne aus laufenden Spielverträgen entlassen, so dass er immer seltener feste Engagements bekam. So sah er seinen Stern seit etwa 1950 langsam, aber sicher sinken. Am 12. März 1955 starb Charlie Parker, geschwächt von Leberzirrhose, Magengeschwüren und einer Lungenentzündung, im New Yorker Hotel Stanhope in der Suite der Baroness Pannonica de Koenigswarter, einer Gönnerin schwarzer Jazzmusiker. Quelle: Wikipedia

Die Frage ist natürlich, ob das Leben so schwer ist, weil da unbedingt jemand jazzen muss, oder ob da jemand unbedingt jazzen muss, weil das Leben so schwer ist. Es muss jedenfalls einen Zusammenhang geben. Wie soll ein Musiker, der ständig improvisiert und variiert, wenn er Saxofon spielt, sein Dasein halbwegs im Takt halten? Es geht doch auch anders. Nehmen wir zum Vergleich einmal die Jetztlegende Dieter Günter Bohlen, geboren 13 Monate vor Parkers Tod:

In der ZDF-Show Unsere Besten wurde Bohlen 2003 in einer Zuschauerumfrage auf Platz 30 der „größten Deutschen” gewählt. Quelle: Wikipedia

Dieter Günter Bohlen kommt seit 30 Jahren mit einer Melodie aus und scheint nicht darunter zu leiden, wenn ich mir diese Ferndiagnose erlauben darf. Bohlen improvisiert und variiert allenfalls, wenn er an Frauen spielt.

Ein neuer Grökaz

Axel hat Oleg verjazzt. Oleg ist in eine sektenähnliche Abhängigkeit geraten. Seine Sätze beginnen mit: “Laut Axel ist…” Er verachtet mich, meine Musik, meine Gedanken und vor allem, was besonders schmerzt, meine Kolumnen. Für ihn ist Axel jetzt, was bislang ich gewesen bin: der Humorführer, Grökaz, der Größte Kolumnist aller Zeiten. Axel sei witziger als ich, meint Oleg, klüger, bescheidener, geistreicher, vertrauenswürdiger, höflicher und charmanter. Er könne besser trinken, tanzen, kochen, singen, Auto fahren, lieben.

Ich habe mir das jetzt zwei Tage angehört, ich dachte, es wäre nicht so schlimm. Heute Morgen habe ich mich sogar mit einem ziemlich großen Axelfoto vor den Spiegel gestellt und mich auf einen Attraktivitätsvergleich eingelassen. Oleg hat alles sehr genau analysiert: Frisur (so weit noch oder jemals vorhanden), Augen, Nase, Mund, Männlichkeit und Ausstrahlung. Obwohl das Foto bestimmt bearbeitet worden war, habe ich das Ergebnis nicht angefochten. Ich wollte keinen Krach. Ich überhöre ja auch, dass Olegs Rrrrussisch neuerdings fränkisch gefärbt klingt. Er spricht wie Lothar Matthäus nach drei Jahren Verbannung als Trainer von Luch Wladiwostok.

Die Sache mit den F-Wörtern

Zehn Minuten später musste ich mich aber verteidigen.
„Außerdem ist er nicht so verklemmt wie du”, sagte Oleg.
„Ich bin nicht verklemmt. Wie kommst du darauf?”, fragte ich.
“Weißt du nicht mehr, was Axel bei dir über den RAF-Terroristen Andreas Baader geschrieben hat?”
“Ach so, ja, du meinst die beiden F-Wörter.”
“Welche F-Wörter?”, schrie Oleg.
“-icken und -otze.”
“Siehst du”, sagte Oleg.

Ich habe ihm erklärt, Axel sei nicht aus der Welt, er ernähre sich gesund, schreibe regelmäßig Kolumnen und werde deshalb noch mindestens 40 Jahre leben. Ich wollte Oleg beruhigen. Er aber war kurz davor, mich zu würgen.

„Es geht doch gar nicht um mich, du Idiot”, schrie er abermals. „Ich weiß nicht, wie Axel es ohne mich aushalten soll – bis Heiligabend.”

[Nach seiner unehrenhaften Entlassung aus diesem Blog kümmert sich Axel übrigens wieder verstärkt um seine Projekte. Wer ihn besuchen will, muss nur hier oder hier klicken]

Kolumne: Oleg Fiction

(Axel) Oleg und ich freunden uns immer mehr an. Vorgestern haben wir zusammen ein Konzert des berühmten Jazz-Schlagzeugers Wolfgang Haffner besucht. Oleg hat das sehr gut gefallen. Er war vorher noch nie auf einem Jazz-Konzert, dementsprechend verwirrt hat er sich immer umgeblickt, wenn nach einem Solo mitten im Lied applaudiert wurde. Nach dem dritten Mal hatte er es dann aber kapiert und auch mitgeklatscht. Ja gut, vielleicht ein wenig zu euphorisch, alle Zuschauer, einschließlich der Musiker sahen von Stund an verwirrt auf Oleg, was Oleg wiederum zu noch mehr Euphorie anstachelte – ein kleiner Teufelskreis nahm da bis zum Ende des Konzerts seinen Lauf. War Oleg aber egal. Er hat sich nach dem Konzert noch Autogramme geholt und ein ausgiebiges Gespräch mit den Musikern geführt, von Kollege zu Kollege, wenn man so will.

Biblische Zitate im Vollrausch

Danach sind wir bei Bier und Wodka ordentlich versackt. Wir kamen vom hundertsten ins tausendste, wie das eben so ist, wenn man langsam immer besoffener wird. Wir sprachen über Familie, über Politik, über Christoph Wesemann und über Musik und als wir schließlich auf Filme zu sprechen kamen, zitierte Oleg, der bis zu dem Zeitpunkt relativ normales Mulitilinguwelsch gesprochen, beziehungsweise gelallt hatte, plötzlich folgende, deutlichst formulierten Sätze:
Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer. Gesegnet sei der, der im Namen der Barmherzigkeit und des guten Willens die Schwachen durch das Tal der Dunkelheit geleitet. Denn er ist der wahre Hüter seines Bruders und der Retter der verlorenen Kinder. Ich will große Rachetaten an denen vollführen, die da versuchen meine Brüder zu vergiften und zu vernichten, und mit Grimm werde ich sie strafen, dass sie erfahren sollen. Ich sei der Herr, wenn ich meine Rache an ihnen vollstreckt habe.
Ich war mehr als verblüfft und noch bevor ich fragen konnte, was wohl das jetzt gewesen war, antwortete Oleg, der sich ein äußerst debiles Grinsen angesoffen hatte:
Pulp Fiction
.

Tja und dann stellte sich heraus, dass Oleg ein großer Verehrer, wenn nicht sogar der größte Verehrer jenseits der USA von Quentin Tarantino ist. Er liebt dessen Filme und – natürlich – besonders Pulp Fiction.

Auf dem Weg in die Kunstblumenstadt

Wie es der Zufall so will, hatte ich neulich erfahren, dass Tarantino seinen neuen Film Inglorious Bastards hier in Deutschland dreht und berichtete Oleg davon. Aber schon während ich darüber sprach, kamen mir erst leichte, dann erhebliche Zweifel, ob dies wirklich eine gute Idee war und als ich es schließlich ausgesprochen hatte, war ich mir ganz sicher, es war keine gute Idee, überhaupt keine gute Idee!
Wo? Wollte Oleg wissen.
Wie weit weg? Hakte er nach.
Wann fahren wir? Bohrte er.
Los jetzt, Schluss, Ende mit Saufen. Er nahm mir das Glas aus der Hand und schüttete den Rest Wodka in den Abguss. Er sah mich strafend von oben bis unten an und beschloss diesen ereignisreichen Tag mit den Worten. Wir gehen schlafen – jetzt sofort. Morgen lange Fahrt.

Völlig verkatert sind wir am nächsten Morgen dann nach Sebnitz, die Kunstblumenstadt, gefahren. Die Fahrt lief ungefähr so ab:
Oleg: Und weißt du wie die einen ‘Quarterpounder mit Käse’ in Paris nennen?
Ich: Keine Ahnung.
Oleg: Nein, Du musst fragen: “Die nennen ihn nicht einen ‘Quarterpounder mit Käse’?”
Ich (gequält): Die nennen ihn nicht einen ‘Quarterpounder mit Käse’?
Oleg: Nein Mann, die haben das metrische System, die wissen gar nicht was ein Viertelpfünder ist.
Ich schwieg erst einmal.
Oleg machte eine auffordernde Handbewegung.
Ich: Wie nennen die ihn dann?
Oleg (überglücklich): Die nennen ihn ‘Royal mit Käse’!

Für alle Uneingeweihten: Es handelt sich hierbei um Kultdialoge aus dem Kultfilm Pulp Fiction vom Kultregisseur Quentin Tarrantino. Oleg konnte nicht genug davon bekommen. Einmal war er Vinc, der Oberfußmeister, dann Butch, der Boxer. Erst forderte er , dass mein Arsch in der fünften Runde zu Boden geht, dann verstieg er sich in die Erkenntnis Hamburger seien der Grundstein eines jeden nahrhaften Frühstücks.

Der wahre Grund, warum beim Führer besetzt ist

Um endlich das Thema zu wechseln, fragte ich Oleg kurz vor unserem Ziel in der schönen sächsischen Schweiz, um was es denn im neuen Film von Herrn Tarantino überhaupt gehe. Da wurde Freund Oleg plötzlich ziemlich blass und versuchte, die Situation mit einem erneuten Zitat in eine andere Richtung zu lenken: Stehst Du auch darauf, wenn Du vom Klo wieder kommst und das Essen auf dem Tisch steht?
Ich ging nicht darauf ein, sondern sah ihn fordernd über die Ränder meiner Brille an.
Es geht um Nazis – gab Oleg kleinlaut zu, senkte den Blick, zog die Schultern hoch und schlug die Hände übereinander.

Ach du Scheiße. Was hatte mir Christoph auf den Weg gegeben, als er mir sein Weblog übergab: ich müsse aufpassen, dass ich mich nicht mit Hitleritis anstecke und jetzt war ich auf dem Weg zu den Nazis – das durfte doch alles nicht wahr sein.

Für den Rest der Fahrt schwiegen wir uns an. Kurz von Sebnitz erreichten wir das weiträumig abgesperrte Drehgelände. Finsterlinge von der Security warfen kritische Blicke in unseren Wagen. Als einer fragte, was wir hier zu suchen hätten, antwortete Oleg wie aus der Pistole geschossen:
Mein Name ist Mr. Wolf, ich löse Probleme
.
Klar, dass wir mit der Ansage keinen Zutritt zum Drehort bekamen. Die Sicherheitsleute verabschiedeten uns standesgemäß mit den Worten verpisst Euch und wir fuhren einmal ums Gelände.

Als wir dann aus der Ferne Zeuge einer Filmszene wurden, in der mehrere Soldaten sich um Adolf Hitler scharten und dieser lauthals in den Hörer eines Feldtelefons brüllte, ich also endlich wusste, warum beim Führer ständig besetzt ist, hielt ich den Wagen an, gab Oleg ein paar EURO in die Hand, sagte ihm, ich müsse hier so schnell wie möglich weg, verabschiedete mich hastig und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die Filmszene musste wiederholt werden, denn der Führer unterbrach sein Telefonat und sah mir lange nach.

Letzte Meldung:

Filme machen ist eine anstrengende Sache. Deshalb lud Quentin Tarantino seine Filmcrew kürzlich zum Feiern in eine Bar in Berlin Mitte ein. Passenderweise hieß die Lokalität „Tarantino’s“

Mit rund 60 Leuten, darunter natürlich auch Brad Pitt, erfreute sich der Filmproduzent bis in die frühen Morgenstunden an leckeren Cocktails. Im Hintergrund lief derweil die Musik aus seinen Kultfilmen. Der Kultregisseur weilt gerade wegen der Dreharbeiten zu seinem neuen Streifen „Inglourious Bastards“ in der Hauptstadt.

Quelle: tikonline – 22.10.2008

Ich bin mir sicher, einer von den 60 Leuten war Oleg!

Kolumne: Über Schurkenblogs

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hat mich vorhin umarmt, ziemlich lange und innig sogar, ich glaube aber, dass es ihm ein bisschen unangenehm war, er musste sich bestimmt überwinden. In der Öffentlichkeit umarmen sich Männer eigentlich nur, wenn sie nicht mehr nüchtern sind oder im Fußballstadion stehen. Meistens kommt beides zusammen. Die Ausnahmen sind älter und haben einen Bauch als Panzer. Oleg aber ist sportlich. Er war also sehr tapfer.

„Und wegen der Nudeln rückst du mir so auf die Pelle?”, fragte er danach.

20 Blogger, 20 Meinungen

Wir hatten uns am Strand verabredet, ich brauchte Ruhe und wollte das Rauschen der Wellen hören. Ich bin mit den Nerven runter, seit ich mich zu lange mit der Blogosphäre beschäftigt habe, es ist alles zu viel für mich. Bei jedem Thema, das ich im Internet nachschlage, stoße ich auf mindestens 20 Meinungen und 20 Blogger, manchmal gibt es sogar mehr Meinungen als Blogger. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sich die Stimmen sinnvoll ergänzen, aber vielleicht darf man das auch nicht erwarten, wenn Oberlehrer aufeinander treffen. Der eine manipuliert, der andere kopiert, noch ein anderer spioniert, recherchiert und ejakuliert, was der eine manipuliert und der andere kopiert. Solche Sachen lese ich jeden Tag. Ich weiß nicht mehr, wem ich noch glauben kann.

Ich bin beim Arzt gewesen, ich wollte mich krankschreiben lassen und den Schein bei WordPress Deutschland abgeben, ich kann ja nicht einfach unentschuldigt am Arbeitsplatz fehlen – jedenfalls nicht länger als drei Tage. Ich kenne doch die Kollegen. Nehmen wir nur mal Axel. Klar, Axel ist ein feiner Kerl, er hat Oleg bei der Bayernwahl geholfen, er vergisst nie meinen Geburtstag und hilft mir auch, wenn ich die Technik nicht begreife. Trotzdem würde er bei den Kollegen rumerzählen: „Unser Kolumnist in Odessa macht gerade blau, also, wenn ihr mich fragt: Der ist ausgebrannt, klassisches Burn-out-Syndrom, der bringt’s nicht mehr. Bis zur Rente schafft es unser Sensibelchen nie und nimmer.”

Ärzte und die Ehrfurcht vor Durchfall

Ich habe dem Arzt in Odessa natürlich nichts von den Nerven erzählt. Er ist Allgemeinmediziner. Männern dieser Fachrichtung kommt man besser nicht mit den Nerven. Einem Allgemeinarzt hatte ich vor vielen Jahren etwas von Schlafstörungen erzählt, um eine Krankschreibung für die Prüfung zu erhalten. „Sie müssen die Augen zumachen”, hatte er gesagt und gelacht. Seitdem habe ich Durchfall, wenn ich eigentlich etwas mit den Nerven habe. Allgemeinmediziner haben eine tiefe Ehrfurcht vor dem Durchfall, ich glaube, sie diagnostizieren nichts so gern wie Magen-Darm-Infektionen.

Mein Arzt sagte: „Sie haben sich irgendwo was eingefangen, eine Magen-Darm-Infektion ist unangenehm. Aber ich kann Sie trotzdem nicht krankschreiben, Sie sind kein Ukrainer.” Kaum hatte ich die Praxis verlassen, rief ich Oleg an und bat ihn, mit mir am Strand zu spazieren.

„Oleg, du weißt, ich bin Pazifist”, sagte ich und warf einen Stein ins Schwarze Meer. Plopp. „Ich habe den Dienst an der Waffe verweigert, bin aber auch nicht ausgemustert worden, wie mancher vermutet, wenn er mich sieht. Ich respektiere die Meinungsfreiheit, obschon sie bisweilen Gesülze produziert, ich verurteile Zensur und lasse mich auch beschimpfen, wenn ich so jemanden befriedigen kann. Das Internet ist eine tolle Errungenschaft. Sie bricht die Meinungshoheit einer Clique von Journalisten.”
„Komm zur Sache, Kolumnist”, sagte Oleg.
„Mein Pazifismus stößt an Grenzen. Schurkenblogs müssen besetzt werden. Wenn ich die Macht hätte, würde ich den Einmarsch befehlen. ”
„Wenn die Schurken in Odessa sind, könnte ich vielleicht was machen. Was brauchst du?”
“Humor”, sagte ich. “Wenigstens Selbstironie sollte der Sünder haben – also jedermann. Stammt von Wilhelm Busch.”
“Die Kunst des Zitierens ist die Kunst derer, welche unfähig sind, selbst nachzudenken”, sagte Oleg. “Voltaire.”

Der Nudels Kern

Ich habe Oleg erzählt, was geschähe, wenn ich an dieser Stelle schriebe, Nudeln seien das scheußlichste Gericht der Welt, ganz gleich, auf welche Weise man sie esse. Spätestens am nächsten Tag, vermutlich aber schon früher, würde mich der Blogger von http://der-nudels-kern.de mehr als al dente kochen und mir vorwerfen, dass die Wahrheit viel komplizierter sei: „Es gibt nicht die Nudel.” Die einzige Möglichkeit, angemessen zu reagieren, wäre Schweigen. Nichts wäre verheerender als der Kommentar: „Ich schreibe nun mal nicht für Nudelisten, sondern für Menschen.” Eine solche Verteidigung würde eine Diskussion auslösen, an deren Ende ich den Spitznamen „Ulknudel” verliehen bekäme und fortan ein Lieblingsfeind im Blog wäre. Würde ich mich zwei Wochen später in irgendeiner Form, vielleicht nur am Rande, über Strudel äußern, stünde Minuten später im Nudel-Blog: „Guckt mal, Ulknudel, äußert sich heute über Strudel.”

Dann umarmte mich Oleg.

„Du brauchst dringend Urlaub, Kolumnist”, sagte er. „Ich empfehle eine halbwegs einsame Insel, auf der es keine Nudeln gibt.”
„Was hältst du von Rügen?”, fragte ich.
„Keine Nudeln?”
„Ich glaube, keine Nudeln.”
“Dann fahren wir morgen los.”
“Du kommst mit, Oleg?”
“Nein, nein, du setzt mich bei Axel ab. Wir müssen doch die Bayernwahl auswerten”, sagte er. “Lass uns deinen Kolumnistenklamottenkoffer packen. Ich borge mir alles von Axel.”