Schlagworte: Ukraine

Kolumne: Tuning für den Brillennazi

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hat mir gestern ein Geschenk vorbeigebracht. Er war ziemlich aufgeregt. Er hatte dreimal vorher angerufen und gefragt, wann ich nach Hause käme.
„Tut mir leid wegen der Brille. Das nächste Mal bin ich dein Blindenhund“, sagte er und reichte mir einen Bettbezug. „Pack schnell aus, ich habe auch eine Bohrmaschine mit, wir können gleich anschrauben, ist ja noch hell draußen.”
Ich griff in den Bettbezug und fand ein braunes Blech, nicht breit, aber lang. „Was ist das?”, fragte ich.
Tuning“, sagte Oleg.
„Wie bitte?”
„Tuning.”
„Ja, schon klar, aber was ist der Sinn?”
„Tuning.”
„Oleg, Tuning, ja, aber: wofür, warum, wieso, weshalb, wozu?
„Tuning. Außerdem friert damit die Kolumnistenkarre im Winter nicht so”, sagte Oleg. „Jetzt freu dich doch endlich.”

Ein paar Tage vorher hatten wir uns gestritten. Allmählich wird es ernster, ich schätze, wir brauchen ein bisschen mehr Abstand voneinander oder ein bisschen mehr Nähe zueinander, vielleicht werden wir wieder Freunde, vielleicht waren wir niemals Freunde, es kann sogar sein, dass wir nur noch wegen der Leser zusammen sind. Ja, wir haben uns auseinandergelebt, aber das Blog wird nicht darunter leiden, das haben wir uns versprochen.

Ich brauchte eine neue Brille, weil die alte heruntergefallen und zerbrochen war. Ich besuchte den deutschen Optiker M. in Odessa. Wenn es um meine Brille geht, bin ich Patriot. Man könnte auch sagen, ich bin ein Brillennazi. Ich lebe zwar schon ein halbes Jahr in Odessa, vertraue aber noch immer nicht ukrainischem Handwerk. Das liegt auch an Ardo FLS 105 S, meiner Waschmaschine. Ich habe sie in Odessa gekauft, sie stammt aber aus Italien. Dass sie aus Italien stammt, verrät der riesige Aufkleber neben dem Bullauge. Ich frage mal ganz naiv: Wie schlimm müssen ukrainische Waschmaschinen sein, wenn ukrainische Waschmaschinenverkäufer italienische Waschmaschinen als Spitzenprodukte anpreisen? Denkt der Ukrainer bei Italien an Fußball, Mafia, Spaghetti, Mailänder Scala, Dolce&Gabbana und Waschmaschinen?

Die Persönlichkeitsstörung des Kindergartencowboys

Beim Optiker M. hing eine deutsche Fahne. Der Chef wusste, was ich wollte, er schwieg die meiste Zeit, nickte gelegentlich unauffällig und ersparte mir die Fassungen für Männer, die Intellektuellengesichtsschmuck suchen. Mir muss niemand erzählen, eine Brille könne die Persönlichkeit hervorheben. Ich hatte früher ein Nasenfahrrad als einen Roller. Beim Fasching im Kindergarten war ich der einzige Cowboy mit zwei Halftern, einen für die Pistole, den anderen für die Brille. Wenn es zum Duell kam, zog ich erst links, um den Halunken überhaupt zu sehen, und dann rechts. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal jemand erledigt hätte. Wer so aufwächst, entwickelt genug Persönlichkeit.

Als ich meine Brille am Sonnabendmorgen vom deutschen Optiker M. abholen wollte, war es drinnen stockfinster. Ich erkannte mit Mühe drei Gestalten, die regungslos in der Mitte des Raums standen. Der Chef erzählte, er habe die Gläser nicht schneiden und einsetzen können, weil es in der ganzen Straße keinen Strom gebe. Seine zwei Helferinnen zeigten mir ihre leeren Hände. Vor den anderen Geschäften, vor den Cafés und Restaurants brummten Generatoren und sorgten für Strom. Die Werbeschilder leuchteten, die Musik dröhnte. Mein Optiker hatte ein Batterie betriebenes Leselämpchen, das einen schmalen Streifen blauen Lichts spendete, vielleicht war es auch nur das Solarium für einen aus Afrika eingeschleusten Brillenwürger (wissenschaftlicher Name: Prionopidae). Acht Stunden später, kurz vor Ladenschluss, schaute ich noch einmal vorbei. Die drei Gestalten standen noch genauso da wie am Morgen. Nur das Glühlämpchen war jetzt tot.

Oleg macht Hündchen

Ich rief Oleg an und bat ihn, mich abzuholen, ich war verzweifelt und wütend, ich wollte mich beklagen, ein bisschen spazieren und dann irgendwo etwas essen. Ich brauchte Trost oder wenigstens Mitleid. Oleg kam erst nach einer Stunde. Er stieg aus dem Bus, brach von einer Akazie einen dicken, langen Zweig ab, reichte ihn mir, bellte ein paar Mal und schnupperte an meinem Hosenbein. Dann lachte er mich aus.

„Warum gehst du auch zu einem deutschen Optiker?”
„Deutsche Optiker sind zuverlässig.”
„Aber doch nicht in Odessa, Mensch”, schrie Oleg. „Denk doch mal nach. Hier fällt oft der Strom aus. Wenn ich eine witzige Kolumne brauche, aber der Bürgermeister gerade eine einwöchige Humorausbruchssperre verhängt hat, frage ich doch auch nicht einen deutschen Kolumnisten. Der hält sich doch daran.”
„Was willst du mir sagen, Oleg?”
„Ich mach es kurz, Kolumnist: selber Schuld, kein Mitleid.”
“Du bist ein echter Freund.”
“Weißt du, wie oft ich früher Hausaufgaben im Kerzenschein gemacht habe?”, fragte Oleg. “Es gab in Odessa Zeiten, da musste ich mit einem Feuerzeug in der Hand Bruchrechnung üben. Und trotzdem bin ich klüger als du – und schöner ja sowieso.”

Draußen war es kalt. Wir übertönten mit unserem Streit die Generatoren. Unsere Atemwolken boxten in der Dunkelheit miteinander. Oleg und ich schnauften wie zwei sibirische Schlittenhunde, die schon den dritten Tag Altkanzler Helmut Kohl und die ukrainische Schauspielerin Ruslana Pisanka durch die Arktis ziehen. Wir wollten uns prügeln. Ich verzichtete auf einen Faustkampf, weil ich mich rechtzeitig an meine Zeit als Kindergartencowboy erinnert hatte.

Verliebt in die Prinzessin der Küche

Am Abend vergaß ich in der Kneipe einen schönen Pullover, nachdem ich ohne Brille zu tief ins Glas geschaut hatte. Am Sonntagmorgen kaufte ich auf dem Priwos-Markt die Prinzessin der Küche, einen Gemüse- und Obstschneider vom Allerfeinsten. Sie kann einer Gurke eine Krone aufsetzen und eine Mandarine schälen, wie noch nie eine Mandarine geschält worden ist. Das hatte der Verkäufer jedenfalls erzählt.

Danach kaufte ich noch Casino Royale. Die DVD lag auf einem Stapel zwischen Jeanshosen und Datteln. Ich wollte sie Oleg schenken, der James Bond liebt. Oleg aber schaute die Hülle an und sagte: „Das ist Ein Quantum Trost. Falls du es vergessen hast, wir waren am 6. November zusammen im Kino. Ich hatte Karten für die Premiere besorgt.” Am Sonntagnachmittag wäre ich dann noch fast überfahren worden. Ich ging um halb acht schlafen, nachdem ich mit der Prinzessin der Küche eine Gurke massakriert hatte. Meine Brille war am Montagmorgen fertig.

Oleg streichelte die Bohrmaschine. „Es wird gleich dunkel”, sagte er. “Was ist jetzt? Schrauben wir schnell das Blech auf die Motorhaube? Drei Löcher reichen.”
„Nur wenn du mir die Prinzessin der Küche abkaufst.”
Oleg starrte den Karton an, studierte die Farben und die Aufschrift, überlegte lange und fragte dann: “Späte achtziger oder frühe neunziger Jahre, was meinst du?”
“Die Prinzessin ist eine Weltneuheit. Du findest sie noch nicht einmal im Internet.”
“Also späte Achtziger”, sagte Oleg. “Ich nehme dein Geschenk zurück. Du bist sowieso kein Tuningtyp. Guck dir doch deine neue Spießerbrille an.”

Nachtrag: Das kann kein Zufall sein. Im Wochenendmagazin der Süddeutschen Zeitung steht heute ein Interview mit Woody Allen. Eine Antwort: “Wegen der hier (er fasst sich an die Brille) halten mich die Leute für einen Intellektuellen.”

Nachtrag 2: Christian Zaschke schreibt in “Hängende Spitze”, der Montagsfußballglosse der Süddeutschen Zeitung: “Die Würger gehören zur Ordnung der Sperlingsvögel, bisweilen werden weitere Familien einbezogen; zu nennen wären Buschwürger (Malaconotidae), Brillenwürger (Prionopidae), Schnäpperwürger (Platysteiridae), Vangawürger (Vangidae) und natürlich die Warzenköpfe (Pityriasidae).”

Der Text ist leider bislang nicht online.

Ein Sonnabend in Odessa

ODESSA, UKRAINE Ich würde gern wieder etwas schreiben, leider ist das unmöglich. Meine Brille ist kaputt, ich sehe so gut wie nichts. Nachher diktiere ich meiner Sekretärin die entsprechende Kolumne. Schauen Sie sich doch bitte so lange die Fotografien an, die heute Morgen beim Spaziergang durch Odessa entstanden sind. Oder lesen Sie, um sich vorzubereiten auf die zweite Brillenkolumne, abermals die erste Brillenkolumne vom 4. September: Meine Brille gehört mir. Ich taste mich jetzt zum Optiker.

Park vor dem Bahnhof
Park vor Odessas Bahnhof
Bahnhof
Odessas Bahnhof
Zwischen den Zügen

Blick aus dem Wartesaal
Blick aus dem Wartesaal auf die Gleise
Gemüsehändler auf dem Markt Privos
Gemüsehändler auf dem Markt Priwos

Blick auf den Priwos
Blick auf den Priwos

Hinter dem Priwos

Wie heißt d@ auf Russisch?

Da Sie von der schweren Kost der vergangenen Tage so tüchtig genascht haben, belohne ich Sie jetzt mit einem Gewinnspiel. Wie heißt das @-Zeichen auf Russisch? Ausgeschlossen sind der Rechtsweg und Verwandte des Blogbetreibers. Bei mehreren richtigen Antworten entscheide ich, wer gewinnt. Vielleicht lose ich, mal sehen. Der Gewinner bekommt jedenfalls eine Kaffeetasse mit den Wahrzeichen der Stadt Odessa und darf wählen, ob sie benutzt oder unbenutzt sein soll; es gibt ja auch Bloggergroupies.

Schicken Sie Ihre Antwort an christoph [punkt] wesemann [klammeraffe] gmail [punkt] com.

[Ich entschuldige mich für das Wortspiel in der Überschrift. Wenn mal einmal anfängt, kann man nicht mehr aufhören. Das ist eine K@tenreaktion.]

Nachtrag, 21 Uhr: Ein junger Mann aus Berlin hat mir soeben, 15 Minuten nach Veröffentlichung, das richtige Lösungswort geschickt. Ich habe ihm schon eine Kaffeetasse versprochen – aber das bleibt eine Ausnahme. Ich bin ja kein Oligarch.

Nachtrag, 24. November: Was halten Sie davon, wenn wir die Spielregeln ein bisschen ergänzen? In die Verlosung schaffen es nun auch die amüsantesten @-Wortspiele. Axel und ich starten außer Konkurrenz. Bringen Sie mir Ihre Sch@ze. Schw@zen Sie den Kommentarbereich voll. Denken Sie nur mal an den deutschen Abwehrspieler, der bei Real Madrid so oft auf der Bank sitzt, oder an das Oberhaupt der Familie Feuerstein.

Kolumne: Oleg und der Vize-Zar des DFB

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg redet nicht mehr mit mir. Ich habe gestern Abend zwar eine SMS bekommen – aber die stammt von Maria, seiner Freundin, Sprecherin oder Rechtsberaterin, ich kenne die offizielle Funktion dieser Dame nicht. Maria studiert Jura, glaube ich. Sie schreibt:

Oleg besteht auf eine Entschuldigung, weil Du ihn grundlos diffamiert hast. Er hat das Wort im Wörterbuch nachgeschlagen. Unterlass das! Sobald Du Dich entschuldigt hast, wird Oleg wieder mit Dir reden. Er bietet Dir eine Kolumne an, in der Du Dich kritisch mit ihm auseinander setzen kannst. Oleg wird alle Deine Fragen beantworten. Auch Olegs Mama “missbilligt die Diffamierung meines Sohnes”.

Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich habe Oleg nicht diffamiert. Ich stehe zu meiner Aussage. Ich hatte meine Gründe.

Oleg und ich hatten uns am Mittwochabend in der Kneipe verabredet, um das Spiel Deutschland gegen England zu gucken. Es fing schon nicht gut an. Oleg sang die deutsche Hymne nahezu fehlerfrei mit, er stand dabei eichenhaft fest und hielt die Augen geschlossen. Ich war sitzen geblieben und schwieg, ich gestehe: Ich kann den Text nicht auswendig und habe auch keinen Ehrgeiz, daran etwas zu ändern. Ich freue mich, wenn ich Fußball im Fernsehen schaue, sogar über eine Niederlage der deutschen Mannschaft, weil sich dann der Kommentator so schön ärgert und die Reporter den Spielern nach dem Abpfiff gemeine Fragen stellen müssen, was sie eher ungern tun. Ich erwarte nicht, dass jemand mein Verhalten versteht.

Das Spiel war so langweilig, dass selbst Oleg nicht mehr auf und ab ging in der Mix-Zone, sondern wieder auf dem Barhocker saß. Er bestellte sich zwei Wodka auf einmal, telefonierte ein bisschen, blätterte in der Zeitung und nickte sogar kurz weg. Er erwachte in der Halbzeitpause und fragte müde: „Wer ist dieser Jens Weinreich?”
Ein Journalist, ein sehr gescheiter”, sagte ich.
„Und wer ist Doktor Theo Zwanziger?”
„Ein Präsident, ein sehr eitler.”

Oleg schaute irritiert. Offenbar hatte er die Nachricht Unangenehmes Theodorant und den Kommentar Laaser-faire-Politik gescheitert in meinem Blog ein bisschen zu sehr quer gelesen. Ich erzählte Oleg, dass der Deutsche Fußballbund mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern der größte Sportverband der Welt sei, erhob das Glas auf Zwanzigers Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder und beschloss, meinem Freund, der noch immer kaum etwas begriffen hatte, in den nächsten Tagen ein Organigramm der Bundesrepublik Deutschland anzufertigen: Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesfußballpräsident Theo Zwanziger, Bundessportpräsident Thomas Bach, Bundesjournalismuspräsident Oliver Kahn, Bundeskolumnenpräsident Franz Josef Wagner, na ja, und so weiter.

„Aber den deutschen Fußball regiert doch Zar Franz“, sagte Oleg.
„Kaiser Franz.”
„Was?”
„Kaiser, Oleg, nicht Zar.”
„Und was ist Theo dann, wenn der Zar des deutschen Fußballs schon Franz ist?”
„Zwanziger ist der Präsident, Oleg. Übrigens: Kaiser.”
„Versteh ich nicht.”
„Was verstehst du nicht?”
„Dann ist Theo der Stellvertreter von Franz, oder wie?”
„Ja, Oleg, so kann man das sehen. Die Bild-Zeitung sieht das bestimmt so.”
„Und was hat nun dieser Sportjournalist über den Stellvertreter von Zar Franz im Blog Direkter Freistoß Böses geschrieben?”
„Unglaublicher Demagoge.”
„Uiiiih”, sagte Oleg.

Ich bin mit Oleg schon ein paar Mal in Odessa zum Fußball gewesen. Oleg ist ein treuer Anhänger des FC Chernomorets Odessa und besucht jedes Spiel. Ziemlich oft begleitet er die Mannschaft auch nach Charkow, Lemberg, Kiew oder sonstwohin. Verliert Chernomorets, ist er tagelang schwermütig. In dieser Saison habe ich ihn noch nicht sehr oft unschwermütig erlebt. Chernomorets ist nur Tabellenzehnter der ukrainischen Liga.

Wenn der Stadionsprecher Odessas Aufstellung vorliest, spricht Oleg die Namen der Spieler samt Rückennummern mit. Wenn der Stadionsprecher danach den Namen des Trainers vorliest, springt er auf und klatscht. Wenn der Stadionsprecher zuletzt den Namen des Vereinspräsidenten vorliest, schreit er: „Mоooo-лоoooo-дец*.” All das wiederholt sich im Laufe eines Spiels drei- bis viermal. Da die Gastmannschaft genauso oft und genauso ausführlich über die Lautsprecher vorgestellt wird, kenne ich mittlerweile sehr viele Vereinspräsidenten und bin ein ausgewiesener Oligarchenexperte.

„Den muss man einsperren”, sagte Oleg und trank einen Schluck Wodka.
„Oleg, wenn wir jeden Demagogen in den Knast stecken würden, wäre Deutschland … warum eigentlich nicht?”
„Ich meine nicht den Stellvertreter von Franz, sondern diesen Sportjournalisten.”
„Spinnst du?”
„Der muss mindestens ein Berufsverbot kriegen.”
„Wegen Vize-Zaren-Lästerung?”

Ich schaute auf den Fernseher und dachte daran, dass ich am Freitag Studenten der Nationalen Polytechnischen Universität Odessa einen Vortrag halten würde über den Journalismus in Deutschland, über Presse- und Meinungsfreiheit, über Wahrhaftigkeit und Distanz. Es lief die 84. Minute des Länderspiels. Es kam dieser direkte Freistoß, vielleicht war es auch indirekter, eine Ecke oder Flanke, was weiß ich, ich schaute gelangweilt auf den Fernseher, sah, wie John Terry das 2:1 für England köpfte, erinnerte mich an die vergangenen 90 Minuten mit Oleg und sagte: „Du bist ein unerträglicher Olegarch.”

*Prachtkerl

Nachtrag, 20.30 Uhr: Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass sich wenigstens einer der Grauen Exzellenzen vom DFB verabschiedet, damit das ganze Drama nicht noch peinlicher wird. Mir fällt nur gerade nicht ein, wer aussichtsreichster Kandidat ist. Sowohl Theo Zwanziger als auch sein Vize Rainer Koch, beide promoviert übrigens, haben heute einen Fuß vor die Ausgangstür gesetzt. Hätte ich einen Doktortitel, würde ich den jetzt zurückgeben. Wenn ich das richtig verstanden habe, können die beim DFB nicht mal mit Word umgehen. Und der eine weiß nicht, was der andere sagt. Unfassbar!

Nachlesen kann man das bei Herrn Niggemeier und auf sueddeutsche.de.

Kolumne: Gasperletheater

ODESSA, UKRAINE Dies könnte meine letzte Kolumne sein. Ich kann nichts versprechen, aber es sieht ein bisschen so aus, als würde ich mich bald verabschieden. Dabei habe ich viele Ideen, ich plane zum Beispiel eine Orgasmuskolumne, um den Mangel an Leserinnen in diesem Blog zu beheben. Leider hat die Familie das Stück bislang nicht zur Veröffentlichung freigegeben, ich werde ein paar Stellen, die ich für Höhepunkte meines Schaffens halte, streichen – falls es dazu überhaupt noch kommt.

An der schweren Stahltür hängt seit gestern ein Schreiben von Odessas Gasgesellschaft. Unser Haus hat Schulden in Höhe von 1400 Griwen, also weniger als 200 Euro. Ich finde, bei einem solchen Betrag muss man nicht gleich drohen, schon morgen könne das Gas abgestellt werden. Ich gerate doch so leicht in Panik. In der Wohnung stehen drei Eimer mit Wasser für den Fall einer Dürre, ich besitze 104 Kerzen und 33 Streichholzschachteln, aber ich werde cool bleiben können, wenn die Sonne zwei Wochen am Stück nicht aufgeht, ich besitze auch so viele Spritzen, Mullbinden, Pflaster, Kompressen, Plastikhandschuhe und Vitamintabletten, dass ich halb Odessa Erste Hilfe leisten könnte, ich übe zweimal in der Woche, dienstags und freitags, an mir selbst die stabile Seitenlage und wiederbelebe gleich danach mit Mund-zu-Maul-Beatmung irgendein Kuscheltier.

Aber dieses Schreiben der Gasgesellschaft macht mich fertig. Ich fühle mich machtlos, ich habe gedacht, ein Sack Grillkohle könnte mich beruhigen. Nein, der Sack beruhigt mich nicht, der nimmt nur Platz weg. Wahrscheinlich werde ich mich von einem Wassereimer trennen müssen.

Dr. Frost oder Frieren als Studienfach

Es gibt in Odessa eine Nationale Frostakademie. Das ist kein Scherz, ich habe alles selbst gesehen: den Stempel des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft der Ukraine, den Dreizack, den Code, die Unterschrift eines vereidigten Übersetzers für Deutsch und Ukrainisch, die Unterschrift eines stadtbekannten Notars. Ganz oben auf dem Abschlusszeugnis stand: Nationale Frostakademie Odessa. Der vereidigte Übersetzer hat mir versichert, dies sei die korrekte Übersetzung. Ich habe mir das Foto des Absolventen zeigen lassen. Das Gesicht des Absolventen der Nationalen Frostakademie Odessa sah aus, als wäre es, nun ja, gerade aufgetaut.

Ich weiß nicht, wie lange ich in einer Wohnung ohne funktionierende Heizung Kolumnen schreiben kann. Meine Form ist extrem temperaturabhängig. Mir fällt ja schon nichts mehr ein, wenn ich an den Klimawandel auch nur denke. Ohne regelmäßige Wärmezufuhr wird die Witzefabrik in meinem Gehirn irgendwann schließen, schon jetzt läuft ja die Produktion ziemlich schleppend, weil es draußen so kalt ist und ich kein Mützengesicht habe.

Mein Freund Oleg hat kein Mitleid. „Hör mal, Gasputin, hast du eine Ahnung, wie kalt es im Winter 2004 auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz war, als wir die Orange Revolution gemacht haben?”, hat er vorhin gefragt.
„Woher soll ich das wissen?”
„Es war kutschmakalt. Aber ein Revolutionär kennt keinen Schmerz. Reiß dich zusammen.”

Die Klack-klack-klack-Königin und die Wau-wau-wau-Witwe

Ich würde gern wissen, wer bei mir im Haus ein Gasdieb ist. Ich verdächtige zunächst einmal jeden und lasse mich von der langbeinigen Schönheit unterm Dach, deren Stöckelschuhe so herrlich klackern, wenn sie die Treppe hinabsteigt, genauso wenig blenden wie von der hundelieben Babuschka im ersten Stock. Ich verurteile auch niemanden – weder die Klack-klack-klack-Königin noch die Wau-wau-wau-Witwe.

Einmal im Monat klingelt bei mir eine Frau, zeigt ihren Ausweis, tritt ein, liest den Stromverbrauch ab und kassiert nichts. Zwei Tage später klingelt die Vermieterin, zeigt ihren Ausweis nicht, tritt ein, lässt mich den Stromverbrauch ablesen und kassiert die Miete. Einmal im Monat erzählt mir die Untermieterin der Hundehütte irgendetwas vom Wasser, das ich bezahlen muss. Einmal im Monat finde ich an der Tür einen Brief der ukrainischen Telekom, dabei habe ich nur ein Handy, das ich selbst auflade. Einmal im Monat, meist an jedem Dritten, bringe ich einer Telefongesellschaft, deren Namen ich gar nicht kenne, 150 Griwen vorbei, damit ich weiter Internet habe. Einmal im Monat gebe ich außer meinem Sohn auch noch einen nicht ganz kleinen Geldbetrag im Kindergarten ab.

Bisweilen, erst vorgestern wieder, spende ich dem Kindergarten Geld, weiß aber nicht mal ungefähr, wofür. Während mir die Erzieherin erklärt, was wem wann und warum gekauft werden soll, rechne ich meine Spende in Dollar und Euro um. Bisweilen, erst heute wieder, pumpt mich Oleg an. „Ich brauche was von der Kolumnistenkreditbank“, hat er gesagt. „Aber ich unterschreibe nichts. Ich habe sowieso keine Sicherheiten.” Bisweilen, wahrscheinlich schon morgen wieder, guckt mich die Frau, die den Hausflur wischt, an, als erwarte sie, dass ich mich an ihrem Lohn beteilige.

Das doppelte Ländchen

Sehr oft verlasse ich morgens mit 50 Griwen die Wohnung und komme abends mit ein paar Kopeken heim, ohne dass ich irgendeine Quittung in der Tasche habe. Nachts träume ich, dass Kolumnistenkollege Axel die Zugangsdaten meines Blogs ändert und das neue Passwort erst herausrückt, nachdem ich ihm ein Lösegeld überwiesen habe. Ich besteche Polizisten, Ärzte und Krankenschwestern, um entweder weniger scharf oder viel schärfer kontrolliert zu werden. Sollte noch irgendjemand von mir verlangen, geschmiert, bespendet, bezahlt, belohnt oder bekreditiert zu werden, verliere ich endgültig den Überblick über meine Finanzen.

Ich bin auch erschöpft, weil es in der Ukraine alles doppelt gibt. Es gibt zwei dominierende Konfessionen – die Ukrainisch-orthodoxe Kirche und die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patronats -, zwei Sprachen, zwei russische Verben für eine Tätigkeit, zwei Klitschkos. Nichts von alledem kann ich auseinanderhalten.

Trotzdem weiß ich ganz sicher, dass ich meine Gasrechnung bezahlt habe, ich könnte es sogar beweisen, wenn ich nur die Quittung hätte, ich erinnere mich, es war an dem Tag, als es so stark geregnet hat oder die Sonne brannte, ich habe ein gutes Gedächtnis, ich sehe geradezu vor mir, wie ich das Geld übergeben habe – an Oleg oder die Kindergärtnerin, an die Putzfrau oder den Verkehrspolizisten, an meinen Arzt oder eine Krankenschwester, an die Stöckelschuhträgerin von oben oder die Hundehalterin von unten, an die Vermieterin, die Stromableserin oder an Axel.

Kolumne: Oleg und das hessische Entlein

ODESSA, UKRAINE Mein Freund Oleg hat eine Nacht mit Barack Obama sausen lassen – wegen Andrea Ypsilanti. Er war wohl zu erschöpft, um sich die amerikanische Präsidentschaftswahl anzuschauen, obwohl ich ihm vorher gesagt hatte, er verpasse ein historisches Ereignis und werde sich eines Tages ärgern, wenn die Enkel fragten: Opa Oleg, wie war das damals, als die Welt farbenblind wurde?
„Oleg, willst du dann von der Bayernwahl mit Axel und dem Untergang der CSU erzählen? Ich glaube nicht, dass die Kleinen begeistert sein werden, wenn sie hören: An Obamas Triumph erinnere mich nicht – aber ich weiß alles über Horst Seehofer!”
„Im Prinzip sind beide schwarz”, sagte Oleg.
Das war am Dienstagmittag. Danach ist er untergetaucht.

Mit Roland Koch auf einer einsamen Insel

Ich glaube, er ist – trotz alledem – immer noch ein bisschen verliebt in Andrea Ypsilanti, das hessische Entlein. Natürlich verstehe ich, dass es viele Gründe gibt, Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die politische Rente zu wünschen. Einerseits würde ich ihn nicht auf eine einsame Insel mitnehmen – aus Angst, wir könnten verhungern, weil der Mann alles abschiebt, was ihm nicht schmeckt. Andererseits kenne ich kluge Leute, die Koch als Chef erleben und von ihm schwärmen, weil er nie brüllt.

Ich habe einen Trick, um herauszufinden, ob ich einen Politiker mag oder nicht: Ich überlege, ob ich gern sein Sohn wäre, ob es mich störte oder mir gefiele. Wegen erwiesener Lässigkeit würde ich Gerhard Schröder (vier Ehen in 40 Jahren), Helmut Schmidt (2508 Zigaretten am Tag) und Friedrich Merz (ein Moped, irgendwann einmal) als Erzeuger anerkennen. Natürlich, ich hätte auch gern einen liberalen Vater – aber Guido Westerwelle … nun ja.

Mit Rinat Achmetow auf Lesersuche

Da ich in Odessa lebe, sehe ich mich hin und wieder auch unter den ukrainischen Politikern um. Müsste ich mich für einen Produzenten entscheiden, fiele meine Wahl auf Rinat Achmetow. Gegen den Oligarchen und Parlamentarier aus Donezk hätte ich schon wegen des vermutlich großzügigen Taschengelds nichts. Eine ruhige und unkündbare Stelle bei der Zeitung Segodnya, die ihm bekanntlich gehört, entspräche durchaus meinem Arbeitseifer. Und ich hätte dank Papas Schützenhilfe sogar ein sehr erfolgreiches Blog. Don(ezk) Achmetow, der Pate aus dem Osten der Ukraine, nuschelte einfach hin und wieder vor sich hin: „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.” Schwupps, stünde ich in jeder Linksammlung und bekäme eine Menge Besuch, wahrscheinlich müsse ich sogar anbauen aus Platzmangel.

Als Sohn von Roland Koch wäre ich mindestens zweimal mit dem Kamm des Alten und meinem Kopf zum Vaterschaftstest marschiert: das erste Mal 1998, nachdem Papa die hessische Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erfunden hat, das zweite Mal, als er im Landtagswahlkampf im Januar 2008 schrie, Deutschland habe „zu viele kriminelle junge Ausländer”.
Ich verstehe also, dass man Roland Koch weghaben will. Dass man deshalb Andrea Ypsilanti verfallen muss, verstehe ich nicht.

Mit Olegs Mama in der Kantine

Gestern habe ich Olegs Mama getroffen, allerdings glaube ich nicht, dass es Zufall war. Sie wartete in der Kantine unweit des Büchermarks, in der ich oft zu Mittag esse, saß an dem Tisch, den ich bevorzuge, und hatte mir schon eine Cola hingestellt. Sie nannte ihren Namen, wünschte guten Appetit und schaute mich finster an.
„Hör mal, Kolumnistchen“, sagte sie, „ich mache mir Sorgen um Oleg.”
„Was ist los?”
„Wer ist diese Andrea?”
„Ach, Andrea, die ist doch nichts für die Ewigkeit”, sagte ich und löffelte weiter meinen Teller Borschtsch.
„Aber sie hat meinem Sohn das Herz gebrochen.”
Ich holte Olegs Mama einen Kaffee und mir ein Bier. Sie nahm einen Schluck. Ich nahm einen Schluck. Dann tauschten wir und schwiegen.

Ich habe ihr erzählt, dass Oleg von Andrea enttäuscht ist, weil sie nicht die Landesmutter von Hessen geworden ist. Er gibt ihr die Schuld, er hält sie für naiv, er meint, sie hätte die vier Parteifeinde auf die ukrainische Art überzeugen müssen, für sie zu stimmen. Oleg lehnt Gewalt natürlich ab, aber Geld als Druckmittel, Umschläge statt Schläge sozusagen, hält er durchaus für legitim.
„Da ist noch was, Kolumnistchen.”
„Ich höre”, sagte ich.
„Oleg führt Selbstgespräche, er nennt sich – warte, ich hab’s mir aufgeschrieben, Sekündchen, hier, schau -, er nennt sich Fischers Fritze und fischt frische Fische. Oder er redet vollkommen wirr.”
„Wirr?”
„Affeklammer”, sagte Olegs Mama.
„Hm.”
„Affeklammer, Affeklammer, Affeklammer.”
„Hm.”
„Fischers Fritze fischt frische Fische”, sagte sie.
„Hm. Und?”
„Nimmt mein Junge Drogen? Hat er sie von dir? Bist du ein Kolumnistenkiffer?”
„Seien Sie unbesorgt”, sagte ich. „Oleg lernt nur deutsch mit mir. Ich glaube, er will Axel überraschen, wenn die beiden sich das nächste Mal sehen. Vor ein paar Tagen haben wir eine neue Lektion angefangen. Es geht um den deutschen Büroalltag und um Sprichwörter.”
Olegs Mama atmete tief durch und verabschiedete sich. Ehe sie ging, drehte sie sich noch einmal um und rief: „Vergiss nicht, Axelchen von mir zu grüßen, aber verrat ihm nicht, dass ich ihm zu Weihnachten ein paar schöne – - – - – - stricke. Er ist ein молодец*!”

Mit Oleg am Telefon

Vor ein paar Minuten hat Oleg endlich das Telefon abgenommen.
„Wo steckst du?”, fragte ich.
„Tagesschau.de”, sagte Oleg. „Ypsilanti gibt die Kandidatur an Schäfer-Gümbel ab. Das war’s dann wohl.”
„Nein, ich will wissen, warum du dich versteckt hast.”
„Ich fand mich selbst nicht mehr witzig. Wenn ich alle anderen witziger finde als mich selbst, verkrieche ich mich und halte meine Klappe.”
„Denkst du nur an dich? Denkst du auch mal an mich? Meine Leser vermissen dich.”
„Ach Gott”, sagte Oleg, “das traurige Dutzend.”

*Prachtkerl

Die Pleite der Super-Oligarchen

ODESSA, UKRAINE Ist es eigentlich strafbar, einen Ukrainer ärmer zu machen, als er ist? Nein? Und reicher? Oder ist ein solches Vergehen zwar nicht justiziabel, aber sehr wohl gefährlich in der Ukraine?

Ich entschuldige mich in aller Form bei Rinat Achmetow, dem Superoligarchen und Förderer des Fußballklubs Schachtjor Donezk. Jüngst habe ich den Chef der Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM) in einem Essay ein Vermögen von 31 Milliarden Dollar – nun ja – angedichtet, muss ich wohl sagen. Das hat möglicherweise mal gestimmt, ist jetzt aber nachweislich falsch. Der reichste Ukrainer hat in der Weltfinanzkrise Geld verloren. “Kyiv Weekly” berichtet von 18 Milliarden Dollar. Das sind 70 Prozent. Keinen ukrainischen Oligarchen hat es härter getroffen. Klar, es besaß und besitzt auch niemand mehr als Achmetow, der laut der Zeitung mit 29 Milliarden Dollar ins Jahr 2008 gestartet war.

Doch der Zusammenbruch der Börsen und Banken hat nicht bloß Achmetow getroffen. “Kyiv Weekly” spricht vom “Fall of oligarchs”, vom Absturz jener Männer also, die in den neunziger Jahren an der Privatitisierung ukrainischer Staatsbetriebe verdient hatten und aufgestiegen waren. Die Firmen, die ihnen entweder gehören oder an denen sie stark beteiligt sind, sind jetzt deutlich weniger wert als vor der Krise. Für Viktor Nusenkis muss man fast schon mit dem Sammelbecher herumgehen. “He got 80% poorer.” Nusenkis, einst Direktor im Kohlebergbau und heute wie Achmetow Mitglied des Donezker Clans, ist bis auf 2,6 Milliarden Dollar verarmt.

Viktor Pinchuk hat vier Millionen Dollar seines Vermögens verloren – in Prozenten: 69. Herr Pinchuk war auch schon Gast in diesem Blog. Der Schwiegersohn des früheren Präsidenten Leonid Kutschma hat mal mit Achmetow für 800 Millionen Dollar das größte und profitabelste Stahlunternehmen der Ukraine kaufen dürfen, obwohl ausländische Investoren das Doppelte geboten hatten. Staatschef war damals, uups, Kutschma. Nach dessen Abschied erklärte ein Kiewer Gericht den Verkauf für ungültig.

Ganz glimpflich ist Dimitrij Firtasch davongekommen. Er hat nur 18 Prozent verloren. Allerdings besaß er vorher auch nur kümmerliche 2,4 Milliarden Dollar.

Jetzt wird es hart.

Auch Konstantin Schewago ist unter den Verlierern. Er hat für die Talfahrt des ukrainischen Eisenerzproduzenten Ferrexpo an der Londoner Börse bezahlt und als Mehrheitseigner – Firmentitel “Chief Executive Officer” – 80 Prozent seines Reichtums eingebüßt: fast drei Milliarden Dollar.

Übrigens: Schewago ist ein Parteifreund der Premierministerin Julia Timoschenko und sitzt seit 1998 im Kiewer Parlament.

Mittlerweile hat der Oligarch Igor Kolomojskij mit seinem Imperium, der Privat-Gruppe, einen Anteil von fast sieben Prozent an Ferrexpo erworben. Kolomojskij wird gern als “beinhart” beschrieben, stammt aus Dnepropetrowsk und gilt als Mitglied des dortigen Clans, womit man wieder bei Pinchuk ist, einem anderen Häuptling dieses Stamms.

Spitzenreiter, was den prozentualen Verlust angeht, ist Wladimir Boiko; der Vorstandschef und de-facto-Boss des Metallurgischen Kombinats Iljitsch Maripol hat 82 Prozent – 2,6 Milliarden Dollar – verloren.

Übrigens: Boika ist Sozialist und Mitglied des Parlamentausschusses für Industriepolitik.

So, das musste sein. Mehr wüssen Sie über die Ukraine erst einmal nicht wissen. Ach, fast vergessen: Rinat Achmetow, klar, auch Abgeordneter in Kiew. Jetzt dürfen Sie sich zurücklehren.

Zum Genießen kommt noch mal die in Heimarbeit zusammengeschraubte Tabelle:

Randnotiz 1: “Kyiv Weekly” spricht von “our oligarchs”.
Randnotiz 2: “Focus Money” hat am 2. Juli den Kauf von Ferrexpo-Aktien empfohlen. Die Überschrift hieß: “Eisenerz bringt Kohle”.
Randnotiz 3: Ja, ich weiß, dass es nicht witzig ist, wenn Aktien abschmieren, weil das Unternehmen dann möglicherweise Beschäftigte rausschmeißen muss.
Randnotiz 4: Letztlich ist das Geld natürlich nur auf dem Papier weg. Analysten allerdings glauben, dass die Oligarchen nicht vor 2013 den alten Reichtum wiedererlangen werden.

Schöne olle Kamellen (II)

ODESSA, UKRAINE Ich weiß, ich komme mit dieser Geschichte ein bisschen spät. Aber ich habe sie gerade erst gefunden. Kurz zum Verständnis: Die Skyliners Frankfurt, eine deutsche Basketballmannschaft, mussten im Europokalspiel zum ukrainischen Gegner MBC Nikolaev reisen – ja ja, das Leben eines Sportler hält schon Schicksale bereit.

Und nun kommt die Deutsche Presseagentur vom 14. Oktober:

«Wir konnten seit drei Tagen nicht trainieren und sind zwei Tage ununterbrochen unterwegs. Das sind natürlich schwierige Bedingungen, um eine Partie von einer solchen Bedeutung zu spielen», sagte Sportdirektor Kamil Nowak vor dem Hinspiel der ersten Qualifikationsrunde im neu geschaffenen EuroChallenge-Wettbewerb.

Die Skyliners waren am 13. Oktober um 08.00 Uhr zu der ohnehin aufwendigen Reise aufgebrochen. Wegen Nebels in Frankfurt/Main hatte sich zunächst ihr Abflug nach Budapest verzögert.(…)

Der Abflug in die Ukraine war am Folgetag auf 12.45 Uhr angesetzt, die Ankunft auf 15.20 Uhr. Den Basketballern wurde zugesichert, dass sie am Flughafen in Odessa schnell abgefertigt würden. Allerdings stand ihnen noch eine dreistündige Busfahrt nach Nikolaew bevor. «Die FIBA hat uns erklärt, dass das Spiel notfalls um ein paar Stunden verlegt würde. Wir müssen mit dem Bus direkt in die Halle. Das ist alles sehr schwierig», so Nowak. Mehr

Hihi. Mein Mitleid hält sich in Grenzen, was möglicherweise daran liegt, dass ich einmal mit Auto von Schwerin nach Odessa gefahren bin – die Reportage über diese turbulente Reise kündige ich hiermit vollmundig an. Die Frankfurter hatten immerhin eine Polizei-Eskorte von Odessa nach Nikolaev.

Das Beste zum Schluss: Als ich am 15. Oktober nach Deutschland geflogen bin, saßen in Odessas Flughalle auch sehr große Jungs im Trainingsanzug herum. Ich habe leider kein Foto gemacht, kann aber berichten, dass Pascal Roller - der Guard der Frankfurter – den “Spiegel” las. Mein Abflug nach Prag verzögerte sich übrigens – und es war kein Nebel in Odessa. Statt in Hamburg landete ich in Berlin. Und die Koffer waren auch nicht da. Wie gesagt: hihi.

Das Spiel in Nikolaev endete übrigens 75:68 für die Skyliners. Pascal Roller – Hobbys: reisen, lesen, ins Kino gehen – erzielte 15 Punkte und war zweitbester Schütze seiner Mannschaft. Gratulation!

Der ukrainische Patient

ODESSA, UKRAINE Spiegel-Online rechnet heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko ab. Der Autor Alexander Schwabe beschreibt, wie der Held der Orangen Revolution seinen Ruf Stück für Stück ruiniert hat. Juschtschenko habe die politischen Krisen seit seinem Amtsantritt 2005 nicht genutzt, um Stärke zu zeigen und Macht zu gewinnen. Vielmehr sei er jedes Mal als Verlierer hervorgegangen. Der Präsident widme sich überdies mehr dem Kleinkrieg mit Premierministerin Julia Timoschenko als den Problemen des Landes: Korruption, Inflation und Oligarchenherrschaft. Stellenweise liest sich der Text wie ein Krankenbericht. Der Juschtschenko hat einerseits vier Jahre nach dem Giftanschlag wieder ein deutlich menschlicheres Antlitz. Sein Körper ist mittlerweile wieder nahezu sauber. Andererseits gab es unterhalb des Bauchnabels einen relativ schweren Eingriff. Juschtschenko ist der “kastrierte Präsident”.

Sonderlich originell sind solche Abstecher in die Medizin sicher nicht mehr. Aber immmerhin liefert Spiegel-Online zwei wunderhübsche Anekdoten.

Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seiner Premierministerin geriet zum Possenspiel. Der Plot bot einiges: Außer der Parlamentsblockade die Beschlagnahmung eines Regierungsflugzeugs und peinlich inszenierte Telefonate:

  • Als Timoschenko Anfang Oktober zu ihrem russischen Kollegen Wladimir Putin nach Moskau fliegen wollte, war das von ihr reservierte Regierungsflugzeug unauffindbar – Juschtschenko hatte es kurzerhand für einen Inlandflug unter Beschlag genommen, ohne sie zu informieren. Als die Ministerpräsidentin schließlich mit einem slowenischen Charterflugzeug in Moskau ankam, spöttelte Putin, so sei es, wenn “Taschendiebe” Flugzeuge klauten.
  • Jüngst ließ Timoschenko die Presse eigens in ihr Büro kommen, um den Präsidenten vorzuführen. Um zu demonstrieren, wie wenig der Präsident sich in der prekären Lage um das Wohl des Landes kümmere, griff sie genüsslich zum Hörer im Wissen darum, dass Juschtschenko nicht abheben würde, weil er vergrätzt war. Mehr

Kolumne: Oleg in der Gehirnjazze

ODESSA, UKRAINE Dieser verdammte Jazz ist an allem schuld. Nur deshalb will mein Freund Oleg Odessa verlassen, was für mich, da ich nun einmal in dieser Stadt lebe, ein bisschen ungünstig ist. Oleg hat sich verändert. Ich glaube, es ist ein Fehler gewesen, zunächst Axel als Urlaubsvertretung für mein Blog einzustellen, aber nicht zu bezahlen und dann auch noch Oleg bei ihm in Franken einzuquartieren, aber weder Taschengeld noch eine Flasche Wodka mitzugeben.

Wenn ich mir vorstelle, dass der Blogger K., der in Uganda lebt, zunächst mich als unbezahlte Aushilfe anheuerte, während er an der Ostsee fröhlich Möwen füttert, und mir dann auch noch seinen Kumpel vorbeischickte – nun, ich wäre auch ein bisschen verstimmt und würde Rache schwören. Vielleicht muss man verstehen, dass Axel keine andere Wahl hatte, als Oleg einer Gehirnjazze zu unterziehen. Ich zitiere aus Axels Beitrag Oleg Fiction vom 25. Oktober:

Vorgestern haben wir zusammen ein Konzert des berühmten Jazz-Schlagzeugers Wolfgang Haffner besucht. Oleg hat das sehr gut gefallen. Er war vorher noch nie auf einem Jazz-Konzert, dementsprechend verwirrt hat er sich immer umgeblickt, wenn nach einem Solo mitten im Lied applaudiert wurde. Nach dem dritten Mal hatte er es dann aber kapiert und auch mitgeklatscht. Ja gut, vielleicht ein wenig zu euphorisch, alle Zuschauer, einschließlich der Musiker sahen von Stund an verwirrt auf Oleg, was Oleg wiederum zu noch mehr Euphorie anstachelte – ein kleiner Teufelskreis nahm da bis zum Ende des Konzerts seinen Lauf. War Oleg aber egal.

Ich bin kein Jazzexperte, das gebe ich zu; ich besitze zwar das Köln Concert von Keith Jarrett, habe es aber noch nie angehört. Es liegt vor allem an dem Titelverzeichnis auf der Rückseite der Platte: Part 1, Part 2 a, Part 2 b, Part 2 c. Das klingt eher nicht nach Tanzmusik. Ich lasse mich von den so genannten Fachleuten gern berichtigen, aber ich kenne nicht einen glücklichen Jazzmusiker, glücklich im Sinn von: auf Anhieb mit sich und der Welt allzeit im Reinen. Nehmen wir nur einmal die Jazzlegende Charlie „Bird” Parker (1920-1955):

Parker war wahrscheinlich schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr heroinabhängig (so Ross Russell). Oft wurde er wegen seines unberechenbaren Verhaltens auf der Bühne aus laufenden Spielverträgen entlassen, so dass er immer seltener feste Engagements bekam. So sah er seinen Stern seit etwa 1950 langsam, aber sicher sinken. Am 12. März 1955 starb Charlie Parker, geschwächt von Leberzirrhose, Magengeschwüren und einer Lungenentzündung, im New Yorker Hotel Stanhope in der Suite der Baroness Pannonica de Koenigswarter, einer Gönnerin schwarzer Jazzmusiker. Quelle: Wikipedia

Die Frage ist natürlich, ob das Leben so schwer ist, weil da unbedingt jemand jazzen muss, oder ob da jemand unbedingt jazzen muss, weil das Leben so schwer ist. Es muss jedenfalls einen Zusammenhang geben. Wie soll ein Musiker, der ständig improvisiert und variiert, wenn er Saxofon spielt, sein Dasein halbwegs im Takt halten? Es geht doch auch anders. Nehmen wir zum Vergleich einmal die Jetztlegende Dieter Günter Bohlen, geboren 13 Monate vor Parkers Tod:

In der ZDF-Show Unsere Besten wurde Bohlen 2003 in einer Zuschauerumfrage auf Platz 30 der „größten Deutschen” gewählt. Quelle: Wikipedia

Dieter Günter Bohlen kommt seit 30 Jahren mit einer Melodie aus und scheint nicht darunter zu leiden, wenn ich mir diese Ferndiagnose erlauben darf. Bohlen improvisiert und variiert allenfalls, wenn er an Frauen spielt.

Ein neuer Grökaz

Axel hat Oleg verjazzt. Oleg ist in eine sektenähnliche Abhängigkeit geraten. Seine Sätze beginnen mit: “Laut Axel ist…” Er verachtet mich, meine Musik, meine Gedanken und vor allem, was besonders schmerzt, meine Kolumnen. Für ihn ist Axel jetzt, was bislang ich gewesen bin: der Humorführer, Grökaz, der Größte Kolumnist aller Zeiten. Axel sei witziger als ich, meint Oleg, klüger, bescheidener, geistreicher, vertrauenswürdiger, höflicher und charmanter. Er könne besser trinken, tanzen, kochen, singen, Auto fahren, lieben.

Ich habe mir das jetzt zwei Tage angehört, ich dachte, es wäre nicht so schlimm. Heute Morgen habe ich mich sogar mit einem ziemlich großen Axelfoto vor den Spiegel gestellt und mich auf einen Attraktivitätsvergleich eingelassen. Oleg hat alles sehr genau analysiert: Frisur (so weit noch oder jemals vorhanden), Augen, Nase, Mund, Männlichkeit und Ausstrahlung. Obwohl das Foto bestimmt bearbeitet worden war, habe ich das Ergebnis nicht angefochten. Ich wollte keinen Krach. Ich überhöre ja auch, dass Olegs Rrrrussisch neuerdings fränkisch gefärbt klingt. Er spricht wie Lothar Matthäus nach drei Jahren Verbannung als Trainer von Luch Wladiwostok.

Die Sache mit den F-Wörtern

Zehn Minuten später musste ich mich aber verteidigen.
„Außerdem ist er nicht so verklemmt wie du”, sagte Oleg.
„Ich bin nicht verklemmt. Wie kommst du darauf?”, fragte ich.
“Weißt du nicht mehr, was Axel bei dir über den RAF-Terroristen Andreas Baader geschrieben hat?”
“Ach so, ja, du meinst die beiden F-Wörter.”
“Welche F-Wörter?”, schrie Oleg.
“-icken und -otze.”
“Siehst du”, sagte Oleg.

Ich habe ihm erklärt, Axel sei nicht aus der Welt, er ernähre sich gesund, schreibe regelmäßig Kolumnen und werde deshalb noch mindestens 40 Jahre leben. Ich wollte Oleg beruhigen. Er aber war kurz davor, mich zu würgen.

„Es geht doch gar nicht um mich, du Idiot”, schrie er abermals. „Ich weiß nicht, wie Axel es ohne mich aushalten soll – bis Heiligabend.”

[Nach seiner unehrenhaften Entlassung aus diesem Blog kümmert sich Axel übrigens wieder verstärkt um seine Projekte. Wer ihn besuchen will, muss nur hier oder hier klicken]