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Korruptionskolumne: Oleg ist dabei

ODESSA, UKRAINE Ich glaube, mein Freund Oleg ist korrupt, ein bisschen jedenfalls, man könnte dieses Problem vermutlich auch anders nennen. Bestimmt ist er nur ein sympathischer Kerl, der hilft, wenn im Büro Hilfe gebraucht wird, und dafür entlohnt wird. Ich kann ohnehin noch nichts beweisen, obwohl ich ihm allmählich auf die Schliche komme. Oleg macht Fehler, schwere Fehler.

Vor drei Tagen hat er mir das größte Honigglas geschenkt, das ich je gesehen habe, es ist unheimlich riesig. Die Bärenfamilie in Odessas Zoo könnte die Freunde aus dem Kiewer Gehege einladen, eine dreitägige Honigparty feiern und den Rest als Kleister zum Tapezieren der Wände nehmen. Danach müsste allen Bären wegen Honigvergiftung der Magen ausgepumpt werden.

Ich musste erfahren, woher das Glas stammt.
„Ist von Mama höchstpersönlich”, sagte Oleg.
„Schon wieder ein Geschenk von ihr?”, fragte ich.
“Das ist Kolumnistenköder, du sollst sie mal besuchen.”

Keine Angst vor fünf sibirischen Wintern

Olegs Mama muss fabelhaft sein. Sie ist eine bienenfleißige Imkerin, die überdies CDs presst oder sogar Boss einer Plattenfirma ist, eine Dickestrümpfestrickfabrik besitzt und immer ein paar Whiskyfässer im Keller hat. Hin und wieder schenkt sie mir eine CD. Die Strümpfe, die mir Oleg in ihrem Namen überreicht hat, brächten mich durch fünf sibirische Winter. Den Whisky habe ich noch nicht probiert. Erst muss der Honig alle werden. Natürlich leugnet Oleg, dass er sich bestechen lässt.

Ich habe überlegt, was man mir bieten müsste, dass ich korrupt würde. Viel ist mir nicht eingefallen. Geld interessiert mich nicht. Die Spielzeuge der Männer besitze ich schon. Ich habe ein Auto, das ich eigentlich nicht brauche, eine Uhr, die ich wegen ihrer Kostbarkeit kaum trage, und ein Handy, an dem ich nicht hänge. Es klingelt zweimal, dann verliere ich es schon wieder. Wer mein Telefon findet, hat praktisch ein neues Modell. Und wenn ich Eisenbahn spielen will, gehe ich zwischen 8 und 16 Uhr in das Zimmer meines Sohnes, dann ist er im Kindergarten, und stelle ein paar Weichen seiner Briobahn um. Die Dampflokomotive schnauft sogar.

Sehnsucht nach Pesto

Bis gestern hätte ich trotzdem gewusst, wie man mich verführen kann. Wäre ein Mann gekommen und hätte mir versprochen, jeden Montag zwei Gläschen Pesto, eingewickelt in Zeitungspapier, im Morgengrauen vor meine Tür zu legen, ich wäre schwach geworden. Pesto ist Mangelware in Odessa. An einem guten Tag fragt mich die Verkäuferin, was Pesto sei, nachdem ich sie gefragt habe, wo Pesto im Regal stehe. Ich stottere und sage: „So etwas Ähnliches wie das hier, nur in Grün und für Nudeln.” Dabei zeige ich auf Senf.

An einem schlechten Tag finde ich Pesto und überlege, ob der Marktleiter oder die Marktwirtschaft bekloppt ist, weil zwei Teelöffel dieser Paste umgerechnet zehn Euro kosten. Käme in einem solchen Augenblick dieser Mann und verspräche eine montägliche Lieferung ohne jedes Risiko für mich, ich würde wahrscheinlich einiges tun, das sich für einen Journalisten außerhalb der Lokalberichterstattung nicht gehört.

Bis gestern war ich in Gefahr. Als präventiven Schlag gegen meine Verführbarkeit habe ich mir heute einen Mixer gekauft. Jetzt mache ich Pesto selbst und bin nicht mehr korrumpierbar.

“Tribut an die Tradition”

Ich würde Oleg gern helfen, diesem Korruptionssumpf aus Honig, Whisky, dicken Socken und CDs zu entsteigen. Er ist doch bloß ein Opfer des ukrainischen Systems. Wahrscheinlich lassen sich die Kollegen auch beschenken für eine kleine Gefälligkeit und üben einen Gruppenzwang aus. Andrej Kurkow, einer der großen Schriftsteller des Landes in der Gegenwart, schreibt in seinem Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten”, manche Korruption in der Ukraine könne gar nicht verboten werden. Sie sei „ein Tribut an die Tradition”.

Ich muss Oleg da trotzdem rausholen, ich bin Journalist, ich habe sogar einen internationalen Presseausweis, der mich vor Übergriffen schützen soll, ich kann doch nicht zuschauen, wie in meinem unmittelbaren Umfeld der Filz wächst. Ich könnte Oleg eine neue Identität verschaffen, ich habe ganz gute Kontakte in die Schweiz: Der Chef von Krusenstern.ch, ein Experte für Russland, Belarus und die Ukraine, hat mein Odessa-Blog verlinkt.

Andererseits, wie fülle ich meine Kolumnen, wenn Oleg in der Schweiz untergetaucht ist?

Kolumne: Meine Nächte als Gerhard Schröder

ODESSA, UKRAINE Ich will nicht, dass Gerhard Schröder im nächsten Jahr Kanzler wird, ich bin gegen eine dritte Amtszeit des Hannoveraner Hengstes, obwohl ich weiß, dass die Alternative Angela Merkel heißt. Frank-Walter Steinmeier, der sozialdemokratische Außenminister, ist ja bloß ein Strohmann. Noch am Wahlabend, gleich nach seinem Triumph, würde er Schröder vorschlagen und abermals dessen rechte Hand im Kanzleramt werden. Er ist kein Mann für die erste Reihe.

Mir ist Schröder schon jetzt unerträglich allgegenwärtig; es hat gewiss damit zu tun, dass er wieder kräftig mitmischt. Er verteidigt Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin im Kaukasuskonflikt und will im bayerischen Landtagswahlkampf die CSU besiegen. Ich verkrafte das nicht. Ich träume oft von Schröder, ich kann das nicht verhindern. Schröder steht jeden Abend an meinem Traumzaun und schreit, wohl nicht mehr ganz nüchtern: „Ich will hier rein!” Noch unangenehmer ist, dass ich wie Schröder bin. Nachts schlüpfe ich in die Schröderrolle. Das liegt zweifelsohne an den einhundert Tagen, die ich nun als oberster Odessit der Familie im Amt bin. Im Traum verteidige und erkläre ich meine ersten Entscheidungen. Die Schonfrist ist ja vorbei. Jetzt wird abgerechnet. Ich muss mich an meinen Versprechen messen lassen.

“Basta!”

Jedes Mal träume ich mich durch die ersten einhundert Tage in Odessa. Als die zwei anderen Mitglieder der Familie und ich zur ersten Sitzung zusammenkommen, sage ich als Chef der Exekutive: „Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen.” Ich spreche auch unbequeme Wahrheiten aus und kündige Reformen an, ich will verkrustete Strukturen aufbrechen und den Haushalt konsolidieren. Ich erinnere mich an meine Worte genau: „Die Wochenarbeitszeit wird steigen müssen. Den Mittagsschlaf unter der Woche werden wir streichen. Basta!”

In den nächsten Wochen setze ich dies mit meiner Richtlinienkompetenz auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen durch, weil es unvermeidlich ist, um nicht auf Kosten der nächsten Generation zu leben. Für so etwas gibt es natürlich keinen Beifall. Mehr als einmal stehe ich vor einem Misstrauensvotum. Mehr als einmal muss ich auch mit Rücktritt drohen.

Gleich am zweiten Tag habe ich einen Kassensturz angeordnet. Alle Ausgaben sollten auf den Prüfstand. Mein Ziel war und ist es, im nächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Mit dem Schuldenmachen muss Schluss sein; das ist für mich eine Frage der Generationengerechtigkeit. Mich selbst schone ich selbstverständlich nicht, auch mein Budget wird beschnitten. Zum Beispiel senke ich sukzessive die Aufwendungen für Sprit (Auto und Seele). Ich gehe häufiger zu Fuß und trinke mehr Tee.

Keine Glotze

Im Traum halte ich flammende Reden: „Ich weiß, wo ich herkomme”, schreie ich mit heiserer Stimme. „Und wer mich kennt, weiß, dass ich, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, meine ganze Kraft für die soziale Gerechtigkeit einsetze.”

Ich kaufe ein, mache die Wäsche und schütze insgesamt die innere Sicherheit. Ich habe ja auch versprochen, meine Stammwählerin zu entlasten und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verwirklichen. Natürlich habe ich auch gleich am ersten oder zweiten Tag im Amt ein Investitionsprogramm aufgelegt, um die Infrastruktur zu verbessern. Das neue Ehebett war nur der Anfang. Ich werde das Schlafzimmer weiter modernisieren. Ich bin überzeugt, dass sich das auszahlt. Die Geburtenrate wird steigen. Ich habe auch den Fernseher abgeschafft. Ich brauche nur „Segodnya” und „Argumentü i Faktü”, aber keine Glotze.

Heute Morgen habe ich verschlafen, ich war wohl ein bisschen amtsmüde, ich hätte Oleg zum Frühstück im Café treffen sollen. Stattdessen klingelte er mich aus dem Bett, kochte in der Küche Kaffee, brachte mir eine Tasse und weckte mich. Ich war noch einmal eingeschlafen, gab gerade wieder ein Interview und erzählte von meiner Mutter, die mich in schwerer Zeit groß gezogen hat.
„Trink erst mal den Kolumnistenkaffee, ist extra stark”, flüsterte Oleg.
„Die wollen mich fertig machen”, sagte ich.
„Wer?”
„Alle.”

Oleg als Gutachter

Ich nahm den ersten Schluck, setzte mich hin, war nicht länger verschrödert und sagte: „Oleg, ich bin jetzt einhundert Tage in Odessa. Bist du zufrieden, wie ich die Familie führe? Sei ehrlich.”
Oleg rückte näher, so dass seine Wimpern fast mein Kinn berührten, er drehte den Hals und starrte zu mir hinauf, schwieg einen Augenblick und schüttelte den Kopf. „Ich will mich nicht in deine inneren Angelegenheiten einmischen”, sagte er schließlich. „Aber kann es sein, dass die Kolumnistennasenhaare in Odessa schneller wachsen?”
„Ist das deine Bilanz?”
„Die Kolumnistennase hat den Filter verstärkt”, sagte Oleg. „Der alte Charles Darwin wäre stolz auf dich. Du hast eine absolute Anpassernase, du bist ein Wunder der Evolution. Die Nase schützt dich vor gesundheitlichen Schäden.”

„Was meinst du?”, fragte ich.
„Liest du denn keine Zeitung, die Segodnya zum Beispiel? Odessa ist die zweitschmutzigste Stadt der Ukraine.”
„Das kann nicht sein”, sagte ich.
„Das sagt die Stadtverwaltung auch.”
„Die Messung muss falsch sein”, sagte ich.
„Das sagt die Stadtverwaltung auch.”

Oleg nahm seine Wimpern wieder von meinem Kinn. Er lächelte. Dann sagte er: „Ich gratuliere, du bist ein echter Odessit.”

Nachtrag, 22.05: Mein Kolumnistenkollege Axel Scherm, der nur unwesentlich schlechter golft als Tiger Woods, aber wesentlich witziger ist, hat mich in den Kommentaren darauf hingewiesen, dass zumindest der erste Absatz meiner Kolumne kabarettreif ist. Ich empfehle mal zu schauen, wie sich die “Anstalt” im ZDF gestern Abend Gerhard Schröder gewidmet hat. Danke, lieber Axel.

Kolumne: Oleg und die Alpha-Blogger

ODESSA, UKRAINE Warum rede ich überhaupt noch mit meinem Freund Oleg? Gestern habe ich ihn gefragt, wie das mit meinem Auto sei. Ich habe jetzt ein Visum, ich muss die Ukraine also nicht mehr verlassen, weil die Neunzig-Tage-Frist für Touristen hinfällig ist. Mein Auto aber muss eigentlich nach sechzig Tagen aus dem Land verschwunden sein, das habe ich mir sagen lassen. Ich wollte nur wissen, ob mein Visum möglicherweise an der Sache etwas ändert. Oleg ist Ukrainer, er muss die Rechtslage kennen.
Er hat gesagt: „Die Kolumnistenkarre ist relativ legal in der Ukraine.”

„Relativ legal” – was soll bedeuten? Nimmt die Polizei mein Auto mit und lässt mich laufen? Oder nimmt sie mich mit und lässt das Auto fahren? Oder muss ich vielleicht nur die Räder abschrauben?
„Relativ legal ist gar nicht schlecht”, hat Oleg gesagt.

Morgen erste Blogsitzung

Ich frage mich, warum alles so kompliziert geworden ist. Oleg lässt mein Odessa-Blog inzwischen von Spionen beobachten, die bei Google arbeiten, ich wollte das gar nicht. Ich glaube, Oleg übertreibt es langsam, er steigert sich da in etwas hinein. Vor Wochen wusste er noch nicht, dass es das Internet überhaupt gibt, jetzt liest er diese Analysen, mischt sich ein und kennt alle Alpha-Blogger in Deutschland und der Ukraine samt Lebenslauf. Er hat auch noch angefangen, Helmut Markwort zu bewundern, ich weiß nicht, ob sich das noch stoppen lässt.

Morgen haben wir unsere erste Blogsitzung. Oleg will mit mir besprechen, was in der nächsten Woche veröffentlicht wird, er meint, wir müssten Themen setzen, er erwartet Vorschläge von mir. „Du reagierst zu viel, du musst mehr agieren”, hat er gesagt. Als ich guckte wie eine Kuh mit Darmwind, rief er: „Faktü, Faktü, Faktü – und immer an die Leser denken!”

In jeder freien Minute sichtet Oleg, was seine Spione aus meinem Odessa-Blog zusammentragen. Sie berichten angeblich, dass die Absprungrate zu hoch ist und ich viele neue Besucher gleich wieder in den ersten zehn Sekunden verliere. Vorerst will Oleg noch auf ein Relaunch der Seite verzichten, das könne man immer noch tun, hat er gesagt, er glaubt, Bilder würden auch schon einen gewissen Effekt erzielen und mich retten.

Zwischen Wowereit und den Pet Shop Boys

„Und wo wir gerade bei der Fehlersuche sind”, sagte er. „Den asiatischen Markt hast du bisher auch nicht erobert – nur ein Leser aus Taiwan, das ist eindeutig zu wenig.”
„Ich kenne keinen Taiwanesen”, sagte ich.
„Das ist egal, Kolumnist, in Asien liegt die Zukunft. China und Indien sind bald Weltmächte. Wenn nur einer von hundert Chinesen oder Indern dein Blog liest, können dich die Alpha-Blogger mal gern haben.”
Oleg will außerdem, dass das Blog mehr Romantik und Zärtlichkeit bekommt wegen der Frauen, denn Frauen, auch das haben die Spione offenbar herausgefunden, stünden bislang kaum auf mich, also eigentlich überhaupt nicht, die spürten nichts bei mir, null. Was das Scharfmachen von Frauen betrifft, liege ich zwischen Klaus Wowereit und den Pet Shop Boys.

Es gibt Dinge, da bin ich empfindlich, sehr empfindlich.
„Was soll das heißen?”, schrie ich.

„Ganz ruhig, Kolumnist, du bist nur kein Frauentyp”, sagte Oleg. „Du bloggst zu männlich.”
„Ich bin ein Mann.”
„Schreib einfach mal eine Kerzenscheinkolumne.”

Ich habe schon zugestimmt, dass demnächst eine Sushi-Kolumne von mir erscheint, um erst mal Japan klarzumachen. Eine Kolumne zu Ehren Buddhas – für Bangladesch, Bhutan, Indien, die Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka, Nord- und Südkorea, Indonesien, die Philippinen, Brunei, Vietnam, Osttimor und Malaysia – ist auch versprochen. Aber eine Kerzenscheinkolumne schreibe ich nicht auch noch.

„Dein Erfolg in der Ukraine ist schon ganz ordentlich. Darauf können wir aufbauen”, sagte Oleg noch und zeigte mir seine Unterlagen: 21 Besuche, 24 Minuten Besuchszeit. Wenn ich nicht aufpasse, ergeht es mir wie den Scorpions, die im Osten Europas erfolgreicher sind als in Deutschland. Ich werde so etwas wie der Klaus Meine der deutschen Blogosphäre.

Schweißausbrüche in der Nacht

Ich weiß nicht, was 21 Ukrainer durchschnittlich 24 Minuten in meinem Blog treiben. Vielleicht sind sie wirklich Leseratten oder suchen den Blick von außen auf ihr Land. Vielleicht müssen sie die Texte auch erst übersetzen und brauchen deshalb etwas länger.

Vielleicht aber stehe ich auch schon unter Feindbeobachtung.

Seit Oleg mich und mein Blog ausspionieren lässt, schlafe ich schlecht. Manchmal wache ich nachts auf, schweißgebadet natürlich. Ich schaue nach, ob die Tür abgeschlossen ist. Auf dem Weg zurück ins Bett frage ich mich jedes Mal: Wer klickt in Taiwan meine Seite an?

Irgendwann schlafe ich wieder ein und träume, dass ich mich von meinem Auto trenne, damit es nicht beschlagnahmt wird. Ich verkaufe es weit unter Wert. Der Käufer und neue Besitzer ist ein gewisser Oleg.

Kolumne: Einmal um den Blog*

ODESSA, UKRAINE Ich bin verdammt froh, dass ich keine schöne Frau sein muss. Schöne Frauen haben es schwer, das weiß ich jetzt. Lange habe ich geglaubt, sie hätten es leicht und müssten kaum etwas tun für ihr Lebensglück, weil alles von allein komme: die Karriere, der Mann, die Kinder, das Reihenhaus am Stadtrand, die außereheliche Affäre mit dem italienischen Kellner Francesco, dann die Scheidung und die Hälfte von allem plus Kinder. Wenn mir schöne Frauen früher erzählten, sie fänden nicht mal einen Begleiter fürs Kino, habe ich gesagt, der Film sei schuld, und in mich hineingelächelt. Ich hatte kein Mitleid, ich wusste ja, dass eine schöne Frau wählerisch ist und Verehrer deshalb verjagt. Mir erging das jedenfalls so.

Seit ich mir dieses Odessa-Blog aufgehalst habe, habe ich Mitleid.

Oleg hat gestern gesagt, meine Kolumnen seien schön, es seien schöne Kolumnen. Und genau deshalb stünden im Blog so wenige Kommentare: wegen der Schönheit meiner Kolumnen.
„Das Wetter ist schuld”, sagte ich.
„Nein, es traut sich niemand ran, Kolumnist”, sagte Oleg.

Ich habe darüber nachgedacht. Ich hatte noch nie mehr als vier Kommentare auf einmal, ich weiß nicht, ob das schlimm ist oder gut, ich überfliege die wenigen, die doch ankommen, auch nur und tippe husch, husch eine Antwort. Ich weiß auch nicht, ob man mich deshalb belächeln muss oder die Heldenpose einnehmen sollte, nur weil man zwölf Klugscheißerhinweise mehr hat als ich. Nur mal angenommen, es würde bei jedem Kommentar das Telefon klingeln: „Hallo, @ 7/spargeltarzan: das war ironie!; @ kolumnist: fand die überschrift irgendwie verwirrend. Heißt es nicht auch: das Blog? Nichts für ungut, Gruß, daumenlutscher.”

Wäre es dann auch noch erstrebenswert, heiß diskutiert zu werden?

Oleg meint, ich müsse die Leser herausfordern und auch ein bisschen ärgern, um die Kommentararmut zu beheben. In jeder Leserschaft gebe es viele Schlaumeier, die alles besser wüssten und das schlecht für sich behalten könnten. Diese Leute, meist Lehrerinnen in den Wechseljahren ohne Autorität im Klassenzimmer, seien meine Zielgruppe. „Du musst etwas behaupten, das leicht zu widerlegen ist”, hat Oleg gesagt. „Du musst etwas weglassen, das für dich ein Detail ist. Es sollte aber wichtig genug sein, um dein ganzes Gedankengerüst zum Einsturz zu bringen. Und du musst etwas falsch schreiben, das anderen die Chance gibt, dich herrlich lächerlich zu machen. Hier brauchst du besonderes Geschick. Wenn du ganz sicher gehen willst, solltest du auch noch unbedingt ausfallend werden.”

Habe ich schon mal erzählt, dass ich mir wünsche, Waldimir Putin würde, nachdem die Russen die Ukraine erobert haben, seinen Freund Gerhard Schröder zum Oberbürgermeister von Odessa machen, damit die Stadt endlich einen Boss hat, der nicht nur an sich denkt oder an die Exfrauen wegen der Unterhaltszahlungen?

Oleg hat auch gelesen, dass ein Blogger, der Kommentare will, etwas offen lassen soll und bloß nicht alles zu Ende denken darf. Ein Blog sei schließlich kein Proseminar.

Ich habe mal bei einer Zeitung gearbeitet, für die ein sehr bekannter Politikjournalist im Ruhestand gelegentlich eine Wochenendkolumne schreibt. So lange ich dort war, war er 67 Jahre alt. Im Blatt wurde er nicht älter. Irgendwann rief einer der Redakteure in die Runde: „Sagt mal, wie lange ist denn der Dings eigentlich schon 67?” Seitdem steht hinter dem Namen und neben dem Foto des Dings: (68). Die Korrektur ist nun auch schon wieder eine Weile her. Es wird Zeit, dass er mal wieder Geburtstag hat.

Ist mit diesem Schluss jetzt irgendwem geholfen?

* für thom*

Kolumne: Oleg in der Sinnkrise

ODESSA, UKRAINE Ich weiß nicht, ob mein Freund Oleg von eher schlichtem Gemüt ist oder nur ein Meister im Verdrängen unangenehmer Gedanken. Er beschäftigt sich jetzt zum ersten Mal im Leben mit dem Tod und ist mittlerweile so weit vorgedrungen, dass er ahnt: Alles ist endlich, und – mutig zu Ende gedacht – man selbst auch. Es wäre übertrieben zu sagen, Oleg würde plötzlich alles in Frage stellen, die Karriere, die Liebe, Besitz, Gott und was sonst noch festen Glauben verlangt, aber seine Gedanken bewegen sich durchaus langsam in Richtung Erkenntnis: Das letzte Hemd hat keine Taschen.

Es ist wegen Natalia. Die beiden Damen, die Oleg noch immer verehren, Gott weiß, warum, können sich wieder beruhigen. Nein, er hat keine neue Freundin, er übernachtet nach wie vor manchmal bei Maria, ich weiß nicht, wie fest es ist. Ich tippe mal, er hat sich noch nicht endgültig festgelegt.
Natalia ist eine Schildkröte, Oleg hat sie vor ein paar Tagen am Strand aus einem Wassereimer mit – vorsichtig geschätzt – 90 anderen gefischt. Der Verkäufer kassierte 80 Griwen, also 11,50 Euro, und sagte zum Abschied: „Sie kann 150 Jahre alt werden. Wenn sie schon nach 20 Jahren stirbt, war sie unglücklich bei Ihnen.”

Deshalb ist Oleg ein bisschen durcheinander, es stürmt viel auf ihn. Natalia – er hat sie so getauft – ist drei Jahre alt, schläft die meiste Zeit und isst fast nichts. Sie bewegt sich noch langsamer als Olegs Gehirn, als es auf dem Weg zum Gedanken an den Tod war. Oleg steht nachts auf und kontrolliert, ob Natalia noch atmet. Egal, was sie tut oder nicht, er macht sich Sorgen. Es liegt bestimmt daran, dass er Natalia zu wenig kennt, er weiß nicht einmal, zu welcher Art sie gehört. Wir haben im Internet gesucht, aber statt eines Namens nur den Warnhinweis gefunden, dass man Schildkröten gar nicht halten darf, wenn sie jünger als acht Jahre und kleiner als acht Zentimeter sind. Ich sage es mal so: Der Besitz der dreijährigen und vier Zentimeter großen Natalia kann in Deutschland härter bestraft werden als Autodiebstahl, Volksverhetzung und Beamtenbeleidigung zusammen, es hängt natürlich vom Richter ab. Ich stelle es nur fest, ich bewerte es nicht.

„Natalia wird mich wahrscheinlich überleben”, sagte Oleg gestern Abend und verkündete, er werde sofort aufhören zu rauchen, er zerbröselte alle Zigaretten, bestellte sich einen Kamillentee und war nicht ansprechbar. Zehn Minuten später rauchte er wieder und war noch deprimierter. „Wahrscheinlich werden sogar meine Kinder früher sterben als Natalia.”
Ich sagte: „Erstens hast du keine Kinder, soweit ich weiß. Zweitens gehört der Tod zum Leben, wer geboren wird, muss auch sterben. Und drittens: Heb die Zigarettenschachtel auf, da passt Natalia gut rein, wenn ihr zwei Süßen tanzen geht.”
Ich wollte ihn trösten oder wenigstens aufheitern. Danach war auch ich deprimiert. Oleg und ich stiegen von Kamillentee und Milchkaffee auf Bier um, eine Stunde später von Bier auf Wein, eine weitere Stunde später von Wein auf Wodka und schließlich von Wodka auf … nein: Nach Wodka kann man auf nichts mehr umsteigen.

Ich habe Odessiten, seit ich hier lebe, immer ein wenig unsensibel eingestuft und sie deshalb auch bisweilen so charakterisiert. Ich hatte gewisse Anhaltspunkte, keine Beweise, aber Indizien, die in meinen Augen diesen Verdacht rechtfertigten. Ein Indiz war: Es gibt nirgends Papiertaschentücher in Vorratspackungen zu kaufen. So was regelt doch der Markt, oder nicht? Ich meine, ein Volk, das nah am Wasser gebaut hat oder wenigstens schwermütig ist und folglich einen gewissen Verbrauch hat, würde danach verlangen. Wenn ich in Odessa 200 Taschentücher für die Familie brauche, kaufe ich 20 Zehnerpäckchen, die in der Wohnung nach und nach verschwinden.

Seit gestern Abend zweifele ich an diesem Indiz und der unterstellten Gefühlskälte von Odessiten.

„Wenn ich sie streichele, zieht sie den Kopf ein”, flüsterte Oleg und trank den letzten Schluck Wodka.
„Wer?”
„Natalia! Wer denn sonst, Kolumnist?”
„Sie hat Migräne”, flüsterte ich.
„Ich will nicht, dass sie nach mir einen anderen hat. Was ist, wenn er sie schlecht behandelt? Ich kann Natalia das Leben eigentlich nur zur Hölle machen, um ihr das zu ersparen. Dabei hab ich sie so lieb”, flüsterte Oleg.
„Ich verstehe deine Gefühle”, flüsterte ich. „Sprich dich aus.”

Ich denke, alles wäre halb so schlimm, wenn Oleg aus dem Wassereimer am Strand ein Schildkrötenmännchen gegriffen hätte, irgendeinen dreijährigen und vier Zentimeter großen Iwan oder Igor. Warum kauft er auch ein Weibchen?

Kolumnist geht fremd

Jetzt wird es ein bisschen selbstreferenziell, es muss aber sein. Ich will niemanden aus meinem Odessa-Blog vertreiben, jeder darf sich hier so lange aufhalten, wie er will. Ich empfehle trotzdem einen Abstecher. Meine neue Kolumne Zukunft in Zeiten der Humorinflation ist heute auf Kolumnen.de erschienen. Ich bin in den Kreis der Autoren aufgenommen worden und werde gelegentlich fremdgehen. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Ja, Oleg ist einverstanden, er wollte das Bildschirmfoto so groß. Ich verspreche, in Zukunft fällt die Werbung in eigener Sache etwas dezenter aus.

Gegendarstellungskolumne: Das sagt Oleg

ODESSA, UKRAINE Guten Tag, ich heiße Oleg, Oleg Sergejewitsch, um genau zu sein, ich bin der Freund des Kolumnisten. Bitte erwarten Sie nicht, dass ich die Verhandlungen über den Wert meiner Zitate ausgiebig kommentiere. Mit der Kolumne “Ich leg Oleg um” ist die Öffentlichkeit ausreichend informiert. Nach wie vor finde ich, dass eine Entschädigung von einer Griwna für jedes Wort, das aus meinem Mund in seinen Text wandert, angemessen ist.

Ich sehe das Ganze gelassen. Ich würde auch nie von einem „Honorarkrieg” sprechen, wie es mein Freund tut, wenn wir verhandeln. Gestern hat er einen Zettel in meinen Briefkasten geworfen, auf dem stand: „Heute Abend wieder Friedensgespräche STOP Honorarkrieg muss beigelegt werden STOP Trifft immer Unschuldige STOP Jeden Tag neue Opfer STOP Blogleser wollen Ende der Gefechte STOP Gruß, der K.”

Ich denke, ich bin klar im Vorteil, ich habe ja schon sein Odessa-Blog erobert. Ein Diktatfrieden zu meinen Gunsten ist wahrscheinlich.

Ich bin kein Erpresser. Aber ich weiß ein paar Dinge, die dem Kolumnisten durchaus schaden dürften, wenn sie publik würden. Ich drohe jetzt mal ein bisschen, noch ganz harmlos, ja? Können Sie sich vorstellen, dass er sich, wenn er eine Kolumne vollendet hat, auf die Schulter klopft? Bitte stellen Sie sich das vor, es stimmt nämlich. Meine alte Mitschülerin Irina arbeitet in dem Café, in dem der Kolumnist jeden Tag sitzt und schreibt. Er klopft sich auf die Schulter, selten dreimal, sehr oft viermal, hin und wieder auch fünfmal. Auf diese Weise verteilt er Sterne, wie Hotels sie verliehen werden, an sich selbst. Irina hat zu mir gesagt: „Also, besonders selbstkritisch ist er wohl nicht, der Mann.”

Sie hat mir auch erzählt, was der Kolumnist tut nach dem Schulterklopfen. Er verlasse das Lokal, als würde er übers Wasser laufen. “Er geht nicht, er stolziert mit seiner fertigen Kolumne hinaus auf die Straße und dreht sich nach allen Seiten um. Kann sein, dass er Angst hat, bestohlen zu werden.”

Ich bin nicht nur der Odessadeuter des Kolumnisten, sondern auch sein Problemlöser. Ob der Strom ausfällt, das Wasser im Bad eiskalt ist oder die Kolumnistenkarre nicht anspringt – Oleg Sergejewitsch hilft. Diese Leistungen berechne ich nie, obwohl er sich bloß noch bei mir meldet, wenn er Sorgen hat – oder eine Kolumne braucht. Ich lebe inzwischen sehr ausschließlich für ihn.

Ich habe mich ein wenig mit der Gattung “Kolumnist” beschäftigt, der es in Deutschland offenbar sehr gut geht. Der eine redet mit seinem Kühlschrank, der andere denkt sich einen erfolglosen jüdischen Schriftsteller aus, und meiner klopft sich eben selbst auf die Schulter. Was soll’s? Die meisten Kolumnisten haben einen Knall, und früher war es nicht besser. Kurt Tucholsky hatte fünf Synonyme und nannte sich unter anderen Theobald Tiger. Theobald Tiger! Muss ich mehr sagen? Die Kolumnistin Ulrike Meinhof ist sogar zur Terroristin geworden, aber die war ja auch nicht witzig.

Als Problemlöser meines Kolumnisten habe ich viel zu tun. Zum Beispiel hat er vor ein paar Wochen schlecht geschlafen und geschnarcht, also lauter geschnarcht als sonst, denn er schnarcht immer, wofür er womöglich gar nichts kann. Vielleicht ist das Schnarchen eine Berufskrankheit unter Kolumnisten. Vielleicht macht das ständige Um-die-Ecke-Denken beim Schreiben als Nebenwirkung die Nasenscheidewände krumm. Vielleicht laufen alle Kolumnisten weltweit mit verkrümmten Nasenscheidewänden herum und grunzen deshalb wie Wildschweine. Die Atemblockade würde auch ihren Frauenverschleiß erklären.

Mein Kolumnist ist ein Anfänger, er schreibt erst seit ein paar Wochen diese Geschichten im Odessa-Blog. Seine Schlafgeräusche stecken gewissermaßen im Anfangsstadium und sind wohl noch erträglich. Vorerst habe ich ihm nur ein neues Bett besorgen müssen, aber ich halte mich bereit, weil er doch verkündet hat, er werde die Schwergewichte dieser Disziplin herausfordern und eines Tages schlagen. Für sein Schnarchen wäre das freilich verheerend. Natürlich würde ich ihm dann schwerhörige Frauen zuführen. Ich bin doch sein Freund.

Mit freundlichen Grüßen
Oleg Sergejewitsch
Odessa, 22. August 2008

PS: Ich denke, der Kolumnist und ich werden uns in den nächsten Tagen einigen.

Aus dem Russischen von cw

Kolumne: Ich leg Oleg um

ODESSA, UKRAINE Hasst eigentlich irgendjemand meinen Freund Oleg? Mir haben Frauen geschrieben, sie wollten ihn unbedingt und so schnell wie möglich kennen lernen. „Oleg ist so süß”, schrieb eine Dame, es stand sogar in der Betreffzeile ihrer Mail. Eine andere teilte mit: „Kolumne gut, Oleg heiß. Aua, schon wieder verbrannt!” Ich hätte es Oleg nicht erzählen dürfen, das ist für jeden Mann zu viel, ich habe es aber getan. Mir ist das nach dem zweiten Caipirinha einfach so rausgerutscht, obwohl ich nicht betrunken war. Mich ruiniert in Odessa die Sprite, die in vielen Bars statt Wasser auf die Limetten und das Eis gegossen wird. Ich habe Sprite noch nie vertragen.

Es war leichtsinnig von mir. Ich habe auch übertrieben, ich bin Journalist, mein Gott, ich wollte nur Meinungsmacht demonstrieren, ich habe sogar ein bisschen geschrien oder jedenfalls ziemlich laut gesprochen. Es waren genau zwei Frauen, die mir ausschließlich wegen Oleg geschrieben haben, und von der einen weiß ich ganz sicher, dass sie in festen Händen ist. Die andere ist auch immer in Händen, allerdings in nicht so festen, sie wechseln sehr oft.

Als ich merkte, dass Oleg das nicht verkraftet, habe ich versucht, das Thema zu wechseln. Ich erzählte, ich hätte zuletzt in einer Stadt gearbeitet, in der ein Oberbürgermeisterkandidat gerade dummes Zeug über Homosexuelle gesagt habe. Der Mann hat Schwule sehr direkt mit Aids in Verbindung gebracht und diesen Spruch mit der Seife gemacht, vielleicht hat er die Bundeswehr nicht verkraftet, ich kenne ihn nicht persönlich. Danach wollte er sich entschuldigen und machte alles noch schlimmer, indem er berichtete, er habe doch Freddie Mercury auch geliebt und schätze die Meinung vieler Männer, die schwul seien. Er kramte alles raus, was Herr Spießbürger für tuntig hält und meidet. Er schmiss sich richtig ran und strich den schönsten Satz später aus seiner Entschuldigung: “Am Samstag war ich mit einem Freund nackig im See schwimmen.”

Doch Oleg hatte nicht einmal zugehört. Er war noch ganz bei den Frauen. Jetzt besteht er darauf, dass er in mindestens jeder zweiten Kolumne auftritt, die ich veröffentliche. Ich soll es ihm schriftlich geben. Er will auch ein Zitathonorar, er verlangt eine Griwna pro Wort, das nachweislich er spricht.

Gestern Nacht habe ich geträumt, ich sei im Fernsehen. Die Moderatorin begrüßte mich und sagte: „Wenn ich Ihnen vor einem Jahr gesagt hätte, Sie wären heute der erfolgreichste Kolumnist Deutschlands und der Blogger – ich übersetze das mal mit journalistisch angehauchter Schreiber im Internet – , der Blogger mit den meisten Page-Impressions, also sehr vielen Lesern, was hätten Sie mir geantwortet?”
„Zunächst hätte ich Ihnen erklärt, dass dieser Satz für eine Einstiegsfrage kurz vor Mitternacht zu lang sein könnte”, sagte mein Traum-Ich. „Danach hätte ich geantwortet: Jetzt sind wir schon zwei, die das glauben.” Niemand lachte.

Die restlichen zehn Minuten gehörten Oleg. Die Moderatorin erzählte, die Redakteure hätten alles versucht, „diesen Liebling so vieler deutscher Frauen” einzuladen. An dieser Stelle gab es Beifall. Doch Oleg habe abgelehnt und gesagt: „Bei Ihrer Gesprächsrunde handelt es sich um eine Sendung im dritten Programm. Die kann der Kolumnist schön alleine machen. Zu Wetten, dass…? würde ich gehen, aber auch nur, wenn Jennifer Lopez käme.” Die Leute fanden das nicht arrogant, sondern witzig. Ich wollte das Thema wechseln und versuchte mich an den Oberbürgermeisterkandidaten zu erinnern, der vor einem Jahr irgendetwas Gemeines über Homosexuelle… Doch die Moderatorin fragte weiter nach Oleg. Oleg war nicht mehr mein Freund, ich war der Freund von Oleg.

Vor ein paar Minuten habe ich Oleg erklärt, ich könne ihm nicht eine Griwna pro Wort zahlen, das sei nicht refinanzierbar für mich, ich müsste meine Kosten auf die Leser umlegen. Und ich weiß, dass ein solches Verfahren immer Ärger macht, ich habe früher als Reporter in der Provinz oft darüber berichtet. Die Stadt baut einen neuen Bürgersteig und legt um auf die Hausbesitzer, und die wiederum legen um auf die Mieter. Alles wird in Deutschland umgelegt: Abwasserleitungen, Klärwerke, sogar Trauerhallen.

Oleg sagte nur, ehe er die Verhandlungen abbrach: „Leg um, wen du willst. Du bist nichts ohne mich. Das ist die Wahrheit.”

Seine letzten vierzehn Wörter würden mich 14 Griwen kosten, das sind zwei Euro. Wenn Oleg nicht noch ein günstigeres Angebot unterbreitet, schmeiße ich ihn raus.

Kolumne: Adolf Hitler und meine Spiegel-Affäre

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg ist ein angenehmer Beifahrer. Man darf bei ihm praktisch alles. Oleg hat die Gabe, augenblicklich zu erblinden vor Einbahnstraßen, Stoppschildern und roten Ampeln. Meinen Atem, der beschleunigt, wenn ich am Steuer nicht ganz legal handele, hört er dafür umso schärfer. „War irgendwas, Kolumnist?”, fragt er dann. „So lange ich nichts sage, ist alles in Ordnung.” Die ersten vier Wochen bin ich nur mit Oleg Auto gefahren. Es gab für mich im Grunde keine Verbote, abgesehen von: „Lass die Lücke nicht so groß werden! Sonst springt einer rein.” Man kann sagen: Oleg hat mich als Verkehrsteilnehmer in Odessa versaut. Ich bin von ihm ukrainisiert worden.

Seit sechs Tagen fahre ich allein. Gestern habe ich zum ersten Mal gehupt, obwohl nur jemand Rücksicht nahm auf andere. Ich selbst werde kaum mehr bedrängt, was als Mensch nicht unbedingt für mich spricht, als Fahrer allerdings schon. Dass ich Gebote noch halbwegs beachte und mich kontrolliert offensiv fortbewege, liegt daran, dass vor zwei Wochen ein Nachbar den linken Autospiegel abgetreten hatte. „Ihr Nazis habt meinen Opa umgebracht”, schrie er, was juristisch bestimmt nicht ganz sauber formuliert ist, historisch-moralisch aber irgendwie hinkommt. Andererseits ist mir am nächsten Tag, während ich in einer Verhörzelle des Polizeireviers den Mann anzeigte, eingefallen, dass es das Wort „Vergangenheitsbewältigung” nur in der deutschen Sprache gibt. Im Gang schnarchten zwei Blutverschmierte ihren Rausch aus. Ich dachte an Adolf Hitler und sah braune Flecken auf meinem Hemd.

Ein paar Tage nach unserer Anzeige, an deren Nutzen wir bereits gezweifelt hatten, weil nichts geschah, bestellte uns ein Polizist zu sich. Nein, er bat um einen Besuch und erklärte sich bereit, zu uns zu kommen, als wir den Termin verschieben wollten. Zehn Minuten später saß er mit einem Kollegen an unserem Küchentisch. Noch einmal zehn Minuten später hatten wir vom Täter das Geld für die Reparatur erhalten und im Gegenzug die Anzeige zurückgenommen.

Es ist nur ein Verdacht, ich kann es nicht beweisen, aber ich bin ziemlich sicher, dass der Nachbar den Polizisten eine Aufwandsentschädigung gezahlt hat und deshalb noch vor ihrem Feierabend dieses Problem mit den Deutschen in den Papierkorb gelangen musste. Nur so kann ich mir den plötzlichen Eifer erklären. In der Ukraine ist nichts umsonst.

Ich habe im Skoda-Autohaus einen neuen Spiegel bestellt, er wird direkt vom großen Werk in Bratislava nach Odessa geliefert – ich glaube: von einem Fahrradkurier, der einen schönen Gepäckträger hat, vielleicht sogar einen Korb, aber nicht viele Gänge. Es dauert jedenfalls. Ich hatte gedacht, es könnte ein Problem sein, ohne den Spiegel zu fahren. Dann kam Oleg, der staatlich ungeprüfte Schadensgutachter. „Fährt die Kolumnistenkarre nicht ohne das Ding?”, hat er gefragt. „Na siehste! Mein Bruder braucht die Spiegel nur, wenn ihm eine Frau auf dem Fußweg zu sehr gefällt. Aber du bist ja verheiratet. Los, fahren wir ans Meer.”

Einführungskolumne: Oleg, mein Blog und ich

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hält nichts von der Theorie, dass der Jedermann-Journalismus als Produkt der digitalen Beschleunigung und Vereinfachung aller Technik zum Sterben der Zeitungskultur führen wird. Er drückt das natürlich eleganter aus. “Ein Blog ist Quatsch”, sagt er. “Und ein Odessa-Blog ist ganz großer Quatsch.” Wenn ich als Journalist Angst vor Zukunft hätte, solle ich lernen, perfekt Russisch und Ukrainisch zu sprechen. “Wo sterben bei uns Zeitungen? An jeder Ecke steht ein Kiosk. In Odessa kannst du hundert Jahre alt werden ohne einen Blog. Wahrscheinlich kannst du sogar wiedergeboren werden als Kolumnist und kriegst sofort eine Festanstellung.”

Oleg kann nicht verstehen, dass die Leute bald ihre Nachrichten komplett aus dem Computer holen statt aus dem Briefkasten an der Haustür. Er will es nicht verstehen! Er sagt, er lese ausschließlich in der Zeitung, was passiert sei, obschon er so am Frühstückstisch auf dem Stand vom vorigen Abendbrot sei. Aber wenn er morgens neben Maria aufwache, wolle er auch nicht gleich erfahren, was sie in der Nacht geträumt habe. Er habe genug damit zu tun, dass sie noch einmal vom Vortag erzähle und er dieses Geplapper verdauen müsse.

Irgendwann sagt Oleg, er frage sich die ganze Zeit, worüber ich schreiben wolle in meinem Blog. Er wisse nicht, was es zu berichten gebe aus meinem Leben in Odessa. “Oder willst du von dem Mann am Imbissstand deines Vertrauens erzählen, der sich immer einen Handschuh anzieht, bevor er dein Geld nimmt, den Hotdog selbst aber mit seinen schwitzigen Fingern zubereitet?”

Ich habe Oleg erzählt, dass zwischen einem Blogger und seinem Leser ein besonders enges Verhältnis besteht, ein viel engeres als zwischen einem Redakteur der FAZ und einem Hochschulprofessor. Bei denen herrscht eine Eiszeit wie bei Eheleuten, die sich nichts mehr zu sagen haben, wobei Paare wenigstens noch aneinander vorbeireden oder in einem Augenblick von Schwäche und Vergesslichkeit übereinander herfallen. Zwischen Professor und Redakteur läuft gar nix: allenfalls mal ein Leserbrief, der nicht gelesen wird. So habe ich jedenfalls das Dilemma des traditionellen Journalismus verstanden. Ein Blogger dagegen wisse, dass er angequatscht, kritisiert und korrigiert werde, er dürfe sich nicht verschanzen.

Oleg zog die Augenbrauen hoch. “Na, ich hoffe, du bist auch ehrlich und erzählst im Netz die Wahrheit. Du musst deinen Lesern sagen, wenn du ihre Kommentare mit fettigen Haaren und ungeputzten Zähnen beantwortest, weil das Wasser mal wieder abgestellt ist und du mal wieder vergessen hast, Reserven anzulegen. Aber wahrscheinlich kommentiert sowieso nur Mutti: Schöne Kolumne, mein kleiner, großer Junge, Mama ist ganz stolz auf Dich. Zieh Dich warm an, wenn Du rausgehst.

Oleg hat kein Handy und kein Internet. Er bekommt Briefe statt Mails. Er hat nie gefaxt oder gechattet. Er fotografiert nicht digital. Ich lebe erst ein paar Wochen in Odessa und habe gerade begonnen, Oleg kennen zu lernen. In diesem Augenblick aber macht er auf mich nicht den Eindruck, als sei er ein unglücklicher Odessit. “Wenn du mich in deinen Kolumnen auftreten lässt, sorg bitte dafür, dass die Leute wissen, wie ich heiße”, sagt Oleg. “Die Deutschen machen das immer falsch. Mein Name wird A-leck ausgesprochen. Ich heiße nicht Oh-legg. Versprich es mir.”
Ich verspreche es.
“Und noch etwas: Ich möchte richtig zitiert werden, sonst schicke ich dir meinen Anwalt.”