Kolumne: Mein Sohn und der Willismus

ODESSA, UKRAINE Heute bin ich zum ersten Mal im Leben zur Maniküre gegangen. Mittlerweile sollte es ja bekannt sein, aber ich schreibe es sicherheitshalber noch einmal: Ich bin ein Mensch mit sehr, sehr, sehr vielen Vorurteilen – freilich ohne Geilheit aufs Vaterland oder gar Hass auf Fremde, denn beides führt erwiesenermaßen oft zu früher Hohl- und Kahlköpfigkeit. Eines meiner Vorurteile besagt: Männer machen Maniküre nur, wenn sie mit anderen Männern gern Händchen halten. Da ich aber in der Ukraine vieles versuche oder zum ersten Mal tue – Auto demolieren lassen, aus der Mietwohnung geschmissen werden, Marschrutka-Unfall überleben, selber Antibiotikum in die Pobacke spritzen, auf Stalingradkrücken laufen -, hatte ich mich zur Maniküre begeben. Das Wagnis war auch finanziell überschaubar: Die einstündige Behandlung kostete weniger als sechs Euro. Trotzem würde ich nicht sagen, dass ich mich besonders toll gefühlt hätte – nicht davor, nicht dabei, nicht danach.

Mein Sohn ist mit seinen drei Jahren unbefangener, er macht sich überhaupt weniger Gedanken und ist ein Assimilationstalent. Wüsste ich es nicht besser, würde ich ihn für einen Odessiten halten. Er ist ein Autonarr und erkennt auf der Straße alle Marken: Chevrolet, Lexus, Porsche, Hyundai, Lada, Volkswagen, Mercedes, Opel, Mitsubishi, Toyota. Und sein Russisch ist inzwischen fast besser als meines – anders gesagt: Er redet zwar weniger, dafür aber spricht er schnell, richtig und akzentfrei. Gestern waren wir im „Antoschka”, einem vierstöckigen Tempel für Kinderbedarf und vor allem -unbedarf in Odessas Zentrum. Ich wollte ihm ein Hemd oder wenigstens ein T-Shirt kaufen. Leider hat mein Sohn, was Mode betrifft, nicht meinen Geschmack. Dass er überhaupt Geschmack hat, behaupte ich, weil es mir sonst wehtäte.

Er griff sich drei Achselshirts, also ganz besonders bunte Unterhemden, und ließ sich auf keine Diskussion ein. Ich erinnerte mich, wie seine Kindergärtnerin bereits am ersten heißen Tag in Odessa von mir verlangt hatte, Achselshirts zu kaufen – genau solche wie alle anderen Mädchen und Jungen seiner Gruppe trügen. Prinzipiell bin ich zwar der Meinung, Männer sollten nur Unterhemden tragen, wenn sie aussehen wie der Schauspieler Bruce Willis in einem der ersten drei Teile von „Stirb langsam”. Die meisten Achselshirtträger riechen ja nur gleichwertig. Ich weiß allerdings auch, dass ich mich nicht beklagen sollte, alles könnte weitaus schlimmer sein. Meine Tochter ist noch zu klein, um Kleiderwünsche zu formulieren, sie lässt sich anziehen, was mir gefällt, und jedes Mal, wenn ich sehe, was Odessas Frauen tragen – oder besser: nicht tragen -, schätze ich mich glücklich und gelobe, mir Gejammer für später aufzuheben.

Als Gegenleistung für die Unterhemden schlug ich einen Friseurbesuch heraus. Praktischerweise gibt es im „Antoschka” einen Salon. Als ich klein war, saß ich in einer parfümierten Dunkelkammer auf einem Holzbrett, das der Friseurmeister K. über die Armlehnen des Ledersessels gelegt hatte, um mich im Spiegel sehen zu können oder sich nicht allzu sehr bücken zu müssen. Auf den Stühlen ringsum saßen schrecklich alte Männer, deren Haare von einer Überdosis Birkenwasser klebrig glänzten. Immer bekam ich einen so genannten Rundschnitt, der auch so aussah. „Rundschnitt” nannte es der Friseurmeister K., „Rundschnitt” sagten meine Eltern, „einmal Rundschnitt, bitte!”, verlangte ich. Erst später habe ich erfahren, dass es in meiner Kleinstadt auch andere Jungsfrisuren gab – also eine andere, um genau zu sein. Man nannte sie “Igel” und bezahlte erstaunlicherweise dafür.

Mein Sohn aber saß in einem Formel-1-Auto und schaute „Tom&Jerry”, während eine sehr attraktive Frau, etwas jünger als ich, seine Haare schnitt. Ich war der Älteste weit und breit und konnte gerade noch verhindern, dass ihm ein Zeichen in den Hinterkopf rasiert wird. Mein Sohn hatte zunächst das Ferrari-Pferd gefordert, sich dann aber auf einen Mercedes-Stern herunterhandeln lassen. Danach jedoch war ich machtlos. Mit dem Hinweis, dies sei modern, ließ die Friseurin die Haare im Nacken lang und föhnte nur ein bisschen darin herum. Mein Sohn trägt jetzt Vokuhila.

“Du siehst aus wie MacGyvers Sohn”, sagte ich.
“Ist das schlimm, Papa?”
“Du kennst MacGyver nicht, oder?”
“Nein.”
“Ja gut, er baut manchmal mit seinem Schweizer Messer und dem Klebeband ganz tolle Sachen”, sagte ich.
“Mehr als Bob?”, fragte mein Sohn.
“Bob? Welcher Bob?”
Bob der Baumeister.”
“Gegen den ist MacGyver ein Pfuscher.”
“Papa, ich will nicht aussehen wie ein Geiwer, ich will lieber aussehen wie Bob.”
“Du bist zu jung, um dir die Haare zu färben.”
“Aber dann kaufst du mir Schnabelschuhe, ja? Wladik und Gleb und Sascha und Kolja haben auch welche.”
“Schnabelschuhe sind schlecht für die Zehen.”

Schnabelschuh

“Wladiks Papa hat auch Schnabelschuhe”, sagte mein Sohn.
“Glebs Papa auch?”
“Ja, und Saschas Papa und …”
“Nein.”
“Bitte, Papa!”

Vor zwei Wochen brachte mein Sohn mal wieder frische Fotos aus dem Kindergarten mit. Auf dem einen Bild sitzt er auf der Motorhaube eines Polizeiautos mit kalifornischem Kennzeichen, auf dem anderen auf einer Blumenwiese mit künstlichen Kennzeichen. Identisch sind auf beiden Bildern Sitzhaltung, Gesichtsausdruck und Frisur meines Sohnes. Zwar hat er – anders als bei der ersten Lieferung Kindergartenfotos vor einem Jahr – diesmal einen Hals, aber seine Locken fehlen. Offenbar passten sie nicht in die Vorlage, in die er per Fotobearbeitungsprogramm kopiert werden musste. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es ist, Kinder zu fotografieren. Ich frage mich trotzdem, warum es so aussehen muss, als hätte mein Sohn ein verleimtes Gebiss im Mund. Ich glaube nicht, dass es seine Zähne sind, die ich da sehe, aber herrlich weiß sind sie in jedem Fall. Wahrscheinlich tragen Wladik, Gleb, Sascha, und Kolja dieselben auf ihren Fotos – statt der schwarzen Stummel, die in Wirklichkeit zu ihnen gehören. Viele ukrainische Eltern sehen es nämlich so: Es lohnt sich nicht, Milchzähne zu putzen, sie fallen ja sowieso wieder aus.

Ich bekomme noch immer einen Rundschnitt, ich bin nie zum Igel gewechselt, ich gehe bis heute ungern zum Friseur, ich verstehe auch nicht, warum Leute, speziell Frauen, es gerne tun. Ich bitte immer erst um einen Termin, wenn die Rundschnitterneuerung nicht mehr aufzuschieben ist, weil die Haare vom Kopf bereits mit den Haaren aus den Ohren koalieren. Ich werde meinem Sohn keine Schnabelschuhe kaufen – eher gehe ich zur Pediküre.

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10 comments

  1. Doctor Robert

    Hallo Christoph,

    einen wirklich sehr schönen Text hast du da wieder mal verfasst.

    Vielleicht muntert es dich auf, dass auch ich in meiner Kindheit keinen Einfluss auf die Arbeit des Friseurs hatte. Es hieß bei mir immer nur: “Wie beim Papa, bitte!” Und dann bekam ich einen Seitenscheitel gezimmert.

    Was ich mich noch frage: Hat dein Sohn dir gesagt, wie man die ganzen Autonamen schreibt? Habe auf den ersten Blick jedenfalls keinen Fehler entdeckt.

  2. Axel

    Ich möchte nicht, dass in diesem Blog Scherze über Axelshirts gemacht werden!
    Auch nicht über Axelhaar, Axelhöhlen, Axelschweiß und Axelnässe – verstanden?

  3. Doctor Robert

    Ich habe Rolf Zuckowski noch von den zahllosen “Straßenverkehrs-Tagen” der Grundschule im Ohr. Besser Fahrrad fuhr ich durch ihn aber auch nicht. Um richtig rückwärts einzuparken, fehlte wohldas richtige Lied. Vielleicht gibt’s das ja mittlerweile.

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