Auf Süddeutsche.de steht heute das sehr schöne Stück “Da war doch Puschkin: Russland und sein verlorenes Imperium”. Wer verstehen will, warum die Russen und Putwedjew die ukrainische Krim so lieben, sollte diese Seite mal kurz verlassen. Spannender lässt sich Geschichte kaum erzählen.
ODESSA, UKRAINE Ich bin verdammt froh, dass ich keine schöne Frau sein muss. Schöne Frauen haben es schwer, das weiß ich jetzt. Lange habe ich geglaubt, sie hätten es leicht und müssten kaum etwas tun für ihr Lebensglück, weil alles von allein komme: die Karriere, der Mann, die Kinder, das Reihenhaus am Stadtrand, die außereheliche Affäre mit dem italienischen Kellner Francesco, dann die Scheidung und die Hälfte von allem plus Kinder. Wenn mir schöne Frauen früher erzählten, sie fänden nicht mal einen Begleiter fürs Kino, habe ich gesagt, der Film sei schuld, und in mich hineingelächelt. Ich hatte kein Mitleid, ich wusste ja, dass eine schöne Frau wählerisch ist und Verehrer deshalb verjagt. Mir erging das jedenfalls so.
Seit ich mir dieses Odessa-Blog aufgehalst habe, habe ich Mitleid.
Oleg hat gestern gesagt, meine Kolumnen seien schön, es seien schöne Kolumnen. Und genau deshalb stünden im Blog so wenige Kommentare: wegen der Schönheit meiner Kolumnen.
„Das Wetter ist schuld”, sagte ich.
„Nein, es traut sich niemand ran, Kolumnist”, sagte Oleg.
Ich habe darüber nachgedacht. Ich hatte noch nie mehr als vier Kommentare auf einmal, ich weiß nicht, ob das schlimm ist oder gut, ich überfliege die wenigen, die doch ankommen, auch nur und tippe husch, husch eine Antwort. Ich weiß auch nicht, ob man mich deshalb belächeln muss oder die Heldenpose einnehmen sollte, nur weil man zwölf Klugscheißerhinweise mehr hat als ich. Nur mal angenommen, es würde bei jedem Kommentar das Telefon klingeln: „Hallo, @ 7/spargeltarzan: das war ironie!; @ kolumnist: fand die überschrift irgendwie verwirrend. Heißt es nicht auch: das Blog? Nichts für ungut, Gruß, daumenlutscher.”
Wäre es dann auch noch erstrebenswert, heiß diskutiert zu werden?
Oleg meint, ich müsse die Leser herausfordern und auch ein bisschen ärgern, um die Kommentararmut zu beheben. In jeder Leserschaft gebe es viele Schlaumeier, die alles besser wüssten und das schlecht für sich behalten könnten. Diese Leute, meist Lehrerinnen in den Wechseljahren ohne Autorität im Klassenzimmer, seien meine Zielgruppe. „Du musst etwas behaupten, das leicht zu widerlegen ist”, hat Oleg gesagt. „Du musst etwas weglassen, das für dich ein Detail ist. Es sollte aber wichtig genug sein, um dein ganzes Gedankengerüst zum Einsturz zu bringen. Und du musst etwas falsch schreiben, das anderen die Chance gibt, dich herrlich lächerlich zu machen. Hier brauchst du besonderes Geschick. Wenn du ganz sicher gehen willst, solltest du auch noch unbedingt ausfallend werden.”
Habe ich schon mal erzählt, dass ich mir wünsche, Waldimir Putin würde, nachdem die Russen die Ukraine erobert haben, seinen Freund Gerhard Schröder zum Oberbürgermeister von Odessa machen, damit die Stadt endlich einen Boss hat, der nicht nur an sich denkt oder an die Exfrauen wegen der Unterhaltszahlungen?
Oleg hat auch gelesen, dass ein Blogger, der Kommentare will, etwas offen lassen soll und bloß nicht alles zu Ende denken darf. Ein Blog sei schließlich kein Proseminar.
Ich habe mal bei einer Zeitung gearbeitet, für die ein sehr bekannter Politikjournalist im Ruhestand gelegentlich eine Wochenendkolumne schreibt. So lange ich dort war, war er 67 Jahre alt. Im Blatt wurde er nicht älter. Irgendwann rief einer der Redakteure in die Runde: „Sagt mal, wie lange ist denn der Dings eigentlich schon 67?” Seitdem steht hinter dem Namen und neben dem Foto des Dings: (68). Die Korrektur ist nun auch schon wieder eine Weile her. Es wird Zeit, dass er mal wieder Geburtstag hat.
Angela Merkel hat in dieser Woche Russland ungewöhnlich scharf attackiert, wobei sich das offiziell überlieferte Zitat harmlos liest. Im Telefongespräch mit Präsident Dimitrij Medwedjew nannte sie es „sehr bedauerlich”, dass Russland die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien ohne Rücksprache mit der OSZE und dem UN-Sicherheitsrat anerkannt habe. Später im Kabinett und beim Treffen mit den Ministern von CDU und CSU soll sie Medwedjews halbherzige Entschuldigung so kommentiert haben: Sie möge Russland, wisse aber auch, dass dort gern mit Tricks gearbeitet werde. Wenn Merkel in zwei Runden, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt sind, Moskau einen Hang zum Falschspielen nachsagt, darf man ihr, der brillanten Analytikerin, durchaus Kalkül unterstellen.
Der Wind hat sich gedreht. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner warnte Moskau vor dem Griff nach der Krim und drohte mit Sanktionen der EU. Kouchner ist nicht nur oberster Diplomat der Franzosen, sondern derzeit auch EU-Ratspräsident. Wenn er die Ukraine und Moldawien als mögliche nächste Opfer ins Spiel bringt, weiß man, wie ernst die Lage ist. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow diagnostizierte übrigens bei Kouchner „krankhafte Vorstellungen”. Willkommen im Kalten Krieg, Teil zwei!
Es ist an der Zeit, dass die Europäer ihr Verhältnis zu Russland korrigieren und die Schmeicheleien begraben, die angebracht waren, als Boris Jelzin im Kreml saß. In Erinnerung ist die zaghafte Kritik, als Medwedjew in einem pseudodemokratischen Schauspiel, begleitet von gelenkten Massenmedien, zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dass die Wahl eher eine Amtsübergabe ohne Machtwechsel war, weil Wladimir Putin weiter nach Belieben herrscht, wagte kaum ein Politiker öffentlich anzusprechen.
Jetzt rächt sich, dass die EU und die Nato die unabhängigen Staaten im Osten lange auf Abstand gehalten haben, um ihren Energielieferanten Russland nicht zu verärgern. Auch Deutschland sah die Ukraine und Georgien, wenn auch im Schneckentempo, schon auf dem Weg in den Westen und glaubte, es genüge, beiden irgendwann eine Mitgliedschaft anzubieten. Diese Hinhaltetaktik ist verheerend gewesen, sie war ein Geschenk an Moskau, das sich – auch mit Hinweis auf die Auslandsrussen – im gesamten Osten als Ordnungsmacht und Beschützer sieht. Es wird diesen Anspruch auch nicht aufgeben.
Erst jetzt sorgen sich die Europäer um die Ukraine. Nur Russland kann deren Unabhängigkeit antasten. „Verlieren wir die Ukraine, so verlieren wir unseren Kopf”, soll schon Lenin gesagt haben. Mit ihr würde Russland weiter an Macht gewinnen. Die Ukraine erwirtschaftete ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Sowjetunion, obwohl sie nur 3,5 Prozent des Gesamtterritoriums ausmachte. Aggressiver als Vorgänger Jelzin verlangt Putin von der Ukraine für das russische Gas Wohlverhalten.
Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko lässt sich fürs Erste nicht einschüchtern. Er verurteilte die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Auch Regierungschefin Julia Timoschenko hat dies getan – nach einem verdächtig langen Schweigen allerdings, das sogleich für Gerüchte gesorgt hatte, sie wolle sich Moskaus Unterstützung im kommenden Präsidentschaftswahlkampf sichern und überdies die pro-russischen Wähler im Land nicht verärgern. Diese Liaison besagt freilich wenig; zwischen Juschtschenko und Timoschenko gedeiht sonst nur die gegenseitige Abneigung – die aber richtig.
Dass beide Politiker nur begrenzt für ihr Volk sprechen, zeigt eine Umfrage. Wie das Rasumkow-Zentrum in Kiew ermittelt hat, sehen 44 Prozent der Befragten Russland als Aggressor im Kaukasuskonflikt. Kaum weniger, 41 Prozent, urteilen, der große Bruder habe in Georgien Frieden stiften wollen. Unter diesem Vorwand könnte Moskau auch die ukrainische Krim besetzen. Auf der Insel leben mehrheitlich Russen. Und dort liegt auch die russische Schwarzmeerflotte.
Wenn die Ost-West-Krise etwas Gutes hat, dann dies: Sie beweist, dass Europas Duckmäuser gescheitert sind. Russland lässt sich eben nicht mit einer Kuschelpolitik besänftigen. Es sieht sich längst wieder auf einer Stufe mit den USA. Nach dem Ende aller Illusionen ist es an der Zeit, Stärke zu demonstrieren – auch wenn Putin (oder sein Gehilfe Medwedjew) zur Strafe das Gas abdreht und für einen kalten Winter in Europa sorgt. Nur Geschlossenheit wird Putin beeindrucken. Sein Riesenreich ist nämlich wirtschaftlich keineswegs so gesund, wie er tut, es braucht Handelspartner, die Geld bringen.
Russland will Europa beherrschen, der Krieg gegen Georgien war da nur ein Test, der zeigen sollte, was sich der Westen vom neuen Aggressor bieten lässt. Merkel hat das indirekt formuliert mit dem Hinweis auf die Falschspieler in Moskau. Putin will die EU zerschlagen. Auch das darf man unterstellen.
Europa wird sich auf Dauer nur durchsetzen können, wenn es sich von Russland unabhängig macht. Es würde die Abkehr vom Öl verlangen und den Abschied von schnellen Autos. Um das durchzusetzen, ist der Konflikt freilich noch zu harmlos. So lange Europa Öl braucht, bleibt Russland eine Macht. Wer die Energie für den europäischen Wohlstand liefert, kann jederzeit vom Freund zum Erpresser werden.
ODESSA, UKRAINE Ich weiß nicht, ob mein Freund Oleg von eher schlichtem Gemüt ist oder nur ein Meister im Verdrängen unangenehmer Gedanken. Er beschäftigt sich jetzt zum ersten Mal im Leben mit dem Tod und ist mittlerweile so weit vorgedrungen, dass er ahnt: Alles ist endlich, und – mutig zu Ende gedacht – man selbst auch. Es wäre übertrieben zu sagen, Oleg würde plötzlich alles in Frage stellen, die Karriere, die Liebe, Besitz, Gott und was sonst noch festen Glauben verlangt, aber seine Gedanken bewegen sich durchaus langsam in Richtung Erkenntnis: Das letzte Hemd hat keine Taschen.
Es ist wegen Natalia. Die beiden Damen, die Oleg noch immer verehren, Gott weiß, warum, können sich wieder beruhigen. Nein, er hat keine neue Freundin, er übernachtet nach wie vor manchmal bei Maria, ich weiß nicht, wie fest es ist. Ich tippe mal, er hat sich noch nicht endgültig festgelegt.
Natalia ist eine Schildkröte, Oleg hat sie vor ein paar Tagen am Strand aus einem Wassereimer mit – vorsichtig geschätzt – 90 anderen gefischt. Der Verkäufer kassierte 80 Griwen, also 11,50 Euro, und sagte zum Abschied: „Sie kann 150 Jahre alt werden. Wenn sie schon nach 20 Jahren stirbt, war sie unglücklich bei Ihnen.”
Deshalb ist Oleg ein bisschen durcheinander, es stürmt viel auf ihn. Natalia – er hat sie so getauft – ist drei Jahre alt, schläft die meiste Zeit und isst fast nichts. Sie bewegt sich noch langsamer als Olegs Gehirn, als es auf dem Weg zum Gedanken an den Tod war. Oleg steht nachts auf und kontrolliert, ob Natalia noch atmet. Egal, was sie tut oder nicht, er macht sich Sorgen. Es liegt bestimmt daran, dass er Natalia zu wenig kennt, er weiß nicht einmal, zu welcher Art sie gehört. Wir haben im Internet gesucht, aber statt eines Namens nur den Warnhinweis gefunden, dass man Schildkröten gar nicht halten darf, wenn sie jünger als acht Jahre und kleiner als acht Zentimeter sind. Ich sage es mal so: Der Besitz der dreijährigen und vier Zentimeter großen Natalia kann in Deutschland härter bestraft werden als Autodiebstahl, Volksverhetzung und Beamtenbeleidigung zusammen, es hängt natürlich vom Richter ab. Ich stelle es nur fest, ich bewerte es nicht.
„Natalia wird mich wahrscheinlich überleben”, sagte Oleg gestern Abend und verkündete, er werde sofort aufhören zu rauchen, er zerbröselte alle Zigaretten, bestellte sich einen Kamillentee und war nicht ansprechbar. Zehn Minuten später rauchte er wieder und war noch deprimierter. „Wahrscheinlich werden sogar meine Kinder früher sterben als Natalia.”
Ich sagte: „Erstens hast du keine Kinder, soweit ich weiß. Zweitens gehört der Tod zum Leben, wer geboren wird, muss auch sterben. Und drittens: Heb die Zigarettenschachtel auf, da passt Natalia gut rein, wenn ihr zwei Süßen tanzen geht.”
Ich wollte ihn trösten oder wenigstens aufheitern. Danach war auch ich deprimiert. Oleg und ich stiegen von Kamillentee und Milchkaffee auf Bier um, eine Stunde später von Bier auf Wein, eine weitere Stunde später von Wein auf Wodka und schließlich von Wodka auf … nein: Nach Wodka kann man auf nichts mehr umsteigen.
Ich habe Odessiten, seit ich hier lebe, immer ein wenig unsensibel eingestuft und sie deshalb auch bisweilen so charakterisiert. Ich hatte gewisse Anhaltspunkte, keine Beweise, aber Indizien, die in meinen Augen diesen Verdacht rechtfertigten. Ein Indiz war: Es gibt nirgends Papiertaschentücher in Vorratspackungen zu kaufen. So was regelt doch der Markt, oder nicht? Ich meine, ein Volk, das nah am Wasser gebaut hat oder wenigstens schwermütig ist und folglich einen gewissen Verbrauch hat, würde danach verlangen. Wenn ich in Odessa 200 Taschentücher für die Familie brauche, kaufe ich 20 Zehnerpäckchen, die in der Wohnung nach und nach verschwinden.
Seit gestern Abend zweifele ich an diesem Indiz und der unterstellten Gefühlskälte von Odessiten.
„Wenn ich sie streichele, zieht sie den Kopf ein”, flüsterte Oleg und trank den letzten Schluck Wodka.
„Wer?”
„Natalia! Wer denn sonst, Kolumnist?”
„Sie hat Migräne”, flüsterte ich.
„Ich will nicht, dass sie nach mir einen anderen hat. Was ist, wenn er sie schlecht behandelt? Ich kann Natalia das Leben eigentlich nur zur Hölle machen, um ihr das zu ersparen. Dabei hab ich sie so lieb”, flüsterte Oleg.
„Ich verstehe deine Gefühle”, flüsterte ich. „Sprich dich aus.”
Ich denke, alles wäre halb so schlimm, wenn Oleg aus dem Wassereimer am Strand ein Schildkrötenmännchen gegriffen hätte, irgendeinen dreijährigen und vier Zentimeter großen Iwan oder Igor. Warum kauft er auch ein Weibchen?
ODESSA, UKRAINE Jetzt ist die Koschka aus dem Sack: Regierungschefin Julia Timoschenko, auch bekannt als Lady Ju mit der Krone aus Eigenhaar, die nicht auf Sardinien Urlaub gemacht, was die Sardinen, wenn man sie fragte, auch bestätigen würden, sondern sich im “deutschsprachigen Raum” erholt hat, die sich nicht mit Ex-Präsident Leonid Kutschma gegen Staatschef Wiktor Juschtschenko verschworen hat und erst recht nicht für ihr Schweigen zum Kaukasus-Konflikt eine Milliarde Dollar aus Moskau erhält – sie ist in der Schweiz auf Kur gewesen. Das meldet die Zeitung Segodnya. Wer die unendliche Geschichte in fünf Teilen noch einmal nachlesen möchte, hier, hier, hier und hier wird er fündig.
Jetzt wird es ein bisschen selbstreferenziell, es muss aber sein. Ich will niemanden aus meinem Odessa-Blog vertreiben, jeder darf sich hier so lange aufhalten, wie er will. Ich empfehle trotzdem einen Abstecher. Meine neue Kolumne Zukunft in Zeiten der Humorinflation ist heute auf Kolumnen.de erschienen. Ich bin in den Kreis der Autoren aufgenommen worden und werde gelegentlich fremdgehen. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Ja, Oleg ist einverstanden, er wollte das Bildschirmfoto so groß. Ich verspreche, in Zukunft fällt die Werbung in eigener Sache etwas dezenter aus.
Stolpern unmöglich: Private Paula ist nicht dabei.
Die Jungs vom Fernsehen nutzen modernste Technik.
ODESSA, UKRAINE Ich bin froh, dass in meinem Blog nichts Böses über Russlands Präsident Ministerpräsident Wladimir Putin steht. Ich habe noch mal nachgeschaut – nichts gefunden. Gut, die Unendliche Geschichte in vier Teilen könnte man als Kritik auffassen, aber man müsste schon böswillig sein. Ich bin ein Freund des russischen Volkes, ich habe schon mit achtzehn Jahren Fjodor Michailowitsch Dostojewski gelesen, und zwar alles und freiwillig. Putin und den anderen, seine Marionette, seinen Nachfolger im Kreml, bewundere ich natürlich auch.
Ich habe heute Morgen in Odessa die Militärparade zum Unabhängigkeitstag der Ukraine (24. August 1991) gesehen und muss sagen: Falls jetzt die Russen hierher kommen, weil sie nach dem Krieg Besuch in Georgien noch ein bisschen Sprit in den Panzern haben, würde ich mich nicht unbedingt auf die ukrainische Landesverteidigung verlassen. Ich bin kein Militärexperte, aber ich behaupte, dass mancher deutsche Schützenverein nicht viel schlechter ausgerüstet ist. Habe ich schon erwähnt, dass Gaspadin Wladimir Wladimirowitsch Putin unter allen demokratischen Politikern der Welt mein Favorit ist?
ODESSA, UKRAINE Also gut, Teil vier der unendlichen Geschichte um Julia Timoschenkos Blitzkur – wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Soeben hat die Deutsche Welle ein Interview mit Rainer Lindner veröffentlicht. Der Ukraine-Experte glaubt nicht, dass hinter dem langen Schweigen der Ministerpräsidentin zum Georgien-Konflikt eine Abmachung mit Russland stecke.
ODESSA, UKRAINE Guten Tag, ich heiße Oleg, Oleg Sergejewitsch, um genau zu sein, ich bin der Freund des Kolumnisten. Bitte erwarten Sie nicht, dass ich die Verhandlungen über den Wert meiner Zitate ausgiebig kommentiere. Mit der Kolumne “Ich leg Oleg um” ist die Öffentlichkeit ausreichend informiert. Nach wie vor finde ich, dass eine Entschädigung von einer Griwna für jedes Wort, das aus meinem Mund in seinen Text wandert, angemessen ist.
Ich sehe das Ganze gelassen. Ich würde auch nie von einem „Honorarkrieg” sprechen, wie es mein Freund tut, wenn wir verhandeln. Gestern hat er einen Zettel in meinen Briefkasten geworfen, auf dem stand: „Heute Abend wieder Friedensgespräche STOP Honorarkrieg muss beigelegt werden STOP Trifft immer Unschuldige STOP Jeden Tag neue Opfer STOP Blogleser wollen Ende der Gefechte STOP Gruß, der K.”
Ich denke, ich bin klar im Vorteil, ich habe ja schon sein Odessa-Blog erobert. Ein Diktatfrieden zu meinen Gunsten ist wahrscheinlich.
Ich bin kein Erpresser. Aber ich weiß ein paar Dinge, die dem Kolumnisten durchaus schaden dürften, wenn sie publik würden. Ich drohe jetzt mal ein bisschen, noch ganz harmlos, ja? Können Sie sich vorstellen, dass er sich, wenn er eine Kolumne vollendet hat, auf die Schulter klopft? Bitte stellen Sie sich das vor, es stimmt nämlich. Meine alte Mitschülerin Irina arbeitet in dem Café, in dem der Kolumnist jeden Tag sitzt und schreibt. Er klopft sich auf die Schulter, selten dreimal, sehr oft viermal, hin und wieder auch fünfmal. Auf diese Weise verteilt er Sterne, wie Hotels sie verliehen werden, an sich selbst. Irina hat zu mir gesagt: „Also, besonders selbstkritisch ist er wohl nicht, der Mann.”
Sie hat mir auch erzählt, was der Kolumnist tut nach dem Schulterklopfen. Er verlasse das Lokal, als würde er übers Wasser laufen. “Er geht nicht, er stolziert mit seiner fertigen Kolumne hinaus auf die Straße und dreht sich nach allen Seiten um. Kann sein, dass er Angst hat, bestohlen zu werden.”
Ich bin nicht nur der Odessadeuter des Kolumnisten, sondern auch sein Problemlöser. Ob der Strom ausfällt, das Wasser im Bad eiskalt ist oder die Kolumnistenkarre nicht anspringt – Oleg Sergejewitsch hilft. Diese Leistungen berechne ich nie, obwohl er sich bloß noch bei mir meldet, wenn er Sorgen hat – oder eine Kolumne braucht. Ich lebe inzwischen sehr ausschließlich für ihn.
Ich habe mich ein wenig mit der Gattung “Kolumnist” beschäftigt, der es in Deutschland offenbar sehr gut geht. Der eine redet mit seinem Kühlschrank, der andere denkt sich einen erfolglosen jüdischen Schriftsteller aus, und meiner klopft sich eben selbst auf die Schulter. Was soll’s? Die meisten Kolumnisten haben einen Knall, und früher war es nicht besser. Kurt Tucholsky hatte fünf Synonyme und nannte sich unter anderen Theobald Tiger. Theobald Tiger! Muss ich mehr sagen? Die Kolumnistin Ulrike Meinhof ist sogar zur Terroristin geworden, aber die war ja auch nicht witzig.
Als Problemlöser meines Kolumnisten habe ich viel zu tun. Zum Beispiel hat er vor ein paar Wochen schlecht geschlafen und geschnarcht, also lauter geschnarcht als sonst, denn er schnarcht immer, wofür er womöglich gar nichts kann. Vielleicht ist das Schnarchen eine Berufskrankheit unter Kolumnisten. Vielleicht macht das ständige Um-die-Ecke-Denken beim Schreiben als Nebenwirkung die Nasenscheidewände krumm. Vielleicht laufen alle Kolumnisten weltweit mit verkrümmten Nasenscheidewänden herum und grunzen deshalb wie Wildschweine. Die Atemblockade würde auch ihren Frauenverschleiß erklären.
Mein Kolumnist ist ein Anfänger, er schreibt erst seit ein paar Wochen diese Geschichten im Odessa-Blog. Seine Schlafgeräusche stecken gewissermaßen im Anfangsstadium und sind wohl noch erträglich. Vorerst habe ich ihm nur ein neues Bett besorgen müssen, aber ich halte mich bereit, weil er doch verkündet hat, er werde die Schwergewichte dieser Disziplin herausfordern und eines Tages schlagen. Für sein Schnarchen wäre das freilich verheerend. Natürlich würde ich ihm dann schwerhörige Frauen zuführen. Ich bin doch sein Freund.
Mit freundlichen Grüßen
Oleg Sergejewitsch
Odessa, 22. August 2008
PS: Ich denke, der Kolumnist und ich werden uns in den nächsten Tagen einigen.
ODESSA/KIEW, UKRAINE Unendliche Geschichte, Teil drei: Muss sich eine Regierungschefin das gefallen lassen? Behandelt man so eine schöne Frau? Kaum ist Julia Timoschenko zurückgekehrt von ihrer Kur im “deutschsprachigen Raum”, stürzt sie sich schon wieder in die Arbeit, die ihr doch diese Verschnaufpause abverlangt hatte. Sie hat sich nicht noch ein bisschen krankschreiben lassen und arbeitet auch nicht verkürzt, halbtags zum Beispiel, um sich einzugewöhnen. Keinen Augenblick denkt sie an ihre Gesundheit. Gestern hat sie in Kiew gleich eine Pressekonferenz gegeben.
Und wie reagieren die Journalisten? Sie stellen unangenehme Fragen, zweifeln an der Ehrlichkeit Timoschenkos und wollen am liebsten noch die Krankenakte sehen.
Julia Timoschenko deutete an, dass sich ihr Gesundheitszustand verbessert habe, verschwieg aber, woran sie behandelt worden sei. Ihre politischen Gegner brauchten sich nicht zu freuen, sagte sie weiter. Die Beschwerden würden nicht zum schnellen Tod führen, sie seien “normal, menschlich”. Sie, Timoschenko, habe bloß viel Stress gehabt und sich deshalb erholen müssen. Und natürlich habe sie Kur selbst bezahlt.
Warum bloß glaubt ihr niemand, dass sie nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat, um mit dem früheren Präsidenten den jetzigen Staatschef Wiktor Juschtschenko zu stürzen? Der Verdacht, sie sei auf Sardinien gewesen und habe dort Kutschma getroffen, muss Lady Ju tief verletzt haben. Sie sagte: Wenn das Sekretariat des Präsidenten am Kuraufenthalt zweifele, “können sie die Sardinen fragen, die in Sardinien schwimmen, und ich denke, dass die Sardinen definitiv sagen können, dass die Ministerpräsidentin der Ukraine nicht dort war”.
Eine Lügnerin hätte nie so viel Poesie. Das Zitat ist, zugegeben, sehr wörtlich übersetzt.
Nachtrag, 12.25 Uhr: Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich erwarte für morgen Teil vier der unendlichen Geschichte. Jetzt müssen sich endlich die Sardinen äußern – oder die Kurärzte im “deutschsprachigen Raum”.
Nachtrag, 14.45 Uhr: Interessiert sich noch jemand für Julia Timoschenko, Sie wissen schon: die mit der Krone aus Eigenhaar, die vergangene Woche nicht auf Sardinien gewesen ist und sich dort nicht mit Leonid Kutschma getroffen hat? Es gibt keine neuen Fakten, wobei: Gab es bisher überhaupt Fakten? Lady Ju müsste nur mal ihre Urlaubs-, äh, Kurfotos herausrücken, dann wäre doch alles klar. Sind wahrscheinlich noch beim Entwickeln.