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Experte im Informationskrieg

ODESSA, UKRAINE Ich nehme mir mal zwei Tage Urlaub. Das Auslandsbüro Ukraine der Konrad-Adenauer-Stiftung hat mich zu einer Podiumsdiskussion nach Kiew eingeladen – vielleicht auch wegen der Kolumne Gasperletheater. Der Titel der Veranstaltung ist: “Ukrainisch-russische Beziehungen: Informationskonfrontation – Journalistische Berichterstattung in den ukrainischen und europäischen Medien”.

Ich werde gemeinsam mit dem Journalisten Jurij Durkow, mit Wolodymyr Kornilow, Leiter des Instituts der GUS-Staaten in der Ukraine, und dem Medienanalytiker Georgij Potscheptsow das Thema “Gaskrieg und Informationskrieg – die Rolle der Massenmedien” diskutieren. Alles Weitere entnehmen Sie bitte der ukrainischen oder deutschen Einladung.

Ja, ich freue mich. Und, natürlich!, bin ich aufgeregt.
Sollte sich etwas Besonderes ereignen, melde ich mich aus Kiew.

So muss politischer Protest aussehen

(Axel) So muss politischer Protest aussehen, denn sonst guckt ja keiner hin, denkt sich Spiegel Online und zeigt ein paar spärlich bekleidete Aktivistinnen aus Kiew, die sich im Schlamm wälzen, um damit gegen die demnächst in der Ukraine stattfindenden Neuwahlen zu protestieren.
Wer diesen hochbrisanten Film sehen möchte, der klicke auf das Bild. Aber Vorsicht: das ist nichts für schwache Nerven.

Die Angst der großen Spieler

ODESSA, URKAINE Ich habe Stefan Chrobot am Rande der ersten deutsch-ukrainischen Partnerstädtekonferenz in Odessa gefragt, wie er die Krise im Land bewertet. Der Chef der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew – offizieller Titel: Leiter des Regionalbüros für die Ukraine und Weißrussland – schaute zunächst, als sei meine Frage ein bisschen überflüssig. Versucht man sich zu erinnern, wann die Ukraine nicht in der Krise gewesen ist, fällt einem ja auch nicht viel ein. Sie ist ein Dauerzustand. Und auch Chrobot ist krisenerprobt. Vor fast dreieinhalb Jahren ist er als Leiter der Ebert-Stiftung von Bangkok nach Kiew gewechselt. Im April 2008 musste er verkünden, dass man sich aus Weißrussland zurückziehe. Dieses Büro im Reich des Diktaturs Aleksander Lukaschenko war ein Ort der Zuflucht für Regimekritiker und die einzige Vertretung einer ausländischen politischen Stiftung. Der Abschied aus Minsk musste trotzdem sein, um das Leben der Mitarbeiter nicht zu gefährden, wie Chrobot damals sagte. 

Vor einer Woche hat Präsident Wiktor Juschtschenko das Kiewer Parlament aufgelöst, nachdem die Koalition von Unsere Ukraine und dem Block Julia Timoschenko am Georgienkonflikt und dem Umgang mit Russland zerbrochen war. Es wären die dritten Wahlen in drei Jahren. Ob das Parlament die Gesetze verabschiedet, die Juschtschenkos Erlass stützen, scheint offen zu sein. Es ist möglich, dass Abgeordnete über Parteien hinweg die Wahl verhindern wollen, und die ersten Politiker – auch von der Präsidentenpartei Unsere Ukraine – haben ein Nein gegen Juschtschenko bereits angekündigt. Sogar das Verfassungsgericht als Instanz, die Einspruch erhebt, wird ins Spiel gebracht.

“Viele Abgeordnete haben noch kein Rückfluss an Rendite”, sagt Chrobot. Sie hätten, vor nicht einmal einem Jahr gewählt, viel investiert – nicht nur in den Wahlkampf. Listenplätze werden oft verkauft. “Dieses Geld ist noch nicht zurückgeflossen.” In der Ukraine ringen Politiker – mehr als anderswo, zumindest ungenierter – um Einfluss, um Geld und Geschäfte. Die Bereitschaft, Kompromisse zum Wohle des Landes zu schließen, ist kaum ausgeprägt. “Das ist besorgniserregend.” Abgeordnete sind bisweilen schwerreiche Unternehmer, von denen jeder weiß, dass sie nicht im Geringsten das Volk vertreten – oder nur dann, wenn sich dies mit eigenen Interessen vereinbaren lässt. Da sich die Akteure allerdings schon seit Jahren oder Jahrzehnten kennten, bescheinigt Chrobot diesem System trotzdem Stabilität.

Für neuen Zusammenhalt der Zerstrittenen könnte die Weltfinanzkrise sorgen. Anzeichen gibt es, dass sie die Ukraine erreicht: Der Aktienmarkt ist zwischenzeitlich um 70 Prozent eingebrochen, die ersten Banken sind pleite, vor anderen bilden sich Schlangen, weil die Kunden Erspartes abholen, um die stürzende Griwna in steigende Dollar umzutauschen. Manche Automaten spucken nichts mehr aus. “Der Markt ist nicht so geschützt”, sagt Chrobot. Wie es weitergehe, hänge davon ab, wie die Finanzkrise im Rest der Welt gemeistert werde. Sollten die Investoren und Spekulanten aus Europa, Amerika und Russland keine Kredite mehr bekommen, wären viele Vorhaben in der Ukraine gefährdet: vor allem die riesigen und hässlichen Appartmenttürme, die zwischen Kiew und Odessa in den Himmel wachsen.

Chrobot glaubt, das eine existenzielle Not die “großen Spieler” in der ukrainischen Politik zwingen würde, wieder verstärkt zusammenzuarbeiten und dem nationalen Interesse zu dienen. Allerdings müsse die Krise  den persönlichen Besitz bedrohen. “Wenn es nur um nationale Interessen geht, wird das nichts.”

Übrigens: Über die erste deutsch-ukrainische Städtepartnerschaftskonferenz berichte ich nichts; das war mir inhaltlich ein bisschen zu dünn. Der Chronistenpflicht halber bringe ich drei Bilder.

Der neue deutscher Botschafter in Kiew: Hans-Jürgen Heimsoeth (l.) und Odessas Oberbürgermeister Eduard Gurvits
Heimsoeths Vorgänger in Kiew: Ex-Botschafter Eberhard Heyken, heute Vorstandsmitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums, Magdeburg
Gefragter Mann: der Botschafter zu Besuch in Odessa
Gefragter Mann: der Botschafter zu Besuch in Odessa

Kolumne: 75 Zeilen Widerstand

ODESSA, UKRAINE Ich weiß nicht, wie lange ich es in dieser Stadt noch aushalte, ewig jedenfalls schaue ich mir nicht mehr an, wie ich unterdrückt werde. Ich mache nicht mehr mit, ich kann das meinem Sohn und mir nicht antun. Ich werde nach Kiew fahren und den deutschen Botschafter um einen Termin bitten. Notfalls zelte ich dort im Garten und warte, bis sich der Außenminister, müde von langen diplomatischen Verhandlungen über meine Zukunft, auf dem Balkon zeigt und spricht. „Liebe Landsleute, äh, Pardon, lieber Landsmann, ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen…” Dann werde ich jubeln. Außenminister steigen ja seit Hans-Dietrich Genscher 1989 in Prag nur noch auf Balkone, wenn sie eine gute Nachricht haben.

Irgendwas wird Frank-Walter Steinmeier schon einfallen. Es geht schließlich um meinen Sohn, der mir entgleitet. Ich verlasse mich auf Steinmeier, denn ich bin kein Revolutionär, der sich auf die Straße wagt. Demonstrieren will ich nicht. „Ich – bin – der – Vater!” – ich meine, das ist doch Mist, das ist doch kein Ruf, der um die Welt geht, das klingt doch nicht. Damit lande ich in einer Talkshow am Nachmittag statt in der Tagesschau um 20 Uhr. Die Leute sehen mich und denken: plemplem, vollkommen gaga, der Typ.

Die Neugierde meines Sohnes wird allmählich für mich eine größere Herausforderung als ein Streitgespräch über den Umgang mit dem Islamismus oder die Kultur des Abendlandes. Er fragt zum Beispiel, wenn wir vom Kindergarten nach Hause gehen: „Papa, dürfen hier Autos fahren und parken?” Als Reporter, der vor allem beobachtet und sich der Meinung langsam nähert, prüfe ich zunächst. Ich schaue und denke: Bordstein plus Hauswand plus Kiosk plus Mülleimer plus Bettler mit Pappbecher ergibt Bürgersteig. Also sage ich: „Das ist ein Bürgersteig, hier dürfen Autos nicht fahren und nicht parken.” Sekunden später rast auf uns ein Jeep zu und hält vor meiner Nase und seinem Näschen. Gestern ist der Bus an der Haltestelle und an uns vorbei gerauscht. Einfach so. Ich hatte ihn großspurig angekündigt, weil es regnete, als hätte der Himmel den schlimmsten Liebeskummer aller Zeiten. Ich glaube nicht mehr an Zufälle, man will mich kaputtmachen und klein kriegen.

Vor einer Woche sind wir umgezogen. Die Vermieter hatten uns wegen meiner Spiegel-Affäre und der zwei Polizisten am Küchentisch rausgeworfen. Im August hat man als Wohnungssuchender nicht sehr viel Auswahl in Odessa. Urlauber, die tageweise einquartiert werden, bringen mehr Geld. Wir sind also gewissermaßen umgesiedelt worden. Wir haben die Heimat verloren! Ich bin ein Vertriebener! Wo wir jetzt wohnen, ist es laut. Es gibt zu wenige Parkplätze. Die Luft ist schlechter.

Und dann ist da die Sache mit dem Kabel. Ich kann meinem Sohn nicht erklären, was es auf unserem Balkon zu suchen hat. Es kommt von oben, augenscheinlich aus einer Wohnung, es führt nirgendwo hin und schwingt, wenn der Wind weht; hin und wieder trete ich aus Experimentierlust darauf herum, manchmal werfe ich es über das Geländer, dann wieder ziehe ich daran und warte, als müsste eine Glocke läuten, eine Lampe umkippen oder ein Fön herunterfallen, und wenn ich genug habe, binde ich es fest. Dann weht wieder der Wind, und alles beginnt aufs Neue.
„Was ist das?”, fragt mein Sohn.
„Das ist ein Kabel”, sage ich.
„Was macht das?”

Was weiß ich denn, bin ich Hellseher? Kann ich durch die Decke gucken? Ich verstehe doch das Land mit jedem Tag weniger. Ich durchschaue nicht einmal die Waschmaschine, die zuweilen wäscht und sich dann verweigert, und die habe ich vier Stunden studiert vor dem Kauf. Ich begreife nicht, warum das Bad eine Dusche mit Radio hat und keine Tür, die sich schließen lässt. Ich habe keine Ahnung, warum die Männer vormittags vier Stunden ihr Auto waschen und nachmittags klagen, sie hätten keine Zeit für die Familie. Mir leuchtet nicht ein, warum die schönsten Frauen auf die widerlichste Weise ihren Speichel absondern. Vielleicht schaue ich in der Fremde auch nur sorgfältiger hin. Nicht einmal das weiß ich.

„Was macht das, Papa?”
„Das ist die Klospülung”, sage ich. „Und bevor du jetzt fragst, warum die Leute so etwas tun: Es ist einfach so, mein Liebling.”

Eines Tages wird er wissen wollen, wie Odessa war, und dann hole ich das Bild, auf dem er als Tatarenherrscher verkleidet ist. In Wahrheit hat der Kindergartenfotograf nur das Gesicht hineinmontiert. Man soll das nicht sehen, eigentlich, aber wenn das Kind plötzlich keinen Hals mehr hat, weil der die Montage am Computer erschwert hätte, fällt das einem Vater eben auf. Ich werde auf dieses Meisterwerk der zeitgenössischen ukrainischen Lichtbildkunst tippen und sagen: „So war diese Stadt, genau so und nicht anders.”
„Du meinst: nicht schön, aber ungewöhnlich?”
„Sag ich doch.”

Ich muss mich jetzt wehren gegen die Zustände in dieser Stadt. Später würde mir mein Sohn sonst vorwerfen, ich sei ein Ahnungsloser gewesen, ein Träumer, ein Theoriedussel, der vor der Wirklichkeit die Augen verschlossen hat. Und ich hätte keine Antworten, um mich zu rechtfertigen, ich müsste mich herausreden und sagen: „Es war nicht alles schlecht, weißt du, Odessa hatte auch gute Seiten. Denk nur mal an die sonnige Sicherheit: Alle hatten schönes Wetter.”

Mein Sohn wird diese Kolumne irgendwann googeln und dann sagen: „Ich bin stolz auf dich, Alter, weil du nicht geschwiegen hast.” Diese Kolumne ist: mein Akt des Widerstands. Kürzer ging es nicht.