Kolumne: Oleg zieht (sich) um

SCHWERIN, DEUTSCHLAND/ODESSA, UKRAINE Ich vermisse meinen Freund Oleg, er fehlt mir, das gebe ich zu. Die ersten Tage nach dem Abschied von Odessa hatte ich geglaubt, Oleg und ich würden uns vielleicht nie wieder sehen, nicht einmal, wenn ich in ein paar Wochen in die Ukraine zurückkehren werde. Wir hatten genug voneinander. Mittlerweile spüre ich mehr und mehr, dass er meinem Leben gut tut – und es meinem Leben nicht gut tut, wenn ich ohne ihn bin. Wir telefonieren jeden zweiten Tag. Abends freue ich mich, dass ich ihn morgens anrufen kann. Fast immer beruhigt es mich, seine Stimme zu hören.

„Kolumnist vermisst, Kolumnist vermisst, Kolumnist vermisst”, sagte Oleg heute Morgen, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. „Kolumnist, bitte melden!”
„Privjet!¹ Wie geht’s?”
„Blendend. Und dir?”
„Ich kann nicht klagen”, sagte ich, schwieg ein paar Augenblicke und lauschte der Melodie, die aus Odessa zu mir kam. „Hey, Oleg, du hörst ja die Pet Shop Boys, hast du auch die neue CD gekauft?”
„So ungefähr.”
„Illegaler Download, oder was?”
„Es ist deine CD. Du hattest Recht, tolle Platte, die beste seit Very 1993.”
„Wie kommst du an meine CD?”
„Ich wohne bei dir.”
„Du wohnst in meiner Wohnung?”
„Ja!”

Schlimmer als in Tadschikistan

Ich hatte Oleg einen Notfallschlüssel dagelassen. Falls es in der Wohnung über meiner einen Wasserrohrbruch gäbe, würde ich ungern aus Deutschland herbeifliegen müssen, um aufzuwischen und dem Nachbarn Schläge anzudrohen, sollte er den Schaden nicht bezahlen. Das könnte auch ein anderer, in diesem Fall Oleg, übernehmen.
„Oleg, das war nicht abgemacht, ich habe dir vertraut.”
„Deine Wohnung ist schöner.”
„Ich habe nicht mal einen Fernseher.”
„Jetzt schon.”

Ich atmete zweimal tief durch und ermahnte mich, die Sache nicht allzu spießig zu sehen. Ich sagte mir, es habe Vorteile, dass die Wohnung nicht unbewohnt sei über eine längere Zeit, dass jemand aufpasse, lüfte und das Wasser benutzte. Im Dezember war ich nach drei Wochen zurückgekehrt und hatte eine eiskalte Wohnung betreten. Die Heizung funktionierte nicht. Das Wasser wurde nicht warm. Zwei Tage später hatte ich einen Schnupfen. Ich redete mir auch noch ein, es hätte schlimmer kommen können. Ein Sachse, der in Duschanbe arbeitet, der Hauptstadt Taschikistans, hat mir erzählt, er wasche sein Bettzeug niemals, bevor er nach Deutschland fliegt, weil es üblich sei, dass der Vermieter samt Familie in Abwesenheit des Mieters einziehe. Während ich mich zu beruhigen versuchte, hörte ich, wie Oleg sang.

Oh now look what/you’ve gone and done/You’re creating/pandemonium/That song you sing/means everything/to me/I’m living in ecstasy/My world’s gone made/What did you do?/I’m telling perfect strangers/that I love you/The stars and the sun/dance to your drum/and now/it’s pandemonium

Das Parkett – mein Parkett – begleitete seine Stimme mit einem Knarren, als würde er gerade tanzen.

„Tanzt du gerade?”
„Und wie!”
„Ach, Oleg…”
„Hast du dich wieder beruhigt, Kolumnist?”
„Ja, Oleg, aber sei bitte so nett und räum ein bisschen auf, bevor ich wiederkomme, nicht dass noch deine Bettwäsche herumliegt.”
„Kein Problem”, sagte Oleg.
„Danke.”
„Ich habe das Bett gar nicht neu bezogen.”
„Du schläfst in meiner Bettwäsche?”, fragte ich.
„Ja!”
„Nein!”
„Ich habe auch gar keine Klamotten mitgebracht.”
„Du trägst meine Hemden und Hosen?”
„Nicht nur die”, sagte Oleg und lachte.
„Nein!”
„Doch!”
„Beruhig dich, Kumpelstilzchen.”

Gedopte Moderatorin

Manchmal in diesen Tagen denke ich, es wäre schön gewesen, wenn Oleg nach Schwerin hätte mitkommen können. In der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns finden bis Oktober Rentnerfestspiele statt; die  Bundesgartenschau hat gestern begonnen. Ich habe mir die Eröffnungsfeier im Fernsehen angeschaut. Die Moderatorin redete, als habe sie vor der Sendung zu viel Schlafmohn verspeist. Ich werde diese Bundesgartenschau auf keinen Fall besuchen – eher fange ich an zu twittern.

Oleg würde dieser herangekarrte Blumenkitsch natürlich gefallen. Er ist Ukrainer, und Ukrainer sind kitschverliebt. Geburtstagssträuße sehen aus wie toupiert. Man sieht auch die Blüten vor lauter Plastik nicht. Das Land steckt musikalisch, modisch und wohnlich noch tief in den achtziger Jahren. Zu viele Frauen tragen Tigerdruck, zu viele Männer hören Modern Talking, zu viele Paare kaufen chinesischen Nippes fürs Wohnzimmer.

Der kulturlose Strand

Vor ein paar Wochen habe ich mit Oleg eine Konferenz zur Stadtentwicklung besucht. Es gab einen Arbeitskreis, der für Odessas Strand eine Zukunft entwerfen sollte, vorab allerdings erst einmal zu klären versuchte, wie die Gegenwart ist. Die Männer sollten mit grünen, blauen, roten und gelben Steinchen das Verhältnis von Ökologie, Wirtschaft, Kultur und Soziales am Strand darstellen. Relativ schnell einigte sich die Gruppe auf Ausgewogenheit: 25 Prozent Ökologie, 25 Prozent Wirtschaft, 25 Prozent Kultur, 25 Prozent Soziales. Ein junger Experte aus Deutschland empfahl, nachdem er wild gelacht hatte, die Wirtschaft auf mindestens 50 Prozent zu setzen und auf die roten Kulturwürfel realistischerweise ganz zu verzichten. Er sagte dann noch: „Wenn alles 25 Prozent wäre, wären wir ja nicht hier, um die Zukunft zu planen.”

„Bist du noch dran?”, fragte Oleg. „Ich muss los, ich habe ein Vorstellungsgespräch. Hast du was dagegen, wenn ich noch mal deinen Anzug trage?”
„Ja, Oleg, ja, ich habe etwas dagegen.”
„Hallo? Haaaaaalllloooooooooo?”
„Oleg! Nicht den Anzug!”
„Ei, die Verbindung ist gerade ganz schlecht, Kolumnist, ich hör dich nicht mehr. Wir telefonieren wieder. Mach’s gut! Ach so, wird spät heute Abend, ich geh tanzen, bisschen Frauengucken, wenn du verstehst. Mal schauen, ob sich was ergibt. Ich hätte Lust auf eine Kissenschlacht. Du bist ein echter Freund, kein Würstchen.”²

¹ Hallo
² russisches Sprichwort

Alle Oleg-Kolumnen:


13 comments

  1. Axel

    Hervorragend, ich habe schallend gelacht. “Kumpelstilzchen” ist groß!

    Zu dem Thema gibt es eine Anekdote aus meiner Studienzeit. Ein Studienkollege hat sein Zimmer im Studentenwohnheim für’s Wochenende einem Freund überlassen. Als er am Montag wieder eingezogen ist und am Abend seinen Schlafanzug aus dem Bettkasten holen wollte, lagen dort gebrauchte Kondome an der Zahl.
    Also Christoph, wenn Du wieder einziehst, erst mal unter dem Bett nachsehen. Kissenschlacht – schnick schnack …

  2. rli

    Der Sachse in Tadschikistan musste letzte Woche wegen “Finanzkrise” seines Vermieters umziehen. Dieser hatte die Wohnung verkauft und der neue Eigentuemer hatte dann ploetzlich Eigenbedarf.

    Mein neuer Vermieter gab mir vier Schluessel und versicherte, keinen weiteren zu haben. Dennoch behalte ich die Praxis mit der Bettwaesche bei.

    Hab viel Freude an den Tulpen vor dem Schweriner Schloss! Ich werde die Originale am Wochenende wieder in den Bergen ausserhalb Duschanbes haben.

  3. cw

    @rli (Sachse in Tadschikistan): Du bist umgezogen? Dann ist es ja kein Wunder, dass mir vorgestern niemand aufgemacht hat. Wollte mit Dir nur schnell nen Kaffee trinken.

    @Axel: Das Lied ist ne Hymne!

  4. cw

    @mmw: Deine Kommentare sind in den Spamfilter geraten – ich weiß mal wieder nicht, warum.

    Wo sind denn die kritischen Stellen?

  5. mmw

    und “unsere” Straeuse mag ich sowieso auch nicht (es wird doch mehr Aufmerksamkeit hier, nicht Schoenheit der Blumen geschaetzt)
    und mags Du diese “odessa-mama” Zeichen?

  6. cw

    @mmw: Das Odessa-Mama-Zeichen? Ja, ich weiß nicht, mir ist Lokalpatriotismus eher fremd. Ich kann auch nicht viel anfangen mit diesen Plakaten, die überall herumhängen: “Ich liebe dich, mein Odessa.”/”Odessa, meine Stadt.”
    Ich liebe weder Städte noch Staaten.

  7. mmw

    Hallo, lieber Kolumnist,
    viele Odessiten reden oft von ihrer Liebe zu Odessa wirklich, sie sind stolz fuer die Stadt, in ihren Taten zeigen sie diese Liebe kaum
    die Plakate, Zeichen und solcher Kram sind oft fuer Touristen,nicht viele Hiesige sind davon begeistert (es gibt doch einige wie mein Bruder z.B., hat einen odessiten-Pass nach Hause gebracht, ein witziger Reisefuehrer), es gibt auch ein interresantes Bedeutungswoerterbuch (es wurde vor ..einigen Jahren in einer grossen Buchhandlung Deribasowskaja Strasse verkauft) fuer die Sprache Odessa, dort steht z.B. :’где мы едем?’usw.
    Hast Du es gesehen?

  8. rli

    @cw: Tut mir jetzt leid, dass wir uns verfehlt haben. Haette Dir gern die Cafes der Stadt gezeigt… Haette auch nicht lang gedauert…

Antworten an cw Antwort verwerfen

Sie können die folgenden HTML-Codes verwenden:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>