Kategorie: Leser-Blog-Bindung

Schöne olle Kamellen

ODESSA, UKRAINE Leonid Kutschma ist einer meiner Lieblinge. Der frühere Präsident tritt gelegentlich in diesem Blog auf; mal feiert er für vier Millionen Dollar seinen 70. Geburtstag auf der Krim, dann wieder trifft er sich nicht mit der Regierungschefin Julia Timoschenko auf einer Mittelmeerinsel. Diesmal bringe ich nur ein schönes Zitat, das mir heute Morgen im Flieger wieder begegnet ist. Wir verdanken es Kutschmas – natürlich ehemaligem – Leibwächter Mykola Melnytschenko, der einst ein Geplauder ostukrainischer Eliten im Arbeitszimmer des Präsidenten mitgeschnitten hat.

Alles Arschlöcher, deine Richter. Ich soll noch zu ihnen kommen und als Zeuge aussagen. Zieh diesen Scheißrichter an den Eiern hoch und lass ihn eine Nacht hängen.

Der Mann, der seine Richter nicht im Griff hatte, war Wiktor Janukowitsch, damals Donezker Gouverneur und heute Führer der Partei der Regionen.

Tipps vom Profi-Analysten

ODDESSA, UKRAINE Ich weiß, dass es eine journalistische Todsünde ist, den Taxifahrer zu zitieren. Ich tue es trotzdem, um Ihnen einen Anlagetipp zu verschaffen, der Sie schnell reich machen dürfte. Der Mann, der mich heute von Odessas Flughafen nach Hause gebracht hat, meint, der Dollar und der Euro stünden noch genau drei Tage sehr hoch, danach fielen beide Währungen wieder. Augenblicklich gibt es im Stadtzentrum für einen Euro 8,10 Griwen. Aber bitte verklagen Sie mich nicht, wenn Sie Ihr Ferienhäuschen verzocken. Ich zitiere nur den Analysten im Opel Omega.

Auch zur politischen Situation in der Ukraine – Ende der Koalition, vorgezogene Parlamentswahlen, Folgen der Weltfinanzkrise – liefere ich sogleich eine Einschätzung. Es sieht nicht gut aus. Der Taxifahrer riss die Hände vom Lenkrad los, pflügte mit den Fingern sein Haar um und sagte dann auf Deutsch: “Mein Gott.”

Kein Krimi

(Axel) Irgend jemand, ich glaube, es war meine Oma, hat mich Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts einmal gefragt – ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt: “Willst Du später einmal studieren?”
Ich habe das damals kategorisch verneint und Nachfragen mit der für mich unumstößlichen Feststellung begründet: “Weil Studenten ständig demonstrieren müssen”. Für mich war in jener Zeit das Bild des Studenten untrennbar mit jungen, langhaarigen Menschen verbunden, die Parolen skandierend durch die Straßen großer Städte zogen und mit Wasserwerfern oder schlagstockschwingenden Polizisten bekämpft werden mussten, täglich zu sehen in der guten alten Tagesschau – schwarz-weiß natürlich. Die Seite der Ordnungshüter war mir damals wesentlich näher und nachvollziehbarer, als diejenige der jungen Menschen, die ihren Unmut, ihren Protest und ihren Hass hinaustrugen auf die Straße, in die Hörsäle und in die Presse.
Dieses Bild hat sich schon wenige Jahre später grundsätzlich gewandelt. Easy Rider, Apocalypse Now, der legendäre Woodstock-Film – ja auch der unsägliche von Trotta Film Die bleierne Zeit und nicht zu vergessen viele Berichte, vor allem aus dem Spiegel, haben mein ordnungspolitisches Weltbild gründlich verändert, weg von der Uniform, hin zur ungewaschenen Jeans.

Am Wochenende waren die Liebste und ich, zusammen mit unserer siebzehnjährigen Nichte und deren Freund im Kino: Der Baader Meinhof Komplex – auf ausdrücklichen Wunsch der Nichte.
Jüngere Zeitgeschichte, vom Nationalsozialsmus einmal abgesehen, würde in der Schule nicht sehr intensiv behandelt, allenfalls am Rande erwähnt, so die Nichte. Vor allem die RAF würde sie interessieren, wie sie entstanden ist, welche Ziele sie hatte, wie sie organisiert war und überhaupt …

Ich bin mir nicht sicher, ob der Film alleine die Fragen der Nichte und ihrem Freund beantwortet hat – wohl eher nicht. Erst auf der Fahrt vom Kino nach Hause und dann bei einem Absacker im heimischen Wohnzimmer haben wir mit etwas Nachhilfeunterricht nach bestem Wissen versucht, die Geschichte der RAF und deren Folgen abzurunden. Wir sprachen über die Kolumnen der Ulrike Meinhof, über die Jubelperser, über Stefan Aust, die Springer-Presse, und über die zweite und die dritte Generation der RAF, deren Wirken auch wir in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren hautnah miterlebt hatten.

Grundsätzlich könnte man den Film abtun, als einen gut gemachten Actionfilm, der seinen Stoff aus geschichtlichen Ereignissen bezieht. Das gab es schon sehr oft und wurde in den wenigsten Fällen moniert. Dass es in diesem Fall anders ist, und die Presse den Film hauptsächlich negativ, bestenfalls neutral beurteilt, hängt wohl mit dem Stoff an sich zusammen, dessen Auswirkungen zum Teil tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis der Deutschen hinterlassen haben.
Ausschließlich Geschichtsunterricht jedenfalls, hatte der Baader Meinhof Komplex nicht zu bieten. Das hatten wir ehrlich gesagt auch nicht erwartet und schon gar nicht erhofft. Stattdessen gab es Aussagen wie Ficken und Schießen sind ein Ding. Baader soll das gesagt haben, zu den Ausbildern im palästinensischen Terrorcamp, weil die sich über die nackt sonnenden Terroristinnen mokiert haben. Baader bleibt damit, wie das in Aufarbeitungen der RAF-Thematik schon häufig der Fall war, eine äußerst zwielichtige Gestalt, bei dem man sich (wieder einmal) die Frage stellen darf, ob es ihm wirklich um die Sache ging oder er stattdessen nur an seiner chauvinistischen Selbstverwirklichung interessiert war. Porsche fahrend, mit der Knarre in der Hand und die ihn umgebenden Flintenweiber ständig “Fotzen” nennen, das war Baader und das hat offensichtlich ausgereicht, eine der kaltblütigsten Terroreinheiten Europas anzuführen.

Zugegeben, der Film ist laut und aggressiv, ständig kracht es, es wird gebombt und es wird geschossen, aber dann konnte man plötzlich in den wenigen ruhigen Szenen die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden fallen hören, so still war es im Kino. Aus einer dieser Szenen ergab sich schließlich auch einer der erhellendsten Momente des Films. Was bedeutet es denn, wenn Brigitte Mohnhaupt von ihrer Truppe verlangt: “Wir müssen es auf die harte Tour machen”?
Es bedeutet, das Magazin eines Maschinengewehrs auf einen Menschen leerzuschießen, der nichts weiter tut, als einen Dienstwagen zu fahren und der zu Hause eine Frau und vielleicht ein paar Kinder hat. Und wenn eine putzige, namenlose, blonde, kleine Terroristin bei der Lagebesprechung dieser Tat das Angebot der Mohnhaupt annimmt, auszusteigen, wird sie sich doch ihr Leben lang den Vorwurf gefallen lassen müssen, diese Aktion mit insgesamt vier Toten nicht verhindert zu haben.
Viele von uns hätten damals die putzige, namenlose, blonde, kleine Terroristin sein können. Gerne haben wir uns verrannt und schnell waren wir dabei, einem zu glauben, der uns unsere bourgeoise Lebensweise um die Ohren gehauen hat.
“Kein Krimi?” hat mich die Nichte ungläubig nach dem Film gefragt.
“Nein, kein Krimi. Alles so passiert”, habe ich geantwortet.
Unmerklich hat sie den Kopf geschüttelt und ich meine, sie war etwas blass um die Nase.

Ein paar lesenswerte Rezensionen aus Großbloggersdorf zu dem Film Der Baader Meinhof Komplex gibt es bei
Coffe and TV
Spreeblick
Boschblog
Anke Gröner

Bauer vs. Intelligenzija

Markt2
Stadt Kowel, Mai 2008

Wenn man den durchschnittlichen Bauern in der Ukraine nach seiner Nationalität fragt, wird er antworten, er sei griechisch-orthodox; wenn man ihn drängen würde zu sagen, ob er ein Großrusse, ein Pole oder ein Ukrainer sei, wird er wohl antworten, er sei ein Bauer; und wenn man darauf besteht zu erfahren, welche Sprache er spricht, wird er sagen, dass er “die Sprache von hier” spricht. Vielleicht könnte man ihn dazu bringen, sich mit einem richtigen Nationsnamen zu bezeichnen und zu sagen, er sei “russki”, doch das wäre kaum eine Vorentscheidung der Frage nach einer Beziehung zur Ukraine; er denkt über Nationalität einfach nicht in den Begriffen, die der Intelligenzija vertraut sind. Wenn man also herausfinden will, welchem Staat er gerne angehören möchte – ob er von einer allrussischen oder einer besonderen ukrainischen Regierung regiert werden möchte -, wird man erfahren, dass seiner Meinung nach alle Regierungen eine Landplage seien und dass es das beste wäre, wenn das “christliche Bauernvolk” sich selbst überlassen bliebe.

Britischer Diplomat, 1918

zitiert nach Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes, Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924, Berlin 2008, S. 92.

Alles hat seinen Sinn

Odessas Strand, Mitte August 2008
Odessas Strand, Mitte August 2008
Odessas Strand, Anfang Oktober
Odessas Strand, Anfang Oktober 2008

Wenn jetzt die Sonne scheint, dann ist das nicht mehr selbstverständlich,
Und du nimmst jeden Strahl einzeln und dankbar hin.
Nichts ist mehr so wie‘s war, und du kannst spür‘n: Alles ist endlich.
Auch wenn du‘s nicht verstehst, ahnst du doch: Es hat seinen Sinn.
Du brauchst nicht mehr über die Gehsteigzuparker zu meckern:
Die Autoschickimickis sind schon längst auf und davon
Mit ihr‘n Pelzdamen, deren Hunde die Wege vollkleckern –
Ich liebe das Ende der Saison.

Reinhard Mey: “Ich liebe das Ende der Saison”, aus: “Alles geht!”, 1992

Hinter Gittern

ODESSA, UKRAINE Ich habe mich vor ein paar Tagen abschätzig über Odessas Zoo geäußert. Ich schrieb: „Man riecht ihn von weitem.”

Ich weiß selbst nicht mehr, wie das passieren konnte, ich war ungerecht. Vielleicht habe ich an die Fernsehserie „Hinter Gittern” gedacht und deshalb etwas durcheinander gebracht.

Untermieter gesucht: der Tiger
Untermieter gesucht: der Tiger
Kleine und große Bären: Odessas Zoo
Kleine und große Bären: Odessas Zoo
Ein Hingucker: der gepflegte Gehweg
Ein Hingucker: der gepflegte Gehweg
Eine der Attraktionen: die Hüpfburg; rechts: ein Elefant
Eine der Attraktionen: die Hüpfburg; rechts: ein Elefant

Odessas Zoo hat eine Hüpfburg, eine Rutsche und sehr viele Elektroautos. Man kann eine Lok mieten und selbst fahren. Man darf überall den Müll hinwerfen. Man kann sich auf einem Kamel fotografieren lassen oder auf einem Pony. Man kann historische Kostüme anprobieren und sich dann auch fotografieren lassen. Fotografieren lassen kann man sich außerdem: neben einer großen Stoffgiraffe, einem großen Stofftiger und einem großen Stoffbären. Aus den Lautsprechern kommt oft Musik.

Noch eine Attraktion: die Rutsche; links: ein Elefant
Noch eine Attraktion: die Rutsche; links: ein Elefant

Tiere gibt es auch. Elefant Tarun, der mit Wendy liiert ist, wird wieder Papa.

Wort zum Sonntag

Ich kenne mich nun in Odessa schon ganz gut aus. Beim Gehen über die Straße gibt es viel zu beobachten: Ich sehen viel äußeres Elend, und auch das innere Elend glaube ich zu sehen. Es hat sich den Gesichtern der Menschen aufgeprägt. Manchmal kann man ganze Straßenzüge abwandern, und man findet kein einziges ordentliches, freundliches, frohes Gesicht. Fast alles vergrämte Menschen.

(…)

Mit der Straßenbahn geht es in endloser, langsamer Fahrt 18 km. Wenn sie hält, hört man das muntere Geknabber der Sonnenblumkernesser. Kein Mensch redet, aber alles knabbert.

(…)

Der Park ist angenehm. Schön am Wasser gelegen, an seinem Rand ein Stadion, zwar verwahrlost, aber doch Zeuge entschwundener Pracht. Beim Gang durch das Häusermeer der Stadt muss ich feststellen, dass wir unterschiedliche Stilgefühle haben.

Textauszug: Hermann Binder, Aufzeichnungen aus Transnistrien (September – Dezember 1942), Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1998

Fotografien: Christoph Wesemann, Zwei Flaschen im Zoo, Straßenbahn am Priwos-Markt, Stadion im Schewtschenko-Park, Odessa 2008

Schwedenhappen

Logoklau?
Logoklau?

Geht es anderen auch so – oder bilde ich mir da nur etwas ein, weil ich die Schwedenhappen von gestern Abend noch nicht verdaut habe? Mir kommt das Logo über dem Einrichtungslädchen Idea in Odessas Zentrum sonderbar bekannt vor. Irgendwo habe ich das schon mal gesehen, mir fällt leider gerade nicht ein, wo. Ich bitte um Hinweise im Kommentarbereich; die sachdienlichsten werden belohnt – mit einer Postkarte aus Odessa.

Schluss mit dem Versuch, diesen Blog populär zu machen. Jetzt wird es journalistisch:

Welche Folgen die Logoähnlichkeit haben wird, ist offen. Ein Sprecher von Ikea Deutschland teilte auf Nachfrage per Mail mit:

Das Ikea-Logo ist rechtlich geschützt. Wir behalten uns daher zu jedem Zeitpunkt vor, gegen Missbrauch vorzugehen. Ob wir das in diesem Fall tun werden, kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Unsere Kollegen in der schwedischen Zentrale werden das prüfen.

Bislang gibt es kein Einrichtungshaus der Schweden in der Ukraine. Gerüchten zufolge sollen alle Pläne an den Verhältnissen im Land gescheitert sein, was übersetzt gewöhnlich heißt: Uns war die Korruption zu groß. Noch einmal der Ikea-Sprecher:

Unseres Wissens ist in absehbarer Zeit, also in den kommenden Jahren, keine Filiale in der Ukraine geplant. Eventuelle Schwierigkeiten oder generell die näheren Umstände bei Expansionsprojekten kommentiert Ikea aber generell nicht, auch bei deutschen Projekten nicht.