Schlagworte: Fußball

Baustellen-Spionage

Budjet. Es wird. Ich habe kurz geschaut, was Odessas neues Fußballstadion macht. Als ich im Herbst 2009 die Stadt verließ, wurde das alte Zentralstadion, erbaut in den dreißiger Jahren, gerade abgerissen. Damals war, wenn ich mich recht erinnere, Odessas Traum schon geplatzt, EM-2012-Austragungsort zu werden. Das Stadion, Heimstätte des chronisch erfolglosen Fußballklubs Chernomorets, wird trotzdem weitergebaut. Und man sieht es sogar.

Stadion1

Stadion3

Stadion4

Stadion5

35858 Zuschauer sollen dort eines Tages hineinpassen.

Stadion

Schöne bunte Bilder und ein Video der Vison gibt es auch hier.

Mit der Fertigstellung im zweiten Quartal 2011 wird es nix mehr. Und Chernomerets belegt nach zwei Spieltagen in der ukrainischen Liga den vierletzten Platz, ist aber auch gerade aufgestiegen. Irgendwann werde ich mal wieder hingehen. Das letzte Spiel, das ich gesehen habe, verlor Odessa gegen Dynamo Kiew.

Eine Frau von der Tourismusabteilung der Stadt hat mir erzählt, dass die EM im nächsten Sommer immerhin auf großen Leinwänden übertragen werden soll.

Odessas Stadion im Schewtschenko-Park

Schuhversichtlich

Also meinetwegen kann die Fußball-EM 2012 kommen.

Euroletten

Ich gehe davon, dass Europas Fußball-Boss Michel Platini meine EM-Schlappen vom Priwos-Markt persönlich lizensiert hat. Ich möchte schließlich nicht, dass in der Ukraine mit diesem Großereignis irgendwelche krummen Geschäfte gemacht werden.

Die Ukraine-Analysen beschreiben übrigens, wie es ein Jahr vor dem Anpfiff aussieht im Land des Gastgebers. Die Leser dieses Blog wissen ja immer schon, wer warum und wie das Finale in Kiew gewinnt.

(Natürlich habe ich nach dem Priwos und vor dem Foto darauf verzichtet, meine Füße zu waschen. Solch ein Blog lebt ja auch von der Authentizität des Hausherrn.)

Gastbeitrag: Fußball – heiß und kalt

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Iris’ Mann war einer der glücklichen 75000, die am Sonnabendabend das WM-Qualifikationsspiel zwischen Russland und Deutschland in Moskau im Stadion erlebt haben. Hier ist sein Bericht:

Der Tag verspricht schön zu werden. Nach mehreren Trübwettertagen lässt sich endlich mal wieder die Sonne sehen. Gute Stimmung vorprogrammiert. Tolles Spiel in Aussicht. Aber „warm anziehen“ ist natürlich angesagt, auch wegen der durchaus spürbaren Kühle der Luft.

Auf dem Weg zum Stadion immer mehr und mehr russische Fans und „Fans“. Die einen, mit Mützen, Fahnen, Schals und Tuten ausgerüstet, in zielstrebiger Bewegung Richtung Luzhniki-Sportkomplex zur Unterstützung ihrer Mannschaft. Die anderen, ausgestattet mit allen Attributen staatlicher Hoheitsgewalt, verharren in entschlossener, unerschütterlicher Bewegungslosigkeit entlang einer vorgeschriebenen Strecke. Sie weisen offensichtlich nicht immer den direkten Weg, aber ihre Brust und die Schlagstücke in den Händen definieren eindeutig rechts und links und geradeaus.

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Die Fanartikelstände sind dicht umlagert. Auch Fahnen und Schals des heutigen Gegners sind verfügbar, erfreuen sich aber nicht wirklich großer Nachfrage. Die kleinen Grüppchen vereinzelter deutscher Fans sind längst ausgestattet oder verzichten darauf. Sie bevorzugen heute aus irgendeinem Grund ein dezentes Auftreten in Zimmerlautstärke.

Rund um und erst recht auf dem Stadiongelände selbst gibt es keinen Verkauf von Alkohol. Die russischen Fans haben deshalb zum großen Teil den Nachmittag genutzt, um vorab ein paar Promille in den Adern zu bunkern. Aber alles läuft sehr diszipliniert ab, mit lautstarkem kollektiven Optimismus, der sich beim Anmarsch unüberhörbar in fröhlichen Rufen, Gesängen und Sprechchören äußert.

Die langen Schlangen vor den mehrfachen intensiven Personenkontrollen werden einfach mit der nötigen Zeit und Geduld hinter sich gebracht. Und endlich fällt der Blick in das sich füllende Stadion mit dem leuchtenden Grün in der Mitte. Die Zeit bis Spielbeginn vergeht schnell. Der Stadionsprecher schwört das Publikum auf seine Rolle ein: „Wir für Euch, Ihr für uns!“. Die Fans – eine Mauer im Rücken der eigenen Mannschaft! Alle machen mit. Mein ganzer Block C verschwindet unter einer einzigen riesigen russischen Flagge – interessant, das Treiben darunter.

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Dann beginnt das Spiel. Erstaunlich – auch die russische Mannschaft zeigt zunächst Respekt und relative Zurückhaltung. Doch bei jedem Pass oder Lauf der eigenen Mannschaft in die gegnerische Hälfte betäubt der Jubel der Fans die Ohren. Die russischen Fanblöcke in beiden Kurven feuern sich wechselseitig an. Doch unbeeindruckt und gut eingestellt tritt die deutsche Mannschaft auf. Stabile Abwehr vereitelt die russischen Attacken, zwischendurch zwei, drei gut gespielte Angriffe, und plötzlich das Tor! Für die Gäste! In den Beginn der Halbzeitpause klingen einige Pfiffe der Fans.

Als die zweite Halbzeit losgeht, besinnen sich die Gastgeber auf ihre Stärken. Pfeilschnelle Durchbrüche und genaue Pässe in den Rücken der Abwehr. So gute Chancen ! Zunichte gemacht durch einen glänzend aufgelegten deutschen Torhüter oder aber kläglich verdaddelt! Immer wieder! Und die Deutschen antworten mit wenig populären Mitteln: Zeitspiel, Simulation, Fouls. Gerechte Strafe – Rote Karte. Erneute Hoffnung! Und doch beginnt mit jedem vergeblichen Schussversuch und jeder ach-so-ungerechten Fehlentscheidung des Schiedsrichters die Mauer der Fans zu bröckeln. Und gerade als die Mannschaft die Unterstützung der Zuschauer am meisten brauchen könnte, in den letzten 10 Minuten, sorgt die Ankündigung des Stadionsprechers über die Vorschriften und Einschränkungen beim Verlasssen des Stadions für eine massive Flucht aus den „benachteiligten“ Sitzblöcken.


Plötzlich, ganz unspektakulär, ist das Spiel aus. Die immer noch reichlich verbliebenen Fans, ernüchtert durch das Resultat und die verstrichenen zwei-drei Stunden Zeit, ergeben sich in ihr Schicksal. Warten heißt es, bis der eigene Sitzblock das Stadion endlich verlassen darf. Nur, wenn in die erschöpfte Stille plötzlich doch die Gesänge des kleinen deutschen Fanblocks dringen, rafft sich das Publikum noch einmal zu allgemeinem Protestgetöse auf.

Übrigens fanden am selben Tag weitere drei Spiele zwischen Russland und Deutschland statt: Mannschaften der Jugend, der Veteranen, der Fans, Alle wurden von den Russen gewonnen. Am schlimmsten kamen die deutschen Fans mit 0:7 unter die Räder. Was aber wiegt das im Vergleich zur Niederlage im entscheidenden Match, dem der „Sbornaja“ in der WM-Qualifikation?

Superstar Arschawin sagte vor dem Spiel:

Ehrlich gesagt, ich möchte über das Thema Relegationsspiele nicht einmal nachdenken, geschweige denn darüber diskutieren, wer darin gegen wen spielen wird.

Tja, hat wohl heute nicht sollen sein.

Wochenendarbeit für 2012

KIEW, UKRAINE Mit der Infrastruktur mag die Ukraine, Vielleicht-Gastgeber der Fußball-EM 2012, etwas in Verzug sein. Die Stadien machen allerdings Fortschritte. Am Kiewer Olympiastadion wird sogar am Wochenende  gearbeitet. Beachten Sie bitte auch unbedingt die letzten Bilder dieses hübschen Vortrags mit den dunklen Wolken am Himmel. Uiuiui!

Und dann hatte ich noch diesen Rieseneinfall, die Ampel vor dem Stadion zu fotografieren, Sie verstehen natürlich: Symbolkram und so. Ich wollte schon aufgegeben, weil die Autofahrer fortwährend Grün hatten – aber dann:

Ja, ich weiß, es wäre schön, wenn ich meine Position gehalten hätte, dann würde es nicht so ruckeln. Aber versuchen Sie mal, zwölf Minuten mit einer Kamera am fast ausgestreckten Arm – natürlich war’s der rechte! – auf einem Fleck zu stehen.

Im Deutschlandfunk: Wortspende aus Odessa

ODESSA, UKRAINE Ich will Sie auf einen interessanten Radiobeitrag hinweisen, den Moritz Küpper für den Deutschlandfunk gemacht hat. Das Feature “Ein gefährdeter Traum” erzählt, wie sich die Ukraine als Gastgeber auf die Fußball-EM 2012 vorbereitet – oder besser: eher nicht vorbereitet. Und ganz nebenbei haben Sie die Chance, mal wieder meine Stimme zu hören, ich komme nämlich hie und da zu Wort.

Falls ich Ihnen zu sehr stottere – soll ja bei mir vorkommen -, können Sie Küppers Bericht natürlich auch lesen. Sie müssten dann allerdings die Baggergeräusche vom Kiewer Olympiastadion selber machen.

Musikvideo: Adobe Flash Player (Version 9 oder höher) wird benötigt um dieses Musikvideo abzuspielen. Die aktuellste Version steht hier zum herunterladen bereit. Außerdem muss JavaScript in Ihrem Browser aktiviert sein.

Im Spielzeugland “Dynamo”

KIEW, UKRAINE Wahrscheinlich wissen Sie längst, wo ich gerade gewesen bin – jedenfalls dann, wenn Sie das Knallerspiel der Champions League zwischen Dynamo Kiew und dem FC Rubin Kasan geschaut haben. (Dass Kasan Hauptstadt der autonomen Republik Tartastans ist und die autonome Republik Tarstastan wiederum zu Russland gehört, hätte ich vorher auch nicht auf Anhieb gewusst.) Ich saß am Abend im Walerij-Lobanowski-Stadion auf Höhe der Eckfahne im Block 18, Reihe 10, Platz 27 und habe – aber das kann Ihnen nicht entgangen sein – tüchtig gewinkt.

Ich vermelde hiermit Dynamos 3:1-Sieg. Wäre ich als Sportreporter an- und abgestellt beim Mitteldeutschen Rundfunk, würde ich das Spiel so zusammenfassen: “Es war ein verdienter Erfolg der Dnepr-Städter – dank einer klaren Leistungssteigerung in Hälfte zwei.” Dynamo hat in der ersten Halbzeit tatsächlich grauenhaft gespielt – trotz Andrej Schewtschenko, dem Fußballhelden der Hauptstadt, genannt “Schewa”, Dynamos Dauertorschütze Mitte bis Ende der Neunziger und einst 50 Millionen Euro teuer.

Nach erfolgreichen Jahren beim AC Mailand und folgender Tribünenhockerei beim Chelsea FC war er vor der Saison heimgekehrt. Mitleid müssen Sie nicht haben: Schewtschenko, mittlerweile fast 33 Jahre alt, verdient so viel wie kein anderer Fußballer in der Ukraine. Mit seinem Arbeitgeber müssen Sie deshalb freilich auch kein Mitleid haben, denn Dynamo Kiew gehört Grigorij Surkis, einem dieser spielzeugsüchtigen Oligarchen, die es in Russland und der Ukraine zuhauf gibt. Surkis ist Großindustrieller, Fußball-Präsident der Ukraine, Mitglied des Exekutivkomitees der Uefa und natürlich Politiker. Sein Ruf könnte besser sein. Angeblich hat er einmal wegen des Korruptionsverdachts nicht in die USA einreisen dürfen. Andererseits ist die Kombination Oligarch, Fußballfreund und Politiker auch denkbar ungünstig, um sympathisch zu wirken. Finden Sie aus dieser Riege in der Ukraine mal jemanden, dessen Ruf nicht noch schlechter ist als der eines Gebrauchtwagenhändlers.

In der ersten Halbzeit hatte Schewtschenko, Surkis neue Spielfigur, zwei gute Szenen: Einmal ergrätschte er vom Gegenspieler rustikal den Ball. Beim zweiten Mal richtete er wunderschön seine Haare. (Er trägt sie jetzt wieder länger.) Ich hatte ihn ja vor ein paar Monaten aus Gier nach einem schnellen Witz zum FC Sachen Leipzig in die fünfte Liga transferiert – auf diesem Niveau spielte Schewtschenko. Er war einer von elf Schwächlingen. In der zweiten Halbzeit waren dann einige Spieler besser als er.

Die drei Tore, die Dynamo nach der Pause schoss, wurden so gefeiert:

Ich gebe aber gern zu, dass die Leute um mich herum das nicht witzig fanden, zumal es dort brannte, wo neben Fotografen und Aufpassern, die augenscheinlich kaum älter als 16 waren, auch Balljungen standen. Die Stadionsprecherin erzählte zwar jedes Mal aufgeregt, es sei verboten, pyrotechnischen Kram herumzuschmeißen – allerdings hätte man die Besucher vielleicht auch am Einlass kontrollieren können. Ich habe nicht gesehen, dass irgendjemand abgetastet worden wäre.

Und nun präsentiere ich Ihnen noch stolz das sebstgedrehte Tor zum 3:1, geschossen von Oleg Gusev.

(Vielleicht ergänze ich diese Geschichte später noch ein bisschen.)

Kiewer Glücks-Loddarie

So wird die EM 2012 in der Ukraine

Lassen Sie sich von dieser so genannten Meldung nicht verrückt machen. Die Fußball-Europameisterschaft 2012 findet definitiv in Polen und der Ukraine statt. Natürlich, es fehlen in der einstigen Sowjetrepublik Stadien, Hotels, ein halbwegs modernes Verkehrssystem, Rechtssicherheit. Vorhanden, und zwar im Überfluss, sind Chaos und Korruption.

Regierungschefin Julia Timoschenko hat versprochen, man würde trotz der wirtschaftlichen und politischen Dauerkrise „selbst Unmögliches schaffen”, aber jeder Ukrainer weiß: Trau niemals einem Politiker, ob du ihn gewählt hast oder nicht. Besser hofft man zwischen Kiew, Donezk und Odessa auf Michael Platini. Seit seiner etwas dubiosen Wahl zum Präsidenten des europäischen Fußballverbandes (Uefa) 2007 muss sich der Franzose dem Osten und besonders der Ukraine verbunden fühlen.

Im Formtief steckt übrigens auch die deutsche Mannschaft. Zwischen Michael Ballack und Bundestrainer Joachim Löw kriselt es. Werden sich die beiden vertragen? Gewinnt Ballack seinen ersten großen Titel? Und gelingt Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, Kosename Loddar, endlich der Durchbruch als Fußballlehrer?

Interne Papiere aus Platinis Büro und Dokumente des ukrainischen Geheimdienstes, die diesem Blog zugespielt worden sind, verraten, was in den nächsten 1122 Tagen bis zum Anpfiff des Eröffnungsspiels am 9. Juni 2012 geschehen wird. Der Turnierverlauf ist längst beschlossen.

2009

10. Oktober
Moskau + Deutschland spielt gegen Russland in der WM-Qualifikation. Kapitän Ballack wird zur Halbzeit ausgewechselt, weil er friert. Für ihn kommt Toni Kroos. Torsten Frings, Europas begnadetster Ballquerschieber, wurde erst gar nicht nominiert. Mit einem 1:1 qualifiziert sich die Elf von Joachim Löw für Südafrika.

15. Oktober
Straßburg + DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger leidet noch immer unter dem „unglaublichen Demagogen”, als den ihn der Journalist Jens Weinreich im Sommer 2008 bezeichnet hatte. Zwanziger würde gern vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen. Auf Rat des DFB-Mediendirektors Harald Stenger kauft er aber die Domain www.doktorspiele.de und gründet ein Blog.

1. Dezember
London/Frankfurt/Bremen + Ballack verkündet per SMS seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Löw und sein Co-Trainer Hans-Dieter Flick wollen ihn zum Weitermachen überreden und schlafen im Auto vor Ballacks Londoner Haus. Sie essen selbst geschmierte Brote und trinken Tee aus der Thermoskanne. Einmal pro Stunde muss Flick zum Klingeln hinaus in die Kälte, er hat den Weg mit Hütchen abgesteckt. Am dritten Tag ruft Ballack die Polizei. Die Trainer werden wegen Wegelagerei und Nötigung festgenommen.

Werder Bremens Edeljoker Torsten Frings ist auch zurückgetreten.

4. Dezember
Kiew + Uefa-Präsident Michel Platini besucht die Hauptstadt. „Wie weit sind die Pläne für die Fanmeile?”, fragt der Franzose. Präsident Wiktor Andrejewitsch Juschtschenko verweist auf Julia  Timoschenko. Platini, der achtmächtigste Sportfürst der Welt, ruft die Regierungschefin an. „Michel François, Sie sprechen noch mit dieser Pfeife?”, fragt sie und verspricht: „Ich kümmere mich darum.” Platini fährt erleichtert nach Odessa, wo die schönsten Frauen der Ukraine leben.

14. Dezember
Kiew + Wer gewinnt die Präsidentschaftswahl in der Ukraine? Juschtschenko, seit 2005 im Amt, tritt abermals an, obwohl er in Umfragen weit hinter Timoschenko liegt. Die zwei Helden der Orangen Revolution sind inzwischen schlimmer verfeindet als die Torhüter Uli Stein und Toni Schumacher 1986.
„Sicher gibt es Probleme, aber wir schaffen das”, sagt Timoschenko im Fernsehduell (Einschaltquote 1,5 Prozent).
„Wir schaffen das, aber sicher gibt es Probleme”, sagt Juschtschenko.
„Glauben Sie dem Präsidenten kein Wort.”
Juschtschenkos Berater haben vorab großflächig die Journalisten geschmiert. Die Medien erklären ihn zum Sieger.

2010

17. Januar
Kiew + Juschtschenko erreicht 0,9 Prozent.

3. Februar
Köln + Ballack und Frings besuchen gemeinsam den Trainerlehrgang.

9. März
Kiew + Die neue Präsidentin Timoschenko erklärt die EM zur „Chefsache”.

19. März
Kiew + Wiktor Andrejewitsch Juschtschenko zieht mit seiner amerikanischen Frau Kateryna nach Texas. Er steigt ins Ölgeschäft ein und ändert seinen Namen. Er heißt jetzt Wik A. Jusch.

6. April
Kiew + Lothar Matthäus (49) kündigt bei Kirgisistans Rekordmeister FK Dordoi-Dynamo und unterschreibt einen Vertrag als Coach der Ukraine. Auf seiner ersten Pressekonferenz sagt er, er verbinde mit seinem Amt auch eine politische Mission. Der Rest geht im lauten Gelächter der Journalisten unter.

12. April
Frankfurt + Dr. Theo Zwanziger veröffentlicht seinen ersten, von fünf DFB-Juristen gegengelesenen Blogeintrag und erzählt von einer Radtour in der Eifel.

29. April
Kiew + Matthäus trennt sich von seiner vierten Frau, der 26 Jahre jüngeren gebürtigen Ukrainerin Liliana.

2. Mai
Austin + Wik A. Jusch kandidiert für den Gouverneursposten von Texas. Er verspricht, den Super Bowl nach Dallas zu holen.

12. Mai
Kiew + Timoschenko erklärt die EM zur „absoluten Chefsache”.

19. Mai
Kiew + Lothar Matthäus hat eine neue Freundin: Larissa (17). „Ich habe schon als Mädchen für ihn geschwärmt”, sagt die Kiewerin „Bild”. Matthäus sagt: „Ich habe die Frau fürs Leben gefunden.”

22. Mai
Austin + Wik A. Jusch wird – gegen die Stimmen der ukrainischen Minderheit – Gouverneur von Texas.

29. Mai
Kiew + Matthäus zieht aus dem Premier Palace Hotel (250 Dollar die Nacht) aus und wohnt künftig bei der Familie seiner Freundin in einem Hochhausblock am Stadtrand. Das Zimmer teilt er sich mit Larissas Brüdern Kolja (5), Dimitrij (8) und Wladimir (12).

9. Juni
Przemysl + Am Grenzübergang stellen Polen und die Ukraine ihr gemeinsames EM-Maskottchen vor. Es heißt Poline. Europas Zoologen rätseln.

12. Juli
Johannesburg/Gelsenkirchen + Nach dem Vorrunden-Aus bei der WM tritt Bundestrainer Löw zurück. Peter Neururer, seit einem Jahr ohne Verein, bewirbt sich als erster um die Nachfolge.

12. Juli
Frankfurt + Peter Neururer wird laut DFB nicht neuer Bundestrainer.

28. August
Kiew + Julia Timoschenko erklärt das Turnier zur „nationalen Angelegenheit”. „Frage nicht, was die EM für dich tun kann, frage, was du für die EM tun kannst”, sagt sie in einem Interview und kündigt Subventionen für Investoren an.

15. November
Kiew + Die Ukraine löst ein Teil ihres Infrastrukturproblems: Für 40 Milliarden Euro wird von Deutschland der Transrapid gekauft. In der Rekordzeit von zwei Monaten soll er die Spielorte Kiew, Lemberg, Dnepropetrowsk und Donezk verbinden. Ukrainische Ingenieure garantieren dies der Präsidentin mit einem Eid.

Dezember 2010
Kiew + Laut Plan soll der 230 Millionen teure Umbau des Olympiastadions in diesem Monat abgeschlossen werden. In Wahrheit hat er noch gar nicht begonnen.

2011
2. Januar
Kiew/Moskau + Ein neuer Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine ist pünktlich zum neuen Jahr ausgebrochen. Timoschenko bietet Wladimir Putin die EM an, wenn er alle Gasschulden streicht.

4. Januar
Kiew + Politisches Chaos. Die Polizisten streiken aus Protest gegen Timoschenkos Angebot. „Wir freuen uns so auf die EM-Touristen”, sagt ein Sprecher. „Viele Kollege haben sich angesichts der zu erwartenden Einnahmen ein Haus gebaut. Da stehen Existenzen auf dem Spiel.”

5. Januar
Kiew + Auch der Verband der ukrainischen Hütchenspieler, Wahrsager, Taschendiebe, Geldfälscher, Räuber und Bordellbetreiber (VUHWTGRUB) droht mit Konsequenzen.

6. Januar
Austin + Wik A. Jusch trägt einen Cowboyhut, als er im Garten seines Amtssitzes in Austin, Texas, Timoschenko kritisiert: „Ich habe keine Zweifel mehr: Sie ist eine Agentin Moskaus.”

9. Januar
Moskau + Putin lehnt Timoschenkos Angebot ab und schlägt vor, dass die Olympischen Spiele 2014 statt in Sotschi auf der Halbinsel Krim stattfinden. Russland würde der Ukraine auch Schnee unter Weltmarktpreis liefern.

15. Februar
Kiew + Der Transrapid soll in den nächsten Tagen seine Jungfernfahrt haben.

2. März
Berlin + Die deutsche Nationalmannschaft spielt wunderschönen Fußball. Toni Kroos und Mesut Özil sind das neue Traumpaar im Mittelfeld. Der begnadigte Kevin Kuranyi trifft in der EM-Qualifikation, wie er will, er genießt das neue Spielsystem: 2-4-4. Offensivtrainer ist der 44- bis 50-jährige Ghanaer Anthony Yeboah.

21. März
Kiew + Lothar Matthäus feiert seinen 50. Geburtstag im Kreise seiner neuen Familie. Die Schwiegereltern Jurij (38) und Tamara (35) schenken ihm einen Fernseher vom Flohmarkt fürs Kinderzimmer. Auch drei Redakteure und ein Fotograf von „Bild” sind dabei.

15. April
Kiew + Die Transrapidstrecke ist fast fertig.

12. Mai
München + Matthäus verpflichtet seinen Ex-Schwiegervater, Doktor Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, als Arzt der Nationalmannschaft.

9. Juni
Kiew + Der Umbau des Olympiastadions, dem Austragungsort des Finales, macht auch ein Jahr vor der EM keine Fortschritte. Die Uefa wartet auf den Spatenstich. Polen zieht aus Protest seinen Botschafter ab.

22. Juni
Johannes B. Kerner kehrt von Sat 1 zurück zum ZDF. Er arbeitet jetzt nur noch drei Tage pro Woche: Montags, mittwochs und freitags moderiert er das Morgen-, Mittags-, Abend- und Nachtmagazin.

10. Juli
Donezk/Dnepropetrowsk + Noch immer gibt es zu wenige Übernachtungsmöglichkeiten. Vor allem in Donezk und Dnepropetrowsk, die kaum von Touristen besucht werden, fehlen Hotels. Der deutsche Unternehmer Jürgen B. A. U. Löwe lässt in beiden Städten straßenweise verfallene Häuser restaurieren. Das Geld leiht er sich von ukrainischen Banken.

15. August
Kiew/Leipzig + Die Bagger kommen endlich ins Olympiastadion. Es wird abgerissen. Leipzig schenkt Kiew, seit 1961 Partnerstadt, sein Zentralstadion. Die Leipziger bemerken das Fehlen erst nach drei Wochen. Als nachträgliche Ablösesumme wechselt der ukrainische Stürmerstar Andrej Schewtschenko (35) vom AC Mailand zum Regionalligisten FC Sachsen Leipzig und verspricht den Aufstieg. Der FC Sachsen – Zuschauerschnitt: 3011 – spielt wieder im Alfred-Kunze-Sportpark im Stadtteil Leutzsch gegen Altona 93, FC Oberneuland, VFC Plauen und Hansa Rostock I.

2. September
Kiew/Frankfurt (Oder) + Matthäus engagiert Witalij Klitschko als Dolmetscher und Spezialtrainer für den Angriff. Klitschko empfiehlt Henry Maske (47), Faustkämpfer im Ruhestand, für die Abwehr, doch der lässt ausrichten, er bereite sich auf sein Comeback vor. „Ich werde gegen Dariusz Michalszewski kämpfen. Es bleibt aber bei diesem einen Kampf.”

19. September
Kiew/Berlin + Lothar Matthäus gründet die Lothar-Matthäus-Ukraine-Stiftung. „Der Westen braucht uns”, ist das Motto. Matthäus wird von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Kanzleramt empfangen. Nachher berichtet der Rekordnationalspieler: „Ein Lothar Matthäus hat immer offen seine Meinung gesagt, auch wenn es unbequem war. Der Bundeskanzler versteht mich, er ist ja auch Franke.”

30. September
Odessa + Platini wird zum dritten Mal Vater. Taufpate der kleinen Svetlana ist Matthäus.

2. Oktober
Hamburg + In der Bundesliga ist der Rekord von Gerd Müller – 40 Tore in einer Saison – in Gefahr. Sandro Wagner (HSV) erzielt am 12. Spieltag seinen 16. Treffer.

9. Oktober
Dnepropetrowsk + Platini eröffnet einen Zeltplatz mit Blick auf den Dnepr für 15000 EM-Besucher. Vor Freude weiht er gleich noch eines der drei blauen Dixie-Klos ein und sagt danach: „Hier kann man es aushalten.”

13. November
Kiew + Lothar Matthäus tritt zum russisch-orthodoxen Glauben über.

24. Dezember
Hamburg + Sandro Wagner, Jäger des Müller-Rekords, stolpert über eine heruntergefallene Weihnachtsbaumkugel und fällt bis zum Ende der Rückrunde aus.

2012
4. Januar
Köln + Ballack und Frings bestehen die Trainerprüfung.

12. Februar
Nyon + Um die ukrainischen Innenstädte zu entlasten, will die Uefa Fanmeilen im Grünen und ringt tagelang um ein Konzept. Nach einer Nachtsitzung verkündet Platini schließlich: „Dnepr, Desna und Dnister – wir machen Fanflüsse.”

9. März
Kiew + Lothar Matthäus gerät mehr und mehr in die Kritik. Seine Mannschaft hat die vergangenen drei Freundschaftsspiele verloren: 1:2 gegen Italien, 1:3 in der Schweiz und 1:4 in Turkmenistan.

12. März
Kiew/Krim + Larissa feiert ihren 18. Geburtstag und heiratet Lothar Matthäus. Trauzeugen sind Franz Beckenbauer und ein gewisser Rinat Achmetow, Oligarch, reichster Mann der Ukraine, Präsident des Fußballklubs Schachtjor Donezk, zigfacher Milliardär und Ex-Straßenkämpfer.
„Trainer, brauchst du was?”, fragt Achmetow nach der Trauung.
„Ein Farbfernseher wäre nicht schlecht.”
„Hab gehört, lebst im Kinderzimmer, spricht sich rum, so was.”
„Wie kommen Sie überhaupt auf die Hochzeit?”, fragt Matthäus.
„Das könnte ich dich auch fragen”, sagt Achmetow. „Sagen wir einfach, ohne mich geht nichts in diesem Land, okay?”
„Okay.”
„Schon das mit Platini gehört, Trainer? Ist doch verdammt gut gelaufen für uns.”

13. März
Berlin + „Bild” zitiert Jurij und Tamara mit den Worten: „Er ist unser Traumschwiegersohn.” Die „taz” bringt Lothar und Larissa Matthäus auf der ersten Seite. Larissa trägt ein weißes Hochzeitskleid und sitzt im Kinderwagen mit einem Schnuller im Mund. „Lothar liebt Lolita”, lautet die Schlagzeile. Seine Flitterwochen verbringt das Paar auf der Halbinsel Krim.

14. März
Hamburg + „Der Spiegel” findet in Ghana Dokumente, die belegen, dass Antony Yeboah schon 68 Jahre alt ist.

16. März
Kiew + Der Manager von Dynamo Kiew ist außer sich vor Wut. Auch die Sportjournalisten kritisieren, dass der Nationaltrainer drei Monate vor Beginn des Turniers verschwindet. Matthäus verteidigt sich: „Witalij schaut sich alle Spiele an. Er weiß, wer in Form ist.”

29. März
Frankfurt + Johannes B. Kerner löst Harald Stenger als DFB-Mediendirektor ab, bleibt aber Morgen-, Mittags-, Abend- und Nachtmagazin-Moderator des ZDF.

15. April
Kiew + Lothar Matthäus nominiert den endgültigen Kader. Er verzichtet auf Spieler aus dem Osten der Ukraine, von Schachtjor Donezk und Metallist Charkow. Stattdessen beruft er fünf Neulinge vom Absteiger FK Lemberg. „Ossis bringen’s einfach nicht”, sagt er.

16. April
Kiew + Matthäus telefoniert mit Achmetow.

16. April + Hiobsbotschaft für Matthäus: Die fünf nominierten Lemberger Spieler haben sich verletzt und fallen für das Turnier aus. Fünf Akteure von Schachtjor werden nachnominiert.

30. April
Kiew + Nur die Hälfte der Eintrittskarten für die EM-Spiele in der Ukraine ist verkauft. Wer Karten bestellen will, muss eine Schwimmstufe – mindestens Seepferdchen – nachweisen. Platini verteidigt trotzdem das Konzept der Fanflüsse.

15. Mai
Leipzig + Der FC Sachsen steigt wegen des schlechteren Torverhältnisses von 97:197 in die fünfte Liga ab. Schewtschenko gewinnt mit 97 Treffern die Torjägerkanone und verlängert seinen Vertrag trotz diverser Angebote – unter anderem vom FC Oberneuland, von Altona 93, dem VFC Plauen und Hansa Rostock I. „Ich fühle mich in Leutzsch sehr wohl”, sagt er.

19. Mai
Malente + Die ukrainische Nationalelf bezieht ihr Trainingslager. Matthäus beschwört den „Geist von Malente” und verspricht den Titel.

9. Juni
Warschau + Polen trennt sich im Eröffnungsspiel 1:1 von Deutschland. Den Ausgleich erzielt Miroslav Klose nach einer Flanke von Hannovers Sportdirektor Michael Tarnat (42), der für den verletzten David Odonkor (SpVgg Greuther Fürth) nachnominiert worden ist.

18. Juni
Kiew + Deutschland hat die Vorrunde als Gruppenerster gemeistert und zieht von Warschau nach Kiew um. Das Hotel ist allerdings geschlossen – offiziell wegen Einsturzgefahr. Alternativen gibt es nicht, alle Hotels sind ausgebucht. Die Spieler werden bei Gastfamilien einquartiert.

1. Juli
Kiew +
21.20 Uhr
Das Finale im fast ausverkauften früheren Leipziger Zentralstadion wird mit 20 Minuten Verspätung angepfiffen, weil beide Teams im Stau gesteckt haben. Bundestrainer Ballack, der endlich seinen ersten großen Titel gewinnen will, schickt folgende Mannschaft aufs Feld: René Adler – Per Mertesacker, Arne Friedrich – Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil, Toni Kroos, Philipp Lahm – Mario Gomez, Miroslav Klose, Kevin Kuranyi, Sandro Wagner. Die Ukrainer spielen mit Bondar-, Kilisch-, Degtjar-, Rusch-, Poldar-, Leon-, Tomtsch-, Pandar-, Waslitsch-, Gusjan- und Schewtschenko.

21.55 Uhr
Kroos, Weltfußballer von 2010 und 2011, schießt schon den dritten Freistoß an die Latte.

22.05 Uhr
Halbzeit. Matthäus ist unzufrieden mit seiner Abwehr und gerät mit Klitschko aneinander, der dank längerer Reichweite zwei klare Treffer landet.

Beim Stand von 0:0 nach 80 Minuten wechselt Matthäus aus. Er nimmt den erschöpften Andrej Schewtschenko (FC Sachsen Leipzig) vom Platz und bringt sich selbst. Die deutsche Bank protestiert. Matthäus aber beruft sich auf eine Regeländerung der Uefa, den so genannten Platini-Paragrafen. Danach kann ein Deutscher nach zweimaliger Heirat mit einer Ukrainerin für die ukrainische Nationalmannschaft spielen.

Fünf Minuten vor Schluss, nach einem Handspiel von Mertesacker, zeigt der Schiedsrichter auf den Elfmeterpunkt. Es ist schon der sechste Strafstoß für die Ukraine in diesem Turnier. Matthäus läuft an, täuscht Adler und trifft. Die Ukraine ist zum ersten Mal Europameister. Ballack und sein Co-Trainer Frings liegen sich in den Armen und weinen.

12. Juli
Kiew + Lothar Matthäus bekommt per Präsidentenerlass einen Platz auf dem Denkmal der Trainerlegende Walerij Lobanowski vor dem Stadion von Dynamo Kiew. In spätestens zwei Wochen soll der vergoldete Matthäus fertig sein. Ukrainische Denkmalexperten garantieren dies.

14. Juli
Kiew + Jürgen B. A. U. Löwe wird festgenommen. Es handelt um sich Jürgen Schneider. Er hinterlässt nach wilden Immobilienspekulationen dem ukrainischen Steuerzahler Schulden von 40 Milliarden Euro. Lothar Matthäus flieht mit dem Transrapid, der seit gestern fährt, nach Lemberg und wird in den Karpaten aufgegriffen. Deutschland beantragt die Auslieferung beider Männer nicht.

Kolumne: Oleg und der Vize-Zar des DFB

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir. Ich habe gestern Abend zwar eine SMS bekommen – aber die stammt von Maria, seiner Freundin, Sprecherin oder Rechtsberaterin, ich kenne die offizielle Funktion dieser Dame nicht. Maria studiert Jura, glaube ich. Sie schreibt:

Oleg besteht auf eine Entschuldigung, weil Du ihn grundlos diffamiert hast. Er hat das Wort im Wörterbuch nachgeschlagen. Unterlass das! Sobald Du Dich entschuldigt hast, wird Oleg wieder mit Dir reden. Er bietet Dir eine Kolumne an, in der Du Dich kritisch mit ihm auseinander setzen kannst. Oleg wird alle Deine Fragen beantworten. Auch Olegs Mama “missbilligt die Diffamierung meines Sohnes”.

Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich habe Oleg nicht diffamiert. Ich stehe zu meiner Aussage. Ich hatte meine Gründe.

Oleg und ich hatten uns am Mittwochabend in der Kneipe verabredet, um das Spiel Deutschland gegen England zu gucken. Es fing schon nicht gut an. Oleg sang die deutsche Hymne nahezu fehlerfrei mit, er stand dabei eichenhaft fest und hielt die Augen geschlossen. Ich war sitzen geblieben und schwieg, ich gestehe: Ich kann den Text nicht auswendig und habe auch keinen Ehrgeiz, daran etwas zu ändern. Ich freue mich, wenn ich Fußball im Fernsehen schaue, sogar über eine Niederlage der deutschen Mannschaft, weil sich dann der Kommentator so schön ärgert und die Reporter den Spielern nach dem Abpfiff gemeine Fragen stellen müssen, was sie eher ungern tun. Ich erwarte nicht, dass jemand mein Verhalten versteht.

Das Spiel war so langweilig, dass selbst Oleg nicht mehr auf und ab ging in der Mix-Zone, sondern wieder auf dem Barhocker saß. Er bestellte sich zwei Wodka auf einmal, telefonierte ein bisschen, blätterte in der Zeitung und nickte sogar kurz weg. Er erwachte in der Halbzeitpause und fragte müde: „Wer ist dieser Jens Weinreich?”
Ein Journalist, ein sehr gescheiter”, sagte ich.
„Und wer ist Doktor Theo Zwanziger?”
„Ein Präsident, ein sehr eitler.”

Oleg schaute irritiert. Offenbar hatte er die Nachricht Unangenehmes Theodorant und den Kommentar Laaser-faire-Politik gescheitert in meinem Blog ein bisschen zu sehr quer gelesen. Ich erzählte Oleg, dass der Deutsche Fußballbund mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt sei, erhob das Glas auf Zwanzigers Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder und beschloss, meinem Freund, der noch immer kaum etwas begriffen hatte, in den nächsten Tagen ein Organigramm der Bundesrepublik Deutschland anzufertigen: Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesfußballpräsident Theo Zwanziger, Bundessportpräsident Thomas Bach, Bundesjournalismuspräsident Oliver Kahn, Bundeskolumnenpräsident Franz Josef Wagner, na ja, und so weiter.

„Aber den deutschen Fußball regiert doch Zar Franz“, sagte Oleg.
„Kaiser Franz.”
„Was?”
„Kaiser, Oleg, nicht Zar.”
„Und was ist Theo dann, wenn der Zar des deutschen Fußballs schon Franz ist?”
„Zwanziger ist der Präsident, Oleg. Übrigens: Kaiser.”
„Versteh ich nicht.”
„Was verstehst du nicht?”
„Dann ist Theo der Stellvertreter von Franz, oder wie?”
„Ja, Oleg, so kann man das sehen. Die Bild-Zeitung sieht das bestimmt so.”
„Und was hat nun dieser Sportjournalist über den Stellvertreter von Zar Franz im Blog Direkter Freistoß Böses geschrieben?”
„Unglaublicher Demagoge.”
„Uiiiih”, sagte Oleg.

Ich bin mit Oleg schon ein paar Mal in Odessa zum Fußball gewesen. Oleg ist ein treuer Anhänger des FC Chernomorets Odessa und besucht jedes Spiel. Ziemlich oft begleitet er die Mannschaft auch nach Charkow, Lemberg, Kiew oder sonstwohin. Verliert Chernomorets, ist er tagelang schwermütig. In dieser Saison habe ich ihn noch nicht sehr oft unschwermütig erlebt. Chernomorets ist nur Tabellenzehnter der ukrainischen Liga.

Wenn der Stadionsprecher Odessas Aufstellung vorliest, spricht Oleg die Namen der Spieler samt Rückennummern mit. Wenn der Stadionsprecher danach den Namen des Trainers vorliest, springt er auf und klatscht. Wenn der Stadionsprecher zuletzt den Namen des Vereinspräsidenten vorliest, schreit er: „Mоooo-лоoooo-дец*.” All das wiederholt sich im Laufe eines Spiels drei- bis viermal. Da die Gastmannschaft genauso oft und genauso ausführlich über die Lautsprecher vorgestellt wird, kenne ich mittlerweile sehr viele Vereinspräsidenten und bin ein ausgewiesener Oligarchenexperte.

„Den muss man einsperren”, sagte Oleg und trank einen Schluck Wodka.
„Oleg, wenn wir jeden Demagogen in den Knast stecken würden, wäre Deutschland … warum eigentlich nicht?”
„Ich meine nicht den Stellvertreter von Franz, sondern diesen Sportjournalisten.”
„Spinnst du?”
„Der muss mindestens ein Berufsverbot kriegen.”
„Wegen Vize-Zaren-Lästerung?”

Ich schaute auf den Fernseher und dachte daran, dass ich am Freitag Studenten der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa einen Vortrag halten würde über den Journalismus in Deutschland, über Presse- und Meinungsfreiheit, über Wahrhaftigkeit und Distanz. Es lief die 84. Minute des Länderspiels. Es kam dieser direkte Freistoß, vielleicht war es auch indirekter, eine Ecke oder Flanke, was weiß ich, ich schaute gelangweilt auf den Fernseher, sah, wie John Terry das 2:1 für England köpfte, erinnerte mich an die vergangenen 90 Minuten mit Oleg und sagte: „Du bist ein unerträglicher Olegarch.”

*Prachtkerl

Nachtrag, 20.30 Uhr: Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass sich wenigstens einer der Grauen Exzellenzen vom DFB verabschiedet, damit das ganze Drama nicht noch peinlicher wird. Mir fällt nur gerade nicht ein, wer aussichtsreichster Kandidat ist. Sowohl Theo Zwanziger als auch sein Vize Rainer Koch, beide promoviert übrigens, haben heute einen Fuß vor die Ausgangstür gesetzt. Hätte ich einen Doktortitel, würde ich den jetzt zurückgeben. Wenn ich das richtig verstanden habe, können die beim DFB nicht mal mit Word umgehen. Und der eine weiß nicht, was der andere sagt. Unfassbar!

Nachlesen kann man das bei Herrn Niggemeier und auf sueddeutsche.de.