Wort zum Sonntag
Ich kenne mich nun in Odessa schon ganz gut aus. Beim Gehen über die Straße gibt es viel zu beobachten: Ich sehen viel äußeres Elend, und auch das innere Elend glaube ich zu sehen. Es hat sich den Gesichtern der Menschen aufgeprägt. Manchmal kann man ganze Straßenzüge abwandern, und man findet kein einziges ordentliches, freundliches, frohes Gesicht. Fast alles vergrämte Menschen.
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Mit der Straßenbahn geht es in endloser, langsamer Fahrt 18 km. Wenn sie hält, hört man das muntere Geknabber der Sonnenblumkernesser. Kein Mensch redet, aber alles knabbert.
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Der Park ist angenehm. Schön am Wasser gelegen, an seinem Rand ein Stadion, zwar verwahrlost, aber doch Zeuge entschwundener Pracht. Beim Gang durch das Häusermeer der Stadt muss ich feststellen, dass wir unterschiedliche Stilgefühle haben.
Fotografien: Christoph Wesemann, Zwei Flaschen im Zoo, Straßenbahn am Priwos-Markt, Stadion im Schewtschenko-Park, Odessa 2008
Okay, ich spreche jetzt einfach mal aus, was hoffentlich viele Leser denken.
Ich finde, wenn man sich das Bild der Straßenbahn anguckt und in schwarz-weiß vorstellt, könnte man meinen, es sei zur selben Zeit aufgenommen worden, als Herr Binder seine Aufzeichnungen schrieb.
Ich weiß, es ist politisch/historisch nicht ganz korrekt, dass mir dies in den Sinn kam, aber leider war es nun einmal mein erster Gedanke.
Ich fühle mich schlecht deswegen, aber so ist es.
@ Doctor Robert: 1. Wie kommen Sie denn darauf? 2. “Viele Leser”?
@ Doctor Robert: Danke für den Tipp, ich habe mal die Zeit zurückgedreht und die Farbe aus den Bildern genommen.
@ cw: Ich muss mich bedanken, denn durch das Entfärben fühle ich mich bestätigt.
Und zu den “vielen Lesern”:
Das ist nur noch eine Frage von Tagen. Ich denke vorausschauend und bin auf dieser Internetseite ein Optimist.
@ Doctor Robert: Gern geschehen.
Übrigens: Sie sind kein Optimist, sondern ein Naivling.