Schlagworte: Ukraine

Verkehrt?

ODESSA/SANJEJKA, UKRAINE Vielleicht könnte mir jemand, der sich im Slawentum ein bisschen auskennt, erklären, warum diese kurzen Strohbesen so ungemein populär sind, obwohl es absolut unbequem ist, damit zu fegen. Tradition allein kann es doch nicht sein.

Kolumne: Mein Sohn, der Gausbub

ODESSA/ILLITSCHOWSK/SANJEJKA, UKRAINE Ich brauche einen Termin bei Günter Gaus. Es ist dringend. Mein Sohn will ihn kennen lernen. Ich weiß schon, dass Gaus vor ein paar Jahren gestorben ist, mein Sohn weiß es auch, sogar von mir. Trotzdem habe ich versprochen, ein Treffen zu arrangieren.

Günter Gaus (1929-2004) war Journalist, Publizist, Fernseh-Interviewer und vor allem erster Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR. Er arbeitete zwar als Botschafter, musste aber anders heißen, weil Bonn die Souveränität  des bösen Nachbarn nicht anerkannte. Seit einer Weile lese ich „Widersprüche”, seine Autobiografie. Gleich am ersten Tag – Günter war noch ein Gausbub – fragte mein dreijähriger Sohn, wer der Mann auf dem Titelbild des Buches sei. Er lauschte, was mir einfiel, und betrachtete die Fotos der Männer mit den schweren wie schwarzen Sechziger-Jahre-Hornbrillen: Gaus und Henry Kissinger, Gaus und Rudolf Augstein, Gaus und Gustav Heinemann. Von Kanzler Willy Brandt war mein Sohn fasziniert – wahrscheinlich, weil der keine Sechziger-Jahre-Hornbrille trug. Es vergingen ein paar Tage. Mein Gaus erzählte mir vom Zweiten Weltkrieg, machte Abitur und studierte.

Am Sonnabend, am Strand von Sanjejka, unterbrach mich mein Sohn plötzlich,  zeigte auf das Gaussche Gesicht und sagte: „Schon tot!”
„Ja.”
„Willy Brandt ist auch schon tot.”
„Stimmt”, sagte ich.
„Wollen wir ihn mal besuchen?”
„Willy Brandt?”
„Ja.”
„Der hat bestimmt keine Zeit für uns”, sagte ich. „Er hat viel zu tun.”
„Und der andere, hat der Zeit?”
„Günter Gaus?”
„Ja, hat der auch viel zu tun?”, fragte mein Sohn.
„Nö, ich glaube nicht.”
„Dann fahren wir zu ihm, ja?”
„Wie denn?”, fragte ich.
„Na, mit der Marschrutka“, sagte mein Sohn. „Geht das?”
„Klar, aber ich muss erst noch herauskriegen, wo er jetzt wohnt.”

Ich war nicht in der Stimmung, ihm zu erklären, was der Tod für ein Leben bedeutet, vielleicht hatte ich auch Angst, dass er noch zu wenig versteht oder schon zu viel. Das Thema verlangt, dass ich mir meine Worte erst zurechtlege. Hätte ich ihm erklären sollen, was ein Leichenschmaus ist oder ein Friedhof? Und was ist mit dem Wort „Trauerfeier” – gibt es einen größeren Widerspruch für einen Dreijährigen?

Natürlich sind mir Gedanken an den Tod nicht fremd. Seit ich in der Ukraine lebe, kann ich sie auch schlecht verdrängen. Gelegentlich rechne ich mit meinem frühzeitigen Ableben. Gestern, auf dem Rückweg von Sanjejka, war wieder so ein Augenblick. Ich fuhr durch Illitschowsk, ich war neugierig auf die Hafenstadt in der Nähe Odessas, ich hatte schon viel Gutes über sie gehört. Illitschowsk hat außer vielen schrecklichen Plattenbauten auch nette Ecken. Mancherorts leuchtet es sogar grün, und die Mülleimer sehen aus wie Pinguine.

Irgendwo dort bedrängte mich ein anderes Auto, es verfolgte mich und fuhr dicht auf. Ich drehte die Musik lauter, so etwas beruhigt mich sonst immer, klappte den Rückspiegel um, um den Verfolger leichter ignorieren zu können, und beschleunigte schließlich. Nun wusste ich wenigstens, dass ich mir nichts eingebildet hatte – es war jemand hinter mir her. Am Hafen wurde ich dann geschnitten, der Wagen bremste mich aus, und heraus sprang eine Frau. Sie lief heran, klopfte gegen die Scheibe und fragte, ob ich gerade auf der Suche nach einem Urlaubsquartier in Illitschowsk sei. Ich verneinte, klappte den Rückspiegel zurück und vergewisserte mich, dass ich noch am Leben sei. Die Frau verabschiedete und schaute noch einmal auf mein deutsches Autokennzeichen.

Auf der Krim hatte ich einen jungen Deutschen kennen gelernt und mich mit ihm – nach ein paar Bieren – amüsiert über die Art, wie Ukrainer Ferienwohnungen zu vermieten versuchen. Sie sitzen den ganzen Tag unter einem Sonnenschirm und warten, dass sie um eine Ferienwohnung gebeten werden. Wir fanden diese Art der Geschäftsführung, vorsichtig ausgedrückt, ein bisschen unproduktiv, ja passiv. Die Dame in Illitschowsk war wiederum eindeutig zu aktiv.

Wenn Günter Gaus in seiner Autobiografie nicht ganz geflunkert hat, müsste er im Himmel gelandet sein. Mir scheint, er war ein guter Mensch. Klar, er lobt sich ein bisschen zu oft in seinen Memoiren – aber wer nimmt sich denn nicht ernst, wenn er „ich” ist? Ich werde Gaus finden. In der Hölle lebt er allenfalls zeitweilig – als Ständiger Vertreter des Himmels. Er arbeitet zwar als Botschafter, darf sich aber natürlich auch diesmal nicht so nennen. Der Himmel hat die Souveränität der Hölle bislang nicht anerkannt.

Alle Sohn-Kolumnen:

A Trolleybus Named Desire

JALTA, UKRAINE Wenn ich richtig rechne, hat mich jeder der 86,5 Kilometer im Trolleybus von Simferopol nach Jalta 0,1387283236994219653179190751445 Griwna gekostet. Das sind 13,87283236994219653179190751445 Kopeken, also nach heutigem Wechselkurs 0,0131irgendwas Euro oder 1,3 Cent und ein paar Zerquetschte. Das Ticket für die längste Trolleybusstrecke der Welt kostete zwölf Griwna, und die Fahrt dauerte etwas mehr als zweieinhalb Stunden. Vielleicht wären wir unter 150 Minuten geblieben, wäre nicht alle 20 Kilometer das Kabel vom Bus hinauf zur Stromleitung abgerissen. So aber musste der Fahrer viermal hinausklettern, mit einem Läppchen, das er sich vom Armaturenbrett gegriffen hatte, und den Schaden beheben. Ich müsste mir das Abenteuer, diese Berg-und-Talfahrt entlang herrlicher Natur im Nachhinein also gar nicht schönrechnen.

Ein paar Kilometer vor Jalta gab es überdies noch einen Stau: Vier Trolleybusse standen Schlange, weil auf diesem Abschnitt der Strom ganz ausgefallen war. Es ging aber so schnell weiter, dass ich kein Zeit hatte, ein Foto zu machen. Unter der Hitze, dem Gebrumme und Geklapper ächzten alle. Besonders die Kinder hatten sich irgendwann nicht mehr unter Kontrolle, sie schrien und nervten die Passagiere – dummerweise waren es meine Kinder. Sie können mich einen Rabenvater und Egoisten nennen – aber ohne diese Tour wäre mein Leben ärmer. Und zurück von Jalta habe ich auch ein Taxi gewählt, was die Fahrzeit halbierte. Da kostete der Kilometer übrigens 3,4682080924855491329479768786127 Griwna.

Als viel unbequemer sind mir die zwei zwölfstündigen Fahrten mit dem Nachtzug in Erinnerung. Von Odessa nach Simferopol gab es auf keiner Toilette Wasser, und zurück stampfte dann eine eindeutig zu schwere Schaffnerin fortwährend den schmalen Gang des Abteils entlang und brüllte, was sie den Reisenden anzubieten hatte: “Чай, кофе, холодное пиво!”* Sie brüllte es abends um elf, morgens um sieben und sogar noch 20 Minuten vor der Ankunft in Odessa. Wasserflaschen hatte sie natürlich nicht in ihrem Kämmerchen.

* “Tee, Kaffee, kaltes Bier!”

Band ohne Namen

JALTA/ODESSA, UKRAINE Mag sein, dass mich der Vollmond über Jalta und die vorbeidefilierenden Urlaubsschönheiten ein bisschen unkritisch gemacht haben. Möglicherweise war ich auch so überwältigt, weil mein Wissen über russische Rockmusik mit Wiktor Zoi beginnt und mit der Gruppe “Kino” aufhört. (Experten dürften die Größe meiner Ahnungslosigkeit ermessen.) Ich bestreite all das jedoch. Es war ein wundervolles Konzert an Jaltas Strandpromenade. Die fünf jungen Leute um den Apfelsaft schlürfenden Sänger spielten fast zwei Stunden vor einem zunehmend betrunkener werdenden Publikum. Sie sangen Lieder, die ich nicht kannte, über Sachen, die ich nicht verstand. Mein Russisch rockt einfach noch nicht.

Und jetzt kommt es: keine CD, die ich hätte kaufen können, keine Homepage, auf die ich jetzt verweisen könnte – die Gruppe hat noch nicht mal einen Namen. Alles, was ich weiß, ist, dass die vier Männer und die hübsche, etwas schüchterne Keyboarderin Jaltaer¹ sind. Erzählt hat es mir der Manager, der natürlich gar kein Manager ist, sondern bloß ein Freund, der auf die Schachtel aufpasst, in die Zuhörer Geld werfen können. Abend für Abend, außer montags, spielen sie dort, das Schwarze Meer als Backstagebereich, und werden wahrscheinlich nie berühmt und reich. Es ist ein Jammer.

¹ Nein, es heißt nicht Jalteser.

(Hiermit eröffne ich die Krim-Woche dieses Blogs.)

Abwesenheitsnotiz

Ich werde bis Dienstagmittag auf der Krim sein. Bitte werfen Sie ruhig ein paar Scheine in den Kommentarbereich – denn bei den Preisen auf der Halbinsel werde ich voraussichtlich pleite zurückkommen. Falls Sie Sehnsucht nach mir haben und mich in Jalta besuchen wollen, finden Sie mich hier. Ich empfehle, mit dem Nachtzug nach Simferopol zu fahren und von dort auf der längsten Trolleybusstrecke der Welt weiter zu düsen. Für die 86 Kilometer bis Jalta brauchen diese Uraltbusse angeblich kaum mehr als zweieinhalb Stunden.

Zur Sicherheit wird mein Freund Axel alle Kommentare von Leuten freischalten, die hier zum ersten Mal vorbeischauen. (Er wird sich also nicht überarbeiten.) Bis zu meiner Rückkehr können Sie vielleicht raten, aus welchem Land der Besitzer dieses schönen Flitzers kommt. Ich habe mir sagen lassen, er sei vor zwei Jahren schon einmal in Odessa gewesen.

Poetry Schlamm: Man in Black

ODESSA/KUJALNIK, UKRAINE Ich habe mir mal ein Schlammbad im Kujalnik-Liman gegönnt. Es soll angeblich heilen und Wunder bewirken – das ist bewiesen, seit 1829 unter Leitung von Fürst Michail Semjonowitsch Woronzow eifrig geforscht wurde. Die Heilanstalt eröffnete fünf Jahre später. Heute gibt es im Kurort Kujalnik (курорт Куяльник) einige Sanatorien. Der gute Schlamm, den man sich auf die Haut schmiert, stinkt allerdings so bestialisch, dass einen die Wohnung auch nach zwei Tagen noch an den Ausflug erinnert. Und das gute Salzwasser, mit dem man den Schlamm hernach abwäscht, brennt so furchtbar in den Augen, dass man zu Tränen gerührt ist.

Auf der Fahrt nach Kujalnik, nicht einmal 20 Kilometer entfernt von Odessas Zentrum, gerät man jedoch zunächst, offenbar unvermeidlich, in einen Stau, der niedrigste menschliche Instinkte weckt. Immer wieder ziehen nämlich Fahrer nach rechts, überholen auf der staubigen Piste und drängeln sich dann in eine Lücke. Überholte ertappen sich gelegentlich beim Gedanken, eine Bürgerinitiative zur Wiedereinführung der Prügelstrafe zu gründen.

Die Gegend hat links und rechts durchaus einige Reize zu bieten:

Nach der Ankunft entkleidet man sich am Auto, das nur ein paar Schritte entfernt vom See parkt, durchquert einige Benzinpfützen und geht 100 Meter hinein ins Wasser, um nach dem Schlamm zu graben. Gräbt man weiter vorn und ziemlich erfolglos, zeigt also offenkundig seine Blödheit, kann es passieren, dass eine neunmalkluge Neunjährige ankommt, zwei Hände voller Schlamm, Richtung Horizont weist und dabei ruft: “Von dooooooooooooort!”

Kolumne: Oleg und die Gänsefüßchen

ODESSA, UKRAINE Manchmal ist mein Freund Oleg ein bisschen arg begriffsstutzig. Woran das liegt, weiß ich nicht, wahrscheinlich bin ich selbst nicht der Hellste, sonst wüsste ich es bestimmt. Gestern Abend hat er mich wieder besucht.
„Kommst du, um dich zu entschuldigen?”, fragte ich.
„Nee, wieso?”
„Ich habe Sonnenbrand”, sagte ich.
„Es gibt Sonnencreme und Sonnenschirme.”
„Sonnenbrand kann sehr unangenehm sein.”
„Und was kann ich dafür?”, fragte er. „Gib mir mal bitte einen Teller Pelmeni.”

Gesundheitspfad am Strand

Ich erinnere mich gut. Am vergangenen Donnerstag hatte ich beschlossen, übers Wochenende wegzufahren. Ich würde am Montagmorgen in einer Pension mit Blick aufs Meer aufwachen. Montag war Feiertag in der Ukraine; offiziell, um genau zu sein, war der Feiertag zu Ehren der Verfassung bereits am Sonntag. Aber wenn in der Ukraine ein Feiertag aufs Wochenende fällt, ist der Montag grundsätzlich frei. Ich hatte mir am Donnerstagmorgen eine Reiseroute ausgedruckt, im Internet eine Pension gefunden und das Auto getankt. Dann kam Oleg zum Abendessen vorbei.
„Schon was vor am Wochenende, Kolumnist?”, fragte er und schaufelte einen Löffel Pelmeni in seinen Mund.
„Ich verreise.”
„Würd’ ich nicht machen”, sagte Oleg und kaute. „Die Pelmeni sind nicht schlecht, kannst du öfter kochen.”
„Mein Auto ist doch wieder legal.”
„Weiß ich, stand doch im Blog, dass du mit der Kolumnistenkarre nach Kutschurgan gekutscht hast. Hattest ganz schön die Hosen voll, oder? Ich würde trotzdem nicht fahren.”
„Das Auto ist legal!”
„Das Wetter wird aber beschissen”, sagte Oleg.
„Ist denn auf den ukrainischen Wetterbericht Verlass?”, fragte ich.
„Auf den ukrainischen Wetterbericht ist genauso viel Verlass wie auf alles Ukrainische. Aber das ist nicht der Punkt.”
„Was ist denn der Punkt?”
„Am Tag der ,Verfassung’”, sagte Oleg und zeichnete mit den Zeige- und Mittelfingern beider Hände unsichtbare Gänsefüßchen in die Luft, „am Tag der ,Verfassung’, übrigens auch am Tag davor und danach, ist das Wetter immer mies. Meistens regnet es, weil der Himmel weint.”
„Wieso sagst du eigentlich ,Verfassung’?”, fragte ich und setzte Anführungsstriche, wie es Oleg getan hatte.
„Ich versteh nicht.”
„Wieso sagst du ,Verfassung’ und nicht Verfassung?”
„Sehr witzig, hat die Ukraine eine Verfassung?”
„Du meinst also, ich soll zu Hause bleiben?”
„Drei Tage Regen, Sonnabend, Sonntag, Montag, kannst dich auf mich verlassen.”

Oleg, so viel weiß ich jetzt, ist kein Verfassungspatriot im engeren Sinne. Ich bin zwar auch keiner, aber ich kenne zumindest einige Deutsche, die es sind, also, ich kenne sie nicht direkt persönlich, eingefleischte Verfassungspatrioten wie Jürgen Habermas und Richard von Weizsäcker zählen eher nicht zu meinem Umgang, was vermutlich nicht nur am Altersunterschied liegt, sondern – siehe oben – auch ein bisschen an meinem Gehirnnebel. Ich hänge halt lieber mit Typen wie Oleg rum. In gewisser Weise verstehe ich ihn. Man braucht sich nur das Hickhack um die ukrainische Präsidentschaftswahl anzuschauen. Zunächst hatten 401 der 450 der Abgeordneten des Parlaments für den 25. Oktober als Wahltag votiert und sich auf die Verfassung berufen, um die Abstimmung vorzuziehen. Daraufhin klagte Staatsoberhaupt Viktor Juschtschenko vor dem Verfassungsgericht – und worauf berief er sich wohl? Genau. Er bekam Recht.

In der Verfassung steht, dass die Wahl am letzten Sonntag des fünften Amtsjahres des Präsidenten stattfinden muss. Allein diese Formulierung ist für mich intellektuell gar nicht fassbar. Als sei das nicht kompliziert genug, gibt es zum einen „unterschiedliche Interpretationen, auf welchen Termin dieser letzte Sonntag fällt”.  Zum anderen „ist umstritten, ob die Verfassung in ihrer jetzigen Form bereits anzuwenden ist, da die Wahlgesetzgebung während der Amtszeit des jetzigen Präsidenten geändert wurde”.
Nun wird wahrscheinlich – oder vielleicht, was weiß denn ich – am 17. Januar gewählt. Wer übrigens glaubt, die Parlamentarier hätten sich wegen des mutmaßlich schöneren Wetters für den Oktober und gegen den Januar entschieden, liegt falsch.

„Brauchst du Sonnencreme?”, fragte Oleg und füllte sich Pelmeni auf.
„Du hast gesagt, am Tag der Verfassung, am Tag davor und am Tag danach werde es regnen.”
Oleg schwieg, zuckte mit den Achseln und schmatzte.
„Du hast gesagt, der Himmel weine wegen der Verfassung.”
„Worauf willst du hinaus?”
„Es hat nicht geregnet am Verfassungswochenende, nicht ein einziges Mal, es war die ganze Zeit blauer Himmel, und das blöde Verfassungswochenende hat mir einen schönen Sonnenbrand verpasst”, sagte ich und fing auf einmal an zu schreien. „Ich hätte am Tag der Verfassung in einer wunderbaren Pension mit Meerblick aufwachen können, wie ich es geplant hatte – bis du kamst mit deinem Verfassungsdauerwolkenbruch.” Ich schrie sehr, sehr laut. „Weißt du, wie ich den Tag der Verfassung verbracht habe? Morgens bin ich zum Großeinkauf in den Supermarkt gefahren, nachmittags an den Strand, wo es so heiß war, dass ich jeder Fliege dankbar war, die ein bisschen Wind gemacht hat. Der Himmel hat nicht geweint, du Poetrologe.”
„Verfassung, Verfassung, Verfassung, ich höre die ganze Zeit Verfassung”, schrie Oleg.
„Ja und?”, schrie ich.
„Wovon redest du?”, fragte Oleg. Er schrie noch lauter, sein ganzes Gesicht war rot, es glühte wie mein Rücken. „Welche Verfassung?”

Alle Oleg-Kolumnen:


Herzlichen Glückwunsch, Ukraine

Transparency International hat ein frisches Korruptionsbarometer veröffentlicht. Die Ukraine belegt mit einem Wert von 4,3 (0=überhaupt nicht korrupt, 5=extrem korrupt) den letzten Platz unter sieben GUS-Staaten sowie der Mongolei. Auch kein anderes der 69 untersuchten Länder erreicht diesen Wert. Befragt wurden zwischen Oktober 2008 und Februar 2009 weltweit mehr als 73000 Leute, in welchen Lebensbereichen die Korruption besonders stark zu spüren sei. In der Ukraine gab es vom 4. bis 12. November eine landesweite Befragung mit 1200 Bürgern.

Und hier sind die Ergebnisse der Ukraine:

Die Daten, die Transparency International erheben lässt, sind die Arbeitsgrundlage aller Korruptionsbekämpfer. Den Bericht samt Fragebogen gibt es hier zum Herunterladen.

Schlag den Staat

Nachgestellte Szene (fehlerhaft)

Die Handlung und die handelnden Personen dieser Geschichte sind fast frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig. Und die Überschrift ist auch fast geklaut – von dem hier nämlich.

ODESSA/KUTSCHURGAN, UKRAINE Zum Glück habe ich den Türöffner auf zwei Beinen, ich wäre ohne ihn verloren. Der Mann, ein ziemlich hoher ukrainischer Staatsdiener, hat in den vergangenen zwei Wochen viel telefoniert, um herauszufinden, wie ich mein Auto wieder legalisiere. Es ist illegal in Odessa. Ausländer, die ihr Auto nicht registrieren lassen, müssen es alle zwei Monate aus dem Land schaffen. In der Region Odessa genügt dafür eine Fahrt zur moldawischen Grenze und zurück. Ich habe es leider nie getan. Das Auto ist seit Mai 2008 am Schwarzen Meer. Recherchen, soweit sie in einem Land wie der Ukraine zumal für einen Ausländer überhaupt möglich sind, ergeben, dass ich mit einer Strafe zwischen 800 und 2000 Euro rechnen muss. Theoretisch könnte der Wagen auch beschlagnahmt werden. Genaues weiß auch mein Türöffner nicht. Es hänge möglicherweise vom Zöllner ab, der kontrolliere, sagt er.

Da ich nichts riskieren will, organisiert mein Beamtenfreund eines Nachmittags eine Konsultation in einer Behörde. Als wir dort ankommen, telefoniert er und sagt: „Mach mal bitte die Tür auf.” Eine Minute später öffnet ein Uniformierter. Wir laufen durch einen langen Flur. Links und rechts in den Büros wird sich offenkundig auch nicht unbedingt überarbeitet. Die Schreibtische sind leer. Nach hundert Metern schließt der Uniformierte eine Tür auf, und schon sind wir wieder an der frischen Luft – bloß auf der anderen Seite des Gebäudes. Irgendwann stehen wir vor einem anderen Beamten. Mein zweibeiniger Türöffner erklärt die Lage. Der Beamte schaut, ob mein Auto im Computer eingetragen ist, und findet nichts. Warum das so ist, weiß er nicht. Vielleicht bin ich vor 13 Monaten gerade noch eingereist, bevor an den ukrainischen Grenzen ein System eingeführt worden ist, in dem alle Autos gespeichert sind. Es wird eine Weile diskutiert, das Risiko kalkuliert und schließlich entschieden, es könne ohne Angst vor einer Beschlagnahme zur Grenze gefahren werden.
„Wann?”, frage ich.
„Jetzt”, sagen beide Männer gleichzeitig.

Fast hätte ich gar nicht fahren können. Am Mittag ist das Auto in der Garage nicht angesprungen. Die Batterie war tot. Ein anderer Bekannter, diesmal kein hoher Staatsdiener, kam vorbei, baute seine Batterie aus und wiederbelebte meinen Koma-Skoda. Als ich erzählte, ich hätte den Motor das letzte Mal im November oder Dezember gestartet, genau wisse ich das nicht mehr, schüttelte er nur den Kopf.

Mein Türöffner reicht mir seine Visitenkarte, die ihn als hohen Beamten ausweist, und sagt, ich solle sie in meinen Pass legen und anrufen, falls die Zöllner Probleme machten. Dann verabschiede ich mich und fahre mit meiner Begleiterin in Richtung Chişinău (Kischinau) zur moldawischen Grenze nach Kutschurgan.

Gaischnik bei der Arbeit (Archivbild aus Odessa)

Wir haben Odessa kaum verlassen, da werden wir an einem Kreisel von zwei Gaischniki angehalten, wie die Verkehrspolizisten der Staatlichen Autoinspektion (GAI, ukrainisch offiziell: DAI) vom Volk genannt werden.  Ich habe sie bereits vor mehr als einem Jahr kennen gelernt, als ich von Deutschland nach Odessa fuhr. Gaischniki sind berüchtigte Vergehenerfinder und Handaufhalter. Wenn sie eine Strafe aussprechen wollen, entdecken sie auch einen Grund – oder suchen sich einfach einen Raser wie damals bei mir. Die Berliner Zeitung schrieb einmal:

Ebenso zutreffend wäre es indes, die GAI als landesweites System staatlicher Willkür zu bezeichnen. In ihrer sowjetischen Blütezeit betrieb die GAI an jeder Kreuzung einen mit mindestens zwei Beamten besetzten Posten, an dem „slatkije bulotschki” verdient wurden, als „süße Brötchen” bezeichnete Bestechungsgelder. Wie alle sowjetischen Beamten arbeiteten die GAIschniki für einen Hungerlohn. Dass der Beruf des Verkehrspolizisten dennoch begehrt war und für einen Platz an einem GAI-Posten viel Geld floss, ist damit zu erklären, dass die Chancen der Beamten, sich ein Zubrot zu verdienen, fast unbegrenzt waren.

So nahm sich ein Verkehrspolizist das Recht, jeden Pkw-Fahrer anzuhalten und wegen tatsächlicher oder angeblicher Verstöße gegen die Verkehrsordnung zur Aufbesserung seines Gehalts zu zwingen. Die GAI hieß deshalb im Volksmund DAI! – „Gib!”. Und mancher GAIschnik kam auf diese Weise zu einem Eigenheim, wenigstens aber zu einer Datsche.

Nachdem sie Pässe und Führerschein studiert haben, entdecken die Gaischniki im Fahrzeugschein ein Problem: Mein TÜV ist schon im Oktober 2008 abgelaufen. Die Polizisten verwechseln den TÜV mit der Abgasuntersuchung, was aber nicht weiter nicht schlimm ist. Denn die ist auch abgelaufen. Sie schreien und drohen, sie würden das Auto beschlagnahmen. Meine Begleiterin zeigt ihnen das Dokument der deutschen Botschaft in Kiew, das ihr Schikanekontrollen ersparen soll, wie sie für Ausländer in der Ukraine üblich sind. Man solle ihr „Unterstützung, besonders in Fragen des Reisens, des Straßenverkehrs und der Grenzübertritte, gewähren”, heißt es. Die beiden Gaischniki schauen es an, lesen den ukrainischen Text, halten das Blatt gegen die Sonne, um die Echtheit des Stempels zu prüfen, und schauen danach auf mich. Es schmeichelt mir durchaus, dass sie sich vorstellen können, ich hätte das Botschaftsschreiben gefälscht.

Wir rufen ein paar Bekannte an, die in Odessa in hohen Positionen arbeiten und reichen das Telefon an einen der Polizisten weiter, vielleicht beeindruckt das ja. Es beeindruckt überhaupt nicht.
„Wären Sie eine echte Odessitin, wüssten Sie, was zu tun ist”, sagt der Gaischnik zu meiner Begleiterin und Verhandlungsführerin.
„Ich bin zwar keine echte Odessitin, aber ich verstehe trotzdem, was Sie meinen. Endlich sagen Sie’s.”
„Dann komm mal mit.”

Meine Begleiterin holt 100 Griwna, umgerechnet fast zehn Euro, aus dem Auto und geht zum Dienstwagen der Beamten. Der Gaischnik lehnt das Honorar allerdings ab und sagt, solch geringe Beträge nehme er nicht an, davon fühle er sich persönlich beleidigt. Genau so sagt er es: „Sie beleidigen mich persönlich.” Dann wünscht er eine „glückliche Reise”.

Ein Anruf bei der Werkstatt, in der ich mein Auto schon einmal reparieren lassen habe, ergibt, dass wir uns nicht fürchten müssen vor weiteren Kontrollen. Die Abgasuntersuchung sei eine deutsche Vorschrift, folglich gelte sie auch nur in Deutschland, sagt der Chef. „Aber wenn es dich beruhigt, kannst du eine ukrainische Untersuchung bekommen. Die brauchst du zwar nicht, aber vielleicht fühlst du dich dann besser.”

Erst vor einer Woche war ich bei ihm gewesen, weil der Türöffner meinte, ich solle mir zur Sicherheit für die Fahrt zu Grenze einen Schein ausstellen lassen, dass mein Auto ein Jahr kaputt gewesen sei. Der Werkstatt-Chef hatte daraufhin einen Fotografen angerufen, der bei ihm Kunde ist und einen Verkehrspolizisten kennt. Der Fotograf telefonierte, rief zehn Minuten später zurück und bestätigte, dass es Probleme geben könne und der Polizistenfreund von einer Fahrt nach Kutschurgan dringend abrate, so lange man dort keinen zuverlässigen Zöllner kenne.

Den Rest der Strecke bis zur Grenze, knapp 75 Kilometer insgesamt, schaffen wir ohne Probleme. Die Straße ist durchaus passabel, kaum Schlaglöcher, nur ein paar Wellen, links und rechts Weizenfelder, hier und dort ein paar Kühe und Ziegen. Viele Leute in dieser Region, einst Heimat deutscher Auswanderer, arbeiten in Odessa. Manchmal ist eine Viertelstunde lang kein Mensch zu sehen. Nicht anders sieht Vorpommern aus.

Vor der Grenze tauschen wir die Plätze, ich setze mich nach hinten und überlasse meiner Begleiterin das Steuer. Wir hoffen, dass die Zöllner bei einer Frau ein bisschen weniger auf das Auto schauen – und ein bisschen mehr auf – auf irgendetwas anderes. Zwei Kinder haben wir zur Sicherheit auch dabei. Im Journalismus gibt es den schönen Satz: „Tiere und Kinder gehen immer.” Gemeint ist: Geschichten über Tiere und Kinder lesen die Leute gern. Für uns sollen die Kinder die Zöllner nur etwas milde stimmen, falls es eng wird. Die Kleine wird angewiesen, auf Kommando ganz theatralisch zu weinen. Ich lese auf ihrem sechs Wochen alten Gesicht, dass sie verstanden hat und mitspielen wird.

Während die Pässe kontrolliert werden, streicht ein Zöllner ums Auto, entdeckt die abgelaufene Plakette am Kennzeichen und beginnt mit meiner Begleiterin ein Gespräch, lässt sich dann aber doch beschwichtigen. Links, in der anderen Kontrollspur, ist gerade ein moldawischer Rollerfahrer angekommen. Er trägt weder Helm noch Hemd. Eine Minute später ist er schon wieder weg. Auch wir dürfen ausreisen. Die Kleine braucht nicht zu weinen, tut es aber trotzdem.

Der moldawische Zöllner fragt, wohin wir fahren würden. Meine Begleiterin erzählt, wir wollten Freunde in Chişinău besuchen. Der Blick des Mannes sagt: Ja ja, deine Mudder.

Text zum Mitsingen

Er schickt uns zum Registrieren. Während abermals die Pässe durchgeschaut werden, schreit die Kleine plötzlich, obwohl ich nichts angewiesen habe. Als alles erledigt ist, fragt meine Begleiterin den Zöllner, ob er ein Café zum Verschnaufen empfehlen könne. Er glaubt natürlich nicht, dass wir Moldawien bereisen wollen, wir sind schließlich nicht die ersten Ausländer, die bei ihm ihr Auto wieder legal machen. Er sagt nur: „Kehren Sie besser gleich um. Hier gibt’s sowieso nichts.” Wir wenden noch vor dem letzten Kontrollpunkt und treffen gleich wieder auf den Moldawier, dem wir gerade noch etwas von Freunden in Chişinău erzählt haben. Er lächelt nicht, er grinst. Der zweibeinige Türöffner ruft an und fragt, wo wir steckten. Ich kann ihn beruhigen. Wir haben seine Visitenkarte niemandem zeigen müssen. Er ist darüber nicht unglücklich.

Die Ukrainer nehmen uns wieder auf. Die letzte Passkontrolle geschieht ohne Probleme. Während die Begleiterin die Emigrationskarten ausfüllt, wechsele ich der Kleinen die Windel. Wohl deshalb hat sie bei den Moldawiern so wild geschrien.

Erleichtert, geradezu glücklich, die Strafe gespart zu haben, darf das Auto in die Waschstraße. Dort ist es zuletzt vor 14, 15 oder 16 Monaten in Deutschland gewesen – so genau weiß ich auch das nicht mehr.

Kolumne: Mein Sohn und der Sandalismus

ODESSA, UKRAINE Ich habe die Kindergärtnerin meines Sohnes sehr, sehr glücklich gemacht. Um zu verstehen, wie viel mir das bedeutet, sollte ich vielleicht gestehen, dass sie meinetwegen gewöhnlich sehr, sehr unglücklich ist. Zuletzt haben ihr alle Schuhe meines Sohnes missfallen, sie fand sie mal zu klein, mal zu groß, dann zu warm oder zu ausgeleiert. Zwei Wochen lang beklagte sie sich bei mir. Ich stopfte Watte in die zu großen Blauen meines Sohnes und band die zu kleinen Braunen etwas lockerer. Doch dann hatte sie endgültig genug von meiner Schuhmelei, gab mir ihre Rabattkarte und schickte mich in das dazu passende Geschäft. Ich kann nicht sagen, dass ich erfreut gewesen wäre, es war eher so, dass ich gehorchte. Jeder Vater, ganz gleich welcher Nationalität, Religion oder sozialen Schicht, wird vor der Kindergärtnerin seines Sohnes zum Zwerg. Nachdem die Verkäuferin den Kolumnistenkinderfuß vermessen hatte, kaufte ich schöne, nicht gerade billige Sandalen und brachte meinen Sohn am nächsten Morgen mit einem beschwingten Gefühl in den Kindergarten.

Am Nachmittag hätte mich die Erzieherin fast erwürgt. Sie sagte, die Sandalen seien nicht nur viel zu groß, sondern auch viel zu schwer. Als ich Zwergenpapa, mich verteidigend, einwarf, wir seien in dem Laden gewesen, den sie mir empfohlen habe, schüttelte sie ihren Kindergärtnerinnenkopf und schwor, sie werde sich bei der Verkäuferin beschweren. Dann zeigte sie auf alle Kinderfüße, die gerade herumliefen, und sagte: „Sehen Sie, solche Schuhe müssen Sie kaufen! Solche, sehen Sie? Oder solche, die sind perfekt.”
„Und wo?”, fragte ich.
„Auf dem Priwos.”

Zwischen Irrgarten und Irrglauben

Dazu muss man wissen, dass Odessiten, wann immer man sie fragt, wo es etwas zu kaufen gebe, einen immer zuerst zum Priwos schicken, auf den Riesenmarkt in der Nähe des Bahnhofs. Dort braucht man ungefähr einen halben Tag, um drei Tomaten, ein Kilogramm Kartoffeln und ein paar Socken zu kaufen, weil man zuerst in diesem Irrgarten die Orientierung verliert und danach dem Irrglauben verfällt, Schnäppchen zu finden, in diesem konkreten Fall: besonders günstige Tomaten, Kartoffeln und Socken. Und derweil beginnen schon die Ohren zu schmerzen, weil die Marktfrauen pausenlos brüllen – je älter, umso lauter – und mit jedem zweiten Kunden in Streit geraten, wenn nicht gerade halbnackte Männer rumpelnde Handwagen durch die engsten Gänge schieben und sich mit dem Ruf „Осторожно! Ноги!”* den Weg freikrakeelen.

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(* „Vorsichtig! Füße!”)

Der Glaube der Odessiten an diese Marktwirtschaft ist durch nicht zu erschüttern. Neulich war die Dusche in meiner Wohnung undicht. Das Wasser sickerte unten hinaus und überschwemmte die Fliesen. Ich rief den Klempner, der eigentlich Elektroingenieur ist und die Dusche erst im März repariert hatte. Woher ich weiß, dass er eigentlich Elektromonteur ist? Nun, ich kenne ihn schon länger. Er war ein paar Tage vor Silvester 2008 in meiner Wohnung, um die Heizung zu reparieren. Zunächst hatte ich die Vermieterin angerufen, die wiederum ihren Sohn anrief, der dann aber nur kurz vorbeischaute, weil er 40 Minuten später seinen Zug in den Skiurlaub nach Slowenien besteigen musste. Wenigstens brachte er einen Mann mit, der nicht auf dem Weg in den Skiurlaub war: jenen Elektromonteur, der später mein Klempner werden sollte. Seitdem rufe ich ihn an, wenn ich Probleme habe in der Wohnung. Seine Visitenkarte ist die einzige, die am Kühlschrank klebt. Ich kenne auch keinen anderen Klempner oder Elektromonteur in Odessa.

Mein Klempner kam am nächsten Tag, sagte, er wisse schon, warum die Dusche diesmal kaputt sei, und brauche sich deshalb den Schaden gar nicht anzuschauen, er habe auch schon mit der Vermieterin telefoniert, dann pumpte er sich 65 Griwna von mir, sechs Euro umgerechnet, und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich fahre jetzt zum Basar, bin in eineinhalb Stunden zurück.” Zweieinhalb Stunden später klopfte er, schloss sich mit einer kleinen Tüte, aber ohne Werkzeug im Bad ein und kam nach einer 25 Minuten wieder heraus. Als Nachweis seiner Klempnerkunst ließ er den alten Abfluss vor der Toilette zurück. Dann verschwand er, um sich, wie er sagte, von meiner Vermieterin seinen Lohn zu holen, von der ich mir jetzt noch die 65 Griwna für den neuen Priwosabfluss holen muss. Der ist wirklich schick. Nur leider kann die Dusche noch immer nicht das Wasser halten.

Pumps für Einbeiner

Gestern war ich auf dem Priwos, um abermals Sandalen zu kaufen. Beim Anprobieren saß mein Sohn auf Pappkartons und schaute, wie eine obdachlose und offenbar alleinerziehende Katzenmutter ihr Baby stillte. Am Stand gegenüber lagen einzelne Hochhackige. Als ich die Verkäuferin fragte, ob sie davon leben könne, ob es also viele modebewusste Einbeinige in Odessa gebe, lachte sie laut und sagte: „Sie sind bestimmt Deutscher. Natürlich habe ich unterm Tisch auch den zweiten.  Ich will bloß nicht bestohlen werden.” In diesem Augenblick wäre ich vor Scham über meine Blödheit gern von einem dieser Handwagen überrollt worden. Ich überließ dann meinem Sohn die Wahl der Sandalen.

Die Sprache des Fußvolks

„Das sind die richtigen, endlich, absolut perfekt”, rief die Kindergärtnerin am nächsten Morgen und hätte mich beinahe umarmt. Bis zum Nachmittag hatte sie ein bisschen Deutsch gelernt, vielleicht sprach sie auch bloß Shoesperanto mit mir, so eine internationale Plansprache des Fußvolks, sie rief jedenfalls dreimal: „Suuuper-duuuper!” Mein Sohn strahlte.

Ein paar Deutsche, die in Odessa leben, haben mir bestätigt, dass die Sandalen unmöglich perfekt sein können, wenn der große Onkel vorne rausguckt und beim Gehen im Staub popelt. Aber gut, es ist ja nicht mein Onkel. Alles wäre schön, hätte die Kindergärtnerin mir nicht noch zum Abschied die Visitenkarte eines Sandalenhändlers vom Priwos gegeben und auf meine Füße gezeigt.

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