Krieg im Sandkasten

ODESSA/KIEW, UKRAINE Wie geht es weiter nach dem Ende der Regierungskoalition in Kiew? Erlebt die Ukraine eine tiefe innenpolitische Krise, die Russland wie gerufen käme? Zuerst einmal: Man darf gewiss den Kopf schütteln über die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Tage. Dass die Feindschaft zwischen Präsident Wiktor Juschtschenko und Ministerpräsident Julia Timoschenko gerade jetzt eskaliert, da die imperialen Gelüste Russlands neu erwacht sind, sagt einiges aus über den Zustand der politischen Kultur im Land.

Beide Politiker tragen einen Machtkampf aus, seit Timoschenko im Dezember 2007 die Regierung übernommen hat. Immer wieder hatten Juschtschenko und sein Stab kleine Gemeinheiten in Form von Erlässen an die Ministerpräsidentin geschickt. Dabei überschritten sie mehr als einmal ihre Zuständigkeiten. Nun hat sich Timoschenko revanchiert und mit der oppostionellen Partei der Regionen von Ex-Ministerpräsident Wiktor Janukowitsch den Staatschef umgegrätscht. Die gegen die Präsidentenpartei verabschiedeten Gesetzesänderungen, Auslöser des Koalitionskrachs, schwächen Juschtschenko erheblich. Er könnte nun leichter des Amtes enthoben werden.

Beide Politiker, Juschtschenko und Timoschenko, benehmen sich wie Kinder im Sandkasten. Der eine klaut die Schaufel, der andere wirft mit Sand. Es wäre zum Lachen, stünde das Land nicht augenblicklich vor gewaltigen Problemen. Die Inflation liegt bei 30 Prozent. Die Wirtschaft wächst nur noch schwach. Und Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew, ferngesteuert von Vorgänger Wladimir Putin, bricht alle mühsam aufgebauten Beziehungen zu Europa ab. Angeblich träumt der große Nachbar auch von einer Rückholaktion der Krim, die Staatschef Nikita Chrustschow 1954 der Sowjetrepublik Ukraine geschenkt hatte.

Dass sich die beiden Sandkastenfeinde jetzt nicht mehr nur ein bisschen ärgern, sondern offen den Krieg erklären, ist fahrlässig und wird der Politikverdrossenheit neue Nahrung geben, was eigentlich überflüssig wäre. Von seinen Repräsentanten hat der Ukrainer schon jetzt keine hohe Meinung. Politiker gelten als korrupt und egoistisch. Juschtschenko und Timoschenko unternehmen alles, dieses Urteil zu bestätigen. Im echten Sandkasten würden jetzt zwei Mütter die Streithähne hineinrufen und bestrafen: mit Stubenarrest und Fernsehverbot. In der Politik müssten dies die Wähler tun.

Dieser Kommentar erschien auch am 6. September in der Schweriner Volkszeitung.

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Nico Lange, Chef des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, glaubt an ein Überleben der Koalition. Unsere Ukraine, die Partei des Präsidenten, und der Block Timoschekos würden die Zehn-Tage-Frist nutzen, um zu verhandeln.

An Neuwahlen hat derzeit keine der großen Parteien Interesse, da die Zustimmung sowohl zu Nascha Ukraina als auch zum Block Julija Tymoschenko und zur Partei der Regionen im Verlauf der letzten Monate deutlich gesunken ist.

Lange ist überzeugt, dass ein Zusammengehen des Blocks mit der oppositionellen Partei der Region keine Alternative sei. Timoschenkos Wähler würden eine Liaison mit den prorussischen Kräften nicht verzeihen. Der Experte prognostiziert, dass das organgene Regierungsbündnis nach ein paar Raufereien und Zugeständnissen fortgesetzt werde. Den zweiten Ausweg aus der Krise, eine geschäftsführende Regierung ohne Koalition und mit wechselnden Mehrheiten, hält Lange für verheerend.

Für die nötigen innenpolitischen Reformen und die Außenpolitik der Ukraine wäre das allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der schwach entwickelten parlamentarischen und politischen Kultur, eine vollkommen unverantwortliche Perspektive.

Die komplette Analyse von Nico Lange finden Sie hier.

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