ODESSA, UKRAINE Odessa hat heute Geburtstag, die Stadt wird 215 Jahre alt. Jedes vierte Haus ist beflaggt, und AUPU, der allseits unbeliebte Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko, hat sich angesagt, um den Odessiten zu gratulieren. Die werden sich freuen.
Ich weiß noch nicht, ob ich mich breit genug schlagen kann, um heute Abend auf dem Primorskij Boulevard die große Feier zu besuchen. Meine Informaten haben mir allerdings zugetragen, dass es sich lohnen könne. Es gibt einen Klapperstorch mit Dollarscheinen im Schnabel, Kinder lassen sich mit Aliens fotografieren, und die extra aufgestellten Topfpflanzen sollen einzigartig grässlich sein. Nach “Humorina” am 1. April kann mich sowieso nichts mehr schocken. Ich gebe aber zu, dass mir diese Werbe-Animation mit den vielen Gesichtern schon sehr gefällt.
ODESSA/ILLITSCHOWSK, UKRAINE Seit heute ist die Ukraine volljährig. Odessas Militärparade zum Tag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion (24. August 1991) habe ich allerdings geschwänzt – viel Neues hätte ich wahrscheinlich sowieso nicht gesehen – und stattdessen die Hafenstadt Illitschowsk besucht.
Dies ist bekanntlich ein unabhängiges und überparteiliches Blog, dennoch erlaube ich mir zur Feier des Tages eine dezente Empfehlung für die kommende ukrainische Präsidentschaftswahl. Ein Ausländer und Außenstehender hat ja manchmal den objektiveren Blick auf die politischen Verhältnisse. Ich habe ein bisschen im Altpapier Privatarchiv gekramt und bin auf eine nette Geschichte vom April 2008 gestoßen: Viktor Juschtschenko, der allseits unbeliebte Präsident der Ukraine (von heute an nur noch: AUPU), verschenkt einen Mini-Van des Autobauers ZAZ. Der Beschenkte ist Leonid Stadnik, mit 2,55 Metern einer der größten Menschen der Welt, manche behaupten gar, der größte überhaupt. “Spiegel Online”, ganz gerührt von diesem sanften Riesen aus der Ukraine, macht ihn sogar drei Zentimeter höher, ist aber eh wurscht, weil der Kerl noch immer jedes Jahr einen Zentimeter wächst – mit fast vierzig. Ich frage mal ganz unschuldig: Kann, wer so an den kleinen großen Mann von der Straße denkt, kein guter Mensch sein?
Und wenn mir jetzt noch ein Ukrainer empfehlen würde, wem ich bei der Bundestagswahl meine Stimme geben soll, wäre mir sehr geholfen. (Bitte nur ernstgemeinte Vorschläge.)
Viktor Juschtschenko, der allseits unbeliebte Staatspräsident, wird morgen Odessa besuchen. Wie die Regionalverwaltung für Kraftfahrzeuginspektion mitteilt, müssten sich Einwohner und Gäste der Stadt auf ein paar Einschränkungen vorbereiten. Der Bericht der Nachrichtenseite “Vikna-Odesa” trägt die herrliche Überschrift:
Autofahrer sollen das Zentrum für die Dauer von Juschtschenko Visite (10 bis 21 Uhr) weiträumig umfahren. Fußgänger werden aufgefordert, im Falle des Erscheinens der Präsidentenkolonne auszuweichen und nicht die Straße zu überqueren. Autos, die auf dem Bürgersteig oder am Straßenrand parken, können – sofern auch sie stören – abgeschleppt werden.
Eine junge Odessit, die ich gerade getroffen habe, sagte: “Odessa wird morgen zum Irrenhaus. Wir leben in einer Monarchie. Und Juschtschenko glaubt tatsächlich, er wäre unser König. Dabei ist er nicht mal unser Präsident.”
“Ich muss doch aber zum Flughafen”, sagte ich.
“Es ist Juschtschenko vollkommen egal, dass Herr Wesemann aus Deutschland zum Flughafen muss, um seine Schwiegereltern abzuholen.”
ODESSA, UKRAINE Da hätte ich fast vergessen, dem Präsidenten, einem Stammgast dieses Blogs, zu gratulieren. Wiktor Juschtschenko hat nämlich Geburtstag. Ich habe ihm mit meinem Touristenrussisch gerade eine Mail geschickt:
Für alle, die die russische Sprache noch schlechter beherrschen als ich, liefere ich mal die Übersetzung – oder gegebenfalls das, was ich habe ausdrücken wollen:
Verehrter Präsident, lieber Wiktor Andrejewitsch,
verzeihen Sie bitte, dass ich auf Russisch schreibe. Ich arbeite als deutscher Journalist schon neun Monate in Odessa. Aber mein Ukrainisch ist immer noch auf dem Niveau der ukrainischen Infrastruktur. Ich möchte Ihnen – auch im Namen der Leser meines Weblogs – zum 55. Geburtstag gratulieren. Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Erfolg in Zeiten der Krise.
Vielleicht treffen wir uns ja mal, ich würde mich freuen.
Hochachtungsvoll
Christoph Wesemann
Mitglied der Internationalen Journalisten-Föderation
http://christoph-wesemann.de
Juschtschenko braucht ein bisschen Zuspruch. Nicht einmal sein engstes Umfeld weiß, wo er seinen Geburtstag feiert. Dabei sieht es gut für ihn aus. Die Zeitung “Segodnya” hat einen Astrologen befragt, wie Juschtschenkos durch das Jahr 2009 kommen wird. Angeblich verdient er mehr als in den vergangenen Jahren zusammen. Er bleibt im Amt und übernimmt dann eine große Bank. Überdies sagen die Sterne, dass er eine „eiserne Gesundheit” hat und die restlichen fünf Prozent Dioxin aus seinem Körper verschwinden.
Wären da nur nicht die Politiker. Dmitrij Tabatschnik von der oppositionellen Partei der Regionen würde Juschtschenko gern die Rentengesetzgebung schenken, “weil ich hoffe, dass dieses Gesetz an seinem nächsten Geburtstag das einzige sein wird, das er noch braucht”.
Ich schlage vor, dass, wer will, Wiktor Juschtschenko im Kommentarbereich einen kurzen Geburtstagsgruß überbringt – auf Russisch, Ukrainisch, Deutsch oder Englisch. Der Präsident wird hier sicher vorbeischauen, und dann freut er sich bestimmt.
Auch für Klugscheißereien, was meine Mail betrifft, ist unten Platz.
ODESSA, UKRAINE Ich würde sie wahrscheinlich nicht wählen, wenn ich dürfte, aber ihre Aktion finde ich durchaus großartig, zumindest originell. Die Kommunistische Partei der Ukraine sammelt Geld, um Präsident Wiktor Juschtschenko ein Flugticket nach Amerika zu spendieren, damit er endlich verschwindet. Das Motto ist: “Ющенко – чемодан – Америка!” – “Juschtschenko – Koffer – Amerika!” Die Aktion hat am 10. Februar in Odessa begonnen. Bis zum 23. Februar werden die Kommunisten mit einem Flugzeug auf einem Hänger durchs Land fahren. Die Tour endet in Kiew.
Ich bin überzeugt, dass die Aktion am Ende nicht nur das Parlament, die Werchowna Rada, zwingen wird, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Juschtschenko einzuleiten, sondern auch ihn und seine oligarchisch-nationalistische Umgebung von der Macht zu entfernen.
Und warum Amerika? Zum einen hat Juschtschenko eine amerikanische, wenn auch ukrainischstämmige Frau. Zum anderen sind viele Ukrainer überzeugt, der Präsident sei in Wahrheit ein “US-Spion” und seine Frau eine Ex-Agentin der CIA. Juschtschenko hat dies immer wieder bestritten, so Ende 2004 in einem Zeitungsinterview:
“Iswestija”: Ihre Gegner halten es für nicht normal, dass die Ehefrau des künftigen Präsidenten der Ukraine Amerikanerin ist, die außerdem im Weißen Haus gearbeitet hat. Es heißt, Kateryna Tschumatschenko habe bei der CIA gearbeitet und sie angeworben…
Juschtschenko: Meine Angehörigen wurden Opfer der antiamerikanischen Stimmungen, die in der Ukraine in den letzten Monaten geschürt wurden. Meine Gegner setzen die Staatsangehörigkeit meiner Ehefrau gegen mich ein. Was ist sie denn für eine Amerikanerin, wenn ihr Vater, Mihajlo Tschumatschenko, im Dorf Sajziwka im Donbass geboren wurde und ihre Mutter im Dorf Lypky bei Kiew? Mein Schwiegervater kam während des Krieges in ein KZ und wurde in einem deutschen Steinbruch eingesetzt. Die Schwiegermutter wurde nach Deutschland vertrieben. Dort haben die beiden sich kennen gelernt, haben paar Wochen vor dem Sieg geheiratet und sind später nach Amerika, nach Florida, gegangen. Kateryna lebt bereits seit 13 Jahren in der Ukraine. Seit 1999 wartet sie auf die ukrainische Staatsangehörigkeit. (…) Unsere älteste Tochter ist fünfeinhalb Jahre alt, der jüngste Sohn sieben Monate. Wie kann man denn mit so vielen Kindern auf den Händen Spionagetätigkeit betreiben?
Nun sind die Kommunisten nicht unbedingt eine starke Kraft. In Umfragen liegen sie bei fünf Prozent. Angesehener als Juschtschenko sind sie aber allemal. Im Dezember 2008 hat das Fom-Ukraine gefragt, welcher Politiker am ehesten die Weltfinanzkrise meistern könne – Premierministerin Julia Timoschenko, Oppositionschef Wiktor Janukowitsch oder eben der Mann ganz oben.
ODESSA/KIEW, UKRAINE Ich reiche das Foto von der Medien-Krim-Gas-Konferenz in Kiew nach – nicht nur aus Eitelkeit, sondern auch als Beweisstück 1 für meine Krankenversicherung, dass ich in der ukrainischen Hauptstadt gewesen bin. Auf dem Bild sehen Sie, von links, den Lemberger Journalisten Jurij Durkot, Walerij Iwanow, Moderator und Präsident der Akademie der Ukrainischen Presse, Wolodymyr Kornilow, Chef der ukrainischen Filiale des Instituts der GUS-Staaten, und mich. Der Medienanalytiker Heorhij Potschepzow versteckt sich ganz links.
In meinem Referat habe ich versucht, die Frage zu beantworten, wie die deutschen Zeitungen den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine behandelt hätten. Ich behauptete, die Journalisten hätten ausgewogener als 2006 berichtet und kommentiert, als Russlands Präsident Wladimir Putin für viele der klare Schuldige gewesen war. Diesmal habe die wirtschaftliche Seite des Konflikts im Mittelpunkt gestanden.
Und hier sind zwei blitzgescheite Gedanken des Referenten:
1. Die Journalisten haben weitaus kritischer als 2006 über die Ukraine berichtet, weil sie – ein Grund – von der Entwicklung des Landes nach der Orangen Revolution enttäuscht sind. Das Land macht wenig Fortschritte; die Orangen Helden, Präsident Viktor Juschtschenko und Regierungschefin Julia Timoschenko, haben an Glanz verloren. Nach wie vor gibt es Korruption, Oligarchenherrschaft und Ex-Geheimdienstler, die im Verborgenen die Strippen ziehen. Von Russland erwartet man nichts anderes.
2. Mein Fazit: Das Ukraine-Bild der Deutschen hat sich durch die Medienberichterstattung eher verschlechtert, aber das Bild von Russland – soviel zum Trost – auch nicht unbedingt verbessert.
Der Herr neben mir auf dem Podium fand das allerdings weniger witzig als das Publikum.
Diese Reisereportage ist meine Weihnachtsgeschichte. Ich weise aber darauf hin, dass sie im Mai spielt. Mitte Mai bin ich nämlich mit dem Auto von Schwerin nach Odessa gefahren, um den Umzug der Familie vorzubereiten. Lesen Sie heute den ersten Teil. Am Heiligen Abend ersten Weihnachtsfeiertag folgt die Fortsetzung.
Erster Teil: Langsamer als die Polizei es will
So viel Glück ist nicht ukrainisch. Die Autobahn von Kiew hinunter ans Schwarze Meer hat vier Spuren und keine Schlaglöcher. Auf einmal ist nichts mehr zu spüren von jener Krankheit, mit der sich das Auto auf der ersten Holperpiste hinter der Grenze angesteckt hatte. Das Symptom war, unüberhörbar, ein Klappergeschwür unter der Haube, das sich später bis zum Heck auswuchs. Im Deutschland der schönen Straßen hätte der ADAC einen Engel schicken müssen, der am Motor nachsieht und Muttern nachzieht. In der Ukraine aber, wo Täler und Hügel schon im Asphalt beginnen, wird jedes Auto zum Hypochonder. Der Patient, ein vierjähriger Skoda Octavia, ist nach dem Abbiegen auf die Autobahn bei Uman augenblicklich gesund. Bis Odessa sind es nur noch 270 Kilometer.
In zweieinhalb Stunden werden mein Beifahrer und ich aussteigen, einen Teller Borschtsch bestellen und – wie es sich gehört – Wodka trinken: sto gramm, 100 Gramm. Müssten wir nicht vor dem Umzugswagen in Odessa ankommen und die Wohnung einrichten, wir könnten weiterfahren bis Usbekistan, Turkmenistan oder Sibirien; niemand könnte das verhindern. Dann springt ein Polizist vors Auto und dirigiert mit seinem schwarz-weißen Stock. Das Glücksgefühl ist wieder verschwunden. Seit wir im Land unterwegs sind, haben wir nie mehr als 65 Kilometer in der Stunde geschafft. Die Angst ist immer mitgefahren.
Früh am Morgen in Ternopil, dreihundert Meter entfernt vom Hotel, bin ich falsch in eine Einbahnstraße gebogen. Die vier Ukrainer vor mir übersah der Polizist. Für uns machte er keine Ausnahme. „Man darf dort nicht lang”, sagte er auf Russisch. „Komm mit.” In seinem Lada blätterte er im Pass, fragte nach dem Ziel der Reise und nuschelte etwas. Am Anfang bat ich ihn, den Satz zu wiederholen, irgendwann ließ ich es sein. Ein Ukrainer, der von einem Ausländer nicht verstanden wird, spricht gewöhnlich nicht langsamer, sondern lauter. Nachdem er mich drei Minuten über die Schwere meines Vergehens belehrt hatte, was ich allerdings eher seinem Blick als seiner Stimme entnahm, redete er solange an mir vorbei, bis ich wieder ein Wort verstand: „Straf”. Wenigstens war ich noch nicht verurteilt. Als ich mich nach dem Preis erkundigte, wurde aus der Faust unter dem Lenkrad eine Hand mit fünf Fingern. Die Geldübergabe scheiterte jedoch. Ich reichte ihm fünf Euro, er rührte sie nicht an. Erst als der Schein auf der Handbremse lag, winkte er mich weg vom Beifahrersitz, als würde er eine Fliege vom Oberschenkel verscheuchen.
Im vergangenen Jahr hat der neue Präsident Viktor Juschtschenko, der sich vom Westen lieben lässt und wegen dieser Nähe Russland ständig das Herz bricht, viele korrupte Beamte ausgewechselt. Seitdem fürchten die Überlebenden, so bestochen zu werden, dass es auffällt. „Wo geht es nach Odessa?”, fragte ich zum Abschied den Ternopiler Polizisten. „Priamo, priamo”, sagte er. Ich fuhr davon wie empfohlen oder besser: befohlen – immer geradeaus. Ich hätte viel mehr bezahlt, um freizukommen.
Nach fünf Minuten auf der Autobahn, kurz hinter Uman, stehen wir. Mein Beifahrer sieht, wie der Mann in Uniform den Kopf hereinsteckt und den Mund für einen Vortrag öffnet, erbleicht sogleich und flüstert, während ich noch an meiner Verteidigung bastele, die die Schuld widerlegt: „Gib zu, dass du 124 gefahren bist, und vergiss deine 105. Er weiß selbst, dass 110 erlaubt sind. Ihr habt beide Recht, aber er eben ein bisschen mehr.” Für 280 Griwen, umgerechnet 40 Euro, verkauft uns der Polizist die Freiheit, lächelt und wünscht eine gute Fahrt.
Kurz nach Mitternacht hatte in Ternopil das Telefon geklingelt. Der Möbeltransporteur ließ die schlechte Nachricht von einem ukrainischen Zöllner überbringen. Ich wollte weiterschlafen. Die erste Nacht hatten wir in Polen zwischen Breslau und Krakau an einer Tankstelle verbracht, was kaum zu empfehlen ist. Nach fünf Stunden im Auto fühlt man sich morgens wie die eigene Oma – und sieht auch noch so aus. In der Mittagshitze hatten wir dann erst am Grenzübergang Przemysl drei Stunden auf Einlass gewartet und hernach den Ukrainern nur die Frage beantworten müssen, ob Drogen im Gepäck seien. Kopfschütteln genügte.
Der Zöllner am Telefon stellte sich eine halbe Minute vor und erzählte von einem neuen Gesetz, das mich verpflichte, für alles Quittungen vorzulegen: das Spielzeug des Kindes, für Bücher, Kleider und die Hausapotheke. Ich hätte gern erwidert, dieses Gesetz sei seit höchstens fünf Minuten in Kraft, weil er allein es beschlossen habe. Stattdessen stotterte ich auf Russisch: „Bitte Sie verstehen, äh, dass nicht in Deutschland, äh, äh, Entschuldigung, jeder seine Zettel von das Einkaufen aufbewahren. Verstehen Sie?” Mehr konnte ich zu unserer Rettung im Halbschlaf nicht ausdrücken. Es war zu wenig. Der Transporteur fuhr zurück nach Polen – allerdings ohne die bereits gezahlten 500 Euro Bestechungsgeld. Er war zum zweiten Mal gescheitert, versprach aber, es später wieder zu versuchen.
Die Tachonadel klebt an der 90. Das ist unser Tempolimit auf der Autobahn. Werden wir überholt, wirkt es, als würden wir parken, so schnell sind die anderen weg. Hunde eilen von links nach rechts. Wo die Leitplanke fehlt, ziehen Busse auf die Gegenspur. Es gibt Zebrastreifen, Bushäuschen und Basare. Mein Beifahrer könnte Ziegen und Kühe und Pferde streicheln, wenn er die Hand aus dem Fenster hielte. Wir werden von einem Motorrad überholt, auf dem drei Männer sitzen; keiner trägt einen Helm. Auf dem Standstreifen wird getrunken und gegessen, geredet, geradelt und getorkelt. Wären wir Ukrainer, könnten wir dort ein Zelt aufbauen und den Grill anmachen, ohne dass es irgendwen stören würde. Als Deutsche aber müssten wir sicher noch dafür bezahlen, dass wir zu laut Verkehrsfunk hören. Mit unserem Kennzeichen ist es unmöglich, den Wilden Osten unbemerkt zu durchqueren. Es ist ein Makel, der jede Tarnung auffliegen lässt.
„Sie sind 128 gefahren”, sagt der Polizist an der nächsten Ausfahrt. Er hat uns herausgewinkt, aber danach erst einmal zwei Minuten warten lassen, schließlich hatte auch er warten müssen. Sicher hatte sein Kollege per Funk gemeldet, dass gleich zwei etwas einfältige Mecklenburger vorbeikämen – mit vollen Portmonees und noch volleren Hosen. Nur waren wir wegen der Bummelei spät dran. Trotzdem spendiert er uns diese schöne Zahl 128.
„Das muss ein Irrtum sein”, sage ich. Ich wehre mich. Ich klopfe auf das Tachometer. Ich überhöre die Ratschläge des Beifahrers. Ich errege mich, so stark es der Mut zulässt. Ich muss aussteigen. Der Polizist führt seine Laserpistole vor und schießt zweimal auf Autos. „Charrascho?”, fragt er und präsentiert das Ergebnis. Nichts ist gut! Ich, mäßig überzeugt, erzähle, was mein russischer Wortschatz hergibt, um ihn gnädig zu stimmen: dass ich Journalist sei und eine Dienstreise machte, dass mein Sohn keine Windeln mehr brauche und überhaupt ein Wunderkind sei. Es fehlt nicht viel, dass ich aus Verehrung für die Klitschko-Brüder, seine Landsleute, ein bisschen boxe.
Der Polizist, mäßig begeistert, schreibt auf der Motorhaube das Protokoll. „Straf kommt mit der Post nach Odessa”, sagt er und verlangt drei Unterschriften. Meine Adresse habe ich mir ausgedacht, ich denke, er weiß es. „Spasiba”, sage ich. Unterwegs muss mein Stolz ausgestiegen sein, sonst hätte ich mich nicht bedankt.
ODESSA, UKRAINE Lassen Sie sich bitte nicht verunsichern: In der Ukraine wird natürlich gewählt. Gut, die Abstimmung über das Parlament wird es nicht geben, weil sich Regierungschefin Julia Timoschenko und Präsident Viktor Juschtschenko wieder ganz lieb haben zum Wohle des Landes. Nein, es geht nicht um Geld, es geht auch nicht darum, dass die Abgeordneten erst noch viel mehr verdienen müssen, bevor sie sich dem Risiko aussetzen werden, vom Volk abgewählt zu werden. Nein, auf keinen Fall.
Die wichtige Wahl ist ohnehin diese hier:
Es kandidieren 31 Mädchen. Es führt Lilija Kulik: 21 Jahre, 1,72 Meter, 90-60-90. Sie stammt aus der Oblast Tscherkassy, einer Region mit hügeliger Landschaft, wie mein Lexikon verrät. Ja, alle ukrainischen Frauen sind auf eine solch natürliche Art schön. Bitte gehen Sie zur Wahl. (Ja, Sie können auch Lilija klicken.)
ODESSA, UKRAINE Spiegel-Online rechnet heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko ab. Der Autor Alexander Schwabe beschreibt, wie der Held der Orangen Revolution seinen Ruf Stück für Stück ruiniert hat. Juschtschenko habe die politischen Krisen seit seinem Amtsantritt 2005 nicht genutzt, um Stärke zu zeigen und Macht zu gewinnen. Vielmehr sei er jedes Mal als Verlierer hervorgegangen. Der Präsident widme sich überdies mehr dem Kleinkrieg mit Premierministerin Julia Timoschenko als den Problemen des Landes: Korruption, Inflation und Oligarchenherrschaft. Stellenweise liest sich der Text wie ein Krankenbericht. Der Juschtschenko hat einerseits vier Jahre nach dem Giftanschlag wieder ein deutlich menschlicheres Antlitz. Sein Körper ist mittlerweile wieder nahezu sauber. Andererseits gab es unterhalb des Bauchnabels einen relativ schweren Eingriff. Juschtschenko ist der “kastrierte Präsident”.
Sonderlich originell sind solche Abstecher in die Medizin sicher nicht mehr. Aber immmerhin liefert Spiegel-Online zwei wunderhübsche Anekdoten.
Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seiner Premierministerin geriet zum Possenspiel. Der Plot bot einiges: Außer der Parlamentsblockade die Beschlagnahmung eines Regierungsflugzeugs und peinlich inszenierte Telefonate:
Als Timoschenko Anfang Oktober zu ihrem russischen Kollegen Wladimir Putin nach Moskau fliegen wollte, war das von ihr reservierte Regierungsflugzeug unauffindbar – Juschtschenko hatte es kurzerhand für einen Inlandflug unter Beschlag genommen, ohne sie zu informieren. Als die Ministerpräsidentin schließlich mit einem slowenischen Charterflugzeug in Moskau ankam, spöttelte Putin, so sei es, wenn “Taschendiebe” Flugzeuge klauten.
Jüngst ließ Timoschenko die Presse eigens in ihr Büro kommen, um den Präsidenten vorzuführen. Um zu demonstrieren, wie wenig der Präsident sich in der prekären Lage um das Wohl des Landes kümmere, griff sie genüsslich zum Hörer im Wissen darum, dass Juschtschenko nicht abheben würde, weil er vergrätzt war. Mehr