Ich bin gestern Abend vier Minuten und zehn Sekunden zu Gast gewesen in der Blogger-Sendung Trackback von Radio Fritz, dem Jugendsender des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Es ging natürlich um die Adolf-Hitler-Profile bei Skype, an deren Enttarnung ich nicht ganz unschuldig bin. Ich habe das Gespräch mit Moderator Marcus Richter für das interessierte Publikum hochgeladen. Nein, ich tippe das nicht ab, ich stelle es nicht zum Nachlesen hinein. Sie werden gleich, äh, äh, äh, hören, warum. Äh.
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Damit schließe ich das Thema ab. Ich schwöre: Ich schreibe nie wieder über Hitler.
ODESSA, UKRAINE Als Kolumnist fehlt mir eindeutig das Repertoire. Fast immer schreibe ich über dieselben Leute, was möglicherweise nicht weiter auffiele, wenn es mehr als zwei wären oder einer der beiden nicht Adolf Hitler hieße. Ich bin kein Ewiggestriger, der in der Vergangenheit lebt, ich trage zwar einen Seitenscheitel, aber das hat eher optische als ideologische Gründe. Allmählich komme ich in ein Alter, in dem ein vernünftiger Mann an jedem Haar hängt, weil er nichts mehr zu verschenken hat von dem, was auf dem Kopf noch wächst. Die Haare vermehren sich ja nicht – jedenfalls nicht dort. Als einer, der schon einige Geburtstage in seinem Leben gefeiert hat, würde ich, wenn ein Schurke käme und „Geld oder Glatze, Hunderter oder Haarausfall” riefe, immer das Portmonee zücken, egal, wie viel ich verlöre.
“Hitlers Kolumnist”
Ich schreibe also entweder Kolumnen über Oleg, weil er mein Freund in Odessa ist, oder über Adolf Hitler, weil gerade ein Nachbar mein Auto demoliert hat, um sich an einem Deutschen für die Verbrechen der Nationalsozialisten zu rächen. Wenn der ZDF-Geschichtslehrer Guido Knopp irgendwann „Hitlers Kolumnisten” macht, weil ihm nichts mehr einfällt, bin ich ganz sicher dabei, so viel steht fest.
Und jetzt fragen mich Journalisten, wie ich auf den Skype-Skandal gestoßen sei. Bei diesem Kommunikationsdienstleister haben sich mehr als 30 Nutzer aus der ganzen Welt als Adolf Hitler angemeldet. Auch Heinrich Himmler, Joseph Goebbels, Hermann Göring und Dr. Josef Mengele skypen. In vielen Profilen stehen Hakenkreuze neben Hetze. Es ist sehr unappetitlich.
Wie erklärt man Journalisten und Lesern, dass man Adolf Hitler jagt? Ich habe mich ein bisschen in Lügen verstrickt, ich war überfordert. Zunächst behauptete ich, ich hätte den Führer fragen wollen, ob er wegen der Weltfinanzkrise ein Comeback plane. Ich hielt diese Antwort für einigermaßen originell, bekam aber bald Angst, ich könnte als doppelter Verharmloser dastehen: von Hitler und vom Bankensterben. Ich habe mich danach auf alles berufen: Zufall, Tippfehler, Gier nach Ruhm. Was mein Mund sonst noch so ausgespuckt hat, weiß ich gar nicht mehr. Bestimmt habe ich auch ein paar Mal Oleg die Schuld gegeben.
Klein Adolf in Ägypten
Oleg hat mich vorhin aufgeregt angerufen und gesagt: „Mir ist etwas eingefallen. Was ist eigentlich mit den Leuten bei Skype, die wirklich heißen wie die alten Nazis, ohne neue Nazis zu sein? Warum soll in Algerien, den USA, Tschechien, Kuba, Finnland, Kanada, Trinidad und Tobago oder Ägypten nicht ein Mann so heißen?”
„Ich bin kein Ägyptologe, aber ich bezweifele, dass viele ägyptische Eltern ihr Baby Adolf Hitler nennen, ich glaube das eher nicht”, sagte ich. „Ich rufe für dich auch gern die größte Geburtsstation von Trinidad und Tobago an und frage, wie viele Adolfchen in der letzten Nacht auf die Welt gekommen sind.”
„Aber was ist mit diesem Busfahrer in Wien, der angeblich wirklich so heißt?”, fragte Oleg. “Willst du dem das Skypen verbieten?”
„Oleg, glaubst du, das größte Unglück eines Mannes, der im wahren Leben Adolf Hitler heißt, wäre, nicht mehr skypen zu dürfen?”
Gestern Nacht habe ich von meiner Beerdigung geträumt; es war insgesamt doch sehr feierlich. Der Sarg hätte vielleicht ein bisschen schöner sein können. Aber wer sollte unter der Erde über meine geizige Familie lästern? Der Pfarrer sagte, ehe er mich verabschiedete: „Er hat sein Kolumnistenleben ganz und gar Adolf Hitler gewidmet.”
Muss ich erwähnen, dass nicht sehr viele Leute bei meiner Beerdigung gewesen sind?
Dieser Text ist auch auf kolumnen.de veröffentlicht. Dort finden Sie natürlich viele andere großartige Kolumnen großartigen Autoren. Nein, ich übertreibe nicht.
ODESSA, UKRAINE Ich habe dem Berliner Wissenschaftler Lutz Erbring ein paar Fragen gestellt, um den Wirbel zu deuten, den meine Recherche über Adolf Hitler und Hakenkreuze beim Internet-Telefondienst Skype ausgelöst hat. Der Professor im Ruhestand vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität ist Experte für Internet, Journalismus und Medienwirkung. Auch über Medien und Moral hat Erbring geforscht.
Herr Professor, Nutzer telefonieren bei Skype mit den Namen einstiger Nazigrößen – wie bewerten Sie das, auch moralisch?
Erbring: Das Ganze ist weniger moralisch zu bewerten als vielmehr psychiatrisch. Wie schon einer der Blogger anmerkt: Spinner gibt es immer – und man sollte ihnen nicht durch journalistische Publizität auch noch eine öffentliche Plattform bieten, das lockt nur noch ein paar mehr aus ihren Löchern hervor. Der Blogger hat Recht: „Ernst nehmen? Nein! Doof: jau!”
Unterschätzen Plattformen wie Skype nicht die Gefahr, von Rechtsradikalen unterwandert zu werden?
Erbring: Nein, die journalistischen „Aufreger” überschätzen grotesk die Bedeutung von Spinnern: Welche Gefahr rechtsradikaler Unterwanderung sollte denn drohen, wenn ein Häuflein von meist halbwüchsigen Spinnern glaubt, sich mit Nazi-Namen und -Symbolen oder gar mit Geschmacklosigkeiten wie „Wohnort: Auschwitz-Birkenau” hervortun zu müssen – aus den üblichen Motiven: Provokation, Wichtigtuerei und Halbstarkengag oder einfach ganz allgemeine Dummheit, auf die ja inhaltliche und grammatikalische Fehler hindeuten.
Wie kontrollieren Unternehmen wie Skype, was ihre Kunden tun? Reichen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) aus?
Erbring: Trotz gut gemeinter Vorgaben in den AGB wird die Dummheit oder Geschmacklosigkeit von Nutzern kaum kontrolliert – praktisch nur auf Initiative von dritter Seite wie in diesem Fall; es ist auch kaum anders möglich. Der Aufwand – eine ständig aktualisierte Filtersoftware etwa – stünde in keinem Verhältnis zum Erfolg oder aber zu dem Problem: mit Kanonen auf Spatzen schießen. Im übrigen wäre es meines Erachtens unerträglich, wenn Unternehmen wirklich kontrollieren würden, „was ihre Kunden tun”.
Skype hat mitgeteilt, es werde die Verwendung von Beleidigendem oder Anstößigem nicht tolerieren. “Wenn Skype auf einen Fall aufmerksam wird, in dem ein Nutzer gegen die Nutzungsbedingungen von Skype verstößt, indem er Worte oder Materialien verwendet, die andere beleidigen oder verletzen, werden wir diesen Vorgang sehr ernst und von Fall zu Fall untersuchen.” Reicht das?
Erbring: Die Skype-Antwort ist meines Erachtens die einzige realistische und auch angemessene Gegenstrategie.
Man könnte verdächtige Profile melden. Wie ist es denn um die Zivilcourage im Netz bestellt?
Erbring: Das hat wenig mit Zivilcourage zu tun – gegenüber wem oder was müsste man denn Angst haben oder Courage zeigen? Profile melden – wenn man nicht selbst persönlich betroffen oder beleidigt ist – hängt wohl eher davon ab, ob man mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen weiß als Internet-Blockwart zu spielen.
Dass ein Journalist so etwas noch erleben darf: Skype bedankt sich bei mir, dass ich den Internettelefondienst mit meiner “Recherche von den unschönen Machenschaften einiger User in Kenntnis gesetzt” habe. In einem “offiziellen Statement” heißt es:
Skype does not tolerate the use of materials by its users that are offensive, indecent or otherwise objectionable in any way. When a case is brought to Skype’s attention, where a user may be violating our user agreements by using language or material that is offensive to others, we will seriously evaluate the concern on a case by case basis.
Ich stelle mal die Übersetzung von netzeitung.de dazu, vielleicht wird’s dann noch klarer.
Skype toleriert die Verwendung von beleidigendem, anstößigem oder anderweitig störendem Material von Seiten der Nutzer in keiner Weise. Wenn Skype auf einen Fall aufmerksam wird, in dem ein Nutzer gegen die Nutzungsbedingungen von Skype verstößt, indem er Worte oder Materialien verwendet, die andere beleidigen oder verletzen, werden wir diesen Vorgang sehr ernst und von Fall zu Fall untersuchen.
ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg nennt mich seit gestern nur noch Al Bundy.
“Bundy, hör mal”, hat er vorhin gesagt. “Ich muss dich was fragen.”
“Nenn mich nicht Al Bundy. Ich verkaufe keine Schuhe, mein Sohn ist zweidreiviertel und schon fast so groß wie Bud Bundy, ich habe keine Rothaarige geheiratet, und meine Füße stinken nicht. Meine Familie ist auch nicht schrecklich nett.”
“Aber du hast doch jetzt auch deine vier Touchdowns in einem Spiel geschafft”, sagte Oleg. “Weißt du das? Bist du vorbereitet, Bundy?”
Oleg meint den Wirbel um meine Geschichte Beim Führer war besetzt, er glaubt, ich hätte den einzigen Triumph meines kümmerlichen Daseins und meinen Augenblick Ruhm erhascht; nun gehe es bergab, und zwar richtig steil: Ich leide, weil ich plötzlich wieder unwichtig bin, werde zum Menschenfeind und fange an, Freunde, die Familie und Feinde bei jeder Gelegenheit mit meinem Skype-Skandal zu langweilen. Bis zu meinem Tod sage ich mindestens einmal am Tag: “Damals, Odessa, Uliza Troizkaja, ich und eine ganze Adolfarmee, ich setze mich an den Computer und erledige diese Kerle. Vier – Pingbacks – in – einer – Woche.” Oleg sagt weiter voraus: In etwas mehr als 15 Jahren lasse ich mir, wie einst der rothaarige Tennisspieler, der ganz jung das Turnier von Wimbledon gewonnen hat, in einer Besenkammer eine kostbare Flüssigkeit stehlen und zeuge so ein Kind, das leider nicht nach der Mutter kommt, sondern mir auf das Scheußlichste ähnlich sieht.
Tricks beim Schönheitswettbewerb
Erstens finde ich mich nicht hässlich, ich würde mir durchaus ein durchschnittliches Aussehen bescheinigen. Zweitens weiß ich nicht einmal, was Pingbacks sind. Drittens bin ich alles in allem eher bescheiden. Zum Beispiel habe ich mich nicht selbst nominiert für diesen Schönheitswettbewerb, der gerade im Internet ausgetragen wird, obwohl andere das bestimmt getan haben, ich würde sogar sagen: viele, sehr viele. Man muss nur schauen, wer nominiert ist. Ich aber habe auch noch allen verboten, die ich kenne, mich aus Liebe oder Freundschaft heimlich dort anzumelden. Ich blogge noch nicht einmal einhundert Tage. Ich kann kein Update machen, ich frage mich, warum meine Bilder so mies sind, natürlich weiß ich auch nicht, was Tracksbacks sind, obwohl es mir zwei Kluge so erklärt haben, dass es ein mittelmäßig intelligenter Orang Utan verstanden hätte. Genau deshalb habe ich verhindern wollen, dass ich beim Schönheitswettbewerb starte.
Ich will zu gern wissen, wer mich hintergangen hat.
Will Oleg mir schaden? Ist er missgünstig? Hat er Angst, dass Odessas Frauen plötzlich auf mich fliegen könnten?
Ich werde den Schönheitspreis auf keinen Fall annehmen. Die Jury soll das jetzt schon wissen. Wählt mich nicht! Ich lehne ab! Ich will keinen Freecom Network Media Player 450 WLAN. Was ist das überhaupt? Ich brauche auch keinenFreecom ToughDrive 320 GB, ich kann das nicht mal aussprechen. Was soll ich dort speichern? Meine miesen Bilder vielleicht?
Ein Treffen mit der schönen Bloggerin
“Bundy, schreibst du jetzt wegen der Enttarnung der ganzen Adolfs eigentlich schon deine Dankesrede für den Wächter-Preis, den du nie gewinnen wirst?”, fragte Oleg.
Ich gebe zu, ich habe mir für alle Fälle ein paar Namen notiert, damit ich in der Aufregung niemanden vergesse, wenn ich oben auf der Bühne stehe: Robert Basic, Stefan Niggemeier und Jens Weinreich, die immer an mich geglaubt haben. Das ist doch nicht schlimm, finde ich. Nichts wäre peinlicher als ein stotternder Blogger, der seine Helden vergessen hat und deshalb WordPress dankt.
Aber ich schwöre, ich habe mich nicht bei der Ex-Freundin gemeldet und geschrieben: “Siehste, wärst Du mal bei mir geblieben. Na, jetzt ist es zu spät. PS: Falls Du heute Abend anrufen willst – Xu Jinglei will mit mir essen gehen. Es könnte spät werden. Ach, das kannst Du nicht wissen: Xu ist Schauspielerin und Chinas populärste Bloggerin.”
ODESSA, UKRAINE Wie reagiert Skype auf die Nutzer, die sich mit den Namen einstiger Nazigrößen angemeldet haben? Ein Sprecher der Agentur, die das Unternehmen in Deutschland vertritt, sagte mir heute: “Die Sache kann so nicht bleiben. Es muss etwas unternommen werden.” Man sei mit Skype in Kontakt und habe auf das Problem hingewiesen. Skype sei von den Recherchen überrascht worden, sagte der Sprecher. Bislang habe man nicht gewusst, dass Nutzer als Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler, Dr. Josef Mengele und Hermann Göring telefonierten. Auch verfassungsfeindliche Symbole wie Hakenkreuze finden sich in einzelnen Profilen. Zudem werden Orte des nationalsozialistischen Massenmords wie Auschwitz-Birkenau als Wohnsitz angegeben.
Wie gestern berichtet, verweist das Unternehmen bislang auf seine Nutzungsbedingungen für die 330 Millionen Kunden. Dort heißt es unter anderem:
Sie dürfen über Skype keine Nutzermaterialien einreichen oder veröffentlichen, die beleidigend, verleumderisch, pornografisch, die Privatsphäre verletzend, obszön, ausfallend, illegal, rassistisch, anstößig oder für einen Minderjährigen schädlich sind oder eine Beeinträchtigung von geistigen Eigentumsrechten einer Drittpartei darstellen oder in sonstiger Weise die Rechte Dritter verletzen [...]
[...] Sie dürfen nicht (i) einen Nutzernamen einer anderen Person mit dem Vorsatz auswählen oder verwenden, sich als diese Person auszugeben, (ii) ohne Genehmigung einen Namen verwenden, auf den eine andere Person Rechte hat, oder (iii) einen Nutzernamen verwenden, den Skype nach eigenem Gutdünken als unangemessen oder anstößig ansieht [...]
Nachtrag:
Netzeitung.de hat die Geschichte heute aufgegriffen. Was der Kollege nach dem Gespräch mit mir berichtet, steht hier:
ODESSA, UKRAINE Bisweilen wünsche ich mir, ich wäre ein bisschen wie mein Freund Oleg. Er ist lebenstüchtig, was auch erklärt, warum die Frauen auf ihn stehen und auf mich nur zukommen, wenn sie seine Telefonnummer brauchen. Frauen mögen Macher, die nach zehn Flaschen Bier und zehn Schnäpsen lallend in den Flur fallen und trotzdem ein Loch in den Putz bohren, auf das sich jeder Dübel freut. Ich würde, schon nach vier Flaschen Bier und vier Schnäpsen, an der Wohnungstür den Schlüssel abbrechen; bohren würde der Mann vom Notdienst. Darum betrinke ich mich, wenn ich es einrichten kann, nur zu Hause und verstecke vor dem ersten Schluck den Schlüssel vom Bad. Ich will nie wieder in der Wanne schlafen müssen. Eine Nacht mit einem Traum, in dem Uwe Barschel erscheint, reicht mir. (Es war kein Selbstmord.)
Als Oleg und ich gestern zum Strand fahren wollten, stand vor meinem Auto ein blauer Hyundai. Mein Plan war: warten. Zuparker halten sich fast immer in der Nähe auf und kehren schnell zurück. “Google”, flüsterte ich vor mich hin, “ungefähr 400 Treffer für Zuparker, für Falschparker sogar ungefähr 97700, kranke Welt.” Das Flüstern beruhigte mich augenblicklich.
„Und, Kolumnist, wie geht’s weiter?”, fragte Oleg.
„Wir warten. Hast du eine bessere Idee?”
Oleg sah sich um, trat dem Hyundai gegen das rechte Vorderrad und löste die Alarmanlage aus. Dann hockte er sich zu mir, während der Hyundai jaulte, und sagte: „Jetzt können wir warten.” Vierzig Sekunden später eilte ein Mann herbei, legte demütig zwei Hände auf die Brust und fuhr davon.
“Danke, Oleg.”
“Gern geschehen.”
Kein Bock auf Kolumnistencamping
Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn Oleg und ich gemeinsam ein Haus bauen würden. Ich wäre – vor dem ersten Spatenstich – ausschließlich damit beschäftigt, Kacheln für die Küche auszusuchen. Oleg würde an Zement denken – und an den Spaten natürlich.
“Oleg, versprich mir, dass wir nie ein Haus bauen werden”, sagte ich.
“Mit dir würde ich nicht mal zelten”, sagte Oleg. “Kolumnistencamping ist nichts für mich.”
Manchmal habe ich Angst, dass mein Freund sein Revier verlieren könnte, es geschieht nämlich Seltsames. Überall in Odessa werden die Bäume beschnitten. Noch im Juli hatte ein nächtlicher Sturm die schönen und üppigen Kastanien und Akazien umgerissen und auf Autos gezerrt. Es wird auch sehr viel abgeschleppt, ich sehe neuerdings mehr schwebende Hyundai als schlafende Hunde.
Überdies hat das Parlament in Kiew gerade die Strafen für Verstöße im Verkehr deutlich erhöht. Im Auto ohne Freisprecheinrichtung zu telefonieren kostet bis zu 850 Griwen, also fast 120 Euro. Bislang zahlte man nur seine Telefoneinheiten. Wer eine rote Ampel übersieht, kann wählen: 510 bis 680 Griwen oder 30 bis 40 Stunden gemeinnützige Arbeit. Bislang war dieses Vergehen ein Schnäppchen, vier Schachteln Zigaretten waren teurer.
Dass die Polizisten dank der höheren Strafen auch mehr Bestechungsgeld bekommen, wie die Zeitungen vermelden, stört mich nicht. Das ist in meinen Augen Mitarbeiterbeteiligung und motiviert doch, zumal die neue Härte bereits Wirkung zeigt. Heute Morgen, Punkt halb neun, haben zwei Autofahrer die Rotphase an der Ecke Jekaterinskaja und Troizkaja nicht ignoriert. Sie nutzten die Zeit effektiv und prügelten sich. Ich halte mich als Zeuge bereit, sage aber an dieser Stelle gleich: Ich weiß nicht, wer angefangen hat.
Der Arzt im Hausmeisterkittel
“Halt mal kurz an”, sagte Oleg gestern auf dem Weg zum Strand. “Da ist irgendwas passiert.”
Wir stiegen aus und sahen auf dem Bürgersteig einen Ohnmächtigen. Sein Gesicht war schon ein bisschen gelb. Fünf Männer stellten Diagnosen. Alkohol als Ursache der Ohnmacht wurde ausgeschlossen. Man nahm sich wirklich sehr viel Zeit für den Patienten.
“Ist denn irgendjemand in dieser netten Runde Arzt?”, fragte Oleg nach einer Weile. Die Blicke der fünf Männer wanderten zu mir, wahrscheinlich weil ich als einziger eine Brille trug.
“Ach, der ist nur Kolumnist”, sagte Oleg. Es folgte ein lautes Gelächter. Oleg lieh sich mein Telefon und rief einen Arzt.
Nach zehn Minuten kam der Krankenwagen. Ein Mann brachte eine Trage und steckte sich eine Zigarette an. Er trug einen Hausmeisterkittel. Nachdem er aufgeraucht hatte, bat er Oleg und mich, den Ohnmächtigen auf die Trage zu heben. Zu dritt brachten wir ihn in den Krankenwagen. Darin war nichts: keine medizinische Technik, keine Sauerstoffanlage, keine Absaugpumpe, kein Defibrillator, nicht mal ein Verbandskasten.
“Sind Sie Arzt?”, fragte ich.
“Sehe ich so aus?”, fragte der Mann zurück und rieb sich die Hände an seinem Hausmeisterkittel, holte aus der Brusttasche eine Zigarette, drehte dem bewusstlosen Gelben den Rücken zu, rauchte und fragte, was ich in Odessa machte, erzählte, dass seine Kinder auch viel im Internet unterwegs seien und in meinem Blog kommentieren könnten, kramte einen Kugelschreiber hervor und notierte sich meine Domain auf einem alten Kassenzettel.
“Ich muss los, hat mich gefreut”, sagte er und kletterte, eine frisch entzündete Zigarette zwischen den Lippen, in seinen Krankenwagen.
“Kolumnist, bleib bei deinen Streichen”, sagte Oleg am Strand. “Und mach dir um mich keine Sorgen. Erstens werden die Bäumen in jedem Herbst geschnitten. Und wie du vielleicht gesehen hast, liegen die Äste, Zweige und Blätter jetzt auch schon eine Woche herum. Zweitens wird viel abgeschleppt, weil wahrscheinlich irgendein Politiker in der Stadt ein Abschleppunternehmen aufgemacht hat.”
“Und was ist mit den Strafen für Raser?”, fragte ich.
“Ich nehme an, dass einige Politikersöhne gerade eine Ausbildung zum Polizisten machen.”
ODESSA, UKRAINE Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko hat das Parlament aufgelöst und vorgezogene Wahlen verkündet. Schuld am Ende der prowestlichen Regierung ist für Juschtschenko Premierministerin Julia Timoschenko, wie er am Abend in einer Fernsehansprache – etwas verklausuliert – sagte.
“I am deeply convinced that the democratic coalition was ruined by one thing – the ambition of one person, the hunger for power … and the dominance of personal interests over national ones.” Mehr
ODESSA, UKRAINE Ich habe heute versucht, Adolf Hitler (NDSAP) über Skype anzurufen. Ich wollte ihn fragen, ob er wegen der aktuellen Weltfinanzkrise ein Comeback plant. Es war leider besetzt.
Nein, der Führer ist nicht tot, er lebt und scheint gut zu tun zu haben. Hitler pendelt zwischen Deutschland, Bulgarien, Litauen, Polen, Spanien, Norwegen, Großbritannien, Algerien, den USA, Tschechien, Kuba, Trinidad und Tobago, Finnland, Kanada, Ägypten und natürlich Argentinien. Wer bei Skype nach Adolf Hitler sucht, stößt auf mehr als 30 Kontakte.
Auch Joseph Goebbels (NSDAP) lebt. Der einstige “Bock von Babelsberg” wohnt in “Auschwitz-Birkenau, DEUTSCHES REICH! NICHT BUNDESLAND. Deutschland”. Obwohl nach eigenen Angaben 107 Jahre alt, hat er sich – Propagandaprofi bleibt Propagandaprofi – bei Skype ein hübsches Profil angelegt. Über sich teilt er mit: “bin eigentlich 1897 geboren in Rheydt.” Rheydt, Goebbels Geburtsort, liegt in der Nähe von Mönchengladbach. Und Hermann Göring, einst Oberbefehlshaber der Luftwaffe, hat sogar grafisches Talent.
Auch andere Prominente des Dritten Reichs sind bei Skype angemeldet: Reichsführer-SS Heinrich Himmler (“über mich: sieg heil white power”), Wilhelm Keitel (Skypename: “oberkommandeur.wehrmacht”), Dr. Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, Wüstenfuchs Erwin Rommel, “Stürmer”-Eigentümer Julius Streicher (“vernichtungskrieg666″) und Robert Ley (“arbeiterfuehrer”).
Meine Anfrage bei Skype läuft.
Die Antwort von Skype ist da; die Agentur, die Skype in Deutschland vertritt, schreibt:
Das von Ihnen angesprochene Thema ist uns tatsächlich so noch nie gemeldet worden.
[...] Verhalten Sie sich bitte respektvoll, wenn Sie an einem der Skype Community-Angebote wie etwa den Foren, Blogs, E-Mail-Funktionen usw. teilnehmen und wenn Sie Chat, Sprach- und Videoanrufe, Dateiübertragungen oder andere Funktionen der Skype-Software (“Nutzermaterialien”) nutzen. Sie dürfen über Skype keine Nutzermaterialien einreichen oder veröffentlichen, die beleidigend, verleumderisch, pornografisch, die Privatsphäre verletzend, obszön, ausfallend, illegal, rassistisch, anstößig oder für einen Minderjährigen schädlich sind oder eine Beeinträchtigung von geistigen Eigentumsrechten einer Drittpartei darstellen oder in sonstiger Weise die Rechte Dritter verletzen [...]
[...] Sie dürfen nicht (i) einen Nutzernamen einer anderen Person mit dem Vorsatz auswählen oder verwenden, sich als diese Person auszugeben, (ii) ohne Genehmigung einen Namen verwenden, auf den eine andere Person Rechte hat, oder (iii) einen Nutzernamen verwenden, den Skype nach eigenem Gutdünken als unangemessen oder anstößig ansieht [...]
Skype ist eines der beliebtesten Programme zur Internetkommunikation mit inzwischen über 330 Millionen Nutzern weltweit und baut auf die Unterstützung seiner Mitglieder, um Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen an Skype zu melden. Hierfür gibt es auf der Webseite von Skype in dezidiertes Feedbackformular.
ODESSA, UKRAINE Ich erlaube mir flink den Hinweis auf meine neue Kolumne “Mascha muss in die Regierung”. Sie liegt in der Kolumnenfabrik, die mich freundlicherweise beschäftigt, zur Selbstabholung bereit. Ehe Sie jetzt zu kolumnen.de abbiegen, erhöhe ich die Verweildauer auf dieser Seite und biete einen Auszug an.
Ich bin es gewohnt, dass ich mehr kaufe, als ich will, einfach, weil ich gutmütig bin und schlecht nein sagen kann. Aber dass ich etwas gekauft habe, ohne auf dieses Unverzichtbare hingewiesen worden zu sein, ist mir neu. Plötzlich gehörte mir diese Ziegenmilch, abgefüllt in eine eineinhalb Liter große Colaflasche. Ich will Mascha nichts unterstellen, ich denke, sie hat sich mein Einverständnis geholt. Dummerweise kann ich mich nicht daran erinnern. Mehr